von Norbert Pütter und Otto Diederichs
Der Ruf nach einer ‚bürgernahen‘ Polizei oder konkreter nach einer ‚gemeindebezogenen Polizeiarbeit‘ erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Als eine zentralisierte, in der Öffentlichkeit unsichtbare Institution, in ihren Handlungen gesteuert von bürokratischen Routinen und ausgerichtet auf die Bekämpfung von (schwerer) Kriminalität, zeigte sich die Polizei immer unfähiger, auf die tatsächlichen Sicherheitsprobleme und -bedürfnisse vor Ort zu reagieren.
Seit wenigen Jahren werden nun auch in der Bundesrepublik Anstrengungen unternommen, ‚Sicherheit‘ im lokalen Kontext jenseits traditioneller Polizeiarbeit zu befördern. Während die privatwirtschaftliche Ökonomisierung öffentlicher Sicherheit in Form diverser Sicherheitsdienste aus bürgerrechtlicher Perspektive abgelehnt werden muß, weisen die Versuche, die auf BürgerInnenbeteiligung setzen, zumindest in die richtige Richtung – sofern einige Bedingungen erfüllt sind.
Sicherheit und Sicherheitsgefühl, so die Vermutung, lassen sich nur dann im lokalen Kontext erfolgversprechend verbessern, wenn Polizei und Gemeinde zusammenarbeiten, gemeinsam Kriminalitäts-, aber auch Sicherheits- und Ordnungsprobleme als solche identifizieren und nach gemeinsamen Lösungen suchen. (1)
Diese Grundüberzeugung der bundesdeutschen Diskussion um eine ‚gemeindebezogene Polizeiarbeit‘ folgt den US-amerikanischen Konzepten des ‚community policing‘. Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen geht es in beiden Fällen darum, die „gemeindliche Isolation“ (2) der Polizeien aufzubrechen und die Gemeinde selbst in Fragen der öffentlichen Sicherheit zu aktivieren. Bislang haben die Formen gemeindebezogener Polizeiarbeit in der Bundesrepublik vor allem in der Gründung von „Präventionsräten“ ihren Niederschlag gefunden.
Kriminalpräventionsräte
Ende Oktober 1990 wurde in Schleswig-Holstein auf Anregung des Innenministers mit dem ‚Rat für Kriminalitätsverhütung‘ die erste Einrichtung dieser Art in der Bundesrepublik gegründet. (3) Das benachbarte Ausland hat hier z.T. eine weitaus längere Tradition. Bereits seit Ende der siebziger Jahre gibt es dort vielfältige kriminalpräventive Ansätze auf kommunaler Ebene. (4)
Anfangs beim Innenministerium angesiedelt, wurde der ‚Rat für Kriminalitätsverhütung‘ zunächst als gemeinnütziger Förderverein organisiert, der nach spätestens drei Jahren in einen Trägerverein umzuwandeln war, um den Rat vom Ministerium abzunabeln und rechtlich selbständig zu machen. (5) Der Rat selbst besteht aus über einhundert Mitgliedern aus Justiz, Opferhilfeorganisationen, Kirchen, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Versicherungen und Polizei. Aus den anfänglich sechs Arbeitsgruppen sind im weiteren Verlauf 11 geworden, die sich u.a. mit der Erstellung von Kriminalitätslagebildern (AG 1), mit Umweltkriminalität (AG 4), Versicherungsbetrug (AG 6) oder Massendelikten (AG 8) befassen. Die Arbeitsgruppen tagen einmal im Monat, halbjährlich tritt eine Plenarversammlung aller Arbeitsgruppen zusammen. Kommunale Präventionsräte gibt es in mehreren schleswig-holsteinschen Städten. (6)
Hessen richtete im Herbst 1992 den ‚Hessischen Präventionsrat‘ ein. Ähnlich wie in Schleswig-Holstein gehören ihm neben Privatleuten Beamte des Innen- und Justiz-, Kultus-, Jugend-, Arbeits- und Wohnungsbauministeriums an. (7) Ebenfalls 1992 stellte Brandenburg ein Programm vor (8) und begann mit der Einrichtung von Präventionsräten. (9) 1997 sollen in verschiedenen Berliner Bezirken Präventionsräte gebildet werden; (10) der erste am 27. August im Bezirk Wedding. (11)
Ressortübergreifende kriminalpräventive Bemühungen gibt es auch in Nordrhein-Westfalen seit 1993 (Gelsenkirchen, Bielefeld). Sie sind durch Erlasse geregelt. Auf Landesebene arbeitet im Innenministerium eine ‚Interministerielle Arbeitsgruppe Kriminalitätsvorbeugung‘. Sie soll die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und gesellschaftlichen Institutionen koordinieren und verbessern. Die Polizei ist aufgefordert, initiativ zu werden und darauf hinzuwirken, daß im kommunalen Bereich ‚Kriminalpräventive Räte‘ oder entsprechende Arbeitskreise gebildet werden. In diesen Gremien kann die Polizei so lange federführend sein, bis vor Ort andere Regelungen getroffen werden.
In Mecklenburg-Vorpommern konstituierte sich Mitte 1994 ein ‚Landesrat für Kriminalitätsvorbeugung‘. (12) Niedersachsen beriet im Mai 1995 erstmals über die Einsetzung von ‚Kriminalpräventionsräten‘, (13) mit der Umsetzung wurde 1996 begonnen. (14) In Baden-Württemberg gibt es vom Innenministerium initiierte Modellprojekte in den Städten Freiburg, Ravensburg/Weingarten und Calw, in denen u.a. auch die Bildung lokaler Räte vorgesehen ist. (15)
Landespräventionsräte haben die Aufgabe, die überörtliche Entwicklung von Kriminalität und ihre Entstehungsbedingungen zu analysieren, in kriminalpolitischen Fragen zu beraten und wissenschaftliche Erkenntnisse sowie praktische Erfahrungen zu vermitteln. Sie können (und werden dies vermutlich auch müssen) Schwerpunkte setzen und als Koordinierungsorgan für kommunale Räte dienen. „Es sind Ergänzungen zur Polizei und zur Strafjustiz, Gremien, die Quellen für Straftaten ortsnah und unbürokratisch aufspüren und an der Verstopfung dieser Quellen mitarbeiten“. (16) Kriminalprävention soll in erster Linie Verbrechensverhütung durch Einflußnahme auf die Gesellschaft und potentielle Opfer (und Täter) leisten. (17) Der Erfolg von Vorbeugungsprogrammen ist deshalb stark abhängig davon, ob es gelingt, die (lokalen) Entstehungszusammenhänge von Kriminalität zu erkennen, sie aufzuarbeiten und ‚gegenzusteuern‘. Dabei ist vorrangig an die Erarbeitung von Programmen zu denken, die Tatgelegenheiten oder -anreize erkennen und durch Aufklärung reduzieren können (z.B. Fahrraddiebstahl).
Die aufgeführten Beispiele stellen nur einen kleinen Ausschnitt gegenwärtiger lokaler ‚Sicherheitsbemühen‘ dar. Sie alle stecken noch in der Anfangsphase; über Ergebnisse ist (noch) nichts bekannt. Angesichts der internationalen Erfahrungen mit ‚community policing‘, muß im Hinblick auf die möglichen Erfolge und (unerwünschten) Konsequenzen gemeindeorientierter Polizeiarbeit jedoch auf einige Probleme hingewiesen werden.
Voraussetzungen
Versuche, die Polizei stärker an die Menschen, zu deren Schutz sie tätig werden soll, heranzubringen, sind zunächst grundsätzlich zu begrüßen. Eine ‚bürgernahe‘ und ‚gemeindeorientierte‘ Polizei beschreibt jedoch nur die Richtung notweniger Veränderungen. Damit die Modelle mehr liefern als Stichworte polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit und BürgerInnen mehr werden als ‚ear and eye of the police‘, müssen einige Kriterien erfüllt werden.
Erstens: Den neuen Konzepten gemeinsam ist zumeist eine eher naive, nostalgische Vorstellung von Gemeinde. (18) Der Gemeindebegriff folgt nicht nur dem der kommunalen Veraltungsbezirke, er unterstellt zudem einen lokalen Handlungsraum, der gegenüber der Mobilität seiner BewohnerInnen wie gegenüber der Verflechtung unterschiedlicher sozialräumlicher Beziehungen eher die dörfliche Welt vergangener Jahrhunderte als die verstädterte der Gegenwart voraussetzt.
Zweitens: Nicht nur sozialräumlich, sondern auch sozialstrukturell müßte lokal genauer bestimmt werden, welche Personen die Gemeinden bilden. Daß AusländerInnen in diesem Sinne zur Gemeinde gehören, ist offensichtlich. Die demokratische (und wohl auch probemlösende) Qualität der kommunalen Modelle wird sich daran bemessen, wie es ihnen gelingt, gesellschaftliche Randgruppen zu integrieren. (19) Möglichst viele gesellschaftliche Gruppen und Institutionen sollten vertreten sein. Neben Schulen, Kirchen, Sozialdiensten (auch freie Träger) etc. ist insbesondere auch die Beteiligung von potentiellen Betroffenen(gruppen) anzustreben. Hierzu zählen neben Frauen und Ausländergruppen (auch Flüchtlinge) z.B. auch Drogenabhängige oder Obdachlose etc. Gelingt eine Beteiligung dieser Gruppen nicht, dann besteht die Gefahr, daß sich die Sicherheitsstandards nur zugunsten wohlorganisierter und auch in Sicherheitsfragen privilegierter Gruppen verschieben. Die schnelle Aufmerksamkeit, die viele Räte dem Ladendiebstahl widmen, deutet auf derartige Gefahren hin.
Drittens: Die meisten Initiativen gehen von der Polizei bzw. von den Innenverwaltungen aus. Die Rolle, welche die Polizei in den Räten einnimmt, ist dabei jedoch nicht einheitlich. Sollen die Räte nicht zu polizeilichen Hilfseinrichtungen verkommen, dann ist es erforderlich, den polizeilichen Einfluß auf sie zurückzunehmen. Die Federführung muß bei den Kommunen selbst liegen. Die Anbindung an die Polizeiabteilungen der Innenministerien oder die Geschäftsführung durch Polizisten ist abzulehnen. Zudem sind die Räte mit Kompetenzen auszustatten, die ihren Vorschlägen Nachdruck verleihen (z.B. Anhörungs- und Antragsrecht im Gemeinderat).
Viertens: ‚Gemeindeorientierte Polizeiarbeit‘ in der Version der Präventionsräte scheint die Polizei unverändert zu lassen. Probleme werden allenfalls als Ausbildungsprobleme thematisiert. Dabei dürften lokale Kompetenzen und Handlungsoptionen (gerade für die beteiligten Polizeien) von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Programme sein. Ein ansonsten unverändertes Polizeisystem (Legalitätsprinzip, Bürokratisierung, zentralisierte Entscheidungsstrukturen) kann durch kommunale Räte kaum von seinen Mängeln befreit werden. Eine bürgerorientierte Polizeiarbeit auf Gemeindeebene setzt eine entsprechend veränderte Polizei voraus. Ansätze hierzu sind aber nicht erkennbar.
Modelle
Die ‚gemeindebezogene Polizeiarbeit‘ setzt an einem wunden Punkt unseres Systems Innerer Sicherheit an. Ihre Vorschläge, die auf weniger Staat bei der Formulierung von Zielen, weniger polizeilich-bürokratische Dominanz und mehr bürgerschaftliche Beteiligung zielen, ziehen die richtigen Konsequenzen. Allerdings zeigt die Liste der Fragen, daß über Erfolge und Mißerfolge, erwünschte und unerwünschte Folgen nicht die sympathische Rhetorik, sondern die konkreten Institutionalisierungen und Aktivitäten vor Ort entscheiden. Erforderlich ist deshalb zweierlei: Unter Berücksichtigung der genannten Probleme möglichst viele verschiedene Modelle an möglichst vielen und verschiedenen Orten zu realisieren. (Sofern die öffentlichen Haushalte noch Geld für eine weniger perspektivlose Politik Innerer Sicherheit ausgeben wollen, dann sollten sie es hier tun.) Und zweitens sind die Modelle von unabhängiger Seite zu begleiten. Ihre Resultate müssen der öffentlichen Diskussion zugänglich gemacht werden.