Seit 150 Jahren setzt die kanadische Bundespolizei Interessen der privaten Industrieunternehmen gegen den Widerstand der Bevölkerung durch. In der vergangenen Dekade wurden insbesondere Demonstrationen von Umweltschutzgruppen und First Nations Ziel bedenklicher Dauerüberwachung. Der Beitrag analysiert neue Observationsmethoden wie die Einrichtung von Zentren für die Kooperation von staatlichen Behörden und Privatunternehmen, gegen die sich Betroffene kaum wehren können.
Zur Geschichte Kanadas gehört maßgeblich die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung. Für diese haben ambitionierte Siedler*innenprojekte zum Ressourcenabbau stets gravierende Folgen für die Sicherung der eigenen Überlebensgrundlage. Indigene Proteste werden in der Regel als gewalttätig dargestellt und traditionell mit dem primären Mechanismus der Kolonialmacht beantwortet – der Polizei. Entsprechend rabiat wurden bereits frühere Proteste gegen Raubbau poliziert. Die Namen Kanehsatà:ke (Oka), Ts’Peten (Gustafsen-See), Aazhoodena (Ipperwash/Stoney Point) oder auch Kanonhstaton (Kaledonien) bleiben als Beispiele im kollektiven Gedächtnis. Das Polizieren indigener Proteste: Besondere Repression gegen besondere Rechte weiterlesen →
von Hannah Espín Grau und Marie-Theres Piening
Zwar nimmt die öffentliche Debatte über Arbeitsweisen und Aufgaben der Polizei zu, gleichzeitig werden jedoch auch Kompetenzen und Ausstattung der Polizei in Deutschland erweitert. Mit diesen Entwicklungen vermögen die ohnehin schon immer begrenzten Kontrollmechanismen trotz widerwilliger Erweiterungen kaum mitzuhalten. Zivilgesellschaft und Kontrollorgane stehen der Organisation in vielen Fällen ohnmächtig gegenüber. Ein Update und der Versuch einer Einordnung.
Die Beantwortung der Frage, wie die Polizei demokratisiert, kontrolliert und verantwortlich gemacht werden kann, gehört zum Kerngeschäft der CILIP. Seit 1978 erschienen hier zahlreiche Artikel zum Thema, in der allerersten Ausgabe von CILIP etwa Öffentliche Kontrolle der Polizei und Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit (CILIP Nr. 0/1978, S. 34-36). Mit den Ausgaben Nr. 15 (2/1983), Nr. 26 (1/1987) sowie zuletzt Nr. 99 (2/2011) entstanden sogar drei Schwerpunkt-Hefte mit dem Titel Kontrolle der Polizei. Dies zeigt zum einen die ungebrochene Relevanz der Thematik, gleichzeitig aber auch die Herausforderungen, die mit einer effektiven Einhegung und Kontrolle von Polizei verbunden sind. Police Accountability: Welche Polizei lässt sich verantworten? weiterlesen →
von Kai Seidensticker
Die Polizei verändert sich mit gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, hinkt allerdings beim Wandel der Geschlechterverhältnisse hinterher. Ein Blick auf Geschlecht in der Polizei zeigt, dass die aggressive Polizeimännlichkeit weiterhin als dominantes Muster wirksam ist. Sie wird aber neu begründet.
Frauen gehören seit nunmehr 40 Jahren zum Bild der deutschen Polizeien (siehe Beitrag von Eva Brauer in diesem Heft). Ihr Anteil am Personalkörper betrug im Jahr 2018 je nach Behörde bis zu 32 Prozent. Diese Veränderung der geschlechtlichen Verteilung innerhalb der Personalstruktur fordert tradierte Rollenvorstellungen in der Polizei heraus. Eine Transformation polizeilicher Handlungsmuster, z. B. in Form von mehr kommunikativen Konfliktlösungsstrategien oder stärkerer Einzelfallberücksichtigungen im Umgang mit Bürger*innen, ist bisher jedoch nicht zu verzeichnen. Männlichkeit bildet vielmehr auch heute noch den Kern polizeilicher Handlungslogiken.
In diesem Beitrag gebe ich einen Einblick, wie Männlichkeit in der Polizeiorganisation reproduziert wird. Dabei zeige ich auf, wie die aggressive Polizeimännlichkeit vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels von Geschlechterverhältnissen neu hervorgebracht wird. Aggressive Polizeimännlichkeit: Noch hegemonial, aber neu begründet weiterlesen →
Der Kopenhagener Stadtteil Christiania in Dänemark und sein Cannabismarkt sind seit 1971 weitgehend selbstverwaltet und doch vom Kontext staatlicher Drogenprohibition geformt. Der Beitrag aus dem Projekt www.narcotic.city zeigt Machteffekte von interner Normierung, externer Normalisierung und Polizeihandeln auf: Hierarchien illegaler Drogen, Exklusion von Heroin und Community-Dealer*innen sowie verstärkte Raumkämpfe.
Kaum ein Satz beschreibt das Verhältnis von Drogen und Christiania treffender als Adornos bekannte Feststellung: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“.[1] Denn das Stadtviertel entstand als Ort des Widerstands und war doch immer von äußeren Kräfteverhältnissen geprägt,v. a.von Drogenverbot, Marginalisierung und Gentrifizierung.
Im Jahr 1971 besetzten Aktivist*innen zahlreiche Gebäude eines Militärgeländes, das sich auf einer künstlichen Insel und zugleich in einer 1A-Immobilienlage im Zentrum Kopenhagens befand.[2] Es folgten Verhandlungen der bald ca. 800 Besetzer*innen mit der Kommune und dem Kultusministerium, die auf der Fläche des Verteidigungsministeriums einen Wohn-, Gewerbe- oder Kulturstandort etablieren wollten. Nach Räumungsversuchen, die aufgrund befürchteter Proteste halbherzig ausfielen,erkannte das dänische Parlament die „Freie Stadt“1973 als „soziales Experiment“ an. Autonomes Polizieren von Drogen: Machteffekte des Prohibitionskontexts in Christiania weiterlesen →
von Marie-Theres Piening und Jenny Künkel
Polizei und Gefängnis (re-)produzieren Gewalt, statt sie zu beenden. Soziale Bewegungen entwickeln neue Konfliktbearbeitungswege wie Community Accountability/Transformative Justice. Sie setzen auf Gemeinverantwortung statt auf den strafenden Staat, reproduzieren aber Macht in und zwischen Communities. Auch sind sie strukturell passfähig mit neoliberaler Selbstverantwortung und bleiben auf Nachbar- oder Wertegemeinschaft begrenzt.
Kritische Perspektiven auf Polizei und den strafenden Staat stehen oftmals vor einem Dilemma: Einerseits kritisieren sie ‚Kriminalität‘ oder ‚abweichendes Verhalten‘ als Zuschreibung und Produkt von Kontrollpraktiken, die Macht- und Herrschaftsverhältnisse stabilisieren. Andererseits muss jede Gesellschaft sozial unerwünschtes Verhalten definieren und einen Umgang damit finden. Dieser Prozess ist nie machtfrei. Denn ob z. B. unerwünschte Berührungen, Wohnraumaneignung, Grenzüberquerungen oder das Sterben lassen in diesem Prozess als inakzeptabel und gegebenenfalls sanktionierbar gelten, verändert wie Menschen zueinander ins Verhältnis treten. Community Accountability: Feministisch-antirassistische Alternative zum strafenden Staat? weiterlesen →
von Angela Furmaniak
Fußballfans, insbesondere Ultras, waren und sind in allen Bundesländern an den Protesten gegen die neuen Polizeigesetze beteiligt.[1] Kein Wunder: Ultras sind schon heute stark von polizeilichen Maßnahmen betroffen. Neue Techniken und polizeiliche Befugnisse werden gerne an ihnen ausprobiert.
Die Bewegung der Ultras ist in Deutschland seit den 90er Jahren heimisch. Es sind leidenschaftliche Fans, die ihre Mannschaft an jedem Spieltag begleiten und mit Gesängen, Fahnen und sonstigem Material unterstützen. Ultras wehren sich gegen die Kommerzialisierung des Fußballgeschäfts und melden sich in vielen fanpolitischen Bereichen zu Wort: gegen fanunfreundliche Anstoßzeiten und teure Ticketpreise, für die Beibehaltung der 50+1-Regel (also dafür, dass Kapitalanleger*innen nicht die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften übernehmen dürfen), gegen die zunehmende Überwachung der Stadien und die Reglementierung der Fankultur. „Pyros“ im Stadion sind für sie unverzichtbares Stilmittel, und immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ultragruppen gegnerischer Vereine, die damit ihre Überlegenheit unter Beweis stellen wollen.[2]
Aus polizeilicher Sicht stellen Ultras vor allem ein Sicherheitsrisiko dar, dem es mit polizeilichen Mitteln zu begegnen gilt.[3] Funktionäre der Polizeigewerkschaften fordern immer wieder ein härteres Vorgehen gegen „Fußballchaoten“ [4]. Und bei der Innenministerkonferenz steht das Thema „Sicherheit im Fußball“ regelmäßig auf der Tagesordnung.[5] Testfeld Fußball: Repressiver Alltag am Spieltag weiterlesen →
von Nils Zurawski
Prügelnde Polizei, Korpsgeist, latenter Rassismus, Beratungsresistenz – einige Punkte, die derzeit an der Polizei kritisiert werden. Das Bild vom Alltag der Polizei ist verzerrt und einseitig, ihre Arbeit wesentlich breiter, wenn auch selten frei von Ambivalenz. Unterwegs mit einer Einheit des Jugendschutzes soll ein anderer Alltag gezeigt und kritisch reflektiert werden.
Verließe man sich allein auf die Nachrichtenbilder im Fernsehen und in den sozialen Medien, dann könnte man sehr wohl zu der Überzeugung gelangen, der Alltag der Polizei würde darin bestehen, Demonstrant*innen zusammen zu knüppeln und gegen marginalisierte Gruppen vorzugehen. Hier zeigt sie sich als der Herrschaftsapparat schlechthin, im Dienste einer Obrigkeit, oft genug auch entkoppelt von ihr, scheinbar nicht zu beherrschen. Das Bild ist richtig und wahrscheinlich falsch gleichermaßen. Richtig, weil es diese Vorkommnisse gibt, die Polizei gegen jede Selbstwahrnehmung von der Bürgerpolizei und des „Freundes und Helfers“ eben ein Herrschafts- und Unterwerfungsapparat ist. Zwischen Repression und Schutz: Der Alltag der Polizei und das Umgehen mit vulnerablen Gruppen am Beispiel Jugendlicher weiterlesen →
von Jenny Künkel und Norbert Pütter
Wo und wie greift Polizei in den Alltag der Menschen ein – oder auch nicht? Wem dient die Polizei als Ressource, wer ruft die Polizei? Aber auch: Wo wird sie ungefragt aktiv, gegenüber wem entfaltet sie besonderes Engagement? Im Ergebnis zeigt sich: Was die Polizei für den bürgerlichen Alltag bedeutet, hängt deutlich ab von der sozialen Position der Polizierten.
Über den Alltag zumindest der Landespolizeien wissen wir Einiges: Jene Forscher*innen, die Einblick erhalten, dokumentieren z.B. die immer noch maskulinistisch-rassistische Cop Culture, Praktiken der Kriminalprävention oder die Neoliberalisierung und Digitalisierung des Arbeitsalltags.[1] Obgleich sich der Feldzugang einfacher gestaltet, ist seltener Thema, wie Polizei den Alltag von Polizierten formt. Und wenn, dann geht es meist um die gesellschaftlichen Ränder.[2] Dies ist kein Zufall. Gerade beim Polizieren des Alltags zeigen sich Machtverhältnisse besonders deutlich. Alltagspolizieren – Zugriff & Rückzug: Eine Einleitung weiterlesen →
von Volker Eick
Ob unter Festival- oder Festungsgesichtspunkten[1] – in Sachen „Polizei und Stadt“[2] muss auch über das policing for profit gesprochen werden. Wie ist das kommerzielle Sicherheitsgewerbe nach Innen und Außen aufgestellt? Welche Rolle spielt es in der „Sicherheitsarchitektur“? Wer gibt ihm und was sind seine Aufgaben im (halb)öffentlich-kleinstädtischen Raum?
Der Status der deutschen Wach- und Sicherheitsunternehmen hat sich in den letzten zwanzig Jahren in Politik und Gesellschaft kaum verändert (dafür sorgt nicht zuletzt das Gewerbe regelmäßig selbst), ihr Einfluss ist beim Gesetzgeber nur punktuell gewachsen (dazu fehlt es ihren Lobby-Organisationen an strategischer Kompetenz), und gerade die jüngst übernommenen Tätigkeitsfelder (etwa das ‚Migrantenmanagement‘) zeigen, dass Ambition und Fähigkeit regelmäßig auseinanderfallen. Das bedeutet aber nicht, das Gewerbe sei erfolglos bei der Profitmaximierung. Herrschen mit Verdruss: Kommerzieller Wachschutz im ‚Unternehmen Dorf’ weiterlesen →
Stadtforschung und Bewegungen problematisieren v.a. räumliche Verdrängung und Polizeikontrolle von Sexarbeit im Zuge von Innenstadtaufwertung und Gentrifizierung. Mit der EU-Osterweiterung gewinnen zudem lokale Versuche der Migrationsabwehr qua Ausgrenzung aus sozialen Sicherungssystemen an Bedeutung.
Im Zuge der Neoliberalisierung gerieten in vielen Städten der westlichen Welt sichtbare Konzentrationen des Sexgewerbes ins Visier intensivierter Verdrängungsdebatten und zum Teil auch -prozesse.[1] Hintergründe waren und sind dabei oftmals Innenstadtrestrukturierungen und eine wohnungspolitisch beförderte Gentrifizierung. Auch in Deutschland weiteten einige Städte im Rahmen von Aufwertungspolitiken die lokalen Sperrbezirksverordnungen aus, etwa indem sie – wie 2012 in Hamburg St. Georg – den öffentlichen Sexverkauf auch für KundInnen verboten. Betroffen von entsprechend verstärkten polizeilichen Kontrollpraktiken ist insbesondere eine Straßensexarbeit, die mit dem Konsum kriminalisierter Drogen oder ethnisch-nationalen Ausgrenzungen assoziiert ist. Un-/geliebte Subjekte: Zur städtischen Prekarisierung migrantischer (Sex-)Arbeit weiterlesen →
Seit 1978 Berichte, Analysen, Nachrichten zu den Themen Polizei, Geheimdienste, Politik „Innerer Sicherheit“ und BürgerInnenrechte.