ARTIKEL-GESETZ: Die nächste Runde

Nachdem sich die Bonner CDU/FDP-Koalition im Mai d.J. auf einen Kompromiß in Sachen Artikel-Gesetz geeinigt hatte, wurde die Kompromißfassung dem Bundesrat vorgelegt. In der Stellungnahme vom 8.7.88 empfiehlt dieser die Streichung des Zensurparagraphen 130b StGB. Ansonsten wird der Koalitionskompromiß gebilligt. Es ist damit zu rechnen, daß in den nächsten Wochen der Entwurf im Bundestag eingebracht wird.

1. Der „Kompromiß“

Im Dezember letzten Jahres legte die Bonner Koalition den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des StGB, der StPO und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten“ vor – das sog. Artikel-Gesetz. In Detailfragen enthielt der Entwurf Alternativ-Formulierungen, die die zu jener Zeit strittigen Punkte zwischen dem Bundesjustiz- und dem Innenminister markierten.

Unrühmlich bekannt wurde der Entwurf u.a. durch die weitere Beschränkung des Demonstrationsrechts, durch neu-alte Zensurparagraphen und durch die Kronzeugenregelung.

Der inzwischen verabschiedete Kompromiß der beiden Regierungsfraktionen entspricht im wesentlichen der von uns veröffentlichten Fassung vom Dezember 1987 (vgl. unsere Ausgabe 29). Geklärt wurden die im Ursprungsentwurf durch Formulierungsalternativen offengehaltenen strittigen Fragen:

Folgend das Ergebnis (vgl. Bundesratsdrucksache 238/88 vom 27.5.88):

Artikel 1:

* Der ursprüngliche Entwurf sah für den minderschweren Fall des erpresserischen Menschenraubes ( 239a StGB) eine Mindesstrafe von 2 Jahren vor. Im neuen Entwurf wurde sie auf 1 Jahr gesenkt.
* In der Erstfassung wurde als Tatbestandsmerkmal des 239b u.a. die Drohung mit „Freiheitsentziehung bis zu drei Tagen Dauer“ aufgeführt. Dem Kompromiß nach soll erst die Drohung mit einer Freiheitsentziehung von einer Woche den Tatbestand der Geiselnahme erfüllen.
* An den 243 und 316b StGB wurden nur redaktionelle Änderungen vorgenommen.

Artikel 2:

* Der Ursprungsvorschlag zur Erweiterung des Haftgrundes Wiederholungsgefahr ( 112a Abs. 1 StPO) hatte zwei Alternativen: Der Innenminister forderte seine Zulassung in den Fällen der 125 StGB (Landfriedensbruch) und 125a StGB (schwerer Landfriedensbruch). Bei Straftaten nach 125a sollte auf die Regelvoraussetzung für die Annahme der Wiederholungsgefahr rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat gleicher Art – verzichtet werden können. Der Justizminister wollte den U-Haftgrund „Wiederholungsgefahr“ nur in Fällen des 125a StGB zulassen und nur unter der Voraussetzung, daß der Beschuldigte im Laufe der letzten beiden Jahre wegen einer Straftat nach 125a verurteilt worden ist.
Geeinigt hat sich die Koalition darauf, nur den 125a neu einzufügen. Besondere Voraussetzungen werden nicht gefordert, so daß die Regelvoraussetzungen für den Haftgrund „Wiederholungsgefahr“ gelten.
Bei der zweifelhaften Güte von Polizeizeugenaussagen im Zusammenhang mit Demonstrationsstraftaten ist die Unterscheidung zwischen dem einfachen und dem schweren Landfriedensbruch nur von geringer Bedeutung.

Artikel 3:

Keine Änderungen

Artikel 4:

Kronzeugenregelung: Auch hier waren sich BMI und BMJ uneinig. Nach dem Willen des Justizministers sollte der Generalbundesanwalt die Zustimmung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts für die Annahme eines Kronzeugen einholen müssen. Der Innenminister konnte sich mit seiner Version durchsetzen. Der Generalbundesanwalt ist nur dazu verpflichtet, die Zustimmung des Ermittlungsrichters am BGH ein-zuholen. Der Kronzeuge muß sich in der Hauptverhandlung nicht der Verteidigung stellen.
Wesentliche Änderungen hat es also nicht gegeben. Die in Frage stehenden Alternativen konnten auch von vornherein an dem Zuschnitt dieses Gesetzentwurfs nichts ändern.

2. Der Bundesrat

Der Bundesrat hat dem Gesetz mit Ausnahme des Zensurparagraphen 130b StGB „Befürwortung von Straftaten“ zugestimmt (vgl. Drucksache 238/88 – Beschluß). Gegen den 130b führt er zwei Argumente ins Feld:

Zum ersten die fehlende Bedeutung des Paragraphen für die Justiz. Auch der im Dezember 1986 eingeführte 130a – Anleitung zu Straftaten -, der in die gleiche Richtung zielt, sei nach einer im Jahre 1987 durchgeführten Umfrage bei den Landesjustizverwaltungen bedeutungslos.

Zum zweiten: Ähnlich wie der 1981 abgeschaffte 88a StGB „zeichnet sich (…der vorgeschlagene 130b…) nicht nur durch die gleiche Unbestimmtheit aus, sondern birgt durch den Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal ‚Eignung‘ der inkriminierten Schrift auch die Gefahr einer Strafverfolgung in sich, die über den beabsichtigten Anwendungsbereich hinausgeht“.

Während die sonstigen Artikel des Gesetzentwurfs gegen das Votum der SPD-regierten Länder verabschiedet wurden, stimmten an diesem Punkt auch die CDU-Länder Rheinland-Pfalz und Niedersachsen mit den Sozialdemokraten.

Einen bestimmenden Einfluß auf die Entscheidungen des Bundestages hat die Stellungnahme des Bundesrates nicht. Maßgebend ist letztlich das Votum des Bundestages.

3. „Sicherheitsgesetze“

Um das Paket an sogenannten Sicherheitsgesetzen, mit denen die polizeiliche und geheimdienstliche Informationsverarbeitung rechtlich abgesichert werden soll (vgl. unsere Ausgabe 29, S. 12 – 131) ist es auf der Bonner Bühne derzeit ruhig. Die Koalition will offensichtlich erst das Artikel-Gesetz durch den Bundestag jagen, bevor der nächste verfassungsrechtliche Sprengsatz erneut politisch gezündet wird. Soweit es um die weitere Absegnung neuer Informationseingriffe der Polizei seit den 70er Jahren auf Grundlage des Polizeirechts geht, verweisen wir auf den Beitrag von Edda Weßlau in dieser Ausgabe.

Neuere Literatur zum „Artikel-Gesetz“ und zu den „Sicherheitsgesetzen“:

M. Schubert, Der Entwurf zum Artikelgesetz, in: Demokratie und Recht, Nr. 3/1988
Strafverteidigervereinigungen, Stellungnahme zum Artikel-Gesetz vom 17.2.1988, abgedruckt in :
dies., Artikel-Gesetz, Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen. (Zu beziehen über das Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen. c/o RA Lütkes und Koll, Siemensstraße 15, 5000 Köln 30. Die Broschüre enthält unter anderem den Entwurfstext des Artikel-Gesetzes, die Stellungnahme und ein Referat von Prof. Dencker, Gefährlichkeitsvermutung statt Tatschuld);
Deutscher Anwaltsverein (DVA), – Strafrechtsausschuß, Stellungnahme an den BMJ, Febr. 1988. Zu beziehen über DAV, Adenauerallee 106, 5300 Bonn.)
M. Kutscha, Autopoietischer Verfassungsschutz? (zu den „Sicherheits-“ Gesetzen) in: Demokratie und Recht, Nr. 3/1988.