‘Big-Brothers’-Oscars- Privacy International

Seinen Roman „1984“ schrieb George Orwell im Jahre 1948. 50 Jahre danach, am 26. Oktober 1998, versammelten sich in London 250 Gäste zu einem Galaabend mit dem britischen Komiker Mark Thomas als Conferencier. Zweck des Anlasses war die Verleihung des ersten ‘Privatsphären-Preises’. Organisiert wurde das ganze von ‘Privacy International’, finanziert von der ‘Killing Secrets’-Kampagne. Die Öffentlichkeit sollte den ‘Meistern der Überwachung’ die ihnen gebührende Ehre erweisen.

Die Idee zu dieser Preisverleihung wurde vor einigen Jahren auf einer Washingtoner Konferenz über Polizeitechnik geboren, bei der ein feister Technokrat im Armani-Outfit enthusiastisch die Vorteile amerikanischer Computertechnologie für die Polizeien Asiens pries. Die technischen Fortschritte, so prahlte der Mann, hätten das Smithonian Institute veranlaßt, der thailändischen Regierung einen glitzernden Pokal für ‘mutigen Technologieeinsatz’ zu verleihen. Bei einem Besuch in Thailand hatten Aktivisten von ‘Privacy International’ kurz zuvor erfahren, wie amerikanische Technik zur Verfolgung politischer GegnerInnen eingesetzt wird. Sie drohten dem zweifelhaften Helden an Ort und Stelle einen eigenen goldenen ‘Big-Brother’-Preis an.
‘Golden Big-Brother’-Preise in Form eines Stiefels, der auf ein Gesicht tritt, wurden nun erstmalig in fünf verschiedenen Kategorien an diejenigen verliehen, die im letzten Jahr ihr Bestes gegeben haben, um die Privatsphäre der BürgerInnen zu unterminieren:

  • Der Unternehmenspreis ging an die britische Firma ‘Procurement Services International’ „für den Export von Überwachungstechnologie nach Nigeria, in die Türkei und nach Indonesien“.
  • Den Preis für Kommunalbehörden erhielt der Rat des Londoner Bezirks Newham für die Installation von 140 Straßenüberwachungskameras. Sie sind mit Software zur ‘automatischen Gesichtserkennung’ gekoppelt.
  • Den nationalen Regierungspreis errang das britische Handels- und Industrieministerium „für Pläne, der Polizei komplikationslos über Dritte den Zugriff auf verschlüsselte Nachrichten zu ermöglichen“.
  • Der Produktpreis ging an die Firma Halegquin Ltd. für ihre ‘WatCall’-Software, „die es ermöglicht, auf der Basis eingehender und abgehender Telefonanrufe ‘Bekanntschaftsnetzwerke’ zu analysieren und die damit den Aufwand für Abhöraktionen deutlich reduziert“.
  • Der Preis für ein Lebenswerk wurde der Abhörbasis der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) in Menwith Hill „für ihr vierzigjähriges Engagement für das routinemäßige Ausspähen vertraulicher Kommunikation“ verliehen.

Außerdem vergab ‘Privacy International’ fünf ‘Winston’-Auszeichnungen – benannt nach Orwells Romanheld Winston Smith – an Menschen oder Institutionen, die sich um die Verteidigung der Privatsphäre verdient gemacht haben. Diese gingen an:

  • SCNews, „ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenblatt aus Brighton, das während der letzten drei Jahre erheblich zur Bewußtseinsbildung über Fragen der Überwachung beigetragen hat – häufig mit Geschichten, die den größeren Medien zu heiß waren“;
  • Lindis Percy für ihr Lebenswerk, die „seit vielen Jahren die Öffentlichkeit auf die Aktivitäten der NSA, insbesondere in Menwith Hill, aufmerksam zu machen versuchte und dabei mehr als 150mal verhaftet wurde und nun ins Gefängnis mußte“;
  • Alan Lodge, einen Fotografen aus Leeds, „der seit mehr als zehn Jahren über Polizeipraktiken ‘an der Front’, insbesondere das sich verbreitende Foto- und Videografieren von DemonstrantInnen und AktivistInnen berichtet“;
  • Esther Bull, eine neunzehnjährige Studentin, „die im letzten Jahr entdecken mußte, daß ihr Vermieter eine Videokamera hinter einem Spiegel ihres Badezimmers versteckt hatte.“ Aufgrund fehlender Datenschutzregelungen konnte der Vermieter nur wegen Verstößen gegen das Mietgesetz belangt werden. Die Studentin beteiligt sich an der ‘Operation Peeping Tom’, einer Kampagne, die den Opfern solcher Praktiken Gehör verschaffen soll;
  • den Labour-Parlamentarier Harry Cohen, der mit seinen Forderungen zum Datenschutz oft als einsamer Rufer in der Wüste dastand.

Die Zeit sei reif für solche Auszeichnungen, so ‘Privacy-International’-Direktor Simon Davies. Jede Kommunikationstechnologie sei heute auch Überwachungstechnologie. Dies rückgängig zu machen, sei ein langer Weg. Die Auszeichnungen sollten der Beginn einer sozialen Bewegung sein. 1999 will man auch die USA, Frankreich, Österreich und Deutschland berücksichtigen.
(Weitere Informationen von Simon Davies über simon@privacy.org )