Racial Profiling bei verdachtsunabhängigen Kontrollen

Fast zwei Jahre dauerte die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen einem dunkelhäutigen Architekturstudenten aus Kassel und der Bundespolizei.[1] Oberflächlich gesehen ging es dabei um Beleidigung, im Kern jedoch um die „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen der Bundespolizei und ihre rassistischen Implikationen. Der Student war im Zug kontrolliert worden – wegen seiner Hautfarbe, wie später bestätigt wurde.

In Runde 1 vor dem Amtsgericht Kassel wurde er wegen Beleidigung verurteilt. Er hatte die Kontrolle und die dann folgende diskriminierende Behandlung durch die Beamten mit SS-Methoden verglichen. Runde 2 fand vor dem Hessischen Oberlandesgericht Frankfurt statt, das das Urteil des Amtsgerichts in der Sprungrevision aufhob. Der Student wurde freigesprochen. Der SS-Vergleich sei zwar beleidigend, falle wegen der als Diskriminierung empfundenen Behandlung gleichwohl unter die Meinungsfreiheit.

Schon in der Verhandlung vor dem Amtsgericht hatte einer der Beamten in seltener Offenheit bekannt, dass er für die Kontrolle gezielt Leute anspreche, die ihm „als Ausländer erscheinen … Der Angeklagte ist in das Raster gefallen, weil er anderer Hautfarbe ist.“ Dieser Auftritt wiederum führte zu Runde 3, in der der Angeklagte vor dem Verwaltungsgericht (VG) feststellen lassen wollte, dass die gesamte Personalienfeststellung rechtswidrig gewesen sei. Das zuständige VG Koblenz lehnte das gestützt auf den Schleierfahndungsparagrafen 22 Abs. 1a des Bundespolizeigesetzes ab. Der rechtfertige verdachtsunabhängige Kontrollen, und weil aus Kapazitätsgründen nicht jeder kontrolliert werden könne, müsste eine Auswahl getroffen werden.

Die 4. Runde, die Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz endete ohne Urteil, aber mit Beschluss.[2] Die Maßnahmen hätten gegen das in Art. 3. Abs. 3 des Grundgesetzes enthaltene Diskriminierungsverbot verstoßen, Kontrollen und Ausweisverlangen seien rechtswidrig gewesen. Nicht der beteiligte Beamte, sondern der Leiter seiner Inspektion entschuldigte sich und das Gericht erklärte das Verfahren für beendet.

Die Realität wäre nicht die der Bundesrepublik im Jahre 2012, wenn damit die diskriminierende Praxis der Polizei beendet wäre. Denn was nicht sein darf, gibt es natürlich auch nicht: „Eine unterschiedliche Behandlung von Personen in Abhängigkeit von Rasse, Herkunft oder Religion ist im Bundespolizeigesetz sowie den weiteren für die Bundespolizei geltenden Vorschriften und Erlassen schon deshalb nicht enthalten, weil solche Methoden unvereinbar mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat sind“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen.[3] Für die Repräsentanten der Polizeigewerkschaften ist die Kritik an der rassistischen Polizeipraxis „bösartig und falsch“, es handele sich um „ungeheuerliche Unterstellungen“.[4]

Für den Pressesprecher der Bundespolizei ist die Sache nach dem Beschluss des OVG erledigt, denn das Gericht habe „keine Entscheidung in der Sache getroffen“. Im Übrigen seien „Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrungen“ Ausgangspunkt der Kontrollen. „Adressat dieser Maßnahmen kann jeder Reisende sein“.[5]

Aber auch diese Argumentation führt in die Irre, wie Sven Adam, der Anwalt des Betroffenen, gegenüber „Telepolis“ festhielt: Nach dem Lagebild der Bundespolizeiinspektion Kassel seien im 3. Quartal 2010 insgesamt 8.345 Befragungen durchgeführt worden, bei denen 330 Feststellungen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz oder sonstige Fahndungstreffer gemacht wurden. „Man könnte also sagen, dass in 96 Prozent der Fälle Unverdächtige von der Maßnahme betroffen waren.“[6]

(Albrecht Maurer)

[1]      Dokumente zum Fall siehe www.anwaltskanzlei-adam.de
[2]     OVG Koblenz vom 29. Oktober 2012 – 7 A 10532/12. OVG
[3]     BT-Drs. 17/6778 v. 9.8.2011
[4]     Frankfurter Rundschau v. 5.11.2012
[5]     Telepolis v. 1.11.2012, www.heise.de/tp/artikel/37/37921/3.html

[6]     ebd.