20 Jahre polizeiliche Informationstechnik

Der Startschuß für den bundesweiten Einsatz von Informationstechnik bei der deutschen Polizei fiel im Jahre 1972. Mit insgesamt 35 angeschlossenen Terminals wurde das „Informationssystem Polizei“ (INPOL) gestartet. In den zurückliegenden 20 Jah-ren ist die polizeiliche Informationstechnik nicht nur stark angewachsen, auch die dahinterstehenden Konzeptionen wurden mehr-fach geändert. Ausschlaggebend dabei waren vier Faktoren: die technische Entwicklung, die polizeilichen Bedürfnisse und Interes-sen, die finanziellen Kapazitäten und – wenn auch nur in geringem Maße – der Datenschutz.

1. Ansatz: INPOL-Personenfahndung

Während die Länder in den späten 60er Jahren zunächst begonnen hatten ei-genständige Ansätze zur Einfürung der Elektronischen Datenverarbeitung (EDV) in die polizeiliche Tätigkeit zu entwickeln und dabei z.T. auch inkompatible Techniken benutzten, setzte das ab 1972 aufgebaute INPOL-System erstmals bundesweite Akzente. Als erste Komponente wurde die Personenfahndung eingeführt. Der Fahndungsbestand, der bis dahin im ‚Deutschen Fahndungsbuch‘ enthalten war, wurde in den folgenden Jahren schrittweise computerisiert. Das unhandliche Fahndungsbuch – dessen Erstellung und Auslieferung an die Dienststellen mehrere Wochen in Anspruch nahm – wurde von der sekundenschnell abfragbaren Fahndungsdatei verdrängt.

Anhand der Fahndungsabfrage, einem einfachen „Dialog“, wurden zugleich auch die wesentlichen Prinzipien des Verbundsystems entwickelt. Verbunden wurden die technisch unterschiedlichen Datenverarbeitungssysteme der Landespolizeien und das zentrale Datenverarbeitungssystem des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Fahndungsdaten wurden in allen beteiligten Systemen parallel gespeichert und sind von jedem Terminal aus erreichbar – ob nun direkt an das BKA oder an ein Landessystem angeschlossen. Änderungen oder Löschungen können via Terminal durch die Datenbesitzer, d.h. die ausschreibende Dienststelle, selbst vorgenommen werden. Durch den Verbund bleiben auch die Datenbestände der übrigen Beteiligten immer aktuell.

Die Umstellung der Personenfahndung auf EDV war eine erhebliche bürokratische Rationalisierung und wurde daher stets als erfolgversprechendes Beispiel genannt. Neue Methoden, wie etwa die verdachtsunabhängige Kontrollstelle, wurden dadurch erst ermöglicht – mit dem Fahndungsbuch hätte jede Massenkontrolle unweigerlich in einem riesenhaften Stau geendet. Konnten die Zahlen der Fahndungsaufgriffe in den ersten Jahren zunächst kontinuierlich gesteigert werden, so war ab Ende der 70er Jahre eine Stagnation unausweichlich.

2. Ansatz: Straftaten-/Straftäterdatei

Mit einer zweiten Version des INPOL-Konzeptes sollten die erfolgreichen Wege weiter beschritten werden. Ziel der Neuauflage war eine umfassende Straftaten-/Straftäter-Datei (SSD). Dieser „modus-operandi-Datei“ lag die Vorstellung zugrunde, daß Straftäter den von ihnen begangenen Delikten und den dabei einmal angewandten Begehungsweisen (modus operandi) treu bleiben. Aufgrund dieser angenommenen Perseveranz sollte der Vergleich von aufgeklärten mit ungeklärten Straftaten neue Ansätze für die Ermittlung schaffen.

Als erster Schritt hierzu wurde die Personenkomponente der SSD aufgebaut, die den Namen ‚Zentraler Personenindex‘ (ZPI) erhielt. Nicht nur die Personalien von Verdächtigen, auch die von Zeugen, Hinweisgebern etc. wurden in diesem Programm sowohl auf Bundesebene als auch bei den Landeskriminalämtern erfaßt. Parallel dazu wurde ein Großversuch gestartet, bei dem bundesweit ausgewählte (im Saarland sämtliche) Delikte erfaßt und katalogisiert werden sollten. Ein weiteres Ziel dabei war, den kriminalpolizeilichen Meldedienst zu computerisieren.

1980/81 – Beschneidung des Größenwahns

Die Wende zum neuen Jahrzehnt brachte auch eine Wende für INPOL, für die es zwei Gründe gab:
– Zum einen stellte sich der Großversuch der SSD als großer Flop heraus. Die beabsichtigte Katalogisierung von Straftaten stieß auf erhebliche Schwie-rigkeiten. Die Kataloge wurden von Sachbearbeitern unterschiedlich gehandhabt, und auch die Standardisierung der Erfassung bereitete große Schwierigkeiten. Wäre es dabei nur um technische und praktische Probleme gegangen, so hätte SSD in dieser Form noch eine Chance gehabt. Tatsächlich jedoch ging es an die Grundsubstanz der Perseveranz-Theorie, die sich zumindest in der bisherigen Form nicht mehr halten ließ. In der Folge entbrannte eine der wenigen großen innerpolizeilichen Kontroversen. Verteidiger und Gegner der Perseveranz-These lieferten sich im kriminalpolizeilichen Fachorgan „Krimi-nalistik“ und den polizeiinternen Forschungen eine zum Teil polemische Debatte. Die SSD wurde zunächst reduziert auf einige zentrale Falldateien. Die Umstellung des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes auf EDV harrt noch immer der Verwirklichung:

– Zum anderen revidierte die Innenministerkonferenz (IMK) auf Drängen der Datenschutzbeauftragten das Konzept des ZPI. Mit dem Beschluß zum ‚Kriminalaktennachweis‘ (KAN) wurden die Personendateien (mit Ausnahme der Fahndung) regionalisiert. Nur noch bei schweren und überregional relevanten Straftaten sollten die Daten der Verdächtigen zentral beim BKA gespeichert werden dürfen. Die Reaktion der führenden Polizeibeamten in den ersten Jahren nach der Umstellung war heftig.

Der KAN-Beschluß und die ‚Richtlinien zur Führung von Kriminalpolizeilichen Sammlungen‘ (KpS-Richtlinien) von 1981, die zum ersten Mal – wenn auch nur per Rechtsverordnung – Fristen einführten, nach deren Ablauf die weitere Erforderlichkeit der Speicherung eines Datums geprüft werden muß, bildeten die einzigen größeren politischen Einschnitte in die polizeiliche Da-tenverarbeitung. Der KAN-Beschluß hatte vor allem eine größere Umorganisierung zur Folge. Erst Ende 1983 konnte der KAN im Verbund zwischen dem BKA und den Systemen der Landeskriminalämter (LKÄ) daher in Betrieb gehen. Bei den anderen Personendateien (Haftdatei, Erkennungsdienstdatei) verzögerte sich die Einführung noch weiter.
Die Bedeutung der KpS-Richtlinien ist vor allem darin zu sehen, daß alte und inaktuelle Daten gelöscht werden mußten. Die Tatsache, daß nach der Einführung der KpS-Richtlinien allein in Baden-Württemberg 58.000 Datensätze gelöscht werden mußten, verdeutlicht die quantitative Begrenzung, die von den Richtlinien ausging. Zum anderen wird daran erkennbar, wie viele (letztlich auch nach Kriterien bürokratischer Rationalität) unnötige Daten die Polizei gespeichert hielt.
Was vor dem Hintergrund polizeilicher Proteste zunächst als Erfolg des Da-tenschutzes erschien, reduziert sich bei genauerer Betrachtung als notwendige Rationalisierung. Dies um so mehr, als es sich beim KAN und bei den korre-spondierenden Komponenten der Landessysteme um bloße Hinweissysteme handelt, die auch nach der Reduzierung noch viel zu groß sein dürften, denn die Bestimmungen über die zur bundesweiten Speicherung zugelassenen Daten sind sehr weitmaschig. Dies hat zur Folge, daß z.B. Daten über alltägliche Auseindersetzungen, die als Sachbeschädigungen, Körperverletzungen o.ä. angezeigt und vermutlich nie mehr gebraucht werden, erst nach Ablauf der Prüffrist gelöscht werden. Die Bedeutung von Hinweissystemen wie des KAN reduziert sich daher vielfach auf eine rein buchhalterische, die etwa zur Erstellung der polizeilichen Kriminalstatistik dient.

Von PIOS2 zum PC – Ermittlungsunterstützung

Im Unterschied zu solchen reinen Hinweisdateien kommt den PIOS-Dateien eine größere Bedeutung für die Recherchetätigkeit zu. Während die Datensätze im KAN nur auf die jeweiligen aktenmäßigen Fundstellen verweisen, enthalten die Datensätze in PIOS-Systemen Hinweise, die sie mit anderen Datensätzen verknüpfen, sowie freitextliche Informationen über eine Person, Institution, ein Objekt (z.B. eine Wohnung) oder eine Sache. Recherchiert werden kann über die Verknüpfungshinweise und über Suchworte, wobei jeder Begriff verwendbar ist und auch im freien Text gesucht werden kann.

Diese Dateiform wurde 1976 zum ersten Mal in der Terrorismusbekämpfung eingesetzt, war aber nie nur für diesen Bereich gedacht. 1986 wurde das Konzept überarbeitet. ‚PIOS-Terrorismus‘ und ‚PIOS-Staatsgefährdung‘ wur-den zusammengelegt zur ‚Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit‘ (APIS). Nach demselben Muster funktionieren APOK (Arbeitsdatei PIOS Organisierte Kriminalität) und APR (Arbeitsdatei PIOS Rauschgift) (Siehe hierzu auch S. 46). Wie schon an den Dateinamen erkennbar, fand diese Konzeption vor allem in den Spezialbereichen der kriminalpolizeilichen Ermittlung ihre Anwendung. APIS ist ausschließlich für die Staatsschutzabteilungen, APOK nur für die Spezialdienststellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zugänglich. Alle PIOS-Dateien werden als Zentraldateien geführt, d.h. die Speicherung erfolgt ausschließlich im BKA, der Zugriff von außerhalb geschieht über direkt angeschlossene Terminals. Während die Funktion der Fahndungsdatei darin besteht, die Fahndungsnotierungen möglichst allen Beamten auf jeder Stufe der polizeilichen Tätigkeit zugänglich zu machen, und Hinweisdateien wie KAN allen kriminalpolizeilichen Sachbearbeitern den Zugriff auf die Akten einer entsprechenden Person eröffnen sollen, geht es bei den PIOS-Dateien darum, den Zugang der normalen Polizeibeamten zu den (häufig durch V-Leute oder verdeckte Ermittler zusammengetragenen) Daten auszuschließen. Entsprechend ist auch der Inhalt dieser Dateien. Nicht nur Verdächtige sind hier gespeichert, sondern auch Kontaktpersonen, Personen, die einem bestimmten Umfeld angehören oder sich an einem observierten Ort aufhielten etc. Die Daten sind dementsprechend sensibel: sie enthalten nicht nur sog. harte Daten (Personalien, Hinweise auf Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen), sondern auch bloße Vermutungen, Beobachtungen, ungeprüfte Hinweise. Die Speicherung der sog. „anderen Personen“ ist bereits mehrfach von den Datenschutzbeauftragten gerügt worden.

Ähnliche Probleme zeigen sich bei den Spurendokumentationen (SPUDOK), einem Verfahren, das von den Landeskriminalämtern (LKÄ) Nordrhein-Westfalens und Bayerns entwickelt wurde. Es soll die im Rahmen von größeren Ermittlungskomplexen anfallenden Informationen erschließen helfen. Spudok-Dateien, die sowohl vom BKA als auch von den LKÄ betrieben werden können, sollen nur zeitlich begrenzt angelegt werden. Nach Abschluß des Verfahrens sollen die Dateien aufgelöst und die Daten entweder gelöscht oder – falls sie von weiterer Bedeutung sind – in ein entsprechendes PIOS-System überführt werden. In vielen Fällen werden die Verfahren aber über Jahre hinweg geführt, so daß von einer im eigentlichen Sinne temporären Speicherung nicht mehr die Rede sein kann. Besondere Bekanntheit erreichten die Spudok-Verfahren, mit denen in Göttingen die linke Szene oder die Anti-Atom-Bewegung im Wendland ausgeleuchtet wurden.

Die Inflation der Spudok-Anwendungen und mehr noch der wachsende Einsatz von Personalcomputern zeigt nicht nur die Anwendung der EDV bei der Ermittlungstätigkeit insbesondere von Spezialdienststellen oder Sonderkom-missionen der Kriminalpolizei, sondern auch die Tendenz zur Benutzung kleinerer Dateiformen mit einer überschaubaren Datenmenge und entsprechend größerer Schnelligkeit. Diese Entwicklung entspricht dem allgemeinen Trend technischer Entwicklung, wie er im privatwirtschaftlichen Bereich schon früher durchgeschlagen hat.

Kommunikationstechnologie

Neben den direkten Ermittlungshilfen wurde in den 80er Jahren auch dem Übertragungsnetz größere Bedeutung eingeräumt. Bereits seit Ende der 70er Jahre wurde der Plan verfolgt, ein ‚Digitales integriertes Sondernetz der Po-lizei für Sprache, Daten und Bilder‘, kurz: DISPOL, zu schaffen. Abgezielt wurde dabei nicht nur auf die Zusammenfassung der verschiedenen polizeilichen Kommunikationsnetze in einem einzigen, sondern zugleich auch auf die Entlastung der Datenverarbeitungszentralen. Die Informationswege sollten nicht länger – wie bei INPOL – sternförmig über die Zentralen des BKAs oder der Landeskriminalämter verlaufen. Angestrebt wurde nun eine Vermaschung, die es z.B. einem LKA erlauben würde, direkt beim System des Nachbarlandes anzufragen oder dorthin Informationen weiterzuleiten. Die Zentralen sollten so entlastet und die Kommunikation durch den Einsatz von modernen Vermittlungsrechnern (Netzknotenrechnern) beschleunigt werden. Außerdem wäre damit die durch den KAN-Beschluß erfolgte Regionalisierung der Speicherung wieder ausgehebelt.

DISPOL wurde nur in Bayern auf Landesebene umgesetzt. Andere Bundesländer – z.B. Niedersachsen – begnügten sich mit der Integration von Fernschreib- und Datensystemen. Berlin bedient sich eines automatischen Vermittlungssystems (Transdata-Terminal-System), das dem ‚Informationssystem Verbrechensbekämpfung‘ (ISVB) vorgeschaltet ist und die Anfrage vom Terminal an das entsprechende Programm des ISVB oder der INPOL-Zentrale beim BKA lenkt. Mit der Einführung der ISDN-Technologie (Integrated Services Digital Network) durch die Bundespost erhält diese Kommunikationstechnik auch bei der Polizei immer größere Bedeutung. Zwar wäre die Verwirklichung von DISPOL erheblich besser realisierbar als noch Anfang der 80er Jahre, doch sind die tatsächlichen Chancen der Realisierung wohl eher gering. Zum einen würde ein solches Konzept, das letztmalig während einer Arbeitstagung des BKA 1988 angesprochen wurde,4 über einen längeren Zeitraum erhebliche Investitionen erfordern; zum anderen wird unterdessen vor allem seitens der Länder argumentiert, daß getrennte Netze insbesondere bei Großlagen größere Flexibilität bedeuten würden.

Vielfach ließen sich die Polizeien anfangs von dem überschäumenden elek-tronischen Markt mitreißen. Planlosigkeit und technische Inkompatibilitäten waren das Ergebnis. Vielfach wird zunächst also die Modernisierung der vor einem Jahrzehnt noch hochmodernen Techniken anstehen.

Heiner Busch ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
1 s. „Literatur zum Schwerpunkt“
2 PIOS steht für Personen, Institutionen, Objekte und Sachen
3 vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 26, 1/1987, S. 51
4 vgl. Küster, Informationstechnologie, Entwicklung und Auswirkungen auf die Polizei, in: BKA-Vortragsreihe Bd. 35, 1990, S. 180