Mythos und Realität polizeilicher Ordnungswahrung in der neueren polizeigeschichtlichen Literatur – ein Überblick

Der Glaube, daß uns die Geschichte lehren könne, wie wir unsere zukünftigen Probleme lösen sollen, ist in den, auf ökonomisches Wachstum und industriellen Fortschritt programmierten westlichen Gesellschaften schon Ende des 18 Jahrhundert abhandengekommen. Diese Auflösung der tradierten sozialen Zusammenhänge- der ständischen und kommunalen Ordnungen-, läßt einerseits eine Orientierung am Überkommenen nicht mehr zu. Andererseits trägt nicht zuletzt diese Auflösung zur Entstehung einer abstrakten, inhaltlich vielfältig ausfüllbaren öffentlichen Ordnung des Staates und einer diese durchsetzende Institution bei- die Polizei. Ordnung wird- parallel zum Fortschritt- zu dem Wert des 19 Jh., wie Alain Faure in einem Sammelband feststellt, indem die Debatten eines Colloquiums der Gesellschaft über die Revolution von 1848 und die des 19 Jahrhunderts zum Thema „Aufrechterhaltung der Ordnung und Polizei“ präsentiert werden (Societé,S.14) .

In den letzten Jahren sind nun zwar auch in der Bundesrepublik die Polizei und die Frage, was sich hinter der Leerformel von der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung historisch jeweils verbirgt, auf wissenschaftliches Interesse gestossen. Zu einem integralen Bestandteil einer historischen Sozialwissenschaft bzw. Sozialgeschichte wie in Frankreich oder England sind diese Themen hier noch lange nicht geworden, wenngleich die Erkenntnis der französischen Revolutionshistoriker, daß“ die Geschichte der sozialen Bewegungen sehr viel dadurch gewinnen kann, indem sie sich auf die andere Seite der Barrikade begibt“ sicher auch für deutsche Verhältnisse gilt.

Mit dem Unterschied jedoch, daß hier die hinter den Barrikaden,der Gewalt,dem Aufruhr oder gar Revolution stehenden Fragen nach den zugrundeliegenden sozialen Konflikten und Herrschaftsinteressen bis vor kurzem nur aus der Perspektive der Partei der Ordnung thematisiert wurden. Wenn dies heute für die Revolution von 1848 sicher nicht mehr gilt , hat sie doch nach 1949 auf der Suche nach demokratischen Vorbildern eine Aufwertung erfahren (vgl. zur Umwertung Wolfram Siemann,S.7ff), so bleibt solch ein Perspektivenwechsel für spätere Epochen – wie die Auseinandersetzung um Wettes Noskebiographie zeigt (siehe unten) -nicht ohne Risiken. Was mit dazu beiträgt, daß Polizeigeschichte eine Domäne von pensionierten, von dissertierenden oder dilletierenden Polizeibeamten ,Staatsanwälten, Richtern und Ministerialbeamten bleibt.

1. Polizeigeschichte aus Polizistenaugen

Dies heißt nicht, daß es sich gar nicht lohnt, solche Werke zur Hand zu nehmen.Sie enthalten zum einen- wie Lüddeckes Darstellung der Hildesheimer und Teufels Geschichte der Tuttlinger Polizei interessante Details- etwa Dienstvorschriften,Angaben über die Personalstärke, Einsatzbefehle zu besonderen Anlässen- die sonst oft nur durch mühsame Archivrecherchen aufzuspüren sind. Zum anderen aber sind diese Arbeiten Ausdruck eines in der Polizei weitverbreiten Geschichtsbild, indem eine , alleine auf Recht und Ordnung verpflichtete Institution sich bemüht, einem nur dunkel angedeuteten Chaos dieser Welt entgegenzutreten.

Sie sind deshalb auch Spiegelbild polizeilichen Selbstverständisses. Beginnt der Historiker eine Geschichte des 19 Jh. vielleicht mit der Feststellung, daß am Anfang Napoleon stand oder aberin Deutschland eben das Fehlen einer Revolution, eröffnet der Soziologe oder Geisteswissenschaftler seine Überlegungen etwa mit einem Satz über den Zusammenhang von Kapitalismus und sozialer Mobilisierung und Differenzierung, so tut dies der ehemalige Leiter der Polizeidirektion Tuttlingen mit dem Satz.“ Am Anfang des 19 Jh. war allerorts in den deutschen Landen die Unsicherheit groß. Das Gesindel machte sich überall breit..“ Die Notwendigkeit und Funktion der Institution der Polizei und Gendarmerie ist damit scheinbar wie von selbst begründet, wenn sie nicht wie bei Kraus und Lüddecke ins Mittelalter zurückprojeziert oder aber wie in Böckles Geschichte der Gendarmerie gleich in graue Vorzeit zurückverlegt wird. („Vom Beginn eines menschlichen Lebens auf dieser Erde (!) bis zum Zeitaler Napoleons ist eine exakte Trennung zwischen Polizei und Militär nicht möglich“,S. 7) Was folgt ist die immer neue Herausforderung der Ordnungsinstanzen durch Kriminalität, „politische Gärung“,Aufruhr usw. Da gerät Kraus etwa der Frankfurter Wachensturm von 1833 sogleich zu einem veritablen Aufstand , der „sympthomatisch für die Schwäche des Sicherheits- und Ordnunsgwesens der Stadt (war)“S.29,da wird bei Teufel das Ende des 1. Weltkrieges zu einem “ Zusammenbruch der staatlichen Ordnung“, indem „radikale Elemente und zunehmendes Verbrechertum möglichst viel Kapital aus der Ungewißheit über die kommende Entwicklung zu schlagen (suchte)“und gegenüber denen die Polizei nun versuchen mußte wieder“ Sicherheit,Ruhe und ordnung“ wieder herzustellen (S.129) und selbst bei dem in der Wortwahl vorsichtigeren Lüddecke bleibt über die letzten Jahre der Weimarer Republik nur die Erkenntnis, daß diese “ wie überall in Deutschland, für die Polizei vom Einsatzgeschehen, bedingt durch das Ringen der politischen Kräfte, der Not der Arbeitslosigkeit und der nicht endenden Wahlkampfstimmung geprägt (waren)“(S.98). Bei Kraus, dessen Werk kennzeichnenderweise von der Pressestelle des Frankfurter Polizeipräsidiums herausgegeben wurde,(deren Sprecher er ist) setzt sich die Geschichte fort in Kapiteln wie „Von Dutschkes Reden zum Terror“ (226ff) oder „Vom Bombenterror zum Häuserkampf“(229ff).

Alleine der Ordnung verpflichtet, bleibt die Polizei in diesen Darstellungen wie weiland Sisyphus immerstrebend bemüht, dem Menschen sein Urbedürfnis nach Sicherheit und Ordnung zu befriedigen. Und an der Legitimität staatlicher Gewalt kann auf diese Weise Zweifel kaum aufkommen.So werden in Böckles Geschichte der Feldjäger und Gedarmerie zwar etwa 2.500 deutsche Opfer des Aufstandes der Bondelzwarts,Herreros und Hottentoten beklagt und die Kosten der Nikederschlagung dieses Aufstandes in der deutschen Kolonie beklagt, die teilweise bestialisch ermordeten Schwarzen finden aber keine Erwägung.(S.148) Und Kraus bringt sogar das Kunststück fertig den Versuch der Arbeiter („ein spartakistisches Machtzentrum“) die Frankfurter Sicherheitspolizei zu entwaffnen, die sich im Kapp-Putsch wie die anderen Einheiten in Preussen nicht hinter die rechtmäßige Regierung gestellt hatte und abwartend mit den Putschisten symphatisierte, zu den Urhebern der blutigen Auseinandersetzung zu machen.

Dort, wo solche Geschichtsverfälschungen nicht mehr weiterhelfen- bei der Beschreibung der Rolle der Polizei im Nationalsozialismus- wird in den Arbeiten von Kraus,Teufel,Lüddecke und Böckle die Polizei zum wehrlosen Opfer einer brutalen Übermächtigung durch SA, SS und Partei stilisiert. Lüddecke spricht von einer „Unterwanderung und Kontrolle der überwiegend noch demokratisch eingestellten Polizei“(103). Fast wortgleich beginnt Kraus seine Ausführungen zur Polizei nach 1933, die dann gar- kennzeichnenderweise erst 1937- einen richtigehenden Leidensweg zu gehen hatte. („Mit der Eingliederung der Polizei in die allgemeine SS begann der Leidensweg und die Auswegslosigkeit, die ihr von einem verbrecherischen Regime aufgebürdet wurden“S.183) . Und Böckle bringt dann die weitere Geschichte, das Morden der SS-Polizeiverbände in Polen und der Sowjetunion auf die einfache Formel „Eine Polizei kann aber nicht besser sein als die Rechtsauffassung ihres Staates und die Gesetze des Landes „(S.169). Ob dieses Geschichtsverständis etwa dem entspricht, was den jungen Beamten im Rahmen ihrer „Beschulung“ bzw. politischer Bildung vermittelt wird ?

2. Polizei im alten Rom-Zur Kritik projektiver Geschichtswissenschaft

Zu einer aufgeklärteren und offeneren Debatte heutiger und zukünftiger Probleme führt eine Beschäftigung mit der Geschichte nur selten, auch dann wenn sie „professioneller“, „wissenschaftlicher“ betrieben wird. Geschichte dient- der Streit um deren museale Einfriedung in Berlin und Bonn zeigt dies deutlich- zunächst und vor allem dazu, dem jeweils bestehenden Legitimität zu verschaffen, indem Kontinuität und Unausweichlichkeit von Institutionen wie der Polizei,dem Militär,dem Staat, von Herrschaft und sozialer Ungleichheit betont werden. Wie stark in einer solchen projektiven Geschichtsschreibung Mythen produziert werden, die mit den geschichtlichen Institutionen,Ereignissen und Konflikten wenig, mit dem Bedarf an aktueller „Sinngebung“ jedoch sehr viel zu tun haben, zeigt eine Arbeit, die sich mit Aufruhr und „Polizei“ in der römischen Republik beschäftigt, in die Juristen wie Polizeigeschichtler(etwa Böckle) gerne die Ursprünge von Polizei zurückverlegen. Durch eine systematische Reinterpretation der in den letzten zweihundert Jahren aller römischen Geschichte zugrundliegenden Quellen- mit neuen kann hier niemand mehr aufwarten-gelingt es Nippel, die These vom Verfall der römischen Republik aufgrund des Fehlens einer schlagkräftigen“ Polizei“ als eine Fehlinterpretation zu entlarven, die vor allem aus dem Bemühen der Geschichts-und Staatswissenschaften erwuchs, den Machtstaat des deutschen Kaiserreichs mit höheren Weihen zu versehen ( und der heimlichen Botschaft:Nur ein starker Staat rettet vor dem Untergang). Durch die Rückprojektion der Ende des 19 Jh. erst mit der heutigen Bedeutung versehenen Begriffe von Polizei und Sicherheit und Ordnung auf die römische Republik – wie sie vor allem von Theodor Mommsen betrieben wurde- werden jedoch Funktion und Reichweite der damaligen Regelungsmechanismen mißdeutet ( wie die Coercition des Magistrats, das Agieren der Lictoren ).

Diese Geschichtskonstruktion verdrängt darüberhinaus, daß eine im modernen Sinne „staatliche Erzwingungsinstanz“ letztlich mit der damaligen politischen Ordnung gar nicht vereinbar war (S.64) . Aus dieser Herrschaftsstruktur der römischen Republik und den darin eingelassenen Spannungen zwischen der Nobilität und dem über die Volkstribunate integrierten “ plebs urbana“ analysiert Nippel das, was als Aufruhr und „Polizei“ verstanden werden kann. Auf diese Weise kann er zeigen, wie sich die Form der Auseinandersetzungen sukzessive veränderte mit den Verschiebungen in dieser Herrschaftsstruktur ; von der frühen Republik, die primär durch die Selbstorganisation der Bürger geprägten Ordnung geprägt war, bis hin zum Prinziptat, der kaiserlichen Alleinherrschaft ,mit seiner Prätorianergarde. (Wobei anzumerken bleibt, daß auch diese Truppen nur sehr bedingt Polizeifunktionen zugeschrieben werden kann,S.167)

So hilfreich Nippels Analyse für den durch Latein- und Geschichtsunterricht oder Jurastudium verbildeten Leser auch sein mag, seinen selbst gestellten Anspruch zu klären, warum denn die krisenbewältigung durch die Selbstorganisation der Bürgerschaft auf längere Sicht nicht mehr funktionierte (S.9), kommt er nur ansatzweise nach. Die im Vordergrund stehende These, die ursprüngliche Balance republikanischer Herrschaftsbegründung sei in einem spiralförmigen Prozeß durch spezifische rechtliche Argumentationsfiguren gesprengt worden, beschreibt den Vorgang nur, erklärt ihn jedoch nicht. Die Faktoren, die eine Verschiebung im Herrschaftsgefüge der römischen Republik bewirkten – wie die immer schwieriger werdende Integration des plebs urbana und die damit zusammenhängende leidige Frage der Getreidebeschaffung oder der schwindende Konsens in der Herrschaftselite (S.108), die jeweils den plebs urbana für ihre spezifischen politischen Interessen zu mobilisieren suchen (S.134)- werden nur en passant genannt, jedoch nicht mehr herrschaftssoziologisch systematisch erörtert.

3. Ein moderner Mythos: die Polizei als die republikanische Stütze des Weimarer Staates

Die ehemaligen preussischen Innenminister Severing und Grzesinski ,der Berliner Polizeipräsident Friedensburg, der Vize- Weiß und andere (sozialdemokratische) Zeitzeugen haben es in der Emigration wie nach dem Kriege beteuert und die Geschichtswissenschaft haben die Argumentation übernommen: Die Polizei sei die eigentliche Stütze der republikanischen Kräfte in Weimar gewesen . Ja- so Severing nach dem Kriege – wen man nur besser bewaffnet gewesen sei, damals als die Regierung Papen die sozialdemokratische Führungsspitze zum Rücktritt zwang, dann, ja dann hätte man sich gegen den Papen-Putsch wehren können.

Lässt man das letztere, unsinnige Argument einmal beiseite, das den etatistischen Sozialdemokraten nach 1945 vor allem dazu diente, die Weimarer Polizei zu rekonstruieren und wieder eine Art von Truppenpolizei anzuvisieren, dann bleibt die Frage, ob und inwieweit man denn von der Polizei als republikanischem Bollwerk des Weimarer Staates sprechen kann. Zweifel sind angebracht, Differenzierungen notwendig. Die neueren Arbeiten von Wette, Buder Kurz und Fangmann/Reifner/Steinborn können hierzu beitragen.
Sicher ist, daß die Polizei in Weimar- anders als die Reichwehr – nach dem Kapp-Putsch sich der jeweiligen politischen Führungsspitze unterordnete und als Machtinstrument der gewählten Regierung verfügbar war. Dies war das Bestreben aller sozialdemokratischen Politiker von Anbeginn an, wenngleich Noske und Heine- wie Buder speziell für die SIPO und Wette für Noskes Ordnungspolitik insgesamt zeigen- in den Anfangsjahren der Republik dieses Ziel gerade nicht mit den sozialdemokratisch-liberalen Kräften zu realsieren versuchten.

Zu letzteren waren in der Polizei vor allem die einfachen Beamten der alten Schutzmannschaft zu rechnen, die sich mehrheitlich im linksdemokratischen Verband der Polizeibeamten Preußens (Schrader-Verband) organisierten. Das Bekenntnis zur Demokratie war für diese Beamten mit der Vorstellung einer entmilitarisierten Polizei verbunden, einer Polizei, in der nicht Offiziere der Armee, sondern alleine qualifizierte Polizeibeamte Führungsposten erhalten sollten, in der nicht Befehl und Gehorsam, sondern die vollen staatsbürgerlichen Rechte der Beamten die Grundlage der Organisation sein sollten (Vgl. Buder,S.54ff,180ff). Diese Schicht von Polizeibeamten stand in weiten Teilen auch noch am Ende der Weimarer Republik hinter der gewählten Regierung, wenngleich diese-wie Fangmann/Reifner/Steinborn für Hamburg zeigen- in eine defenisive Positition gedrückt worden waren.

Diese Beamten aber waren nicht die Weimarer Polizei insgesamt und noch weniger waren sie das Produkt sozialdemokratischer Ordnungspolitik. Für Heine, den preussischen Innenminister, war Schrader ein „sehr übles Element“ das „Kollegen aufrührerisch zu machen suchte“ gegen seine Aufbaupläne (Buder51). Und diese zielten auf eine paramilitärische Truppe in der Hand der Regierung, nicht auf den Versuch, die vorhandenen Polizeien zu stärken und durch eine republikanische Sicherheitswehr zu ergänzen. Noske war ebensowenig geneigt auf solche Formationen zurückzugreifen. Ihm ging es “ seit seiner Berufung in die Regierung der Volksbeauftragten darum, rasch ein militärisches Instrument aufzubauen, das der Regierung Respekt verschafft“(322). Gegenüber den verheerenden politischen Konsequenzen war Noske blind, wie Wette in seiner Biographie zeigt. Die Brisanz der Wetteschen Arbeit erwächst jedoch vor allem aus dessen überzeugenden Destruktion der von den damaligen Akteuren im Nachhinein gegegebenen Rechtfertigung ihres Handelns- auf dem Hintergrund der Forschungen der siebziger Jahre zu den Soldatenräten und den Anfängen der Republik. Sie wurde nach 1945 zum Kern konservativer wie sozialdemokratischer Geschichtsschreibung : die These nämlich, daß angesichts der bolschewistischen Gefahr der Rückgriff auf das Militär das unausweisliche Gebot der Stunde gewesen sei. Auch der Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, das die Arbeit von Wette liegen lies, bricht diese doch mit liebgewonnenen ,beharrt ohne weitere inhaltlichen Argumente in seinem distanzierenden Vorwort auf diem Gebot der Stunde . Die wissenschaftliche Verantwortung dieser Arbeit liege- so Oberst Roth- in der Eigenverantwortung des Autors, was die Frage aufwirft, wem gegenüber denn das Forschungsamt verantwortlich ist, der Wissenschaft wohl weniger als einem abstrakten Prinzip der Staatserhaltung und einem daraus- von Carl Schmitt exemplarisch abgelueteten – Gebot der Stunde .

Die Polizeifrage in den Anfangsjahren der Republik und der Umgang von Noske und Heine mit den Kritikern ihrer Machtpolitik (die auch aus dem bürgerlich-liberalen Lager kamen, vgl Buder, S. 54ff)zeigen jedoch, wie berechtigt Wettes Thesen von den verpassten Chancen für eine demokratische Rekonstruktion der Staatsgewalt in Weimar sind. Statt auf die zur Mitarbeit (und das hies durchaus zur Niederschlagung evt. Unruhen )bereiten Kräfte der Polizeien und Sicherheitswehren zu setzen, löste Noske nach den Märzunruhen 1919 die Schutzmannschaft auf zugunsten einer schlagkräftigen „Schutzgarde“. Heine suchte dies mit einer „Sicherheitspolizei“- einer Truppe mit Flakgeschützen, Minenwerfern und Maschinengewehren- zu realisieren. “ Mit dem Schutzmannschaftsverband und dessen gewerkschaftlichen Neigungen (hatte man) schlechte Erfahrungen gemacht“ (105), wie Buder hierzu feststellt – wie häufig in seiner Dissertation über die Reorganisation der preußischen Polizei 1918-23, ohne jede kritische Distanz zum ausgebreiteten Material ( und dadurch die Wertungen Heines,Noskes u.a.teilweise einfach übernehmend). Der rechte Flügel der Mehrheitssozialdemokratie setzte 1919 konsequent auf die alten Ordnungskräfte- die Offiziere der Freikorps -und die „Manneszucht“ehemaliger Soldaten ( Buder,103).

Der Kapp-Putsch sollte dann zwar zeigen, daß diese Rechnung nicht aufging. Denn nicht eine Einheit stellte sich aktiv hinter die legale Regierung, Teile der Sipo paktierten offen mit den Putschisten.

Die Konsequenz war, daß der nachfolgende Innenminister Severing, insbesondere aber der zum linken Flügel der DDP gehörenden Ministerialrat nun ab 1920 versuchen mussten, die SiPo politisch zu neutralisieren,indem sie diese mit der alten, zuerst so verschmähten Schutzmannschaft zu verschmelzen suchte . (Buder,281ff). Dies gelang zwar , die Chancen für eine bürgernahe Polizei waren jedoch bereits verspielt. Die politische Distanz zur Weimarer Republik und ihrer Polizei lies sich nicht etwa nur bei den Kommunisten, sondern auch bei vielen kritischen Demokraten und Linken kaum mehr abbauen. Es blieben vor allem auch die vordemokratische Ideologie und Struktur innerhalb der Polizei: Ihr Kern blieb eine militärische Truppenpolizei, ihre Offiziere verhielten sich der Republik vielfach distanziert, teilweise gar feindlich gegenüber. Das Offiziers-und Unteroffizierskorp bildete ein hervorragendes Rekrutierungspotential für die Nazis,die 1933 keine Schwierigkeiten hatten innerhalb einiger Wochen den gesamten Apparat mit Gefolgsleuten zu besetzen, von denen keineswegs die Mehrheit“ nichtprofessionelle“ SA-Führer waren. Die Polizei war vor allem auch nicht in der Lage anders denn als militärische Bürgerkriegstruppe auf Proteste oder Unruhen zu reagieren.

Thomas Kurz hat dies in einer spannend zu lesenden, aufschlußreichen Fallstudie zum sogenannten „Blutmai“ 1929 herausgearbeitet. Kurz interpretiert dieses Ereignis in der Hauptsache zwar – wie wir meinen fälschlicherweise- aus dem Parteienkampf von SPD und KPD, die sich auf unterschiedliche Schichten der Arbeiterschaft stützten und ihren jeweiligen Feindbildern. Daß die jeweiligen Feindbilder an den realen Gegebenheiten vorbei gingen, sowohl die Sozialfaschismusthese und die wortradikalen Revolutionsparolen der KPD, wie die Vorstellung eines drohenden kommunistischen Umsturzversuchs mithilfe der Lumpenproletarier, steht außer Frage . Entscheidenter als die parteilichen Feindbestimmungen für die Erklärung des Blutmai dürfte u.E. jedoch der von Kurz nur angeschnittene „illiberale Etatismus“(106) vieler sozialdemokratischer Politiker gewesen sein , mit dem diese- siehe Noske- auch gegen Protest in der eigenen Partei ihre Form von Ordnung durchsetzten (und zu deren Erhalt sie eben auch eine schlagkräftige Truppen- nicht aber eine republikanische,bürgernahe Polizei schufen). Zörgibels „Ich bin entschlossen, die Staatsautorität mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen“(Kurz,S11) ,erinnert bis in die Wortwahl hinein an Noskes Satz, er trete “ sehr energisch dafür ein, zu schießen wenn sich dies zur Wiederherstellung der Ordnung als notwendig erweisen sollte, und zwar auf jeden , der der Truppe vor die Flinte läuft“(Wette,285).

Dies tat die Polizei dann auch im Mai 1929, obgleich- wie Kurz anhand vieler zeitgenössischer Quellen zeigt- der von Zörgiebel und seinen Polizeioffizieren unterstellte Aufruhr gar nicht stattfand. Die Schilderungen von Augenzeugen und Journalisten ähneln vielmehr dem, was man in der Hausbesetzerzeit und sonstigen demonstrativen Aktionen auch heute erleben kann: Der auf den Flugblättern propagierte „Aufstand“, „Widerstand“ etc. hat weder ein organisierendes Zentrum noch ein kollektiv handelndes „Subjekt“- vielmehr sammeln sich lose Gruppen und Individuuen auf der Straße, teilweise bereit sich mit der Staatsmacht gewaltsam anzulegen,Bauholz und brennende Reifen als „Barrikaden“ benutzend. Nur war die damalige Polizei ein Ebenbild der von Noske und Heine geforderten Truppe. Sie ging vor,-so die Frankfurter Zeitung- „als habe sie geschlossenes feindliches Gebiet, einen kompakten Feind vor sich , als handele es sich um einen richtigen Aufstand“(Kurz,76) Das Resultat: 33 Tote, 198 Verletzte, 1.228 Festnahmen, währenddessen bei der Polizei nur zehn so schwer verletzt waren, daß sie in ein Krankenhaus mussten, wovon einer eine Schußverletzung hatte- die er sich jedoch selbst zugefügt hatte.(S.68) Diese Rechtfertigung des Resultat durch eine wie auch immer begründete „bolschewistischen Gefahr“ nahmen jedoch- wie Kurz zeigt- breite Teile der linksliberalen Öffentlichkeit der Polizeiführung und dem Innenminister schon damals nicht mehr ab.(Es bildeten sich zwei Untersuchungsausschüsse, einer der Liga für Menschenrechte, der andere wurde von dem kommunistischen Verleger Münzenberg initiiert (Kurz,S.78ff)

Der Blutmai erwuchs aus einer Politik und Polizeitaktik, die durch autoritär-etatistische Traditionen, eine „Bürgerkriegspsychose“(Kurz,83ff) und einen „Anti-Chaos Reflex“ geprägt (Wette unter Berufung auf Löwenthal,S.295f.). soziale Wirklichkeit nur noch verzerrt verarbeiten konnte.Die neueren Arbeiten zum Januaraufstand 1919, den Märzunruhen,dem sogenannten Ruhrkrieg und dem mitteldeutschen Aufstand – die Wette verarbeitet- weisen darauf hin, daß diese verengte Sicht der etatistischen Ordnungspolitiker eben schon zu Beginn der Republik die Suche nach möglichen Alternativen verhindert hat; Alternativen nicht etwa jenseits der von der Mehrheistsozialdemokratie vertretenen Form der Republik, sondern Alternativen zu deren Verteidugung- wie Wette betont.(Vgl. 289ff)
Die psychologisierenden Begriffe erfassen hierbei den politischen Bezugsrahmen der Vertreter des Machtgedankens – so werden vom damaligen Generalquartiersmeister und wichtigsten Mitarbeiter Hindenburgs Ebert,Noske und Heinen gekennzeichnet- sicher nur unzureichend. Die Geschichte der Weimarer Polizei-und die der sozialdemokratischen Polizeipolitik- ist vor allem eine der verpassten Chancen für eine Demokratisierung, nicht aber die eines Bollwerks gegen die schleichende Zerstörung der republikanischen Ordnung. An der hatte sie vielmehr , gewollt und teilweise ungewollt, selbst Teil.

4. Die öffentliche und die Geheime Staatspolizei

Die von vielen Polizeiideologen wie Juristen vertretene Geschichtsideologie einer, über alle Regime hinweg neutralen Ordnungsmacht als Voraussetzung friedlichen Zusammenlebens, läßt die Frage nach den konkreten Zusammenhängen monarchischer, rechtsstaatlicher oder demokratischer Herrschaft und Polizei und polizeilichem Handeln hinter einer abstrakten, inhaltlich beliebigen Funktionsbestimmung verschwinden (Darin dürfte nicht zuletzt die Bedeutung dieser Ideologie liegen) .An einem Punkt gerät diese Ideologie jedoch in Schwierigkeiten- dort wo es um die Polizei zwischen 1933 und 1945 geht.

Sie werden durch eine einfache Rationalisierung zu beheben gesucht: Die Polizei- so haben auch die Professoren nach 45 für die Universität argumentiert-sei ja im Kern gesund gewesen, nur sei sie eben durch die Nationalsozialisten vergewaltigt worden. Sich in dieser Frage auf andere „Autoritäten“ berufend, resümiert etwa der ehemalige Polizeidirektor Teufel :“Obgleich Schutz-und Kriminalpolizei nach Riege ` von der Gestapo häufig mißbraucht wurden` kann mit Wolfgang Ullrich nachdrücklich festgestellt werden:`Die Methoden der Gestapo waren niemals das Handwerkszeug des Kriminalisten`“(196). Dieses Argument läßt sich leicht verallgemeinern: Die staatliche Bürokratie insgesamt habe im Kern unverändert an ihren tradierten rechtsstaatlichen Verfahrensweisen festgehalten und teilweise sogar „mutig“ den Einbruch der Nationalsozialisten in die bürokratische Normalität durch SA, SS, SD, Gauleiter und Höhere SS-und Polizeiführer abzuwehren versucht.

Ohne diesen ideologischen Hintergrund und die handfesten Interessen vieler ehemaliger Angehöriger der Gestapo,der SS-Polizeiverbände etc. an einer Exkulpation ist auch die wissenschaftliche Diskussion der letzten dreißig Jahre um die Geheime Staatspolizei nur schwer zu verstehen. Denn die Frage, ob nun im Nationalsozialismus letztendlich die Parteiinstanzen eine höhere Legitimation erhalten haben, oder aber diese nicht doch in den Staatsapparat integriert worden seinen ( in dieser Tradition, Tuchel/Schattenfroh,S103) wird sich -wie häufig bei falsch gestellten Fragen- nie eindeutig beantworten lassen. Eines haben die von Tuchel/Schattenfroh (ersterer wiss. Mitarbeiter an der Ausstellung auf dem ehemaligen Gelände von Gestapo und Reichssicherheitshauptamt) in ihrem Buch referierten Arbeiten deutlich gemacht, und die im Ausstellungskatalog (Hsrg.R.Rürup) präsentierten Erlaße,Organorgramme usw. belegen es: Es gab keinen monolithischen Block totalitärer Herrschaft, indem alle Teile des Gewaltsystems verschmolzen waren – wie ihn etwa Ernst Kogon, gerade dem KZ entronnen, im SS-Staat skizziert hat.

Doch wer bei den Fragen nach den verwirrenden Auseinandersetzungen innerhalb der nationalsozialistischen Führungsclique und dem nur schwer zu entschlüsselnden Kompetenzwirrwar von Polizeien (Ordnungspolizei,Kriminal-Geheime Staatspolizei)und Geheimdiensten (vom Nachrichtendienst der Arbeitsfront bis zum SD) stecken bleibt, droht nicht nur die Frage nach der mörderischen Effizienz des nationalsozialistischen Staates aus dem Auge zu verlieren.(dies betonen zurecht Birn,S.3 und Mann,S.289) Er verdrängt zugleich die Frage nach den Tätern und der von Hanna Ahrend an der Figur Eichmanns so erschreckend verdeutlichten“ Banalität des Bösen“ des bürokratisierten Massenmordes.

Wer in der Austellung „Topographie des Terrors“ , im Ausstellungskatalog oder in dem Buch von Tuchel/Schattenfroh hofft, etwas über die Zusammenhänge des nationalsozialistischen Gewaltsystems zu finden , wird entäuscht (siehe zu einer eingehenderen Kritik der Ausstellung, Sonja Zarcharias). Es wird zwar sehr wohl über die Opfer berichtet- die Terrorwelle 1933, die Judenvernichtung, die “ Bekämpfung der Zigeunerplage“ durch die Reichskriminalpolizei. Es werden auch eine Vielzahl an Fakten über die diversen Reorganisationen des Gewaltsystems präsentiert. Nur das, was en detail zu vermessen wäre , wie nämlich Himmler als Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei“(ab Juni 36) und das Reichssicherheitshauptamt staatliche Kontrolle und Massenmord organisierten , befahlen und überwachten,bleibt unaufgearbeitet. Die Prinz Albrechtstr. 8, der Sitz Himmlers und des Reichssicherheitshauptamts, das als reale Behörde ein Phantom,als tödliche Maschinerie jedoch real war, erscheint nur noch als Zentrale der Geheimen Staatspolizei. Damit aber leisten Ausstellung und Tuchel/Schattenfroh der oben zitierten Reduktion des Problems Vorschub- nationalsozialistische Gewaltherrschaft wird auf die Existenz einer besonderen, parastaatlichen Geheimen Staatspolizei reduziert und verfälscht.(siehe den Untertitel von Tuchel/Schattenfroh; im Ausstellungskatalog wird zum RSHA vermerkt ,es habe kein zentrales Gebäude besessen,die Prinz Albrechtstr. sei Postadresse gewesen,danach wird dann der Errichtungserlaß und ein Dienststellenplan abgedruckt, Rürup,S.70ff, das war`s)

Sehr viel mehr – wenn auch aus unterschiedlichen Perpektiven- über die Funktionsweise des nationalsozialistischen Kontroll-und Vernichtungsystems und seine Akteure erfährt man aus den bereits erwähnten Arbeiten von Birn und Mann sowie der Studie von Fangmann/Reifner/Steinborn über die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus.(Auch wenn sie bei weitem nicht so flüssig geschrieben sind wie Tuchel/Schattenfroh und jeweils spezifische eingeschränkte Fragestellungen verfolgen)

Ruth Betina Birn untersucht Funktion wie Sozialprofil der von Himmler ab März 38 ernannten „Höheren SS und Polizeiführer“(HSSPF), ein kleiner, loyaler Stamm von 47 Gefolgsleuten Himmlers .Dieser , gegenüber jeder Bürokratie mit ihren einengenden Regeln mißtrauisch,. suchte sich vor allem über diese ein flexibles „Durchgreifen der Sicherheitsorgane“ zwischen allen Verwaltungsstrukturen hindurch zu erhalten.(Reichsführer -SS“Ich lasse dringend bitten,daß keine törischte Verordnung über den Begriff „Jude“ herauskommt.Mit all diesen törichten Festlegungen binden wir uns ja selbst“,FN2,S103) Die HSSPF sollten gegenüber den regionalen Sicherheits-und Verwaltungsbehörden steuernd und koordinierend wirken. Die Abgrenzungskämpfe der HSSPF sowohl mit Gauleitern wie mit höheren Verwaltungsbeamten werden von Birn nicht unterschlagen, sie sind dem Konzept eines der Verwaltung wie auch der niederen Parteibürokratie übergeordneten „nationalsozialistischen Staatsschutzkorps“(siehe S8ff)immanent. Festzuhalten bleibt – so Birn- ,“daß die herkömmlichen staatlichen Institutionen diesem politischen Anspruch der SS immer mehr Raum gaben. So wurden „rassisch“ begründete Vorgehensweisen von allen beteiligten Stellen problemlos in den Geschäftsgang einbezogen und den HSSPF darin eine Entscheidungsbefugnis eingegräumt. Der Ausgrenzung von SS-und Polizeigerichtsbarkeit leisteten die justizbehörden sogar Vorschub. Hilberg zeigt, daß alle Teilbereiche der deutschen Gesellschaft Anteil an der Vernichtungsmaschinerie hatten. Bei all diesen Maßnahmen kann eine Trennung in staatlichen Bereich und parteieigenen Bereich von einem bestimmten Punkt an nicht mehr aufrechterhalten werden.“(398)

Diese Schlußfolgerung Birns basiert auf der Untersuchung des obersten Führungskaders des von Himmler angestrebten Staatsschutzkorps. Fangmann, Reifner und Steinborn kommen zu ähnlichen Schlußfolgerungen(S.79,106ff)indem sie einen lokalen Polizeiapparat als Ganzen untersuchen.Ihr Abschlußbericht über ein Forschungsprojekt zur Hamburger Polizei im Dritten Reich zeigt nicht nur wie die insgesamt etwa 6000 starke Polizei außerhalb des RSHA in all ihren Teilen in den nationalsozialistischen Terror involviert war- in die Errichtung von Konzentrationslagern, in die Massaker in Polen („Bandenvernichtung“ durch Hamburger Polizei-Bataillonen), die Bekämpfung der „Volksschädlinge“ durch die Kriminalpolizei (Zigeuner,Rassenschänder,Homosexuelle). Zugleich widerlegen die Autoren die von Polizeigeschichtlern wie Kraus,Teufel etc. gepflegte Behauptung, den einzelnen Beamten wäre gar nichts anders übrig geblieben als in die Partei zu gehen und der SS beizutreten. Eine kleine Gruppe von Polizeibeamten blieb vielmehr bis Kriegsende ohne Parteibuch ,ohne entlassen zu werden (S.87), ähnliches gilt für die SS-Mitgliedschaft (101). Aufgrund der Interviews und Archivstudien gelingt es den Autoren auch ein differenziertes Bild der Machtergreifung in der Polizei zu zeichnen. Sicher standen die einfachen Polizisten in der Mehrzahl den Nazis kritisch gegenüber. Sicher wurden 150 Beamte, die als sozialdemokratische Vertrauenspersonen in Schlüsselstellungen saßen oder aber zu den aktiven Gewerkschaftlern und Reichsbanner-Angehörigen gehörten aus dem Dienst entlassen. Ansonsten war es vor allem eine Machtübernahme in und nicht der Polizei.Die Nazis konnten auf ein schon weitgehend konservativ-republikfeindliches Führungspersonal zurückgreifen. Und sie kannten genügend Offiziere und Kommissare, die schon lange mit der NSDAP sympathisierten (wenn auch aus Furcht vor einer Maßregelung bis zum Papen-Putsch nur heimlich) die nun ihre Stunde kommen sahen. Die Autoren nennen bis Juli 35 eine Zahl von nur 63 Personen, die als „Quereinsteiger“ aus SA und NSDAP zur Polizei kamen. Und die in Führungspositionen gerutschten „alten Kämpfer“ aus SA und NSDAP, die sich als unfähig erwiesen, wurden von den Nazis schnell durch gelernte Repressionsexperten ersetzt (Diese Beobachtung läßt sich auch andererorts machen, in Hamburg war es der Stapo-Leiter,S.52).

Reinhard Mann schließlich eröffnet durch seinen Forschungsansatz und Frageweise eine Vielzahl neuer Erkenntnisse über die Funktionsweise des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates und Anregungen für zukünftige Forschungen . Mann knüpft an die kontroverse über die Herrschaftsstruktur im NS-Staat -monolitsch oder polykratisch- die darüberhinausreichende Frage, „zu welchem Grade eine effektive totalitäre Kontrolle des Sozialsystems durch politisch-administrative Instanzen überhaupt realisiert werden konnte.“(44). Mann ging dieser Frage mit einem quantitativ -empirischen Ansatz an, indem er aus der berüchtigten A-Kartei der Gestapo über „allgemein-politisch „in Erscheinung getretene Personen in Düsseldorf, eine Stichprobe von 825 Fällen zog (zur Struktur der Kartei vgl.Tuchel/Schattenfroh,S.125ff). Das Schicksal der dahinter stehenden Personen hat Mann in den Gerichts-und evt. vorhandenen Entschädigungsakten nachgespürt und soweit möglich durch retrospektive Interviews weiter aufzuklären versucht.
Reinhard Mann konnte seine Arbeit nicht mehr selbst abschließen, er starb 1981. Seine KollegInnen vom Zentrum für Historische Sozialforschung haben nun die Ergebnisse zusammengestellt, die trotz aller Lücken im einzelnen zeigen, wie fruchtbringend diese Vorgehensweise war (und zu einer weiteren Nutzung dieser Daten einladen,) .Mann kann anhand der Daten nicht nur zeigen, wie weit die politische Kontrolle bis hinein in alltägliche Bereiche reicht (so führte etwa der Empfang eines Esperanto-Briefes zur politischen Überprüfung durch die Gestapo) Insgesamt registriert Mann 241 Fälle (29%) „nonkonformen Alltagsverhalten“ (Beschimpfungen Hitlers, pessimistische Haltung im Krieg etc). Mann gelint es auf diese Weise auch die gesamte Bandbreite von Widerstand, Resitenz und nonkonformen Verhalten im Nationalsozialismus sichtbar zu machen. Anhand seiner Daten kann Mann darüberhinaus Aussagen über die Funktionsweise des Kontrollapparates selbst machen, indem er der Frage nachgeht, wodurch denn die Ermittlungen der Gestapo in Gang gesetzt wurden.

Dies war eben auch bei der mit einem mächtigen Spitzelnetz ausgestatteten Gestapo nur in 15% der Fälle sie selbst. , wenn auch die mit Prügel herausgepressten „Aussagen bei Vernehmungen“ in gewißerweise noch mit hinzuzurechen wären. Die Gestapo war jedoch in ihrem Bemühen um eine umfassende soziale Kontrolle auf die Hinweise anderer Kontrollorganisationen (SchutzpolizeiJustiz etc) (17% ),auf Informationen kommunaler und staatlicher Behörden ( 7%) und der NS-Organisationen (DAF,Volkswohlfahrt etc) (6%) verwiesen.Und stützen konnte sie sich nicht zuletzt auf Anzeigen aus der Bevölkerung selbst, (26% aller Fälle).Letzteres verweist auf eine Basis des Terrorsystems, die bei einer Beschäftigung mit der Polizei gerne übersehen wird.

Nachtrag: Ein Buch zur Nachkriegsgeschichte

Armand Mergen, ein emeretierter Kriminologieprofessor schreibt im im Vorwort seines Buches über , er wolle die „Story“ des BKA erzählen, nicht jedoch die Geschichte des BKA schreiben. Damit weckt er -und der Verlag- beim Leser falsche Erwartungen. Den hochgespannen Maßstäben eines amerikanischen Sachjournalismus,der Fakten und Erzählung spannend ineinander zu verweben weis, -wie dies etwa R.G.Powers in seiner exzellenten Biographie über Edgar Hoover und das FBI tut- ist Mergen allemal nicht. Ja die Lektoren haben eine sprachliche Überarbeitung der „Story“ die keine ist, völlig unterlassen.

Mergen bewegt in einer Geschichte vor allem die Figur des ehemaligen BKA-Direktors Dickopf. Keine Frage, dies war eine zwielichtige Figur, groß geworden unter den Nationalsozialisten. Doch dies waren- eine bekannte ,von Mergen nur nochmals illustrierten Tatsache- praktisch alle der Repressionsspezialisten, die sich um den Wiederaufbau verdient machten. Dies gilt auch für den von mergen so hochgeschätzten und zum positiven Gegenspieler stilisierten Dullien, der auch nicht dadurch an Größe gewinnt, daß Mergen Dickopf durch eingestreute Mutmaßungen zum zwielichtigen Doppelagenten (der Amerikaner und der Nazis) zu machen sucht. Eine faktenreiche Story über das BKA ergibt sich aus diesem Gemisch von abgedruckten Papieren und weitschweifigen Mergenpassagen sicher nicht, Vergangenheitsbewältigung läßt sich auf diese Weise noch weniger betreiben.