Literatur – Rezensionen und Hinweise

Literatur zum Schwerpunkt

Der größte Teil der umfangreichen Literatur zu den operativen Methoden der Polizei sind rechtliche und rechtspolitische Beiträge sowie Forderungskata-loge aus Polizei und Ministerien. Die folgende Übersicht somit kann nur se-lektiv sein. Daher verweisen wir auch auf vorangegangene Hefte und die darin dokumentierte und zitierte Literatur, u.a. Bürgerrechte & Polizei/ CILIP 11 (1/82) mit dem Bericht einer Arbeitsgruppe der Innen- und Justiz-ministerien Baden-Württembergs; 17 (1/84) zum Thema V-Leute mit dem Papier des Ad-hoc-Ausschusses des AK II der IMK zu ‚Neuen Methoden der Verbrechensbekämpfung‘; 21, 23, 29 u.a. zu den diversen Sicherheitsgesetz-entwürfen; 39 zu „Organisierter Kriminalität“ sowie 48 zur Politik Innerer Sicherheit.

Polizeiliche Beobachtung und Rasterfahndung

Stock, Joachim: Die beobachtende Fahndung. Durchführung, Erkenntnisse, Auswertungsergebnisse, in: Kriminalistik, 1977, H. 1, S. 29-31
Einer der wenigen umfassenderen Aufsätze zur BeFa bzw. PB, zu der sich ansonsten allenfalls in Überblicksartikeln zur EDV weitere Hinweise finden, z.B.
Küster, Dieter: Fahndung mit Unterstützung der Datenverarbeitung, in: Schäfer, Herbert (Hg.): Fahndung und Observation, Teilband I: Razzia und Fahndungsstreifen (Grundlagen der Kriminalistik Bd. 5), Heidelberg 1980, S. 13-42

Auch die meisten Beiträge zur Rasterfahndung stammen vom Anfang der 80er Jahre:
Bürgerrechte & Polizei/CILIP: Rasterfahndung: Eine neue polizeiliche Fahndungsmethode, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 6 (3/80), S. 15-20
Simon, Jürgen; Simon-Ern, Gundel; Taeger, Jürgen: Wer sich umdreht oder lacht … Rasterfahndung: Ein Beitrag zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit, in: Kursbuch 1981, Nr. 66, S. 20-36
Ermisch, Günter: Die systematische Fahndung – Rasterfahndung, in: Kube, Edwin; Störzer, Udo; Brugger, Siegfried (Hg.): Wissenschaftliche Kriminali-stik. Grundlagen und Perspektiven, Teilband 1: Systematik und Bestandsauf-nahme (BKA-Forschungsreihe, Bd. 16/1), Wiesbaden 1983, S. 297-320
Der letzte größere Beitrag zum Thema:
Wanner, Stephan: Die negative Rasterfahndung, (Rechtswissenschaftliche Forschung und Entwicklung, Bd. 69) München 1989

Lauschen mit und ohne Telefon

Die wenigsten Beiträge zur Telefonüberwachung gehen über juristische Fragen hinaus.
Lücking, Erika: Die strafprozessuale Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Eine rechtsvergleichende Untersuchung, Freiburg (Max-Planck-Institut) 1992, 220 S.
Bietet zwar einen guten Überblick über die Rechtslage in der BRD, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Großbritannien, ordnet diese aber nicht in den Zusammenhang von Polizeikonzeptionen und -praxis ein.
Rechtsvergleichend wurde auch in der jüngsten Debatte um den Lauschangriff diskutiert:
Böttger, Andreas/ Pfeiffer, Christian: Der Lauschangriff in den USA und Deutschland, in: ZRP, 1994, H. 1, S. 7-17
Vergleicht die amerikanische Kontrollpraxis beim Abhören mit der Flut von TÜ-Anordnungen in der BRD.
Dickel, Andreas: Überwachungspraxis in Deutschland. Telefonüberwachung auf dem Prüfstand, in: Kriminalistik, 1994, H. 2, S. 87-91
Argumentiert dagegen, da die Zahlen nicht vergleichbar seien. Dickel ist Re-ferent für Strafverfolgung im Innenministerium NRW.
Zu weiteren Beiträgen zum Lauschangriff siehe: Bürgerrechte & Polizei/ CILIP 48 (2/94), S.88ff.
Fromm, Heinz: Bund erledigt seine Hausaufgaben nicht. Aktuelle Probleme der Telefonüberwachung, in: Der Kriminalist, 1994, H. 10, S. 485-487
Beklagt die Schwierigkeiten der Telefonüberwachung seit der Einführung von ISDN und Mobilfunk und wirft der Bundesregierung vor, nicht schon bei der Entwicklung und Einführung neuer Technik auf die Überwachbarkeit hinzuwirken.

Observation

Schäfer, Herbert (Hg.): Technik und Taktik der Observation, Grundlagen der Kriminalistik Bd. 5, Fahndung und Observation, 2. Halbband, Heidelberg (Kriminalistik) 1980, 190 S.
Wartemann, F./ Wölker, R.: Aufklärung und Observation, in: Kriminalistik, 1989, H. 10, S. 589-594
von der Lage, Ralf: Ein zeitgenössisches Problem pragmatisch gelöst. Der Einsatz phototechnischer Hilfsmittel bei der polizeilichen Observation, in: Kriminalistik, 1989, H. 10, S. 574-576

V-Personen und ‚Verdeckte Ermittler‘

Die Debatte um die Verrechtlichung von Verdeckten Ermittlern und V-Personen wurde seit den 80er Jahren intensiv geführt. Aus der Zeit vor der Ver-abschiedung des OrgKG 1992 seien hier zwei Bände genannt:
Lüderssen, Klaus (Hg.): V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, Frankfurt (ed. Suhrkamp) 1985
Eine Aufsatzsammlung, die kritische Beiträge vereint mit polizeilichen For-derungen (Stümper), Aufsätzen aus staatsanwaltlicher Sicht (Körner) und den wesentlichen Urteilen der Obergerichte aus der Zeit bis 1984.
Krumsiek, Lothar: Verdeckte Ermittler in der Polizei der Bundesrepublik Deutschland, (Rechtswissenschaftliche Forschung und Entwicklung, Bd. 156), München 1987
Dokumentiert und kritisiert die Konzepte verdeckter Ermittlungen sowie die polizeilichen Forderungen mit vielen Zitaten. Der Kriminaloberrat stellt fest, daß „die Diskussionsansätze der Polizei (…) inhaltlich oberflächlich, nicht immer offen alle Probleme ansprechend und durchgehend vom Zweckdenken überlagert sind.“ (S. 210)

Zur Bedeutung verdeckter Ermittlungsmethoden im Strafverfahren haben sich vor allem die Strafverteidiger geäußert. Verwiesen sei hier auf eine Vielzahl von Beiträgen auf Strafverteidigertagen und in der Zeitschrift ‚Strafvertei-diger‘.

Beck, Axel: Bekämpfung der Organisierten Kriminalität speziell auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität unter besonderer Berücksichtigung der V-Mann-Problematik, (Lang), Frankfurt/M. u.a. 1990
Gehört zu den wenigen Schriften, die – wenn auch unkritisch – ein Licht auf die polizeipraktischen Probleme im Zusammenhang mit V-Leuten werfen.

Haas, Hermann Heinrich: V-Leute im Ermittlungs- und Hauptverfahren, (Centaurus) Pfaffenweiler 1986
Eine juristische Dissertation, bei der die empirische Aktenauswertung aus dem Raum Freiburg (1981-82) im 5. Kapitel von besonderem Interesse ist.

Kraushaar, Horst: Instrumente der Verbrechensbekämpfung unter der Lupe. Der „polizeiliche Scheinkäufer“ – ein Verdeckter Ermittler im Sinne des 110a Abs, 2 StPO?, in: Kriminalistik, 1994, H. 7, S. 481-485
Nach der Verabschiedung des OrgKG bemüht sich die Polizei, den Schein-aufkäufer von den Bestimmungen des 110 StPO zu befreien.

Milieutypische Straftaten

Koriath, Gerold: Ist der Rechtsstaat noch zu retten? Die Immunschwäche der Bundesrepublik Deutschland bei der Verbrechensbekämpfung, in: Kriminalistik, 1993, H. 6, S. 367-372
Körner, Harald Hans: Verdeckte Ermittlungen ohne Straftaten. Eine Erwiderung zu Koriath, in: Kriminalistik, 1992, H. 10, S. 601-605
Koriath, Kriminalhauptkommissar des LKA Niedersachsen, hatte ein „Geständnis“ seiner Straftaten als VE geliefert. Körner, seit Jahren RG-Staatsanwalt in Frankfurt/M., argumentiert, dies seien entweder keine Straf-taten, nur geringfügige Lappalien oder Fehler in der Zusammenarbeit mit po-lizeilichen Vorgesetzten und Staatsanwaltschaft.
Lesch, Heiko H.: Soll die Begehung „milieutypischer“ Straftaten durch ver-deckte Ermittler erlaubt werden?, in: Strafverteidiger, 1993, H. 2, S. 94-97

Grenzüberschreitende operative Methoden

Körner, Harald Hans: Kontrollierte Betäubungsmitteltransporte. Verdeckte Ermittler der Polizei im In- und Ausland, in: Kriminalistik, 1985, H. 5, S. 226-230
Zusammenfassung einiger rechtlicher Fragen bzgl. kontrollierter Btm-Trans-porte. Ausführlicher geäußert hat sich der hessische Oberstaatsanwalt in sei-nem Kommentar zum
Betäubungsmittelgesetz, München (Beck’sche Kommentare Bd. 37) 1991, S. 261ff.

Jeschke, Jürgen: Die internationale Zusammenarbeit des BKA im operativen Bereich, in: BKA-Vortragsreihe Bd. 30, Wiesbaden 1985, S. 63-76
ders. / Graf, Ulrich: Wenn eine Ladung Haschisch aus dem Orient kommt …, in: Kriminalistik, 1987, H. 8-9, S. 437-441
Operative Zusammenarbeit, insbesondere die kontrollierte Lieferung, wird in beiden Aufsätzen als erfolgreicher denn die „büromäßige Rechtshilfe“ darge-stellt.

Fijnaut, C./ Hermans, R.H.: Police Cooperation in Europe, (van den Brink) Lochem 1987
U.a. Beiträge des belgischen Gendarmerie-Oberst Bruggemann zur grenz-überschreitenden Observation und des schleswig-holsteinischen LKA-Chefs Tabarelli zur ‚Baltica ’86‘, der Übung einer kontrollierten Lieferung auf der Skandinavienroute.

Operative Methoden im Ausland

Marx, Gary T.: Undercover. Police Surveillance in America, Berkeley 1988
Das Standardwerk über verdeckte Polizeimethoden in den USA.

Bouza, Anthony: Police Intelligence, New York 1976
Stellt das Konzept von speziellen Auswertungsdienststellen am Beispiel der New Yorker Polizei vor.

Gropp, Walter (Hg.): Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht) Freiburg 1993, 900 S.
Länderstudien (von unterschiedlicher Qualität) über polizeiliche Befugnisse zu operativen Methoden in Westeuropa und Nordamerika mit einem rechts-vergleichenden Überblick des Herausgebers; ein nützliches Nachschlagewerk, das im Zuge der OrgKG-Diskussion als Gutachten für die Justizministerien Bayerns und des Bundes erstellt wurde.

Lammich, Siegfried: Operative Ermittlungsmethoden in Osteuropa. Der Einsatz von operativer Technik in der Gesetzgebung einiger osteuropäischer Länder, in: Kriminalistik, 1993, H. 8-9, S. 581-587

Baumgartner, Hans: Zum V-Mann Einsatz unter besonderer Berücksichtigung des Scheinkaufs im Betäubungsmittelverfahren und des Zürcher Strafprozesses, (Zürcher Studien zum Strafrecht, Bd. 16) Zürich 1990
Die juristische Diskussion in der Schweiz gleicht im wesentlichen der bun-desdeutschen vor dem OrgKG. Interessant ist die Studie des Züricher Staats-anwalts, weil sie Einblicke in die praktischen Probleme von verdeckten Ein-sätzen, insb. Scheinkäufen, gibt.

Innenministerkonferenz (Hg.): Organisierte Kriminalität in Europa. Do-kumentation einer internationalen Expertentagung, Stuttgart 1990
Veranstaltung der IMK mit ausländischen Polizisten und Staatsanwälten; Hintergrund war die Diskussion um das OrgKG.

van Almelo, Lex/ Boek, Jacco/ Borsboom, Annelies: Criminele informatiestromen en opsporingsmethoden, in: Coornhert Liga (Hg.): Crimineel Jaarboek 1994, (Papieren Tijger) Amsterdam 1994, S. 19-57
Kritischer Überblick über die ganze Bandbreite der von der niederländischen Polizei benutzten operativen Methoden, deren Bedeutung jeweils an Beispielen erläutert wird. Spätestens die Lektüre dieses Aufsatzes dürfte den Mythos der liberalen Niederlande relativieren.
(sämtlich: Heiner Busch)

Sonstige Neuerscheinungen

Historisches

Browning, Christopher R.: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek (Rowohlt) 1993, 280 S., DM 42,-
Die bundesdeutsche Polizei nahm die Mitglieder des ‚Polizeibataillons 101‘ in den 50er Jahren wieder auf und entschuldigte ihre Greueltaten als befohlene Aktionen. Kurz vor der dann doch noch erfolgten Anklage und Verurteilung zu meist milden Haftstrafen wurden sie in den 60er Jahren noch befördert (vgl. Heinrich Lichtenfeld, Himmlers grüne Helfer, Köln 1990). Das Buch zeigt, wie „ganz normale“ Männer, vielfach keineswegs überzeugte Nazis, sondern eher apolitische Angestellte, Arbeiter und vor allem Polizeibeamte, zu Massenmördern wurden. Anhand der Akten widerlegt Browning überzeugend die Mär vom Befehlsnotstand. Denjenigen, die nicht an den Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung in Ostpolen teilnehmen wollten, gab der Kommandeur des Bataillons mehrfach die Möglichkeit, sich zu entziehen und nein zu sagen. Warum haben dies nur ganz wenige getan, weshalb wurden die meisten zu blutrünstigen Mördern, die ihre letzten Hemmungen mit Alkoholsonderrationen wegschwemmten? Browning versucht, diese Frage anhand einer genauen Analyse der Vorgänge, späterer Zeugenaussagen und der Literatur, die sich mit den Mechanismen befaßt, die konforme Bürger zu staatlich lizensierten Gewalttätern werden läßt, auszuleuchten. Seine beklemmende Beschreibung der Mordspur des ‚Polizeiba-taillons 101‘ ist das notwendige Korrektiv der schönfärberischen Geschichte der Ordnungspolizei von Neufeld u.a. (hg. vom Bundesarchiv, 1957). Indem das Buch zeigt, wie in männerbündischen Organisationen wie Militär und Polizei individuelles Rechtsempfinden und Mitmenschlichkeit verlorengehen können, ist es mehr als nur ein Beitrag zur Polizeigeschichte des Nationalsozialismus. Angesichts der heutigen Mißhandlungen von Festgenommenen durch Polizeibeamte gewinnt es eine besondere Aktualität. Brownings Aufforderung zur Zivilcourage sollte Pflichtlektüre bei der Ausbildung von Polizeibeamten sein.

Kasten, Bernd: „Gute Franzosen“. Die französische Polizei und die deutsche Besatzungsmacht im besetzten Frankreich 1940-1944, Kieler Historische Stu-dien, Band 37, (J. Thorbecke) Sigmaringen 1993, 264 S., DM 88,-
Erst im Gefolge des Barbie-Prozesses wurde das Verhältnis der Vichy-Admi-nistration und deren Polizei zur deutschen Besatzungsmacht Gegenstand einer breiteren Diskussion. Aufgrund seines fragwürdigen Bezugsrahmens und einer vielfach fatalen Wortwahl wird Kasten dem Thema nicht gerecht. Um das Verhalten der Vichy-Polizei bis Ende 1943 zu erklären, reicht es nicht, auf eine „professionelle Vorliebe für Ruhe und Ordnung“ und „Patriotismus“ zu verweisen. Selbst in der Form eines „extremen französischen Nationalismus“ erklärt Patriotismus und Ordnungsliebe nicht, weshalb „die Anweisungen der Regierung zur Bekämpfung der Kommunisten mit, die zur Verhaftung der Juden ohne Begeisterung und die zur Verfolgung der Arbeitsdienstverweigerer überhaupt nicht ausgeführt (wurden)“ (S. 241). Erst vor dem Hintergrund eines solch verqueren Begriff des „Patriotismus“ erklären sich Feststellungen wie die, daß „die Besatzungsmacht stets (!) bestrebt (war), bei sensiblen An-gelegenheiten (!), wie in der Frage der Geiselerschießungen (…) soweit wie möglich Rücksicht auf das französische Nationalgefühl der Polizeiführung Rücksicht zu nehmen“ (S. 242). Beide – so scheint es – hatten denselben „extremen Nationalismus“, der Kommunisten, Juden und andere „gesell-schaftliche Randgruppen“ (!) ausschloß (S. 241): Die einen à la française, die anderen auf nationalsozialistische Weise. Zur Klärung des Verhältnisses von Vichy-Polizei und nationalsozialistischer Besatzungsmacht trägt solch eine analytische Unschärfe sicher nicht bei.

Gellately, Robert: Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft. Die Durch-setzung der Rassenpolitik 1933-1945, (Schöningh) Paderborn 1993, 324 S., DM 68,-
Wenn auch die Struktur der Gestapo durch die frühen Arbeiten von Aronson (1967), Crankshaw (1957) und Graf (1983) bekannt ist, so blieb doch ihr konkretes Wirken lange ein unterbelichtetes Feld der historischen Forschung, beherrscht von vielfach falschen Vorstellungen eines scheinbar allmächtigen, alles kontrollierenden, totalitären Polizeistaates. Dem Autor geht es nun darum, dieses verzerrte Bild zu korrigieren, zum einen indem er die sukzes-sive und in weiten Teilen problemlose Überführung der alten (polititschen) Polizei in die Gestapo nachzeichnet, zum anderen indem er die konkrete Arbeit der Gestapo im Bereich Würzburg und Unterfranken anhand der für diese Bezirke vollständig erhaltenen Akten zu erfassen sucht. Wie schon Mann (1987) zeigt Gellately, daß der Ausgangspunkt der Gestapo-Ermittlungen meist Denunziation und Anzeigen, nicht aber originäre polizeiliche ‚Aufklärungsarbeit‘ waren. Die konkrete Analyse der Gestapo-Arbeit in Würzburg und Unterfranken stellt die Stärke des Buches dar. Zwar kann das Versprechen des Titels, das Verhältnis von Gestapo und deutscher Gesellschaft insgesamt zu diskutieren, nur unzureichend eingelöst werden, und noch weniger ist es ein Buch über die Durchsetzung der Rassenpolitik in Deutschland. Als Zusammenfassung der Geschichte der Gestapo und als Fallstudie über ihre Wirkung im Alltag bleibt es gleichwohl empfehlenswert.

Wilms, Reinhard: Politische Polizei und Sozialdemokratie im Deutschen Kaiserreich. Zur Tätigkeit der Politischen Polizei in der Provinz Hannover von der Zeit der Reichsgründung bis zum Ende des Sozialistengesetzes, (Lang) Frankfurt 1992, 515 S., DM 118,-
Bisher gibt es nur wenige Versuche, die These der negativen Integration und des revolutionären Attentismus der Sozialdemokratie des Kaiserreichs anhand einer Analyse der Tätigkeit der Polizei und der Verarbeitung der staatlichen Repression durch die Parteimitglieder nachzuzeichnen. Wilms Dissertation, eine Regionalstudie mit breitem Quellenmaterial, versucht dies und kann zei-gen, wie die staatliche Repressionspolitik zwar den inneren Zusammenhalt der Sozialisten förderte, andererseits aber Legalismus und Stillhaltepolitik der Partei stärkte.

Jarren, Volker: Schmuggel und Schmuggelbekämpfung in den preußischen Westprovinzen 1818-1854, (Schöningh) Paderborn 1992, 304 S., DM 57,-
Erst mit der Ausbildung des modernen Staates mit seinem Gewalt-, Steuer- und Rechtsetzungsmonopol wird die Grenze zum Symbol eines abgeschlossenen Herrschaftsraumes, den es polizeilich zu kontrollieren gilt. Jarren geht den vielfältigen Versuchen nach, mit denen die preußische Bürokratie das Steuermonopol durchzusetzen suchte: Von einem rigiden Gebrauch der Schußwaffe in den Fällen, in denen sich Personen der Überprüfung durch die Beamten entziehen wollten, bis hin zu der Vorschrift, daß jede Familie über die vom staatlichen Salzmonopol bezogenen Mengen Buch zu führen hatte. Die Maßnahmen trafen vor allem die (ländlichen) Unterschichten, für die Schmuggeln eine legitime Form des Überlebens war, indem sie als Packenträger in größeren Banden arbeiteten oder individuell schmuggelten. Die damaligen Vorschläge, schärfer gegen die Profiteure des Schmuggelhandels – ehrbare bürgerliche Handels- und Kaufleute – vorzugehen, scheiterten. Eine Feststellung, die uns heute aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität nur allzu bekannt ist.
(sämtlich: Albrecht Funk)

Bad Kleinen

Lösch, Holger: Bad Kleinen – Ein Medienskandal und seine Folgen, (Ullstein) Berlin 1994, ca. 200 S., DM 24,90
Landgraeber, Wolfgang/ Sieker, Ekkehard/ Wisniewski, Gerhard: Operation RAF – Was geschah wirklich in Bad Kleinen? (Droemer-Knaur) München 1994, ca. 220 S., DM 14,90
Dritte-Welt-Haus Frankfurt (Hg.): Dokumentation „Informationsveran-staltung Bad Kleinen“, Frankfurt 1994, DM 5,-
Geheim Nr. 4/1993: Themenschwerpunkt Bad Kleinen, (GNN-Verlag) Köln, DM 7,50
ID-Archiv im IISG (Hg.): Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams, (Ed. ID-Archiv) Berlin/ Amsterdam 1994, 315 S., DM 28,-
Der Blick geht zurück, ganz voller Zorn: „Meine eigene Entlassung war nur noch eine Frage der Zeit, da die Justizministerin befürchtete, sonst selbst unter die Räder der Medienhysterie zu geraten.“ Der dies sagt, ist der frühere Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, und im Mai 1994 – zehn Monate nach dem polizeilichen Desaster auf dem Umsteigebahnhof in Bad Kleinen – kann er immer noch nicht nachvollziehen, warum er die Verantwortung für die tödliche GSG-9-Aktion tragen mußte. Lösch steht dem Geschaßten mit seinem Buch zur Seite. Alexander von Stahl durfte nicht nur in eigener Sache das Vorwort für die rund 200seitige Verteidigungsschrift über den Polizeieinsatz verfassen. Er durfte sich auch einer gemeinsamen Überzeugung mit dem Autor sicher sein. Der mißglückte Antiterroreinsatz und die anschließende Berichterstattung sind für den ‚Report-München‘-Mitarbeiter Lösch ein „Alarmsignal für den Zustand unserer Gesellschaft, für die schwindenden Abwehrkräfte des Staates und die wachsenden negativen Auswüchse der Me-diengesellschaft“. Konsequenterweise widmet sich Lösch der Rolle der Medien und zwar vornehmlich derer, die sich kritisch mit der Aufarbeitung der GSG-9-Aktion und dem bis heute nicht hinreichend ausgeräumten Verdacht einer vorsätzlichen Tötung des RAF-Mitgliedes Wolfgang Grams durch zwei GSG-9-Beamte beschäftigten. „Hätte es den öffentlichen Verdacht einer staatlichen Hinrichtung nicht gegeben, wäre Bad Kleinen als mehr oder minder geglückte Terroristenfestnahme mit zwei bedauerlichen Todesopfern in die lange Chronik der RAF-Geschichte eingegangen. Zwei falsche Zeugenaussagen haben die Republik erschüttert, haben einen der größten innenpolitischen Skandale der Nachkriegsgeschichte ausgelöst und das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig untergraben.“ Bad Kleinen, resümiert der Verfasser, „ist auch und vor allem ein Medienskandal“.

Von einem Skandal sprechen auch Landgraeber, Sieker und Wisniewski. Anders als Lösch, der durchgängig die These vom Selbstmord des RAF-Mitgliedes vertritt, urteilt die Autorentroika: „Unabhängig von den Chancen eines Prozesses – allein das hier zusammengetragene Material würde ausreichen, eine ganze Reihe von Straftaten zu begründen: Wegen des nicht ausgeräumten Verdachts des Mordes oder Totschlags an Grams, wegen des Verdachts der Beihilfe und der Anstiftung dazu, der fahrlässigen Körperverletzung, der Sachbeschädigung, der Beweismittelunterdrückung, der Strafvereitelung im Amt und anderem mehr“. Am Material kann es nicht gelegen haben, daß solche Verfahren nicht eingeleitet wurden. Hellsichtig sahen die Autoren voraus: „Da dann aber gegen Verantwortliche im Bundeskriminalamt, im zuständigen Grenzschutzkommando, in der Bundesanwaltschaft und anderen Behörden ermittelt werden müßte, bräuchte es einen besonders mutigen Staatsanwalt“. Und den hat es offenbar nicht gegeben – self-fullfilling prophecy. Keinen Gefallen haben sich die Verfasser schließlich damit getan, an ihr letztes Buch – ‚Das RAF-Phantom‘ (vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/93), S. 108) – zu erinnern, worin sie die Existenz der RAF prinzipiell in Frage stellten. Kleinlaut räumen sie jetzt ein: „Wie auch immer: Selten haben Bundesanwaltschaft und BKA, aber auch die Verfassungsschutzbehörden, einen ‚Fahndungserfolg‘ so dringend benötigt wie den von Bad Kleinen. Zu drängend waren die Fragen nach den Hintergründen der ‚RAF‘ geworden, als daß man die Öffentlichkeit weiter mit dem stereotypen Satz – keine Spuren, keine Zeugen, keine Erkenntnisse – hätte abspeisen können“.

Erschienen sind zwischenzeitlich auch zwei Broschüren zu den Vorgängen in Bad Kleinen. Ein Schwerpunktheft von ‚Geheim‘ (4/93) sowie die Dokumentation der Frankfurter Veranstaltung ‚Bad Kleinen – nur eine PR-Panne‘ vom 24.3.94. Der Tenor der Broschüren ist ähnlich, die Autoren zum Teil identisch – anders als in den vorgenannten Büchern wird hier auch das politische Umfeld der Polizeiaktion in Bad Kleinen ausgeleuchtet: Die sog. Gewaltverzichtserklärung der RAF vom April 1992, die Gründung der ‚Koordi-nierungsgruppe Terrorismusbekämpfung‘ im Jahr zuvor und der Einsatz des rheinland-pfälzischen V-Mannes Klaus Steinmetz, den der dortige Verfassungsschutz erstmals an die sog. Kommandoebene der RAF heranspielen konnte.

Parteiisch wie die Broschüren ist auch das in der ‚Edition ID-Archiv‘ er-schienene Buch. Bei aller Einseitigkeit – in einem Beitrag der Redaktions-gruppe heißt es beispielsweise: „Wolfgang Grams wurde wehrlos am Boden liegend von einem Angehörigen der GSG 9 durch einen Schuß in den Kopf ermordet“ (S. 277) – ist der Versuch der Rekonstruktion der Ereignisse, die Auflistung der Pannen bei der Beweissicherung und die Auseinandersetzung um die Aussagen der Zeugen, die die Version einer vorsätzlichen Tötung von Grams stützen, die umfassendste. Dokumentiert werden hier auch die Erklärungen der RAF und der in Bad Kleinen festgenommenen Birgit Hogefeld sowie die Auseinandersetzungen um den V-Mann Steinmetz und die ‚Kinkel-Initiative‘, die ursprünglich als Ziel die vorzeitige Haftentlassung lang einsitzender RAF-Gefangener verfolgte.

Die publizistische Aufarbeitung von Bad Kleinen – sie ist bislang ausgespro-chen mangelhaft.
Wolfgang Gast (die tageszeitung, Berlin)

Geheimdienste

Fraktion B’90/ Grüne (AL)/ UFV: Kontrolle der Geheimen?, Berlin 1994, 36 S.
Zum fünften Geburtstag des Verfassungsschutz-Ausschusses (VfSA) des Berliner Abgeordnetenhauses, einem legalen Kind der ‚rotgrünen‘ Überraschungskoalition von 1989, hat der ‚grüne‘ Elternteil eine Festschrift vorgelegt – wohl weniger ein Werk der Fraktion, als deren zuletzt anscheinend recht einsamen Vorkämpferin gegen die Geheimen, Renate Künast, im Verein mit ihrer Assistentin. Schon im Titel-Fragezeichen dieser Sammlung von Rechenschafts-/ Erfahrungsberichten und Reportagen aus dem VfSA und div. Untersuchungssausschüssen (Lummer/ Schmücker/ Mykonos) schwingt jene milde Verzweiflung mit, die jede(n) unvermeidlich befällt, der/die sich fünf Jahre lang an der Quadratur des Kreises, der parlamentarischen Kontrolle der Dienste, versucht. Was anfangs als rot-grüner Erfolg galt, wird nun äußerst kritisch bewertet. „Eingeschlossen im Geheimschutzraum“ (Künast) könnte als Motto der Broschüre gelten.
Hans Peter Bordien – (Magazin ‚GEHEIM‘, Köln)

Koch, Peter Ferdinand: DDR contra BRD – Die feindlichen Brüder, (Scherz), Bern 1994, 480 S., DM 48,–
Gröpl, Christoph: Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Si-cherheitsverwaltung. Legitimation, Organisation und Abgrenzungsfragen, (Duncker & Humblot) Berlin 1993, 400 S., DM 88,–
Koch, früher Geheimdienstspezialist des ‚Spiegel‘ machte mit seinem Buch bereits Furore, bevor es auf dem Markt war (vgl. Presse v. 12.7.94 und 5./6.8.94). Der Geheimhaltungswahn der Dienste und Ex-DDR-Innenminister Diestels einstweilige Verfügung gegen eine weitere Auslieferung ergänzten eine geschickte PR-Strategie des Verlages. Die hochgesetzten Erwartungen wurden nicht eingelöst! Zwar ist das Buch randvoll mit interessanten Einzelheiten; die immerhin spannende These des Autors, die westdeutschen Dienste seien dem MfS weit überlegen gewesen, mag aber nicht recht überzeugen. Ärgerlich wird es da, wenn er zu ihrer Untermauerung die Kommunisten der Weimarer Zeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg den MfS-Vorläufer aufbauten, als weitgehend tumbe Deppen abtut und dies mit deren Biographie (ungelernter Landarbeiter, ehemaliger Schlosser etc.) untermauern will – gerade so, als sei Geheimagent im Westen ein anerkannter Lehrberuf. Wirklich unverzeihlich ist aber der Umgang mit dem Quellenmaterial: Sicher ist vieles in diesem Metier nicht genau zu belegen. Die Quellenangabe „Archiv des Verfassers“ (vgl. S. 449-450) aber wird geradezu inflationär gebraucht. Belanglosigkeiten, Schnurren und Nachweise, für die andere Belege zur Verfügung stünden, alle erhalten die Quelle „Archiv d. Verf.“ – und werden so zunehmend fragwürdig. Das Buch entwertet sich damit selbst. Schade.

Gröpls Dissertation ist ein Beispiel dafür, daß fehlende Sachkenntnis nicht durch intensive Verstrickung in den Gesetzesdschungel ausgeglichen werden kann. Zwei Beispiele: Die bis weit ins linksliberale Lager tragfähige These, wonach die Medien im Regelfall ein besseres ‚Frühwarnsystem‘ als die Ge-heimdienste darstellen, kontert Gröpl lediglich mit dem Hinweis, Medien, die „vom Markt, d.h. von Inserenten und von ihrer Leserschaft abhängig sind, wären nur in Ausnahmefällen bereit, längerfristige, tiefschürfende Analysen vorzunehmen (…)“ (S. 67). Die Doppelarbeit in der Funkaufklärung (BND, MAD) will Gröpl durch „geographische oder thematische Aufgabenteilung (…)“ (S. 371-373) aufheben. Klar, daß Bundesinnenministe-rium und Bundesnachrichtendienst diesen Käse mit Informationen und Mate-rial unterstützt haben (S. 7).
(Otto Diederichs)

Sonstiges

Bigo, Didier (Hg.): L’Europe des polices et la sécurité intérieure, ( Ed. Complexes) Brüssel 1992, 153 S.
Trotz der knappen Verweise auf Texte, Parlamentsdrucksachen etc. am Ende des Buches ist dies ein guter Überblick über die französische Diskussion von Schengen und Maastricht. Bigos Hauptbeitrag diskutiert die Triebfedern einer europäischen Politik Innerer Sicherheit, in der Probleme des Terrorismus, der Drogenbekämpfung bis hin zur illegalen Immigration in einem „Sicherheitskontinuum“ zusammengefaßt werden, und umreißt die zahlreichen Arenen, in denen diese Politik formuliert wird. J.-C. Masclet erörtert die in Maastricht und Schengen enthaltenen Mechanismen der rechtlichen Harmonisierung, F.-L. Laferrière analysiert die Auswirkungen von Schengen auf das Asylrecht. Für einen höheren Polizeibeamten schließlich stellen Ver-bindungsoffiziere das wichtigste Mittel der Kooperation ohne Verletzung der nationalen Souveränität dar. (Weshalb er dies nur unter Pseudonym tun konnte, bleibt sein Geheimnis.)
(Albrecht Funk)

Leonhard, Rainer/ Schurich, Frank-Rainer: Die Kriminalistik an der Berliner Universität. Aufstieg und Ende eines Lehrfachs, (Kriminalistik), Heidelberg 1994, 144. S., DM 48,-
Die Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität zu Berlin, einziger Fachbereich dieser Art in Deutschland, wird zum Ende diesen Jahres abge-wickelt. Denjenigen, die darüber in Tränen ausbrechen, daß sich Kriminalistik als Wissenschaftsdisziplin nun höchstens noch in den juristischen Fakultäten tummeln kann, sei die Lektüre dieses Buches empfohlen: „Eigenstän-dig“ war diese Sektion nie, selbst für DDR-Verhältnisse nicht. Obwohl sich die Autoren, selbst ehemalige Mitarbeiter dieser Sektion (und zumindest im Falle Schurich STASI-‚Offizier im besonderen Einsatz‘), leidlich mühen, die Notwendigkeit eines universitären Fachbereichs Kriminalistik auch im geeinten Deutschland zu begründen, gelingt es ihnen lediglich zu belegen, daß es sich bei dieser Sektion um eine Ausbildungs- und Forschungsstätte der „Sicherheitsorgane“ handelte (beispielsweise wurde ein erheblicher Teil der Sach- und Personalkosten vom MdI getragen etc.).
Ein echter Tip ist dieses Buch aber für alle Sammler von kriminalistischen Aphorismen aus verstaubten Studentenzeitungen, die sich im Anhang finden.
(Torsten Reich, AG Bürgerrechte, Berlin)