Der V-Mann Johann H.: Eine Spur führte zum Verfassungsschutz-Spitzel

von Kim Finke (LOTTA Magazin)

Mehr als zwei Jahrzehnte stand Johann H. auf der Gehaltsliste des Staates und mischte in zahlreichen Neonazi-Gruppen mit, teils in führender Position. Im Februar 2012 fiel dem Bundesamt für Verfassungsschutz seine Ähnlichkeit mit dem Phantombild des Bombenlegers aus der Kölner Probsteigasse auf.

Am 19. Januar 2001 war dort eine mit Schwarzpulver gefüllte Bombe explodiert, nachdem die Tochter der Inhaberfamilie eines Lebensmittelgeschäfts den Deckel einer im Laden zurückgelassenen Dose angehoben hatte. Die junge Frau wurde schwer verletzt. Wer die Sprengfalle in dem Laden deponierte, konnte mehr als zehn Jahre lang nicht ermittelt werden. Für die Kölner Polizei kam ein rassistisches Tatmotiv damals nicht in Betracht. Ebenso wenig wurden frühere gegen ausländische Familien gerichtete Sprengstoffanschläge in Köln in die Ermittlungen einbezogen – wie die am 22. Dezember 1992 vor der Wohnungstür einer türkischen Familie in Köln-Ehrenfeld deponierte Sprengfalle oder die beiden in Werkzeugen und Haushaltsgeräten versteckten TNT-Bomben im Frühjahr 1993.[1] Die Hintergründe des Probsteigassen-Anschlags blieben bis November 2011 unbekannt, erst dann bekannte sich der NSU in seinem „Paulchen-Panther“-Video zu der Tat. Zwei Monate später geriet der V-Mann Johann H. ins Visier. Ein Untersuchungsaus­schuss (PUA) des nordrhein-westfälischen Landtags versucht seit Sommer letzten Jahres die Hintergründe des Anschlags und die mögliche Beteiligung lokaler HelferInnen aufzuklären.

„Ich habe diese Person vorgefunden und in dem Moment, in dem ich mich mit der Person befasst habe, habe ich auch Konsequenzen gezogen. In dem Moment haben wir die Zusammenarbeit beendet“, sagte Mathilde Koller, bis Juni 2012 Leiterin der Verfassungsschutz-Abteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen (VS-NRW), als man sie im August 2015 im PUA mit der Biografie des Kölner Neonazis Johann H. konfrontierte. H. sei eine Person, „die in einem Vertrauensverhältnis mit der Behörde stand“, ergänzte sie. Damit bestätigte Koller, dass Johann H. ein V-Mann war. Wenige Wochen zuvor hatte die „Welt am Sonntag“ aus einer im Februar 2012 von Koller verfassten „geheimen Verschlusssache“ zitiert. Darin hatte die Chefin des VS-NRW dem Generalbundesanwalt (GBA) mitgeteilt: „Johann Detlef H. … ist seit 1989 als geheimer Mitarbeiter für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen tätig.“[2]

Die Rolle von Johann H. in der Neonazi-Szene – und die damit verbundene Involviertheit staatlicher Stellen – ist schon an sich ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Eine besondere Bedeutung erhält der V-Mann aber dadurch, dass er zeitweise verdächtigt wurde, in den Bombenanschlag verwickelt zu sein. Der folgende Artikel stützt sich auf die Erkenntnisse antifaschistischer Recherche zur Person Johann H.[3] sowie auf die von der Initiative „NSU Watch NRW“ erstellten Protokolle der öffentlichen Sitzungen des nordrhein-westfälischen PUA.[4]

Politische Biografie eines V-Mannes

Im Frühjahr 2003 beschrieb der 1967 geborene Johann H. in einem „Gespräch“ mit der Postille „Der Gegenangriff“ des „Kampfbundes Deutscher Sozialisten“ (KDS) seinen Werdegang in der extremen Rechten wie folgt: „Wehrsportgruppe, Nationalistische Front, bis 1994 Mitglied der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei – FAP, 1998 Mitbegründer der Kameradschaft Köln, 1999 kurz nach der Gründung Mitglied des KDS.“ Er sei „mit der Ehrenurkunde des Landesverbandes der FAP in Nordrhein-Westfalen“ und dem silbernen Ehrenzeichen des KDS ausgezeichnet worden. In dem Interview erzählte er weiter, dass er in seiner Jugend zunächst bei den Grünen aktiv gewesen sei. Später tauchte er im Umfeld der Jugendorganisation der KPD/ML auf, wie ZeitzeugInnen berichten. Danach wechselte er eigenen Angaben zufolge zum „Kommunistischen Arbeiterbund Deutschland“ (KABD). Zudem war er Mitte der 1980er Jahre vermutlich Teil einer Clique, die unter dem Namen „Anarchistische Terrorfront“ (ATF) agierte und die von der Polizei als politisch „verworren“ bezeichnet wurde. 1984 offerierte die ATF per Aushang in einem Supermarkt in Köln-Zollstock den Ankauf von Waffen sowie die Ausführung von Anschlägen aller Art. Weiterhin führte sie Nachtmärsche mit Bewaffnung und in paramilitärischer Uniformierung durch. Im Jahr 1984 fiel die Gruppe durch Brand- und Sprengstoffanschläge auf. Wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz wurde Johann H. dann im Jahr 1985 zu einer Jugendstrafe verurteilt.

H. ging als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr und nahm dort an einem Lehrgang für Scharfschützen teil. 1987 trat er dann in einer Anzeige in der Zeitschrift „Internationaler Waffenspiegel“ als Kontaktperson des „Heimatschutzverbandes“ auf – einer paramilitärischen Wehrsportgruppe, die sich, einem Artikel der „taz“ zufolge, aus dem „Bund der Legionäre“ des Grafen Rainer René Adelmann rekrutierte.[5] Gegen diesen „Bund“ wurde 1986 wegen Verstoßes gegen § 109 Strafgesetzbuch (StGB) (Anwerbung von Söldnern) ermittelt, weil er Deutsche als Söldner in südafrikanische Länder vermittelt haben soll.

In der Satzung des „Heimatschutzverbandes“ hieß es: „Im Konfliktfall sieht der Verband seine Hauptaufgabe in der Unterstützung der Streitkräfte, in der Heimatverteidigung. Im Falle der Besetzung Europas durch feindliche Kräfte setzen die Mitglieder des Verbandes den Kampf als Widerstandsbewegung fort.“ Unter den Mitgliedern kursierte auch die Schrift „Der totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für jedermann“ des Schweizer Majors Hans von Dach, eine 1957 verfasste Anleitung für einen Sabotageakte und Attentate umfassenden Guerillakampf kleiner bewaffneter Gruppen gegen eine Besatzungsarmee.[6] Neonazis fanden darin konkrete Hinweise für den bewaffneten Kampf. Die Lektüre der Schrift wurde den „Kameraden“ unter ande­rem in dem Ende 2002 erschienenen Fanzine „C18 Stormer – die deut­sche Fassung“ empfohlen.

Der Bombenanschlag in der Probsteigasse

Laut Anklageschrift ist die Bundesanwaltschaft überzeugt, dass entweder Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos zwischen dem 19. und 21. Dezember 2000 die Sprengfalle im Lebensmittelgeschäft der Familie M. in der Probsteigasse platzierte. Dass sich der NSU in seinem Video der Tat bezichtigt, war zuerst dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt (LKA) bei der Sichtung aufgefallen. Der damalige Leiter der dort angesiedelten „Besonderen Aufbau-Organisation (BAO) Trio NRW“, Dieter Kretzer, gestand bei seiner Anhörung im PUA am 20. August 2015 aber ein, dass die „Konkretisierung des Anteils von Täterschaft und Teilhabe des NSU“ bei dieser Tat nicht dargestellt werden konnte. Es gebe im Detail Ungereimtheiten, die nicht zu klären seien. Auch sein Kollege Michael Schweikert, der sich beim Bundeskrimi­nalamt (BKA) mit dem Anschlag beschäftigte, musste im November 2015 vor dem PUA einräumen, dass es „nur Indizien“ für eine Täterschaft des NSU gebe. Objektive Spuren sind nicht mehr vorhanden, da bereits 2006 sämtliche Asservate vernichtet wurden. Die Vernichtung sei seine alleinige Ent­scheidung gewesen, so der Kölner Staatsanwalt Karl-Heinz Schlotterbeck vor dem PUA. Da die Bombenreste nicht mehr vorhanden sind, können sie nicht mehr auf DNA-Spuren untersucht werden.

Das wichtigste Indiz für eine Tatbeteiligung des NSU am Probsteigassen-Anschlag ist das Bekennervideo, in dem allerdings keine Informationen verwandt werden, die auf exklusives Täterwissen schließen lassen. So ist das gezeigte Foto der Stollendose in einer Lokalzeitung veröffentlicht worden, der passende Artikel fand sich im Schutt des NSU-Verstecks in Zwickau. Ein weiteres Indiz ist die Anmietung eines Wohnmobils auf die Aliaspersonalie „Eminger“. In der Vernehmung eines BKA-Beamten durch den PUA wurde allerdings deutlich, dass der Ablegezeitpunkt der Bombe nicht genauer bestimmt werden kann als „kurz vor Weihnachten“, womit ebenso wenig geklärt ist, ob die Anmie­tung des Wohnmobils in der Zeit vom 19. bis 21. Dezember 2000 auf die Alias-Personalien „Eminger“ mit dem Tatzeitpunkt übereinstimmt. Zu­mal die Mietwagenfirma seinerzeit den Kilometerstand des Wohnmobils nicht festgehalten hat. Der Vater des Opfers und Inhaber des Lebensmit­telgeschäfts, der 2000 den Bombenleger sah, schloss gegenüber dem BKA Böhnhardt und Mundlos sogar als Täter aus. Das nach seinen Angaben 2001 erstellte Phantombild weist ebenfalls keinerlei Ähnlichkeit mit einem der beiden Neonazis auf. Das Phantombild zeigt einen Mann mit langen Haaren und anderen Gesichtszügen als die beiden NSU-Täter.

Was den Anschlag in der Probsteigasse besonders rätselhaft macht, ist die Tatortauswahl. Die ErmittlerInnen konnten nach der Aufdeckung des NSU nicht klären, warum ausgerechnet der kleine Lebensmittelladen in der unscheinbaren Nebenstraße gewählt wurde, bei dem von außen nicht ersichtlich war, dass es von einer aus dem Iran stammenden Familie betrieben wurde. Auf der Reklame des Ladens stand „Lebens­mittel. Getränkeshop Gerd Simon“. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass auswärtige Täter dieses Anschlagsziel ohne lokale HelferInnen überhaupt hätten finden können. Auch LKA-Mann Kretzer hielt vor dem PUA die Hilfe von Ortskundigen für wahrscheinlich. Im Hinblick auf andere beim NSU gefundene Adressen und Ausspähungen mit NRW-Bezug sagte er, manche Beschreibungen seien so konkret gewesen, dass die Orte „ausbaldowert“ sein müssten. Die Hypothese, dass der NSU „Ankerpunkte“ in NRW hatte, habe man aber nicht untermauern können.

Was LKA und BKA nicht bekannt war: In unmittelbarer Nähe des Tatorts wurde am 24. Februar 1933 der SA-Mann Walter Spangenberg erschossen. Spangenberg, der in einer Parallelstraße zur Probsteigasse wohnte, war auf dem Rückweg von einer NSDAP-Veranstaltung als er am Hansaplatz von Kommunisten überfallen wurde.[7] Die Nazis erklärten den Toten zum Märtyrer, zum ersten „Blutzeugen der Bewegung“ in Köln. Von 1933 bis 1945 hieß der Hansaplatz Spangenbergplatz. Wer vor dem Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse steht, kann den Park sehen.

Eine Spur führt zum V-Mann

Die 1998 gegründete und 2012 verbotene „Kameradschaft Köln“ gab sich früh den Ehrennamen „Kameradschaft Walter Spangenberg“. Regelmäßig organisierte sie „Heldengedenken“ für ihren Namenspatron sowie den SA-Mann Winand Winterberg, die meist auf dem Melatenfriedhof stattfanden, wo die beiden Nazis bestattet sind.[8] Der stellvertretende Kameradschaftsführer der „Kameradschaft Walter Spangenberg“ war der V-Mann Johann H.

Die Spur zum V-Mann nahm ihren Anfang beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), wo die Ähnlichkeit von Johann H. mit dem Phantombild im Februar 2012 festgestellt wurde. Das BfV informierte daraufhin den Verfassungsschutz (VS) NRW, wo am nächsten Tag, dem 9. Februar 2012, im Namen der damaligen Leiterin Mathilde Koller eine „Dienstliche Erklärung“ an den Generalbundesanwalt (GBA) verfasst wurde, in der die Personalien von H. und dessen Rolle in der „Kameradschaft Köln“ aufgeführt wurden. Seine Vorstrafe wegen des Sprengstoffdelikts und seine Tätigkeit als V-Mann fanden keine Erwähnung. Unterzeichnet wurde die Erklärung von Burkhard Schnieder, Gruppenleiter beim VS und damals Vertreter der Abteilungsleiterin Koller. Die Erklärung endete mit dem Satz: „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht.“

Schnieder wurde vor dem PUA gefragt, auf welcher Grundlage diese Aussage getroffen wurde. Seine Antwort: „durch Aktenrecherche“. Nachfrage: „Das haben Sie alles innerhalb eines Tages gemacht?“ Antwort: „Ja, die Aktenrecherche und die Internetrecherche.“ Mathilde Koller antwortete auf dieselbe Frage: „Die Leute, die diese Person geführt haben, haben mir versichert, dass er eigentlich kein Rechtsextremist ist und dass er im Grunde nur im Auftrag von uns die Szene ausforscht.“ Damals sei „die Meinung des Hauses, also des Fachbereichs“ gewesen, „der hatte damit nichts zu tun“, so Koller vor dem PUA.

Gruppenleiter Schnieder überbrachte die erste „Dienstliche Erklärung“ persönlich zum GBA nach Karlsruhe, wo er dann alles Weitere mündlich unterbreitet haben will. Mathilde Koller verfasste am 15. Februar 2012 eine als „geheim“ eingestufte Dienstliche Erklärung, in der sie dem GBA die V-Mann-Tätigkeit des H. offenbarte. Mit der Abklärung der „Spur H“ wurde dann die „BAO Trio“ des Bundeskriminalamts (BKA) beauftragt, die nach kurzer Zeit zum Ergebnis kam, dass H. als Täter ausgeschlos­sen werden könne.

Dass das BKA die „Spur H.“ ordnungsgemäß abgeklärt hat, daran besteht nach der Vernehmung zweier BKA-BeamtInnen vor dem PUA erheblicher Zweifel. Sachbearbeiterin dieser Spur war 2012 die damals 22-jährige Polizistin Annika Voggenreiter, die erst im Vorjahr ihre Ausbildung beendet hatte. Sie wurde ebenso vom PUA angehört wie ihr Vorgesetzter, der Teamleiter Michael Schweikert. Beide erklärten, dass Johann H. „aktenmäßig abgeklärt“ wurde, dabei sei dem BKA die Jugendstrafe wegen eines Sprengstoffdelikts aus dem Jahr 1985 sowie seine Mitgliedschaft in einer Reservistenkameradschaft für Scharfschützen und sein Waffenbesitz bekannt geworden. Aus diesen Erkenntnissen, die H. mit Sprengstoffdelikten und Schwarzpulver in Verbindung brachten, folgten aber keine weiteren Ermittlungsschritte. Die frühere Mitgliedschaft von H. im „Heimatschutzverband“? War dem BKA nicht bekannt. Weitergehende Erkundigungen bei der Bundeswehr oder zur „Kameradschaft Walter Spangenberg“? Wurden nicht eingeholt. Befragt, ob die Vorstrafe wegen eines Sprengstoffdeliktes Anlass für weitere Er­mittlungen war, antwortete BKA-Teamleiter Michael Schweikert: „In ers­ter Linie ging es darum herauszufinden, ob die Zeugen H. erkennen.“ Eine Vorstrafe sei dabei unerheblich.

Das BKA erstellte also zwei Lichtbildvorlagen, die den beiden AugenzeugInnen, dem Vater und der Schwester der Geschädigten aus der Probsteigasse, vorgelegt wurden – eine Vorlage zeigte Porträtfotos, die andere Ganzkörperaufnahmen. Die Wahllichtbildvorlage mit den Ganzkörperfotos zeigte neun Personen, allesamt NSU-Verdächtige und Neo­nazis. Ausgerechnet Uwe Böhnhardt fehlte aber in der Vorlage.

Das Ganzkörperfoto von Johann H. hatte der Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt. Die Fotoqualität war so schlecht, dass das Gesicht auf diesem Bild nicht zu erkennen war. „Das Bild war natürlich sehr schlecht. Aber es war nun mal das einzige Ganzkörperbild, was zu diesem Zeitpunkt vorlag. Daher haben wir das einfach in die Vorlage integriert. Mir ist klar, dass das nicht optimal war aufgrund der unterschiedlichen Qualitäten und Hintergründe – aber wir haben das halt einfach mit aufnehmen wollen“, so die BKA-Beamtin Voggenreiter vor dem PUA. Ihr Vorgesetzter Schweikert erklärte, dass der Standard für Wahllicht­bildvorlagen eigentlich besage, dass die Qualität aller benutzten Fotos gleich sein muss. „Um auf das schlechte Bild von H. zu kommen. Da sollten die anderen Bilder auch in ähnlich schlechter Qualität sein.“ Dies waren sie aber nicht, das Foto von H. stach heraus. Versuchte das BKA an ein besseres Foto zu kommen? Nein, man sei davon ausgegangen, „hätte eins vorgelegen, hätten wir das auch bekommen“, so Voggenreiter. Zudem habe man unter Zeitdruck gestanden. Diesen Zeitdruck produzierte der GBA, der in einer E-Mail mit dem Betreff „Eilt sehr“ das qualitativ schlechte Foto vom Verfassungsschutz weiterleitete. Den Grund für die Eile konnten die BKA-BeamtInnen nicht nennen.

Trotz der schlechten Qualität musste die Vorlage dieses Foto als Beleg dafür herhalten, dass die ZeugInnen H. nicht als Täter erkannt hätten. Es sei zwar schwierig, bei diesem Foto eine Aussage über die Größe zu machen, so Voggenreiter vor dem PUA. Allerdings habe die Zeugin auch nur gesagt: „Er wirkt klein.“ Trotzdem schrieb die BKA-Beamtin nach der Vorlage der Fotos einen Vermerk, in dem sie feststellte, die Zeugin habe H. aufgrund „seiner kleinen Statur“ als Täter ausgeschlossen. Wie groß H. sei, konnte die BKA-Beamtin nicht sagen.

Für die Lichtbildvorlage der Porträtfotos besorgte sich das BKA ein Passbild von H. aus dem Jahr 2004. Auf dem Foto trägt H. kurze Haare und einen Dreitagebart. Dieses Passbild wurde dann mit langen Haaren, ähnlich der Zeichnung des Phantombilds, versehen. Die Vorlage enthielt neben dem Foto von Johann H. noch Fotos mutmaßlicher NSU-Mitglieder und -Unterstützer sowie einige mit dem Computer erstellte „Dummies“. Bei allen Personen wurden die Frisuren dementsprechend verändert, dass sie lange Haare ähnlich dem Phantombild zeigten. Den Bart bei H. hingegen retuschierte man nicht weg, obwohl der Bombenleger laut Zeugenaussagen keinen Bart getragen haben soll. Als Erklärung wurde genannt, dass eine Veränderung des Bartes möglicherweise das Gesicht „verfälscht“ hätte. Auch bei dieser Lichtbildvorlage konnten die ZeugInnen H. nicht als Täter wieder erkennen.

Dass sich das BKA mit einem mittels Bildbearbeitung veränderten Passbild behelfen musste, lag daran, dass den ErmittlerInnen keine Fotos von H. mit langen Haaren vorlagen. Der Verfassungsschutz hatte solche Fotos allerdings in seinem Bestand, wie ein Vorhalt der Abgeordneten im PUA belegte. Teamleiter Schweikert konnte einen Blick auf einen Verfassungsschutz-Vermerk werfen, in dem auch zwei Fotos von H. mit langen Haaren abgedruckt waren. Schweikert gab an, diese Fotos nie gesehen zu haben.

Nach der Präsentation dieser beiden Lichtbildvorlagen war nach Ansicht des BKA der Tatverdacht gegen H. ausgeräumt. Eine Vernehmung von H. durch das BKA fand nicht statt. Im BKA-Abschlussbericht vom September 2012 zum Anschlag in der Probsteigasse wurde die „Spur H.“ nicht einmal erwähnt. Damit konfrontiert geriet die Verfas­serin Voggenreiter ins Stottern und erklärte, sie habe die Spur nicht erwähnt, weil deren Bearbeitung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Sie selbst habe dann die „BAO Trio“ im September 2012 verlassen: „Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Es ist nichts unter den Tisch gefallen. Die Inhalte wurden alle vermittelt.“ Sie habe mit dem Kollegen darüber gesprochen. Fakt ist, dass zwei Monate später die Anklageschrift fertig gestellt wurde, in der sich der GBA auf Böhnhardt oder Mundlos als Bombenleger in der Probsteigasse festlegte.

Durch einen Antrag der Nebenklage im Münchener NSU-Prozess wurde im Juni 2014 der zeitweise Tatverdacht gegen H. öffentlich bekannt, weswegen sich auch das BKA wieder mit der Spur beschäftigte. Im Internet hatte die Antifa Köln ein Foto von H. veröffentlicht, auf dem er dem Phantombild ähnelt. Durch einen Vorhalt im PUA wurde bekannt, dass, ausweislich eines Vermerkes eines Kölner Polizisten vom 6. August 2014, die Oberstaatsanwältin Greger vom GBA in einem Telefongespräch deutlich machte, dass keine weiteren Maßnahmen zu H. zu tätigen seien – „insbesondere kein Herantreten an H.“ Die Spur zum V-Mann war abgehakt, und daran sollte sich offenbar auch nichts mehr ändern.

Keine Akten beim NRW-Verfassungsschutz

Der NRW-Verfassungsschutz muss sich die Frage gefallen lassen, warum dort in all den Jahren niemandem die Ähnlichkeit zwischen dem V-Mann und dem Phantombild des Bombenlegers aufgefallen ist. Die gleich lautende Erklärung aller VS-MitarbeiterInnen heißt: Der Verfassungsschutz habe damals keine Kenntnis vom Anschlag in der Probsteigasse erhalten, zumal auch die Kölner Polizei die Tat nicht als politisch motiviert eingeordnet habe. Das Phantombild sei, obwohl es in den Medien abgedruckt war, dem Verfassungsschutz erst im Februar 2012 zur Kenntnis gelangt. Der 2001 amtierende VS-Leiter Hartwig Möller erklärte vor dem PUA des Deutschen Bundestages: „Ich kann nur sagen, dass Sie zu diesem Vorgang in den Akten des Verfassungsschutzes nichts finden werden.“[9]

In den Akten des NRW-VS fanden die Abgeordneten tatsächlich kei­nerlei Material zum Anschlag aus dem Jahr 2001. In den Akten des BfV fand sich allerdings eine Erkenntnisanfrage der Kölner Polizei vom 19. Januar 2001, in der die Polizei um Informationen zur Opferfamilie so­wie über „mögliche Bedrohungslagen von iranischen Familien“ bat, die „nicht erkennbar in extremistische Organisationen eingebun­den sind“. Hans-Peter Lüngen, damals Referatsleiter „Auswertung Rechtsex­tre­mismus“, bestätigte, dass der NRW-VS als Adressat dieser Anfrage auf­geführt war. Er konnte aber nicht sagen, wo diese Anfrage landete, und sich auch nicht erinnern, selbst eine solche Anfrage gesehen zu haben.

Die Erkenntnisse des PUA legen den Schluss nahe, dass beim NRW-VS Aktenbestände zu dem Anschlag vernichtet wurden. Die ehemalige Abteilungsleiterin Mathilde Koller wollte eine Aktenvernichtung auf Nachfrage hin zumindest nicht ausschließen. Sie war 2012 aber auch nicht sonderlich engagiert, die Vorgänge in der 2001 nicht von ihr geleiteten Abteilung aufzuklären. „Vergangenheitsbewältigung“ habe sie nicht betrieben.

Während das NRW-Innenministerium offiziell keinen Kommentar zum V-Mann abgibt, hat sich Johann H. mithilfe eines Anwalts zu Wort gemeldet und seine Tätigkeit für den VS bestätigt. Er weist jede Beteiligung am Anschlag entschieden von sich. Zugleich behauptet er, „niemals Neonazi“ gewesen zu sein, „Abenteuerlust“ habe ihn zum Informanten werden lassen. Seine Arbeit habe „viel Unheil verhindert“. Zugleich mahnte sein Anwalt Zeitungen ab, die über die mögliche Verstrickung seines Mandanten in den Probsteigassen-Anschlag berichteten. Während Mathilde Koller im PUA aussagte, den V-Mann H. im Frühjahr 2012 abgeschaltet zu haben, lässt dessen Anwalt verlautbaren, sein Mandant sei bis Anfang 2015 für den Verfassungsschutz tätig gewesen. Mathilde Koller ging im Juni 2012 frühzeitig in den Ruhestand, seitdem leitet der Abteilungsleiter Burkhard Freier den Geheimdienst. Freier war bereits zwischen 2006 und 2011 als Gruppenleiter und stellvertretender Abteilungsleiter im VS tätig. Sind die Angaben des Anwalts korrekt, dann muss man sich beim NRW-Verfassungsschutz irgendwann entschieden haben, den V-Mann H. wieder „anzuschalten“.

[1]      http://nrw.nsu-watch.info/die-anschlaege-der-1990er-jahre-in-koeln
[2]     Welt am Sonntag v. 14.6.2015
[3]     www.lotta-magazin.de/ausgabe/59/der-fall-johann-h
[4]     http://nrw.nsu-watch.info
[5]     taz v. 9.6.1988
[6]     NZZ v. 26.7.2013 (www.nzz.ch/schweiz/terror-rezepte-fuer-guerilleros-1.18123000)
[7]     Bilz, F.; Eumann, U.: Der Fall Winterberg-Spangenberg und der Kampf um die Deutungshoheit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 2008, H. 79, S. 139-175, online: www.mbr-koeln.de/wp-content/uploads/2012/05/Winterberg-spangenberg-Auf-satz.pdf
[8]     http://nsu-watch.info/812-2
[9]     BT, 17. Wahlperiode, 2. Untersuchungsausschuss, Prot. der 31. Sitzung v. 27.9.2012, S. 18; http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/CD14600/Protokolle/Protokoll-Nr 31.pdf

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