Polizeilicher Schußwaffeneinsatz 1974 – 1989 – ein deutlich rückläufiger Trend

Seit 1974, d.h. in den letzten 16 Jahren, sind mindestens 192 Bürger an den Folgen polizeilichen Schußwaffeneinsatzes gestorben (vgl. Tabelle). Zugleich zeigt die von uns in einigen Details korrigierte Statistik der IMK über Anlässe und Folgen polizeilichen Schußwaffeneinsatzes seit 1976 einige deutliche Trends. Sowohl die jährliche Zahl der Warnschüsse wie der Schußwaffeneinsatz gegen Menschen sind in diesem Zeitraum erheblich – und zwar relativ kontinuierlich – zurückgegangen. Deutlich geringer ist der Rückgang des tödlich endenden polizeilichen Schußwaffengebrauchs. Kurz: Polizisten schießen seltener – allerdings ist die Wahrscheinlichkeit tödlicher Folgen gewachsen.

1. Starke Abnahme polizeilichen Schußwaffeneinsatzes gegen Menschen – geringfügige Abnahme tödlicher Folgen

Die erste Spalte der Tabelle auf der folgenden Seite nennt die jährliche Gesamtzahl polizeilichen Schußwaffeneinsatzes in der Bundesrepublik. In ca. 90% aller Fälle handelt es sich um Schußwaffeneinsatz zum Töten von Tieren. Diese Spalte kann im folgenden vernachlässigt werden.

Beim Schußwaffeneinsatz gegen Menschen (Warnschüsse, gezielt auf Menschen, gezielt auf Sachen) zeigt sich insbesondere bei den Warnschüssen und den gezielten Schüssen auf Menschen seit 1976 ein deutlicher und kontinuierlicher Rückgang. Hinter der Kategorie „Schußwaffeneinsatz gegen Sachen“ verbirgt sich im Regelfall das Schießen auf fahrende PKWs mit hohem Verletzungsrisiko für die Insassen. Auch hier zeigt sich ein rückläufiger Trend, wenn auch nicht so eindeutig. Kurz: die Behauptung, daß bundesdeutsche Polizisten immer mehr und schneller zur Waffe greifen, ist nicht zu halten.

Bezieht man den jährlichen Schußwaffeneinsatz von Polizisten auf die seit 1976 um ca. 30-40% gewachsene Personalstärke der Polizei, so zeigt sich im Gegenteil, daß die Bereitschaft, mit der Dienstwaffe Probleme zu lösen, seit 1976 ganz erheblich – und erfreulich – abgenommen hat. Dies ist im übrigen eine deutliche Parallel-Entwicklung zum Rückgang des Schußwaffengebrauchs durch Straftäter seit 1971 (vgl. die Übersicht in dieser CILIP-Ausgabe).
Zu erwähnen ist, daß es nahezu ausschließlich die Polizisten der Länder sind, die zur Waffe greifen. Abgesehen vom Mogadischu-Einsatz der GSG 9 im Jahre 1977 mit vier Todes-opfern ist uns seit Beginn der CILIP-Dokumentationen kein Fall tödlichen Schußwaffeneinsatzes durch Polizei-beamte des Bundes bekannt gewor-den.

Daß seit 1976 ein relativ kontinuierlicher Rückgang polizeilichen Schuß-waffengebrauchs sowohl bei Warnschüssen, aber auch bei gezielten Schüssen auf Menschen und auf Sachen zu verzeichnen ist, ohne daß anteilig auch die Zahl der Fälle mit tödlichen Folgen entsprechend zurückgegangen ist, kennzeichnet das widersprüchlichste Ergebnis dieses Überblicks. Interpretiert man diesen Widerspruch mit Blick darauf, daß seit 1976 auch die Zahl der von Poli-zeischüssen verletzten Unbeteiligten einen deutlichen und kontinuierlichen Rückgang aufweist, so bietet sich folgende These an. Die intensivere Aus-bildung an der Schußwaffe seit Mitte der 70er Jahre, die zumindest in einigen Bundesländern auch als Training angelegt worden ist, Schußwaffeneinsatz möglichst zu vermeiden, hat in so weit Erfolg gezeitigt, daß in der Tat deutlich seltener die Waffe gezogen und auf Menschen geschossen wird.

Nur: wenn der Polizist gezielt auf Menschen schießt, dann im Laufe der letzten 14 Jahre mit zunehmender tödlicher Treffsicherheit, so daß als Nebenfolge auch seltener Unbeteiligte getötet oder verletzt werden. Die von uns nur schwer zu beurteilende Frage ist, ob dies eine Folge veränderter Trainingsmethoden ist, also der stärkeren Ausbildung im reflexartigen Combat-Schießen oder etwa Folge der Einführung neuer Schußwaffen, insbesondere der unter Waffenexperten umstrittenen neuen Pistolen.

Analysiert man die in CILIP für die Jahre ab 1974 dokumentierten Situationen tödlichen polizeilichen Schußwaffeneinsatzes, so läßt sich kein Trend erkennen, der helfen könnte, diese Entwicklung treffend zu interpretieren. So hat sich seit 1976 der tödliche Schußwaffeneinsatz keines-wegs zunehmend auf Situationen mit besonderem Gefährdungsrisiko für Polizisten konzentriert. Es sind wei-terhin meist Alltagssituationen, in denen überwiegend Streifenbeamte mit tödlichem Ergebnis zur Waffe greifen. Der Anteil tödlich endender Situationen, in denen zuvor mit Schußwaffen ausgerüstete Bürger – oder Straftäter – Polizisten angegriffen haben, hat im Laufe der hier untersuchten 14 Jahre nicht zugenommen.

2. Die Datenbasis – unsinnige Geheimhaltungspraktiken und kleine Fragwürdigkeiten

Seit einem Beschluß des Arbeitskreises II („Öffentliche Sicherheit und Ordnung“) der Innenministerkonferenz (IMK) vom 3.11.1976 wird von der Polizeiführungsakademie eine Sta-tistik des polizeilichen Schußwaffen-einsatzes der Polizeien des Bundes und der Länder geführt. Sie soll so-wohl Anlässe wie Folgen des Schuß-waffeneinsatzes von Seiten der Beam-ten der Länderpolizeien, aber auch der des BKA und des BGS erfassen.

Gezählt wird der dienstliche Schußwaffeneinsatz. Der private Gebrauch der Dienstwaffe (etwa beim Ehestreit) liegt außerhalb der Erfassungskriterien.
Fast ein Jahrzehnt lang wurden diese Zahlen der Öffentlichkeit vorenthalten. Erst 1984 entschloß sich die IMK, Daten dieser Statistik (nicht aber die komplette Grundtabelle) in Form jährlicher Pressemitteilungen des IMK-Vorsitzenden öffentlich zu machen. Für 1988/89 gab es für die CILIP-Redaktion keine Probleme, die Grundtabellen direkt von der IMK-Geschäftsstelle zu erhalten.

Die Statistiken der IMK bieten die Möglichkeit, zumindest die Zahl der von der IMK erfaßten Fälle tödlichen Schußwaffeneinsatzes mit der jährlichen Dokumentation dieser Fälle in CILIP auf Grundlage von Pressemeldungen zu vergleichen. Soweit die von uns erhobenen Daten von denen der IMK abweichen, haben wir dies in den Anmerkungen zur Tabelle „Poli-zeilicher Schußwaffeneinsatz (Bund und Länder) 1974 – 1989“ kenntlich gemacht. Neben Fällen der Selbst-tötung mit der Dienstwaffe, die zeit-weilig in der IMK-Statistik miterfaßt und von uns herausgenommen wur-den, kommt als zweite Abweichung hinzu, daß CILIP über die Pres-sedokumentation immer wieder ein oder zwei Fälle tödlichen polizeili-chen Schußwaffeneinsatzes mehr als die IMK erfassen mußte. Eine Ursache für diese Abweichungen liegt da-rin, daß die IMK 1983 die Erfassungskriterien abänderte und fortan Fälle, in denen Polizisten in Einsatzsi-tuationen nicht vorsätzlich schießen, sondern sich Schüsse mit tödlichen Folgen unbeabsichtigt aus der Dienst-waffe lösen, nicht mehr erfaßt wer-den. „Unfälle (unbeabsichtigte Schuß-abgaben) werden seit der Neuge-staltung des Erfassungsbogens im Jahre 1983 nicht erfaßt“, so die IMK-Geschäftsstelle in einem Schreiben an die CILIP-Redaktion vom 5.6.90. Ein Beispiel hierfür ist der Tod eines Hafturlauber in Wiesbaden am 23.12.1988, der bei einem Gerangel mit zwei Polizisten von einer sich aus der Dienstwaffe lösenden Kugel getötet wurde.

Zu korrigieren haben wir unsere Meldung in CILIP 33, S. 94, Todesschüsse 1988 – Fall 7 – der Tod von Silke Bischoff. Sie wurde nicht – wie wir meldeten, im Kugelhagel von einer Polizeikugel getroffen, sondern, wie die Untersuchungen ergaben, durch einen unbeabsichtigten Schuß des Geiselnehmers Rösner.
Zugleich müssen wir einen in CILIP 33 nicht erfaßten Fall nachtragen (vgl.“Todesschüsse 1988 – Nachtrag“). Wir gehen davon aus, daß die Daten der IMK-Statistik ansonsten zutreffen.