Archiv der Kategorie: CILIP 110

NSU und Staat – Verhinderte Aufklärung (Juni 2016)

Niederlage überwunden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird belohnt

Während Untersuchungsausschüsse und Öffentlichkeit immer noch um die Aufklärung des NSU-Komplexes ringen, haben die Innenministerien den Skandal längst auf ihre Weise beigelegt.

Beim Verfassungsschutz, vor allem bei seinem Bundesamt (BfV), ist wieder Ruhe eingekehrt. Der Inlandsgeheimdienst hat seine Legitimationskrise überwunden. Nur noch die üblichen Verdächtigen fordern seine Abschaffung: halsstarrige Bürgerrechtsorganisationen und Linke, die den Laden noch nie mochten, Antifas, die der Meinung sind, dass sie die Nazi­szene ohnehin besser kennen als die amtlichen ExtremismusbekämpferInnen, ein paar Liberale, die es ernst meinen. Der Rest des politischen Spektrums verlangt allenfalls „Reformen“, hat aber ansonsten seinen Frieden mit dem Dienst geschlossen. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen darf über den Zusammenhang von Flüchtlingsproblematik und Terrorismus schwadronieren, ohne Widerspruch zu ernten. PolitikerInnen von der CDU/CSU bis zu den Grünen fordern die Überwachung der AfD. Und auch das alte Wissen, dass der linke Extremismus mindestens genauso gefährlich sei wie der rechte, kann wieder ungestört verbreitet werden.[1] Niederlage überwunden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird belohnt weiterlesen

Summaries

Thematic focus: The NSU complex – clarification denied

How to overcome a defeat – an introduction
by Heiner Busch

While parliamentary enquiry commissions still seek to clarify the murderous history of the “National Socialist Underground” (NSU) and the role of the domestic intelligence agencies (Verfassungsschutz) in this complex, the federal and state ministers of the interior have found their own way to move on. The position of the Federal Office of the Protection of the Constitution has been strengthened, the dubious use of informers has been legalized, and the president of the federal office is demanding a massive increase of staff for his agency. Summaries weiterlesen

Chronologie

zusammengestellt von Otto Diederichs

Juni 2015

4. Juni: NSA-Affäre: Weil die Bundesregierung ihm den Einblick in die Listen der Suchbegriffe des US-Geheimdienstes NSA verweigert, setzt das für die Kontrolle der Abhörmaßnahmen der Geheimdienste zuständige G-10-Gremium des Bundestages zwei Anträge auf Abhöraktionen des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus. Am 17. Juni beschließt die Bundesregierung, einer „Vertrauensperson“ Einblick in die NSA-Listen zu gewähren. Gegen die Stimmen der Opposition schlägt der NSA-Un­tersuchungsausschuss am 2. Juli den ehemaligen Bundesverwaltungs­­richter Kurt Graulich als „Sonderermittler“ vor. Im Juli veröffentlicht „Wi­ki­leaks“ Dokumente, die belegen, dass die NSA auch deutsche Regierungen seit den 1980er Jahren abgehört hat. Chronologie weiterlesen

Berlin-Friedrichshain: massenhafte Kontrollen

Tom Jennissen

Seit Januar müssen sich AnwohnerInnen und BesucherInnen des alternativ geprägten Nordkiezes rund um die Rigaer Straße im Berliner Stadtteil Friedrichshain vermehrt auf willkürliche Personalienkontrollen einstellen. Nach einigen umstrittenen Einsätzen weitete die Polizei ihre Praxis aus, dort anlass- und verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen.

Anders als im Hamburger „Gefahrengebiet“, das mittlerweile samt seiner Rechtsgrundlage vom dortigen Oberverwaltungsgericht als verfassungswidrig erachtet wurde,[1] stützen sich die Kontrollen in Berlin auf die allgemeine polizeirechtliche Regelung zur Identitätsfeststellung. Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG), dessen Regelung sich so oder so ähnlich auch in den anderen Landespolizeigesetzen finden lässt, darf die Polizei die Identität einer Person u.a. dann feststellen, wenn sie sich an einem Ort aufhält, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben. In der Berliner Praxis legt die Polizei bestimmte Orte fest, die sie als „kriminalitätsbelastet“ erachtet und stellt das generelle Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen fest. Berlin-Friedrichshain: massenhafte Kontrollen weiterlesen

Verdeckte Ermittler gegen Rocker

Alfred Becker

Das Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz hat für Ermittlungen im Roc­ker­milieu den fiktiven Motorradclub „Schnelles Helles“ gegründet. Die eingesetzten Beamten mehrerer LKÄ sowie des Bundeskriminalamtes sollten laut Medienberichten Revierstreitigkeiten mit dem Hells An­gels-Charter Bonn auslösen und Beweise für eine geplante Anklage sam­meln.[1] Die ErmittlerInnen wollten so herausfinden, wie die Hells Angels auf eine Neugründung eines Motorrad-Clubs reagieren würden. Das Vor­gehen sollte bewusst Aufmerksamkeit erregen: Beim Namen und den Farben des Clubs sowie beim Schriftzug lehnten sie sich mit einem satirischen Logo-Design eng an das der Hells Angels an. In der Biker-Szene gilt dies als Provokation. Das Logo von „Schnelles Helles“ wurde in Motorradwerkstätten und einschlägigen Kneipen verteilt und sogar auf Bierdeckel gedruckt. Verdeckte Ermittler gegen Rocker weiterlesen

Länder zentralisieren die Überwachung

Bereits 2008 hatten Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpom­mern, Schleswig-Holstein und Bremen die Errichtung eines gemeinsamen Telekommunikationsüberwachungszentrums beschlossen. Im April unterzeichneten die Landesregierungen den Staatsvertrag für das „TKÜ-Zentrum Nord“, den die Landesparlamente jetzt absegnen sollen.[1] Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin ziehen nun nach: Unter dem Namen „Gemeinsames Kompetenz- und Dienstleistungs­zentrum“ (GKDZ) sollen in Dresden und Leipzig Anlagen entstehen, die von den Polizeien und Geheimdiensten der beteiligten Länder als zentrale Dienstleister mit Überwachungsaufgaben betraut werden. Auch hier sollen Details in einem Staatsvertrag geregelt werden. Länder zentralisieren die Überwachung weiterlesen

Europol startet Zentrum gegen „Migrantenschleusung“

Nach dem Muster des „Zentrums gegen Cyberkriminalität“ (EC3) und des „Zentrum für Terrorismusbekämpfung“ (ECTC) hat Europol im Februar 2016 sein „Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (EMSC) in Betrieb genommen. Es soll die Rolle des EU-Polizeiamts bei der „Zerschlagung von Schleppernetzen“ stärken.[1] Pläne für das EMSC wurden im Mai 2015 in der „Europäischen Migrationsagenda“ und im „EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten“ vorgestellt.[2] Das neue Zentrum soll das bereits bei Europol gestartete Lagezentrum „Joint Operation Team Mare“ erweitern. Europol startet Zentrum gegen „Migrantenschleusung“ weiterlesen

Polizei- und Gendarmerietruppen trainieren in NRW

Unter dem Namen „European Union Police Services Training“ (EUPST) führt die EU derzeit eine zweite Staffel zur Ausbildung internationaler Polizei- und Gendarmerietruppen durch. Die erste fand 2014 statt, trainiert wurden u.a. Spezialeinheiten aus Kenia, Kamerun, Ruanda, Uganda und dem Sudan. Die zweite Staffel richtete sich in erster Linie an Behörden aus EU-Staaten. An den Übungen nahmen zudem Einheiten aus Kamerun, an einem Vorbereitungsseminar in der Bundespolizeiakademie Lübeck ferner Behörden aus Tunesien und der Türkei teil. Zu den Partnern gehört auch die Europäische Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR). Der Praxisteil fand als Übung „Lowlands Grenade 2016“ vom 4. bis 15. April 2016 auf der privat betriebenen „Training Base Weeze GmbH & Co. KG“ in Nordrhein-Westfalen statt. Polizei- und Gendarmerietruppen trainieren in NRW weiterlesen

 „Intelligente Grenzen“

Am 6. April 2016 präsentierte die Kommission einen neuen Verordnungsvorschlag über ein „Ein-/Ausreisesystem“.[1] An den Au­ßen­­gren­­zen sollen künftig alle Ein- und Ausreisen von Drittstaatsangehörigen erfasst und dabei die in den Reisedokumenten enthaltenen biometrischen Daten (Fingerabdrücke, Gesichtsbild) ausgelesen und gespeichert werden. Ursprünglich als grenzpolizeiliches System gegen „Over­stayers“ gedacht, soll das System nun für die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr u.a. von Europol genutzt werden. Geführt würde es bei der „Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen“ (eu-LISA). Zuvor hatte die Kommission eine Studie mit verschiedenen Optionen vorgestellt.[2] An einem Pilotprojekt in Deutschland beteilig­ten sich die Bundespolizei, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und das Bundesverwaltungsamt sowie – mit „beratender Rolle“ – die EU-Grenz­agen­tur FRONTEX. Durch Tests am Flughafen Frankfurt und am Kreuzfahrt-Terminal in Rostock-Warne­mün­­de sollte untersucht werden, welche Verzögerung sich aus der von Polizeibehörden geforderten Abnahme aller zehn Fingerabdrücke für die Grenzkontrolle ergeben. Das Projekt wurde mittlerweile bis Ende 2016 verlängert.[3]  „Intelligente Grenzen“ weiterlesen