In der Forschungsförderung unterstützen Europäische Union und deutsche Bundesregierung die Abwehr unerwünschter Einwanderung: Die Entdeckung von unerlaubt Einreisenden oder Eingereisten soll verbessert, Grenzen sollen effektiver überwacht und Netzwerke der Grenzsicherungsbehörden sollen gestärkt werden. Die Forschungen legitimieren sich mit Lücken im Grenzschutz, deren Existenz sie zugleich aufdecken und schließen wollen. Sie versprechen, soziale Probleme mit den Mitteln fortgeschrittener Informations- und Naturwissenschaft zu lösen – mit negativen Wirkungen weit jenseits der Migrationsabwehr.
Öffentlich wenig bekannt ist, woran die Unternehmen der Informations-, Kommunikations- und Überwachungstechnologien in ihren Laboratorien und Forschungsabteilungen gegenwärtig arbeiten. Erkennbar ist nur jener Ausschnitt an Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, die über staatliche Förderprogramme unterstützt werden. Der Blick auf diesen Ausschnitt erlaubt zwei Hinweise: Erstens kann er anzeigen, mit welchen Verfahren, welche Teilziele zur Umsetzung der politisch gewünschten Migrationsabwehr verfolgt werden sollen. Weil es hier um Forschungsvorhaben geht, handelt es sich regelmäßig um vollmundige Versprechen über die praktische Nützlichkeit des durch die Forschung Entwickelten; insofern ist deren tatsächliche Wirkung für die Zukunft ungewiss. Zweitens erlaubt die Forschungsförderung einen Blick auf den Zustand der Migrationsabwehr: Denn die Projekte verdanken ihre Förderung dem Umstand, dass sie in ihren Anträgen erfolgreich bestehende Überwachungs- und Kontrolldefizite behaupten, die sie zu schließen versprechen. Da die Abwehr unerwünschter Migration seit Jahrzehnten zum Kern europäischer Grenzpolitik gehört, wird in den Forschungsprojekten zugleich deutlich, welchen Umfang und welche Eingriffstiefe das Grenzkontrollparadigma mittlerweile erreicht hat. Den Fortschritt nutzen: Migrationsabwehr als angewandte Wissenschaft weiterlesen →
Legitimiert durch die Verbindung von Migration und Sicherheitsgefahren im Innern werden zur Abwehr unerwünschter Einwanderung weltweit fortgeschrittene Technologien eingesetzt. Am Beispiel der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union (EU) zeigt sich, dass die technologische Aufrüstung der physischen Außengrenzen begleitet wird von der Vorverlagerung der Kontrollen in andere Länder. Dadurch werden autoritäre Regime unterstützt und Überwachungstechnologien exportiert, so dass die Ursachen für Flucht verschärft und zugleich Fluchtchancen und -bedingungen verschlechtert werden.
„Heute schlägt die EU ein neues Kapitel in der Migrationsfrage auf … Diese Einrichtung spiegelt unsere Werte und unsere europäische Lebensweise wider“, sagte Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für die „Förderung der europäischen Lebensweise“, bei der Eröffnung eines Hightech-Flüchtlingslagers auf Kos, seiner griechischen Heimatinsel. Meine Kolleg*innen und ich nahmen an der offiziellen Eröffnung teil und hörten diese Worte aus erster Hand. Die Prioritäten der EU sind klar, und ihre Sprache ist wohlüberlegt: „Die Flüchtlingsströme erheblich reduzieren“, die Menschen „aus dem städtischen Leben fernhalten“ und deutlich machen, dass „wir es uns selbst, unseren Kindern und den künftigen Generationen schuldig sind, unsere Inseln vor Überbelastung und bekannten Gefahren zu schützen“.[2] Eingebettet in die sanften Hügel in der Nähe des Dorfes Pili, unweit eines Salzsees mit Flamingos, ist das neue Flüchtlingslager auf Kos umgeben von Stacheldrahtzäunen, Ein- und Ausgangsdrehkreuzen, Lautsprechern und Kameras. Ergänzt wird das Lager durch ein von der EU finanziertes Pilotprojekt namens ROBORDER, welches das Ziel verfolgt, ein „voll funktionsfähiges autonomes Grenzüberwachungssystem mit unbemannten mobilen Robotern“ zur Kontrolle der Gewässer vor der türkischen Küste zu entwickeln.[3]Digitale Festungen und Roboterhunde: Technologische Gewalt an den Grenzen der EU und USA weiterlesen →
von Dirk Burczyk, Christian Meyer, Matthias Monroy und Stephanie Schmidt
Um die unkontrollierte Migration aufzuspüren und zu verhindern, setzt die Europäische Union (EU) zunehmend Hochtechnologien ein. Diese lassen sich in sensor- und datenbasierte Anwendungen unterscheiden. Mit der Technologisierung der europäischen Außengrenzen gehen kommerzielle Interessen der Anbieter einher. Es gibt aber auch Ansätze von Nichtregierungsorganisationen, die verwendeten Beobachtungstechnologien im Sinne einer Sousveillance einzusetzen.
Weil man sich seit Jahren nicht auf Verteilungsquoten einigen kann, haben die 27 Regierungen beim EU-Migrationsgipfel Anfang Februar 2023 lieber andere Gemeinsamkeiten betont.[1] Ziele der Union seien demnach gestärkte Außengrenzen und Maßnahmen gegen irreguläre Migration. In den vergangenen Jahren setzt die EU dabei auch zunehmend auf Technologien zur Überwachung und Kontrolle flüchtender Menschen an ihren Außengrenzen. Konzentrierte sich dies bis zum Ende des Kalten Kriegs noch vor allem auf den Schutz des Territoriums, rückte seither der Umgang mit sowie die Verhinderung von Migration in den Fokus grenzpolitischer Interessen.[2] Aufgrund der Befürchtungen, dass sich nach dem Kalten Krieg vor allem Migrationsbewegungen als Auslöser für Krisen zeigen könnten, wurde ein Bedarf an umfassenden Regeln und Normen behauptet, die in dem 1993 (auf Bitte der UN-Kommission für Global Governance und der Regierung Schwedens) von Bimal Gosh entwickelten Konzept des „Migrationsmanagement“ mündeten.[3] Neben den bekannten staatlichen Akteur*innen, wie die EU-Grenzagentur Frontex und ihren Entwicklungen von Grenztechnologien (wie bspw. das seit 2014 aktive Überwachungssystem EUROSUR), zeigen sich auch Industrie und zivile Forschungseinrichtungen im Bereich der Europäischen Migrations- und Grenzpolitik aktiv. So wurden etwa Drohnen, ursprünglich genutzt für die Schifffahrtskontrolle und im Kontext von Umweltüberwachung, letztlich auch im Bereich des Grenzschutzes und zur Überwachung von Migrationsbewegungen eingesetzt.[4]Mit Technologien gegen Migration: Die Sensoren und Daten der Festung Europa weiterlesen →
Der folgende Text beschreibt die fortschreitende Technisierung und Überwachung der EU-Außengrenzen sowie forensische Methoden unter Verwendung von Open-Source-Materialien. Dazu werden Projekte der Organisationen Border Forensics und Forensic Oceanography vorgestellt, die mit räumlichen und visuellen Analysen Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Damit wollen sie den systemischen Charakter von Überwachung und Grenzgewalt sichtbar machen, die Rechte von Migrant*innen stärken und eine Politik der Bewegungsfreiheit proklamieren.
Seit Jahren verstärkt die Europäische Union[1] die Kontrolle ihrer Außengrenzen mit dem vorgegebenen Ziel, „die Sicherheit in Europa zu gewährleisten“.[2] Im Rahmen dieses fortschreitenden Prozesses werden Überwachungstechnologien ständig weiterentwickelt und modernisiert. Der Zugang zu diesen Technologien ist häufig auf den Staat und seine Exekutive beschränkt. An den Grenzen und darüber hinaus werden sie eingesetzt, um einerseits Kontrolle auszuüben, aber auch, um den Status quo zu erhalten. Wie kann die Öffentlichkeit angesichts dieser sich ständig weiterentwickelnden und verstärkenden Tendenz Rechenschaft einfordern? Der Blick auf die Grenze: Gegenforensik macht Formen der Grenzgewalt sichtbar weiterlesen →
Bis 2020 wird die EU mehr als drei Milliarden Euro in ihr Sicherheitsforschungsprogramm investiert haben. Dessen Ziel ist, „innovative Technologien und Lösungen zu entwickeln, die Sicherheitslücken beheben und eine Minderung des von Sicherheitsbedrohungen ausgehenden Risikos bewirken.“
In der Praxis wird das Programm von Unternehmen und großen nationalen Forschungsinstituten dominiert, die versessen darauf scheinen, im Namen der öffentlichen Sicherheit eine Überwachungsgesellschaft einzuführen – ein besonders verstörender Ausblick in einem Europa, in dem zunehmend autoritäre Regierungen die Ängste der Bevölkerung bezüglich Terrorismus und Migration ausnutzen, um provisorische Ausnahmebefugnisse dauerhaft im regulären Strafrecht zu verankern.[1]
Der offizielle Name des Europäischen Sicherheitsforschungsprogramms (European Security Research Programme: ESRP) lautet „Sichere Gesellschaften“ (Secure societies – protecting freedom and security of Europe and its citizens). Für 2014 – 2020 stehen dafür 1,7 Mrd. Euro bereit. Das Programm ist Teil des über 77 Mrd. Euro umfassenden Forschungs- und Entwicklungsbudgets „Horizont 2020“. Das Vorgängerprogramm war mit einem Budget von 1,4 Mrd. Euro im Siebten Rahmenprogramm (RP7) 2007-13 angesiedelt. Europäische Sicherheitsforschung: Mangelnde Transparenz und Demokratie weiterlesen →
Die Küstenwache in Libyen soll enger mit Grenzbehörden und Militärs aus der Europäischen Union kooperieren. Ein direkter Informationsaustausch mit der EU-Militärmission EUNAVFOR MED oder mit Frontex ist derzeit rechtlich nicht möglich, jetzt füllt Italien diese Lücke. Neben einem gemeinsamen Kontrollzentrum in Rom errichtet Italien eine Leitstelle in Tripolis.
Italienische und libysche Sicherheitsbehörden haben am Wochenende ein gemeinsames Kontrollzentrum in Betrieb genommen. Zu den Arbeitsbereichen der Anlage in Rom gehört laut der libyschen Tageszeitung Libya Herald die Bekämpfung von „grenzüberschreitender Kriminalität, Menschenschmuggel und Terrorismus“. Unter den Beteiligten sind die libysche Küstenwache, die „Abteilung gegen illegale Migration“ des Innenministeriums, der libysche Generalstaatsanwalt sowie Geheimdienste aus Libyen und Italien. Durch die Hintertür: Anschluss Libyens an europäische Überwachungssysteme weiterlesen →
Die EU-Mittelmeeranrainer errichten ein Netzwerk zur Kommunikation von Militärs und Grenzpolizeien. Auch Libyen, Ägypten, Algerien und Tunesien sollen dort mitmachen. Durch die Hintertür nähmen sie dann am Überwachungssystem EUROSUR teil. Geflüchtete könnten dann auf offener See aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht werden.
Noch in diesem Jahr soll das satellitengestützte Netzwerk „Seahorse Mediterranean“ („Seepferdchen Mittelmeer“) in Betrieb genommen werden. Dies teilte die Europäische Kommission auf eine parlamentarische Nachfrage mit. Dann erhielte die libysche Küstenwache, die zur Marine gehört, Informationen aus europäischen Überwachungssystemen. Das Ziel ist die libysche Beteiligung an Rettungseinsätzen außerhalb der Hoheitsgewässer. Entwicklungshilfe für Libyens Küstenwache: Anschluss an europäische Überwachung weiterlesen →
Die Trilog-Verhandlungen zur Errichtung einer neuen Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (EBCG) sind beendet. Dies teilte die Europäische Kommission heute in einer Pressemitteilung mit. Demnach haben sich das Parlament, der Rat und die Kommission auf eine neue Verordnung geeinigt. Heraus kam eine „gestärkte Agentur“, die auf den bereits vorhandenen Kompetenzen der Grenzagentur Frontex aufbaut.
Im Sprachgebrauch soll die EBCG lediglich als „die Agentur“ firmieren. Wie vorgeschlagen erhält sie in Artikel 18 die Möglichkeit, gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten tätig zu werden. Zuvor muss der Direktor die Kommission über beobachtete Verstöße gegen die Pflicht zur Sicherung der Außengrenzen unterrichten. Erkennt die Kommission eine Gefährdung des Schengen-Raums, kann die EBCG mit entsprechenden Maßnahmen beauftragt werden. Neue Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache beschlossen weiterlesen →
Die Außenminister der Europäischen Union schlagen vor, die libysche Küstenwache mit neuen Ausbildungsmaßnahmen zu unterstützen. Ein entsprechender Beschluss zu „Beratungen und Kapazitätsaufbau“ findet sich in den Ratsschlussfolgerungen des Treffens vom 18. April. Weitere Aktivitäten einer „breiter angelegten Unterstützung der Reform des Sicherheitssektors“ könnten in den Bereichen „Polizei und Strafjustiz, Terrorismusbekämpfung, Grenzmanagement“ erfolgen. Laut den Schlussfolgerungen seien die Grenzen Libyens „von großer Bedeutung für die regionale und die europäische Sicherheit“.
Die anvisierte EU-Hilfe wird mit der „Bekämpfung irregulärer Migration, Schleusung von Migranten und Menschenhandel“ begründet. Auch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nennt Libyen „ein Schlüsselland in der Bewältigung der Flüchtlingskrise“. Jedoch werden die libyschen „Schleusernetzwerke“ laut einem Bericht der EU-Grenzagentur Frontex ausschließlich von aktiven oder ehemaligen Angehörigen der Polizei und des Militärs angeführt. Auch ist völlig unklar, wie viele Geflüchtete überhaupt in Libyen auf eine Überfahrt nach Europa warten. Der deutsche Bundesinnenminister spricht hierzu von einer Million, der französische Innenminister von 800.000, „Brüsseler Diplomaten“ von 500.000, die EU-Außenbeauftragte von 450.000 und die Vereinten Nationen von 200.000 Menschen. EU hilft Libyen bei „Polizei und Strafjustiz, Terrorismusbekämpfung, Grenzmanagement“ weiterlesen →
Beim Treffen der NATO-VerteidigungsministerInnen am 10. und 11. Februar hat die Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen (CDU) den Regierungen der Türkei und Griechenlands zur Lösung der „Flüchtlings- und Migrationskrise“ die Entsendung von Kriegsschiffen und -flugzeugen angeboten. Profitorientierte Fluchthelfer sollen durch Kapazitäten des derzeit von Deutschland geführten Stehenden Marineverbands 2 (SNMG 2) bekämpft werden.
Der Flottenverband wird von dem deutschen Versorgungsschiff „Bonn“ angeführt, ebenfalls beteiligt sind eine türkische, eine griechische und eine kanadische Fregatte. Die Regierungen der Türkei und Griechenlands stimmten Medienberichten zufolge zu, dass das taktische Kommando des Marineverbandes nicht von der Türkei, sondern von anderen Alliierten übernommen wird. In einem „Aufruf an die Alliierten“ werden diese aufgefordert, den Marineverband zu verstärken. Als erster weiterer NATO-Staat hat heute Frankreich die Entsendung eines Schiffes zugesagt. NATO-Mission zur Lösung der „Flüchtlings- und Migrationskrise“ in der Ägäis: Details weiter unklar weiterlesen →
Seit 1978 Berichte, Analysen, Nachrichten zu den Themen Polizei, Geheimdienste, Politik „Innerer Sicherheit“ und BürgerInnenrechte.