Polizeientwicklung und Bürgerrechte in Polen – Die Kontrolle entgleitet

von Dorota Rowicka

Nach dem Fall des kommunistischen Regimes im Jahr 1989 fanden neben den gesellschaftlichen Veränderungen auch einige wichtige Änderungen in der Organisation von Polizei und Geheimdiensten statt. Die ehemalige ‚Bürgermiliz‘ (Milicja Obywatelska) wurde aufgelöst und an ihrer Stelle 1990 die Polizei (Policja) als eine bewaffnete Kraft zum Schutz der Bürger und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ins Leben gerufen. Das einstige ‚Sicherheitsbüro‘ (UB), die Geheimpolizei der Kommunisten, wurde ebenfalls aufgelöst und von einem ‚Staatssicherheitsbüro‘ (UOP) abgelöst.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes über das Staatssicherheitsbüro am 10.5.90 wurden die ehemaligen Sicherheitsdienste (SB) aufgelöst und ihre ca. 24.000 Mitarbeiter per Gesetz entlassen (Art. 131.1).

Überprüfungskommissionen

Jene, die die Auflösung der Sicherheitsdienste vorausgesehen hatten, sind vor dem Auflösungsdatum noch rasch der ‚Milicja Obywatelska‘ beigetreten. Deshalb sah das ‚Gesetz über das Sicherheitsbüro‘ die Entlassung sämtlicher Milizoffiziere vor, die vor dem 31.7.89 Angehörige der Sicherheitsdienste waren (Art. 131.2). Eine weitere Bestimmung (Art. 132.2) ermächtigte den Ministerrat, innerhalb von zehn Tagen nach Inkrafttreten des Gesetzes, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen sie im neuen Staatssicherheitsbüro und den anderen neugeschaffenen Diensten wiederum eingestellt werden könnten. Am 21.5.90 erließ der Ministerrat mit der Resolution Nr. 69 die hierfür zu erfüllenden Bedingungen. Auf der Grundlage dieser Resolution erließ Premierminister Mazowiecki dann am 8.6.90 eine entsprechende Verordnung, die eine zehnköpfige ‚Zentrale Qualifikationskommission‘ unter Vorsitz des neugegründeten Staatssicherheitsbüros ins Leben rief.(1) Diese Kommission setzte sich aus dem Vize-Innenminister, Abgeordneten und Senatoren, dem stellvertretenden Polizeichef und einem Vertreter der Polizeigewerkschaft zusammen. (Der Vize-Innenminister wurde – als ein Vertreter des ‚ancien regime‘ – jedoch kurze Zeit später aus der Kommission entlassen.) Der Vorsitzende der ‚Zentralen Kommission‘, die am 31.7.90 ihre Arbeit aufnahm, berief eine Kommission für den Zentralstab, welche die Angehörigen des früheren Hauptquartiers und der ‚Warschauabteilung‘ der Sicherheitsdienste überprüfen sollte, sowie 48 weitere Kommissionen auf Provinzebene. Auch diese Kommissionen setzten sich aus Abgeordneten, Senatoren, einem Vertreter des Staatssicherheitsbüros, dem Polizeichef, Vertretern der Polizeigewerkschaft und – so der Text der Verordnung – „Personen, die das Vertrauen der Gesellschaft genießen“, zusammen. Mehr als 140 Abgeordnete und Senatoren waren an der Arbeit der Kommissionen beteiligt: Von den einstigen rund 24.000 entlassenen Mitarbeitern der Sicherheitsdienste reichten ca. 14.000 Anträge zur Wiedereinstellung ein. Die Kommissionen stimmten der Qualifizierung von 8.658 (62%) Bewerbern zu. Von den 5.376 Abgelehnten reichten 4.755 (89%) Berufung bei der ‚Zentralen Kommission‘ ein, welche die ablehnenden Bescheide in 1.243 Fällen bestätigte. Die übrigen Fälle wurden an die Provinzkommissionen zurückverwiesen, die ihrerseits die abschlägigen Entscheidungen bei 1.719 Personen erneut bestätigten.
Somit bestanden insgesamt 10.451 Personen oder drei Viertel aller Teilnehmer das Qualifikationsverfahren.(2) Eine ablehnende Entscheidung bedeutete für die Betroffenen eine lebenslange Einstellungssperre beim Staatssicherheitsbüro oder bei der Polizei. Am 18. September 1990 war die Arbeit getan.

Der Chef des Staatssicherheitsbüros war allerdings nicht verpflichtet, alle positiv Beurteilten auch einzustellen; was ohnehin nicht möglich gewesen wäre, da das neue Staatssicherheitsbüro nur etwa 7.000 Angehörige haben sollte. Im Ergebnis wurde so etwa jeder zweite erneut beim Staatssicherheitsbüro eingestellt. Ein beträchtlicher Teil derer, die sich an den Überprüfungsverfahren nicht beteiligt hatten, konnte indessen in den vorgezogenen Ruhestand treten.
Heute sind bereits wieder etwa zwei Drittel aller Beschäftigten beim Staatssicherheitsbüro ehemalige Mitarbeiter der alten Sicherheitsdienste. Die übrigen Beschäftigten wurden neu eingestellt. Jedes Jahr stellt das Staatssicherheitsbüro unterdessen, so der Innenminister, „bis zu einem Dutzend, nein, eher mehrere Dutzend“ Angehörige der ehemaligen Sicherheitsdienste ein, die 1990 nicht eingestellt werden konnten.(3)

Kontrollorgane

In einem Rechtsstaat werden die Sicherheitsorgane gemeinhin durch Verfassungsorgane der Exekutive kontrolliert. In Polen geschieht dies durch den Präsidenten, den Premierminister, das ‚Komitee für die Sicherheitsdienste‘, die Provinzgouverneure, die ‚Parlamentarische Kommission für die Sicherheitsdienste‘ und den Generalbundesanwalt.

1. Der Präsident der Republik Polen

Die Ermächtigung des Präsidenten leitet sich unmittelbar aus der Verfassung ab, gemäß der er über die Sicherheit des Staates zu wachen hat (Art. 28.2 der ‚Kleinen Verfassung‘ vom 17.10.92). Der Präsident ernennt den Premierminister, der u.a. für die zivilen Sicherheitsdienste verantwortlich zeichnet. In Angelegenheiten von besonderer Bedeutung für den Staat ist der Präsident ermächtigt, unmittelbar einzugreifen und den Vorsitz über die Sitzung des Ministerrates zu übernehmen (Art. 38.2 der ‚Kleinen Verfassung‘). Der Präsident unterhält zudem direkte Beziehungen zum Staatssicherheitsbüro. In Fällen, in denen das Staatssicherheitsbüro über Informationen verfügt, die „für die Sicherheit des Staates von unmittelbarer Bedeutung sein können, ist der Chef des Staatssicherheitsbüros verpflichtet, diese Informationen unverzüglich an den Präsidenten und den Premierminister weiterzuleiten“ (Art. 11.2 des ‚Gesetzes über das Staatssicherheitsbüro‘). Die Information des Präsidenten obliegt dem Chef des Sicherheitsbüros persönlich. Dies heißt auch, daß der Präsident Polens ermächtigt ist, die Befehlsgewalt über das Staatssicherheitsbüro an sich zu ziehen und Inspektionen des Büros anzuordnen. Dies geschieht über den Chef des Staatssicherheitsbüros, der die Anordnungen des Staatsoberhauptes nicht ignorieren kann.

2. Der Premierminister

Der Premierminister ist zugleich Vorsitzender des Ministerrates und koordiniert die Arbeit der einzelnen Minister (Art. 55.1 der ‚Kleinen Verfassung‘); zugleich ist er oberster Dienstherr sämtlicher Staatsbediensteten (Art. 55.2). Der Ministerrat ist für die gesamte Innen- und Außenpolitik verantwortlich (Art. 51 der ‚Kleinen Verfassung‘).

Im Frühjahr 1996 wurde zudem eine Regierungsvorlage ins Parlament eingebracht, die eine erhebliche Erweiterung der Zuständigkeit des Premiers für die Kontrolle des Staatssicherheitsbüros vorsah. Am 1.10.96 wurde das Staatssicherheitsbüro dann dem Ministerium entzogen und dem Premierminister unmittelbar unterstellt. In seiner Aufsichtsfunktion bestimmt er die einzelnen Aufgaben des Büros und verleiht ihm eine Geschäftsordnung. Zu den Rechten des Premierministers gehören u.a.:

  • Die Berufung bzw. Abberufung des Chefs des Staatssicherheitsbüros (nach vorheriger Beratung mit dem Präsidenten, dem ‚Ausschuß für die Sicherheitsdienste‘ und dem ‚Parlamentsausschuß für die besonderen Dienste‘ (Art. 4a 1 des ‚Gesetzes über das Staatssicherheitsbüro‘);
  • die Berufung bzw. Abberufung von stellvertretenden Leitern des Staatssicherheitsbüros auf Ersuchen des Chefs;
  • die Neueröffnung bzw. Schließung regionaler Dependancen des Staatssicherheitsbüros;
  • die Festlegung der jährlichen ‚Richtlinien für die Aktivitäten des Staatssicherheitsbüros‘ (nach vorheriger Rücksprache mit dem ‚Parlamentsausschuß für die Sicherheitsdienste‘);
  • die Bewilligung der jährlichen Aktionspläne des Staatssicherheitsbüros;
  • die Verleihung bzw. Aberkennung von Offiziersrängen mit Ausnahme des Generalsranges, der vom Präsidenten auf Ersuchen des Premierministers ernannt wird;
  • die Art des Nachrichtenaustausches mit der Polizei bzw. dem Grenzschutz;
  • die Prüfung von Eingaben durch Offiziere, die aufgrund einer Entscheidung des Chefs des Staatssicherheitsbüros aus dem Dienst entlassen wurden.

3. Das ‚Komitee für Sicherheitsdienste‘

Mit Beginn des Jahres 1997 wird das ‚Komitee für die Sicherheitsdienste‘ seine Tätigkeitaufnehmen. Es ist dann das „beratende und entscheidungsfindende Gremium für die Programmerstellung, Aufsicht und Koordinierung der Aktivitäten des Staatssicherheitsbüros und des Militärischen Nachrichtendienstes. Ihm sollen neben dem Premierminister als Vorsitzenden, der Innen- und der Außenminister, der Minister der Nationalen Verteidigung, der Sekretär des Nationalen Verteidigungsausschusses und der Vorsitzende des ‚Ständigen Kabinettskomitees für die Staatssicherheit‘ angehören. In besonderen Fällen können auch ein Vertreter des Präsidenten und der sog. ‚Ministerkoordinator für die Sonderdienste‘ einbezogen werden.

4. Die Provinzgouverneure

Das ‚Gesetz über das Staatssicherheitsbüro‘ von 1990 (Art. 14) ermächtigt die Provinzgouverneure als örtliche Vertreter der Regierung, von den in ihrer Region ansässigen Niederlassungen des Staatssicherheitsbüros Berichte und Information über den Stand der Sicherheit in dieser Provinz anzufordern. Die Reform der staatlichen Verwaltung, die gerade vom Parlament vorbereitet wird, soll die Kompetenzen der Provinzregierung noch erweitern.

5. Die ‚Parlamentarische Kommission für die Sicherheitsdienste‘

Bis zum Jahre 1995 bestand die einzige Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle – wenn man sie so nennen mag – in der Annahme des Haushaltsberichtes. Die Ausgaben für die zivilen und militärischen Dienste werden allerdings in einem gemeinsamen Haushalt ausgewiesen. Selbst das formelle Aufsichtsorgan über die Sicherheitsdienste, die ‚Kommission für Verwaltung und Innere Angelegenheiten‘ des Parlamentes, erhielt auf Fragen zur Verwendung einzelner Haushaltstitel keine Antwort. Im Herbst 1994 (in einer Atmosphäre tiefen politischen Mißtrauens – sowohl zwischen den Regierungs- und den Oppositionsparteien als auch dem Präsidenten – über den Umgang mit den Diensten) kam es schließlich auf Initiative einiger Abgeordneter zur Einrichtung einer ‚Parlamentarischen Kommission für die Sicherheitsdienste‘. Die Kommission soll zu wichtigen, die Sicherheitsdienste betreffenden Gesetzesvorlagen Stellungnahmen abgeben, deren Arbeitsschwerpunkte definieren und ihre Berichte sowie den Haushalt prüfen.

Am 27.4.95 ernannte das Parlament, entsprechend den neuen Regelungen, die ‚Kommission für die Sicherheitsdienste‘.4 Ihre Stärke ist auf max. sieben Mitglieder begrenzt. (Art. 74a.1 der Regeln). Am 29.9.95 berief das Parlament die Mitglieder der Kommission, von denen drei den Oppositionsparteien angehören.5 Die Kommission nimmt Stellung zu Gesetzesvorhaben und Richtlinien und prüft die Jahresberichte. Weiterhin bewertet sie die Zusammenarbeit zwischen den zivilen und militärischen Sicherheitsdiensten sowie zwischen den Diensten und den anderen Einrichtungen der Staatsregierung. Schließlich untersucht sie Beschwerden über die Aktivitäten der einzelnen Dienste (Pkt. 1a der Zusatzvereinbarungen). Die Sitzungen der Kommission sind grundsätzlich geheim, und auch ihre Mitglieder sind zur Geheimhaltung verpflichtet (Art. 8.10). In Absprache mit dem Innenminister und dem Minister der Nationalen Verteidigung kann, „falls erforderlich“, lediglich eine Presseerklärung herausgegeben werden (Art. 74e.3).

6. Der Generalbundesanwalt

Entsprechend dem ‚Gesetz über das Staatssicherheitsbüro‘ überprüft der Generalbundesanwalt die Rechtmäßigkeit bestimmter Geheimaktionen des Büros (Postüberwachung u. a. verdeckte Methoden). Das ‚Gesetz über das Staatssicherheitsbüro‘ und das Polizeigesetz von 1990 (einschl. der späteren Zusätze) erlauben die Postüberwachung und Abhörmaßnahmen zur Abwendung oder Aufklärung schwerer Verbrechen, zur weiteren Überprüfung vorliegender glaubwürdiger Informationen über ein bevorstehendes Verbrechen, um die Täter zu ermitteln und zur Sammlung von Beweisen. Zu dieser Beweissammlung gehört unterdessen auch der neu in das polnische Gesetz eingeführte Begriff des „kontrollierten Ankaufs“.
Rechtlich unterscheidet man dabei zwischen operationellen und verfahrensbegründeten Abhörmaßnahmen: Eine operationelle Maßnahme darf von der Polizei, dem Staatssicherheitsbüro, dem Grenzschutz und der Zollfahndung angeordnet werden. Eine verfahrensbegründete Abhörmaßnahme kann nur von einem Richter oder Staatsanwalt nach Art. 198 der polnischen Strafprozeßordnung angeordnet werden, wenn sie für ein Strafverfahren wichtig ist. Allerdings sind in der Strafprozeßordnung in dieser Hinsicht keine Beschränkungen enthalten. Nachdem ein Verfahren eröffnet ist, kann eine verfahrensbegründete Abhörmaßnahme schon bei der kleinsten Straftat angeordnet werden. Nach Art. 198 der Strafprozeßordnung kann sogar ein Staatsanwalt auf der Distriktebene Postüberwachungs- oder Abhörmaßnahmen beantragen. So wurden 1995 bspw. in mehr als 60 Verfahren wegen illegaler Abtreibung Abhörgenehmigungen als ‚verfahrensbegründet‘ erteilt. Dieser Zustand wird sich erst bei der bevorstehenden Reform der Strafprozeßordnung ändern, in deren Zusatzklauseln die Straftaten, bei denen Abhörmaßnahmen angeordnet werden können, definiert sind.
Bei ‚außergewöhnlichen Umständen‘ kann der Innenminister zudem eine unverzügliche mündliche Abhörgenehmigung erteilen; hiervon muß der Generalbundesanwalt innerhalb von 24 Stunden unterrichtet werden. Nach Angaben des Justizministers ist eine solche Genehmigung bisher in insgesamt vier Fällen erteilt worden, ohne daß es zu einer Beanstandung durch den Generalbundesanwalt gekommen wäre.

Überwachung

1994 hat der Generalbundesanwalt auf Ersuchen des Innenministers in ca. 1.000 Fällen die Genehmigung zur Telefonüberwachung (TÜ) erteilt. Etwa ein Drittel ging auf einen Antrag des Staatssicherheitsbüros zurück, die übrigen auf die Polizei. Für 1995 sind keine Angaben mehr möglich, da das Innenministerium diese Daten zur Verschlußsache erklärt hat. So hat sich der Innenminister auch geweigert, die Zahlen für das erste Halbjahr 1996 bekanntzugeben, der Generalbundesanwalt seinerseits erklärte jedoch, er habe bei insgesamt 727 Personen Überwachungsmaßnahmen bewilligt; allerdings nur ca. 80% aller tatsächlichen Fälle selbst genehmigt. In 60 Fällen habe er dabei Anträgen der Polizei nicht stattgegeben.

Aus den Zahlen des ‚Nationalen Ombudsmans‘ 1995 und das erste Halbjahr 1996 geht hervor, daß Staatsanwälte in 138 Fällen TÜ- Maßnahmen genehmigt haben und der Generalbundesanwalt 1995 bei insgesamt 1.314 Personen und im ersten Halbjahr 1996 bei 727 Personen entsprechenden Anträgen stattgegeben hat. Nach Auffassung des ‚Ombudsmans‘ ist das Abhörverfahren in Polen mit Blick auf den Schutz der Bürgerrechte äußerst kontrovers zu betrachten; darüber hinaus genüge das gegenwärtige Verfahren keineswegs internationalen Standards. In Polen gibt es bspw. keine Beschränkungsregelungen für die Dauer einer Abhörmaßnahme. In der Regel wird eine Genehmigung für den Zeitraum von drei bis sechs Monaten erteilt. Personen, die von einer Abhörmaßnahme betroffen waren, müssen zwar im nachhinein hierüber unterrichtet werden; dies betrifft jedoch nicht jene Personen, gegen die eine operationelle Abhörmaßnahme durchgeführt wurde. Für zweifelhaft hält der ‚Ombudsman‘ auch die Möglichkeit, daß Abhörmaßnahmen im Notstandsfalle ohne Zustimmung des Generalbundesanwalts erfolgen können.

Bei der Polizei sind nur die Kriminalpolizei, die Abteilungen für Wirtschaftskriminalität und für organisiertes Verbrechen sowie die Ermittlungsabteilung berechtigt, TÜ-Maßnahmen zu beantragen. Bei letzterer betrifft es dann Fälle von Mord, Katastrophenabwehr, Brandstiftung, Menschen- insb. Frauenhandel, Falschgeldhandel und Drogenschmuggel. Etwa 60% aller Anträge werden von der Kriminalpolizei, ca. 30% von der Abteilung für organisiertes Verbrechen und die restlichen 10% von der Abteilung für Wirtschaftskriminalität gestellt. Beim Staatssicherheitsbüro kann ein Antrag auf Telefonüberwachung von jeder operationellen Einheit gestellt werden. Das ‚Gesetz über das Staatssicherheitsbüro‘ enthält keine Definition der Taten, bei denen Abhörmaßnahmen angewendet werden dürfen.

Häufig ziehen Polizei und Staatssicherheitsbüro im Rahmen ihrer Überwachungsmaßnahmen auch Telefonrechnungen heran, denn deren Ausdrucke sind so detailliert, daß sie Aufschluß über jede zustandegekommene Verbindung geben können. Daneben gibt es in jedem Telefonamt älteren Typs, das noch nicht mit elektronischen Vermittlungsstellen ausgestattet ist, noch heute den sog. ‚exterritorialen Raum‘ mit einer Zwischenvermittlungstelle, über die jeder Anschluß mit dem zuständigen Polizeirevier verbunden werden kann. Insbesondere in kleinen Städten und Gemeinden, wo diese alten Vermittlungsstellen in Gebrauch sind, ist illegales Abhören eine einfache Sache. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben sind sämtliche Informationen in Zusammenhang mit Überwachungsmaßnahmen bis hin zu den Personen, die sie unterstützt haben, vertraulich zu behandeln. In der Praxis bedeutet dies, daß sowohl die Polizei wie auch das Staatssicherheitsbüro Post- und Telefonbedienstete auf ihrer ‚Gehaltsliste‘ stehen haben, die ihnen das ‚unbürokratische‘ Abhören von Gesprächen oder die Postüberwachung ermöglichen. Selbst der Innenminister schließt die Möglichkeit einer Abhörmaßnahme ohne seine Genehmigung nicht aus, obwohl – wie er behauptet – ihm keine entsprechenden Indizien bekannt sind. Seiner Meinung nach ist es auch durchaus möglich, daß ohne Wissen des Generalbundesanwalts Abhörmaßnahmen durch Privatdetekteien, Nachrichtendienste und Wirtschaftsnachrichtendienste durchgeführt bzw. veranlaßt werden.

Nach Meinung vieler Parlamentsabgeordneter ist die ganze Angelegenheit der Kontrolle des Generalbundesanwalts denn auch schon längst entglitten.

Dorota Rowicka ist Mitarbeiterin im Fachbereich Kriminologie und Strafjustiz des ‚Institutes für Sozialprävention und Rehabilitation‘ (Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften und Rehabilitation) der Universität Warschau und assoziiertes Mitglied der ‚Helsinki Stiftung für Menschenrechte‘ in Polen.
(1) Vgl. Biuletyn Biura Informacyjnego Kancelarii Sejmu Nr. 2476/II kad. Komisja Administracji i Spraw Wewnetrznych (Nr. 102)
(2) Alle Zahlenangaben nach Aussagen des Innenministers, in: ebd., S. 6ff.
(3) Ebd., S. 23
(4) Vgl. Monitor Polski 23/1995, Pkt. 271.
(5) Sprawozdanie stenograficne (Stenographischer Bericht) der 61. Sitzung der 2. Sitzungsperiode, S. 125ff.