Moderne Großstadtpolizei – der mühsame Weg zur polizeilichen Datenerfassung

von Cordula Albrecht

Während vor der Polizeireform in Tagebücher per Hand eine Kurzfassung des Geschehens und die Personalien der Betroffenen eingetragen wurden, wurden im Zuge der Polizeireform (ab 1974) Computer angeschafft. Den entsprechenden Großauftrag erhielt eine Computerfirma, von der gemunkelt wurde, daß die Polizei insbesondere deshalb dort zum Einkauf verpflichtet worden sei, um auf diese Weise die Firma vor dem Konkurs zu retten. Nach und nach wurden daraufhin die altbewährten Tagebücher, die auf jedem Revier und jeder Kriminalinspektion akkurat geführt worden waren, abgeschafft.

Die Produkte der erwähnten Firma – die der polizeiliche Großauftrag letztlich doch nicht retten konnte – stellten sich im Laufe der nächsten Jahre als Flop heraus; schon die Tastatur war so schwergängig, daß vielen Beamten und Be-amtinnen sämtliche Fingernägel abbrachen, noch ehe das Formular erstellt war. Hatte sich einmal ein Finger verirrt und auf dem Vordruck erschien ein falsches Zeichen, so mußte dies mühsam korrigiert werden. War der Tippfehler nicht bemerkt worden, so wurde eine Fehlermeldung ausgedruckt und das gesamte Formular mußte neu geschrieben werden. In diesem Sinne bedeutete „EDV“ für den Beamten „er darf verschwenden“ – das Papier! Häufig wurden an den wenigen Terminals von den schlangestehenden Sachbearbeitern Wetten darüber abgeschlossen, ob das per Hand einzulegende Formular denn richtig einrasten würde oder wie oft es vorher wohl durchrutschen würde.

EDV stays West

Die einzelnen Polizeiabschnitte, auf denen der Großteil der Dateneingabe be-ginnt, wurden von Anbeginn relativ gut ausgestattet. Geht ein Bürger oder eine Bürgerin zu einem Abschnitt und erstattet z.B. eine Anzeige, so wird diese unmittelbar in das ‚Informationssystem für Verbrechensbekämpfung‘, kurz ISVB, eingegeben und der/die Anzeigende erhält eine Vorgangsnummer. Die Anzeige selbst wird an die Kripo zur Weiterbearbeitung abgegeben. Der/die Anzeigende kann die Vorgangsnummer nun einerseits der Versicherung melden, damit eine möglichst rasche Schadensregulierung erfolgen kann. Des weiteren hilft die Nummer den Betroffenen, sich bei den jeweiligen Auskunftstellen der Direktionen zu den zuständigen Sachbearbeitern durchzufragen, z.B. um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen.
So weit, so gut. Bis zum Oktober 1990 lief dies alles in den eingefahrenen Bahnen. Nun allerdings wurden die Zuständigkeiten der (West-) Berliner Polizei auch auf den ehemaligen Ostteil der Stadt ausgedehnt. Damit gab es neue Probleme. Nahm etwa ein Kriminalbeamter im Ostteil eine Anzeige auf, so konnte er die edv-mäßige Bearbeitung dort noch nicht durchführen. Hierzu mußte er sich in den Westteil begeben, was naturgemäß zu großen Zeitverzögerungen führte. Der zeitliche Aufwand vergällte vielen ihre Tätigkeit, da er sie von der weiteren Ermittlungsarbeit nicht unerheblich abhielt. Allerdings entstand nicht nur hierdurch ein entsprechender Zeitverzug. Nicht wenig Zeit wurde gebraucht, den Betroffenen diese Problematik zu erläutern und für die langen Warte- und Bearbeitungszeiten um Verständnis zu werben. Bevor ein Vorgang nämlich an die Staats- oder Amtsanwaltschaft abgegeben werden kann, müssen zunächst statistische und erläuternde Daten zu jedem Vorgang eingegeben werden. Die Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen der Kripo mußten sich also mindestens zweimal auf den Weg „westwärts“ machen, um den Vorgang computermäßig zu bearbeiten. Da Leitungen zum Hauptrechner im Ostteil Berlins nicht vorhanden waren, konnte nicht einmal die sonst bei der Polizei so beliebte Flickschusterei betrieben werden, indem Eingabegeräte aus dem Westteil im Ostteil installiert wurden.

EDV goes Ost

Bereits vor der Vereinigung der Stadt war der Bedarf an Dateneingabegeräten größer als der tatsächliche Bestand, denn pro Inspektion stand zumeist nur ein Gerät zur Verfügung. Die Auslastung ist folglich enorm, wenn man bedenkt, daß in den Kriminalinspektionen zwischen 60 und 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, die in der Regel jeweils zwischen 30 und 100 Vorgänge zu bearbeiten haben. Mit der Vereinigung ist diese Vorgangsbelastung in einigen Bereichen noch einmal erheblich gestiegen. Allerdings müssen die Kolleginnen und Kollegen mit ihren Vorgängen nun nicht mehr zu einem Terminal im Westen fahren, um die Bearbeitung durchzuführen.
Damit sind die zeitlichen Verzögerungen nicht mehr ganz so groß. Inzwischen hat die Polizei zudem anwenderfreundlichere Geräte, deren Anzahl indes immer noch nicht ausreicht. Der auf der Wunschliste des Polizeipräsidenten vermerkte Posten „Eingabegeräte“ soll im Zuge der Haushaltsberatungen demnächst erfüllt werden. Die „neue Computer-Generation“ soll dann fast durchweg im Ostteil der Stadt installiert werden, d.h. wenn die Post die entsprechenden Leitungen gelegt hat.

Ehe ein Vorgang schließlich abgeschlossen und an die Amts- oder Staatsan-waltschaft abgegeben ist, kann es also immer noch recht lange dauern. Dort wird die Vergabe der Aktenzeichen ebenfalls per Computer geregelt. Die Wartezeit für „Unbekanntsachen“, d.h. Vorgänge mit unbekanntem Täter, liegt in Berlin derzeit bei drei bis vier Monaten.

Randbemerkung

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, es wurden die Probleme der Datenerfassung beschrieben. Dabei ging es nicht um PCs, Laptops, Notebooks oder sonstigen technischen Krimskram. Soweit ist die Polizei – abgesehen von einigen Spezialdezernaten – noch lange nicht. Vermutlich könnten zu viele Arbeitserleichterungen eintreten, könnte man Vernehmungen, Berichte oder Anschreiben gleich mit einem PC und entsprechendem Textverarbeitungssystem schreiben. Immerhin: einige Auserwählte, zu denen auch ich mich zählen darf, haben dienstlich einen „Weltraumkugelschreiber“ erhalten (selbstverständlich gegen Unterschriftsleistung), mit dem sich nicht nur unter Wasser, sondern selbst in der Schwerelosigkeit schreiben läßt. Fragt sich nur was?

Cordula Albrecht ist Diplom-Soziologin und -Verwaltungswirtin, seit 1975 als Kriminalbeamtin tätig; Vorstandsmitglied der ‚Sozialdemokraten in der Polizei (SIP)’und der ‚Gewerkschaft der Polizei (GdP)‘ in Berlin