Literatur – Rezensionen und Hinweise

Literatur zum Schwerpunkt

Vorbemerkung: Im folgenden können nur einige wenige Veröffentlichungen zum Thema aufgenommen werden. Eine umfangreiche Übersicht mit Abstracts enthalten zwei Bibliographien aus der COD-Literaturreihe des Bundeskriminalamtes:
Polizeiliche Datenverarbeitung, COD-Literaturreihe Bd. 1, Wiesbaden 1982; enthält Veröffentlichungen aus den Jahren 1973-1982,
Technik im Dienste der Straftatenbekämpfung, COD-Literaturreihe Bd. 9, Wiesbaden 1989; gliedert sich in die Bereiche Polizei- und Kriminaltechnik. Die Aufsätze zur Datenverarbeitung finden sich unter Polizeitechnik. Der Band enthält Veröffentlichungen aus den Jahren 1985-1989.

In der folgenden Übersicht fehlen weitgehend die Hinweise zum Datenschutz und zum Recht in der Datenverarbeitung. Die hier aufgenommenen Beiträge sollen den LeserInnen einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung der polizeilichen EDV ermöglichen. Zunächst sei daher hingewiesen auf die Berichtsbände der Arbeitstagungen des BKA, die BKA-Vortragsreihe: Bd. 20: Datenverarbeitung (1972), Bd. 25: Möglichkeiten und Grenzen der Fahndung (1979), Bd. 28: Polizeiliche Datenverarbeitung (1982) und Bd. 35: Technik im Dienste der Straftatenbekämpfung (1989).

INPOL und die zentralen Komponenten

Wiesel, Georg/ Gerster, Helmut: Das Informationssystem der Polizei INPOL – Konzept und Sachstand, BKA-Schriftenreihe Bd. 46, Wiesbaden 1978
Erster größerer Überblick über INPOL. Die Autoren aus dem BKA haben sich über die Jahre hinweg immer wieder zum Entwicklungsstand der polizeilichen Datenverarbeitung geäußert.

Küster, Dieter: Bund und Länder errichten zentralen Personenindex, in: Deutsche Polizei, 3/1980, S. 17-20

Küster, Dieter: Bund und Länder führen 1981 die Personendatei des Inpol-Systems ein, in: Polizei-Technik-Verkehr, 5/1981, S. 169-175
In der Gesamtschau ergeben die beiden Aufsätze Aufschluß über die Verän-derungen, die mit dem Beschluß der IMK zum Kriminalaktennachweis (KAN) von 1981 hinsichtlich der INPOL-Personendatei entstanden.

Küster, Dieter: Informationstechnologie – Entwicklung und Auswirkungen auf die Polizei, in: BKA-Vortragsreihe Bd. 35, Wiesbaden 1990, S. 167-182
Bisher letzte zusammenfassende Darstellung von INPOL. Der Autor zeigt die bestehenden Schwachstellen und die Entwicklungsperspektiven, die vor allem im Bereich der PC-Anwendung gesehen werden.

Kubica, J.: Was wird aus INPOL?, in: Kriminalistik, 7-8/1981, S. 317-319
Bericht von einem Seminar an der Polizei-Führungsakademie, in dem u.a. auf die Einstellung des Großversuchs der Straftaten-Straftäter-Datei eingegangen wird.

Wiesel, Georg: Befriedigend, aber manches fehlt noch. Ausbaustand des In-formationssystems INPOL – Noch keine Falldatei für Straften von bundesweiter Bedeutung, in: Kriminalistik, 12/1986, S. 587, 590

Kennhöfer, Ulrich: Hat die Kripo resigniert? Die Fortentwicklung des INPOL-Systems stockt, in: Kriminalistik, 4/1987, S. 182 ff.

Kersten, Klaus Ulrich: Das Labyrinth der elektronischen Karteien. Wie Bund und Länder INPOL weiterentwickeln wollen, in: Kriminalistik, 6/1987, S. 325-330 und 7/1987, S. 357-360

Verglichen mit dem Enthusiasmus, der noch aus den offiziellen Darstellungen der ersten Jahre sprach, sind die Beiträge in der polizeilichen Fachliteratur seit Mitte der 80er Jahre realistischer. Technische Probleme werden offener benannt, allerdings nie so pointiert wie in Veröffentlichungen von kritischen Informatikern:

Loewe, Michael/ Wilhelm, Rudolf: Polizeiliche Datenverarbeitung, in: Datenschutz-Nachrichten (DANA), 5-6/1987, S. 32-42
stellen u.a. die Überlastung der Personendatei (KAN etc.) dar und zeigen die Entwicklung in Richtung von ermittlungsunterstützenden und kleineren Ver-fahren.
Ruhmann, Ingo: Datenfrust beim BKA, in: DANA, 2/1988, S. 12-15
wehrt sich u.a. gegen die Behauptung, der Datenschutz hätte die Schwierig-keiten in INPOL hervorgebracht. Nach Meinung des Autors zeigen sich vielmehr typische Probleme der Anwendung: die mangelnde Annahme der Technik durch die Benutzer, die politischen Zwänge und die Schwierigkeiten der Integration technisch z.T. unterschiedlicher Datenverarbeitungssysteme in Bund und Land.

Kauß, Udo: Der suspendierte Datenschutz bei Polizei und Geheimdiensten, Frankfurt/ New York (Campus) 1989
Die geringe Bedeutung des Datenschutzes für die polizeiliche und geheim-dienstliche Datenverarbeitung hebt auch Udo Kauß hervor. Seine Untersuchung zeigt einerseits, daß die Datenverarbeitung der „Sicherheitsbehörden“ im Rahmen der Datenschutzdebatte und durch die Tätigkeit der Beauftragten politisiert wurde. Gleichzeitig wird aber auch die begrenzte Kontrollwirkung des institutionalisierten Datenschutzes benannt, der über eine Schadensbe-grenzung nie hinauskam.
Straftaten-Straftäter-Datei/ Perseveranzproblem

Matussek, Hans: Sind Modus Operandi und Perseveranz im INPOL-System überholt?, in: Der Kriminalist, 9/1975, S. 480-485

Steinke, Wolfgang: Verbesserte Nutzanwendung des INPOL-Systems, in: BGS, 2/1976, S. 23 ff.

Steffen, Wiebke: Untersuchungen der Möglichkeiten datenmäßigen Abgleichs von Tatbegehungsmerkmalen zur Fallzusammenführung, 4 Bde., München (Bayerisches Landeskriminalamt) 1980-82

Weschke, Egon: Modus operandi und Perseveranz. Publikationen der Fach-hochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Bd. 4, Berlin 1983
Weschke, Egon: Modus operandi und Perseveranz, in: Kriminalistik, 5/1984, S. 264-269

BKA (Hg.): Symposium: Perseveranz und kriminalpolizeilicher Meldedienst. Sonderband der BKA-Forschungsreihe, Wiesbaden 1984

Schuster, Leo/ Eyrich, Hans-Jürgen: Zweifel an der generellen Gültigkeit der Perseveranzhypothese, in: Kriminalistik, 10/1984, S. 487 ff.

Oevermann, Ulrich/ Schuster, Leo/ Simm, Andreas: Das Problem der Perseveranz im Delikttyp und Modus operandi, BKA-Forschungsreihe Bd. 17, Wiesbaden 1985
SPUDOK

Paul, Werner: Das EDV-Verfahren der Spurendokumentation (SPUDOK) – Über den Einsatz eines Verwaltungs- und Recherchiersystems für Daten beliebiger Struktur, in: Kriminalistik, 4/1979, S. 150-157

Wittenstein, Heinz: Führungs- und Einsatzunterstützung durch die ADV. Möglichkeiten und Grenzen bei kriminalpolizeilichen Großverfahren, in: Der Kriminalist, 12/1981, S. 576 ff. und 1/1982, S. 21 ff.

Prinz, Heinrich: Anwendung des SPUDOK-Systems bei umfangreichen Er-mittlungskomplexen, in: Der Kriminalist, 5/1985, S. 221 ff.

Busch, Heiner: Spurendokumentationssyteme der Polizei, in: Bürgerrechte & Polizei/ Cilip 26, 1/1987, S. 51 ff.
APIS

Weichert, Thilo: APIS ins Gerede bringen, in: Geheim, 3/ 1988, S. 6-8
Weichert, Thilo: APIS. Die Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit – mehr als ein Rechtsproblem, in: Computer und Recht, 3/1990, S. 213-218 und 4/1990, S. 281-285
Einsatzleitsysteme

Sengespeik, Jürgen: Eine technische ‚Revolution‘ in der Kölner Einsatzleit-stelle CEBI, in: Die Polizei 11/1981, S. 340-343

Lehmann, Gerd: Ein Jahr Computerunterstützte Einsatzleitung – Erfahrungen, Zukunftsperspektiven, in: Die Polizei, 11/1981, S. 336-339

Neumann, Walter: Computerunterstützte Einsatzleitung. CEBI-München, in: Computer und Recht, 7/1987, S. 454-462

Kolata, Horst: Einsatzleitrechner für den täglichen Dienst der Polizei, in: Deutsches Polizeiblatt, 1/1989, S. 3-7
Übertragungsnetze, Dispol, Aussichten mit ISDN

Wenger, Heinz: DISPOL. Das digitale Sondernetz der Polizei in Bayern, in: Die Neue Polizei, 7/1979, S. 179-181

Lotz, Peter/ Funk, Winfried: DISPOL – Das polizeiliche Nachrichtennetz der 80er Jahre, in: Polizei-Technik-Verkehr, 6/1981, S. 223-231

Wenger, Heinz/ Sauermann, Anton/ Wiesend, Eduard: Digitales Sondernetz der bayerischen Polizei, in: Polizei-Verkehr-Technik, 5/1982, S. 112 ff.

Kötter, Klaus: Die Nutzungsmöglichkeiten des künftigen „Dienstintegrierten Digitalnetzes“ (ISDN) der Deutschen Bundespost für ein einheitliches polizeiliches Kommunikationsnetz, in: Die Polizei, 10/1985, S. 313-317

Weber, Günther: Teilnahme der Polizei des Landes Baden-Württemberg am ISDN-Pilotprojekt der deutschen Bundespost, in: Polizei-Verkehr-Technik, 6/1987, S. 158-161

Kötter, Klaus: Das ISDN-Pilotprojekt der Deutschen Bundespost. Polizeibezogene Erkenntnisse und Erfahrungen, in: Die Polizei – Beilage: Neue Polizeitechnik, 9/1989, S. 261-266

Zu einzelnen Aspekten der Telekommunikationstechnik siehe auch:

Deutsches Polizeiblatt, 1/1987 und 1/1988 mit dem Schwerpunkt Telekom-munikationstechnik. Heft 1/1989 widmet sich der „ADV-unterstützten Poli-zeiarbeit“.
(sämtlich: Heiner Busch)

Sonstige Literatur

Gössner, Rolf: Das Anti-Terror-System – Politische Justiz im präventiven Si-cherheitsstaat, Terroristen & Richter 2, Hamburg (VSA) 1991, 416 S., DM 49,80

1.000 Seiten umfaßt die Triologie „Terroristen & Richter“, deren Autoren Heinrich Hannover, Rolf Gössner und Margot Overath sich in unterschiedlicher Weise mit den staatlichen und justitiellen Reaktionen auf die von der RAF, der ‚Bewegung 2. Juni‘ und anderen militanten Gruppierungen der 70er und 80er Jahre verfolgten Politik des bewaffneten Kampfes beschäftigen. Die folgende Rezension konzentriert sich auf die Arbeit von Rolf Gössner, die zwei weiteren Teilstudien werden in der kommenden Ausgabe besprochen.
Gössner, der auch für diesen Informationsdienst bereits geschrieben hat, ist seit 15 Jahren ein aufmerksamer Beobachter und Kritiker der „Politik innerer Sicherheit“. Seine Stärke zeigt er hier erneut im detaillierten Nachzeichnen des staatlichen Gesamtsystems von Institutionen, Strategien und Befugnisver-änderungen, das in der Bundesrepublik seit den 70er Jahren im Namen der Terrorismusbekämpfung aufgebaut worden ist und den Hintergrund bildet für die spezifischen Verfahrensformen in politischen Strafverfahren gegen Links-„Terroristen“ und jene, die der Sympathie und Unterstützung verdächtigt werden. Der sachkundigen Darstellung dieses Systems (Teil 2), aber auch den Abschnitten zur Bedeutung und zum Bedeutungswandel des   129a StGB (Teil 1 und 5) ist kaum zu widersprechen. Daß die Bundesrepublik für politische Strafverfahren eine Quasi-Sonderjustiz entwickelt hat, wird (Teil 3 und 4) einmal mehr mit Gründlichkeit und suggestiver Stärke belegt. Trefflich ist auch Gössners Nachweis für jene alte justitielle Tradition, in „Rechts-“ und „Linksterrorismus“-Verfahren mit zweierlei Maß zu messen.
Insgesamt – soweit es „facts and figures“, aber auch Interpretationen auf mittlerer Ebene betrifft – gibt es kaum erwähnenswerte Einwände. Zu erweitern wäre allenfalls die nahezu ausschließliche Deutung des   129a StGB als Ausforschungsparagraphen (in Teil 1 und 5). Gössner zeigt implizit – u.a. am Beispiel der extensiven Nutzung der U-Haft – dessen weitere, zentrale Funk-tion: Er ermöglicht, im Vorfeld eines gerichtlichen Schuldnachweises und Schuldspruches einzuschüchtern und zu strafen. Hausdurchsuchungen und extensive U-Haft (vgl. S. 295 ff.), verdachtsunabhängige Kontrollstellen sowie insgesamt die Vielzahl von Ermittlungsverfahren, von denen sich abschließend kaum 5 % als „gerichtsfest“ erweisen (wie Gössner zeigt, vgl. S. 289 ff.), hinterlassen bei den Betroffenen und ihrem Umfeld habhafte Spuren. Sie qualifizieren den   129a als vielfältiges Instrument politischer Bestrafung durch Polizei und Staatsanwaltschaft ohne gerichtlichen Schuldnachweis.

„Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“ – so der Titel des Schlußka-pitels. Er drückt sehr präzise mein wachsendes Unbehagen bei der Lektüre dieses Buches aus. Es hinterläßt den Eindruck, daß nahezu alle Detailbeweise stimmen und dennoch das Gesamtbild, das das Buch von der BRD zeichnet, falsch ist.
Zum einen läßt der konzentrierte Blick durch das Vergrößerungsglas auf einen begrenzten gesellschaftlichen Teilbereich (hier das Staatsschutz-System der Bundesrepublik in den 70er und 80er Jahren) den Autor Gefahr laufen, eher blind denn sehend zu werden, da er den Blick vom Ausschnitt nicht wieder zum gesellschaftlichen Ganzen wandern läßt.
Zum anderen blickt der Autor dort, wo er geschichtliche Traditionslinien holzschnittartig andeutet (vgl. insb. S. 13-17), geschichtsblind auf die Ge-schichte politischer Unterdrückung in Deutschland zurück. Hermetisch wird die Geschichte der BRD als widerspruchsfreier Prozeß kontinuierlich zunehmender innerstaatlicher Hochrüstung und politischer Repression von 1949 bis in die Gegenwart präsentiert – ein Prozeß, dessen Traditionslinien nahezu bruchlos auf das Kaiserreich, die Weimarer Republik und den Faschismus zurückführen. Dieser Blick erfaßt keine Brüche, keine Gegentendenzen, keine Phasen gesellschaftlicher Demokratisierung oder z.B. strafrechtlicher Liberalisierung mehr – wie 1968 mit der weitgehenden Streichung des politischen Strafrechts von 1951 oder 1970 mit der Neufassung des Demonstrations-Strafrechts. Gössner verweist (S. 13 ff.) auf das politisch fatale, handlungsleitende Geschichtsbild der 1. RAF-Generation zu Beginn der 70er Jahre und suggeriert, seit dieser Zeit hätte sich nicht nur in bezug auf Auseinandersetzung und Aufarbeitung deutscher Geschichte nichts verändert, sondern die Zunahme politischer Repression sei die einzige sich durchsetzende Tendenz.
Vor dem Hintergrund dieses agitatorisch völlig überzogenen Bildes, mit dem sich die linke Anti-Repressions-Agitation seit Jahren selbst unglaubwürdig macht, bleibt unbegreifbar, wieso sich in der Bundesrepublik  seit den end-sechziger Jahren eine so vielfältige, außerparlamentarische Bewegung ent-wickeln konnte, die das Politikmonopol der drei großen Parteien angriff und um politische Einflußnahme jenseits des formal dafür vorgesehenen Institu-tionengefüges mit seinen Repräsentationsmechanismen stritt. Ohne Zweifel – hier ist Gössner zuzustimmen – war die damit für die Staatsschützer einherge-hende „neue Unübersichtlichkeit“ (vgl. S. 52 ff.) einer der Gründe für den Ausbau der Überwachungsapparate.
Nicht einmal die Mehrzahl jener, die bei den Demonstrationen seit den 70er Jahren mit dem Gummiknüppel erzogen wurden oder durch die Mangel der Berufsverbotspraxis gingen, wird in dem hier gezeichneten Bild der BRD die eigene politische Situation wiedererkennen. Die Klage der Herausgeber dieser Triologie in der Einleitung, daß die bundesdeutsche Staatssicherheitsge-schichte angesichts der DDR-Enthüllungen vollends der kollektiven Verdrängung anheimzufallen drohe, trifft gewiß. Dem ist entgegenzuarbeiten. Nur, das „Geheimnis“ dieser „Verdrängung“ ist, daß die bundesdeutschen Erfahrungen mit staatlicher Repression, gemessen an der Zahl der Betroffenen wie an der Härte der Repression, ungleich begrenzter und kalkulierbarer waren als in der Weimarer Republik, gar im Vergleich zum Faschismus oder zur DDR.
Nicht nur die Repräsentanten des politischen „mainstreams“ der BRD verdrängen – hier haben die Autoren in ihrer gemeinsamen Einleitung völlig recht – repressive Schattenseiten der Bundesrepublik. Auch das diffuse linke Spektrum der BRD verdrängt mit maßstabsloser Kritik den selbstkritischen Blick auf die eigene Geschichte mit ihren Aporien, falschen Einschätzungen und hier und da praktisch werdenden Gewaltphantasien. Man denke nur an die in den letzten zwei Jahren so drastisch offengelegte Ost- oder DDR-Blindheit der „radikalen Linken“.
Gössners Studie bewirkt einerseits, so ist zu fürchten, eher Verfestigung alter und neuer Mythen bei jenen, die dies eh ’schon alles wußten‘ und politisch einsortiert haben, als daß sie in diesem politischen Umfeld aufklärerisch wirken könnte. Die Mythologisierung des allgegenwärtigen Staatsschutzapparates dient unter der Hand der Exkulpation der eigenen Politik, leistet entgegen den Intentionen des Autors keine Aufklärung, sondern führt eher zum resignativen Schulterzucken. Andererseits aber wird das, was an beweisstarker Kritik am bundesdeutschen Staatsicherheitssystem in dieser Studie zweifelsohne enthalten ist, durch die Maßstabslosigkeit leider verschenkt.
(Falco Werkentin)

Schultze-Marmeling, Dietrich/Sotschek, Ralf : Der lange Krieg. Macht und Menschen in Nordirland, Göttingen (Verlag Die Werkstatt) aktualisierte Aufl. 1991, 380 S., DM 36,-
Um es gleich vorab zu sagen, für diejenigen, die sich mit dem nordirischen Konflikt mehr als nur über die übliche Tagespresse beschäftigt haben, bringt das Buch nichts Neues. Wer hingegen einen Einstieg in das Problem sucht oder an einer übersichtlichen Zusammenfassung und Analyse interessiert ist, dem sei es empfohlen. Trotz aller merkbaren Bemühungen um Objektivität sind die Autoren dennoch nicht gefeit, gelegentlich auch leichte Züge von Heldenverehrung in ihre Zeilen fließen zu lassen (insb. S. 198 ff.) – das ist bedauerlich und wirkt störend. Für die bei einer Zusammenfassung unver-meidlichen historischen Sprünge und verkürzten Darstellungen entschädigt die Literaturübersicht am Ende des Buches allemal.
(Otto Diederichs)

Roth, Siegward: Die Kriminalität der Braven, München (Beck) 1991, 164 S., DM 16,80
Das Buch eines Gießener Kriminalbeamten handelt vor allem von der grenzenlosen Naivität des Autors. Vom Zusammenbruch seines Schwarz-Weiß-Weltbildes enttäuscht, sucht er nach Erklärungen für den Umstand, daß weder „böse“ und „kriminell“ zusammenfallen, noch „gut“ und „nichtkri-minell“. Statt jedoch die Differenzen zwischen moralischen und strafrechtlichen Standards herauszuarbeiten, verliert er sich in einer Mischung aus polizeilichen Alltagserfahrungen, längst bekannten Trivialitäten und psychoanalytischen Einsprengseln. Interessant sind allenfalls die wenigen Bemerkungen über die Abwehr, mit der seine polizeilichen Kollegen auf seine Beobachtung reagierten, und die Schilderung seiner Teilnahme an der Bonner Friedensdemo vom 10.10.1981. Während erstere darauf verweisen, wie weitverbreitet die blinde Identifikation mit dem Apparat ist, gerät letztere zur Satire des gesetzestreuen Ordnungshüters, der sich die Teilnahme an einer Demonstration gegen seine eigenen Skrupel erkämpft.
(Norbert Pütter)
STASI

Sélitrenny, Rita/Weichert, Thilo: Das unheimliche Erbe. Die Spionageabteilung der Stasi, Leipzig (Forum Verlag) 1991, 276 S., DM 19,80
Schon wieder ein Buch über die Stasi, wird mancher stöhnen. Weit gefehlt: Dieser Band beschäftigt sich als erster mit der Hauptabteilung Aufklärung (HVA), die während der Wendezeit das Privileg genoß, sich weitgehend selbst aufzulösen und dabei die meisten über sie existierenden Akten beiseite geschafft hat. Nicht so in Leipzig, wo die Bürgerkomitees auch Zugriff auf Unterlagen der Bezirksabteilung der HVA hatten. Daraus versuchen Sélitrenny und Weichert nun, die Struktur und Vorgehensweise der HVA als Ganzes zu rekonstruieren – was notgedrungen lückenhaft bleiben muß. Dennoch erfolgen viele Klarstellungen: Die HVA war nicht, wie sie gerne glauben machen will, ein ausschließlich im Ausland operierender Nachrichtendienst, sondern war engstens in die innenpolitische Repression verstrickt (S. 96 ff.). Auch Bezüge zu den Brudergeheimdiensten im Osten werden offengelegt (S. 114 ff.). Am wichtigsten aber für die Vergangenheitsbewältigung der westdeutschen Linken sind die vorgelegten Dokumente über die Infiltration der Friedensbewegung (S. 196 ff.).
(Bernhard Gill)

Gill, D./ Schröter, U.: Das Ministerium für Staatssicherheit – Anatomie des Mielke-Imperiums, Berlin (Rowohlt-Berlin) 1991, 530 S., DM 36,–
Die Namen der Verfasser machen Hoffnung. Beide arbeiteten an wichtiger Stelle beim Versuch, den DDR-Geheimdienst aufzulösen. Schröter als kir-chenbeauftragter Regierungsbevollmächtigter und Gill als Vorsitzender des Berliner Bürgerkomitees Normannenstraße. Der Zweitgenannte ist sich bis heute treugeblieben und arbeitet als Pressesprecher der „Gauck-Behörde“. Ihr Buch gliedert sich in drei Teile.
Inhaltlich bringt Teil 1 (Struktur und Arbeitsweise des MfS) nicht viel neues. Die Autoren beschränken sich überwiegend auf die bekannten Repressivstrukturen des MfS. Die Auslandsspionage kommt viel zu kurz, desgleichen die Abschnitte über die geschichtliche Entwicklung der „Firma“. Unerklärlich ist, warum die Autoren, wider besseres Wissen, eine äußerst dürftige Beschreibung des Archivaufbaus liefern. Gut ist das Buch immer da, wo es die verschiedensten MfS-Dienstanweisungen, -Befehle und -Referate interpretiert und deren Terminologie in menschliche Sprache überträgt.
Teil 2 schildert chronologisch den Auflösungsprozeß des MfS von der Modrow-Regierung bis zu den letzten Tagen der Volkskammer. Der Bericht läßt zwar nichts aus, ist jedoch sehr unkritisch. Das Problem der Einflußnahme von Inoffiziellen Mitarbeitern, des MfS und anderer Dienste auf den Auflö-sungsprozeß wird überhaupt nicht diskutiert. Die Dokumentenauswahl im dritten Teil ist gelungen.
Abschließend ist anzumerken, daß die Autoren, dort wo es angebracht wäre, keine Auseinandersetzung (ganze 2 Sätze auf 527 Seiten) mit der Existenzbe-rechtigung von Geheimdiensten an sich führen. Diese Haltung ist leider auch bei vielen anderen Ex-DDRlern mit Stasi-Erfahrungen anzutreffen.
(Andreas Schreier – Bürgerkomitee 15. Januar)

Polizeigeschichte

Leßmann, Peter: Die preußische Schutzpolizei in der Weimarer Republik – Streifendienst und Straßenkampf, Düsseldorf (Droste) 1989, 448 S., DM 48,-

Über Jahrzehnte blieb Polizeigeschichte ein Stiefkind der historischen For-schung in der Bundesrepublik. Inzwischen hat sich die Forschungslage zur Polizei der Weimarer Republik halbwegs verbessert (vgl. Sammelrezension in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 33, 2/1988). Die nun vorgelegte, auf umfangreiche Quellenstudien fußende Gesamtdarstellung der preußischen Polizei vom Zusammenbruch des Kaiserreiches bis zur Machtergreifung der Natio-nalsozialisten komplettiert die bisherigen Spezialstudien. Der Autor bettet die Geschichte der preußischen Polizei der Weimarer Republik in den politischen und sozialen Kontext dieser Zeit ein. Das Verhältnis der Schutzpolizei zur Reichswehr und den paramilitärischen Verbänden, die Beamtenpolitik sozialdemokratischer Innenminister, Ausbildung und Einsatzformen sowie die Rolle der Polizei beim sog. Preußenschlag des Jahres 1932 sind Schwerpunkte der Studie. Nachhaltig kratzt der Autor am Severing-Bild und der Legende, dieser Innenminister habe sich um eine demokratische, volksnahe Polizei verdient gemacht. Im Gegenteil, nicht die Entmilitarisierung der Polizei, sondern – gemessen an der preußischen Polizei des Kaiserreiches – eine konsequente Militarisierung war das Ergebnis sozialdemokratischer Polizeipolitik. Dem damit geprägten „Geist“ dieser Polizei entsprach, daß sich die Nazis bis zum 31.12.1933 lediglich bei 1,7 % aller Wachtmeister und 7,3 % aller Polizeioffiziere zur Entlassung genötigt sahen. Leßmanns Studie verdient, als Standard-Werk bezeichnet zu werden.
(Falco Werkentin)

Lang, Jochen von: Die Gestapo – Instrument des Terrors, Hamburg (Rasch und Röhring) 1990, 327 S., DM 39,80
J. v. Langs journalistisch geschriebene Arbeit ist eine Täter-Opfer-Geschichte der Gestapo, mit der sich der Autor bewußt von wissenschaftlichen Studien absetzt, um ein „lesbares“ Buch vorlegen zu können, wie es in der von seinem Mitarbeiter Claus Sibyll formulierten Einleitung heißt. Es wird nicht beansprucht, neue Erkenntnisse zu vermitteln. Vielmehr sei das Ziel, über das „dunkelste Kapitel“ deutscher Geschichte zu informieren und „möglichst viele Menschen vor autoritären Politikern zu warnen.“ Gewiß, das Buch informiert über den brutalen Terror der Gestapo. Gleichwohl bleibt der Eindruck, den das Buch hinterläßt, äußerst zwiespältig. Geschichte wird aufs äußerste personalisiert, zeitgeschichtlicher Kontext kaum vermittelt, nach den Gründen des Funktionierens dieses Systems nicht gefragt. Allzu deutlich wird auf eine hohe Auflage geschielt. Offenbar um den Lesern einen Wiedererkennungseffekt zu ermöglichen, wird in erster Linie das Schicksal bekannter Opfer (von Thälmann bis Canaris) in Erinnerung gerufen. Daß parallel zur systematischen Willkür des Gestapo-Systems die Regularien einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ungebrochen erhalten blieben, liegt jenseits des Horizonts des Autors. So ist das Buch keineswegs ein Beitrag, um in verständlicher Form das faschistische System begreifbar zu machen.
(Falco Werkentin)

Peter Nitschke: Verbrechensbekämpfung und Verwaltung. Die Entstehung der Polizei in der Grafschaft Lippe, 1700-1814, Münster/ N.Y. (Waxmann) 1990, 222 S., DM 49,90
Die Etablierung des Gewaltmonopols und seiner Instrumente wird in dieser Dissertation nur wenig überzeugend geschildert. Zentrale Fragen (nach der Definition von Sicherheitsgefährdungen oder dem Verhalten der Untertanen gegenüber den Regulierungsversuchen) werden nicht gestellt. Beschränkt auf administrative Vorhaben und deren Umsetzung, werden Subjekte nur als Objekt der Bürokratie wahrgenommen. Die fehlende Kritik der Quellen entwertet die Arbeit ebenso wie der Gebrauch des Begriffs „Innere Sicherheit“ für das 18. Jahrhundert.
(Norbert Pütter)

Ralph Jessen: Polizei im Industrierevier. Modernisierung und Herrschaftspraxis im westfälischen Ruhrgebiet 1848-1914, Göttingen (Vandenhoek) 1991, 408 S., DM 68,–
Jessens Arbeit, ebenfalls eine historische Dissertation, empirisch beschränkt auf eine Region (und eine Phase) rasanter Industrialisierung, rekonstruiert und analysiert die Reaktionen der Polizei(en) auf diesen Prozeß und dessen Folgewirkungen (Mobilität, Urbanisierung, Proletarisierung etc.). Durch verschiedene Zugänge beleuchtet der Autor relevante Veränderungen polizei-licher Apparate, Strategien und Ziele: die personelle Ausstattung, das Ver-hältnis von Gendarmerie, staatlicher und kommunaler Polizei (mit einem in-teressanten Kapitel über die Zechenwehren), die soziale Rekrutierung des Personals, die „Verberuflichung“ der Polizei sowie die „Praxis polizeilicher Disziplinierung“. Die Ausbildung einer (modernen) Polizei, so die Kernthese des Buches, resultierte aus der Auflösung traditioneller Instanzen sozialer Kontrolle. Sie wurde bestimmt von der Wahrnehmung gesellschaftlicher Ver-änderungen, den unterschiedlichen Versuchen auf diese zu reagieren, den je-weiligen Interessen, die tangiert wurden, sowie den unintendieren aus derar-tigen Reaktionsversuchen entstehenden Folgen. Die Darstellung ist empirisch breit angelegt und macht eine Vielzahl aus Akten destillierte Fakten (sowie deren zeitgenössische „Verarbeitung“) öffentlich. Wohltuend auch der Verzicht auf plakative Argumentationen; das Eindeutige seiner Ergebnisse, so sinngemäß der Autor, ist die Uneindeutigkeit der geschilderten historischen Prozesse. Dies gilt sowohl für die versuchte Bilanzierung der disziplinierenden Wirkung polizeilichen Handelns als auch für die Bewertung des institutionellen Arrangements von Polizeien, Wehren und Militär. Problematisch an der Untersuchung scheint jedoch die umstandslose Übernahme des Moderni-sierungskonzepts. Zwar werden deutlich Kosten und Nutzen der Modernisierung aufgelistet, ihre aus der Gegenwart gewonnene „Zielgröße“ wird jedoch nicht in Frage gestellt. Die historischen Positionen erscheinen so als förderlich oder hinderlich im (festliegenden) Modernisierungprozeß, nicht aber als Alternativen einer „anderen Modernisierung“.
(Norbert Pütter)

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