Redaktionelle Vorbemerkung

von Heiner Busch

Eine Zeitschrift wie Bürgerrechte & Polizei hat selten die Chance, ihren Leserinnen und Lesern frohe Botschaften zu verkünden. Unser Publikum hat sich daran gewöhnt, Nachrichten über den fortschreitenden Ausbau polizeilicher Apparate, die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und den Abbau von Betroffenenrechten entgegenzunehmen. Wir, die AutorInnen und Mitglieder der Redaktion, können nur darauf hoffen, daß die LeserInnen diese Entwicklungen nicht akzeptieren, sondern die hier veröffentlichten Informationen dazu benutzen, informiert und radikal für die Sache der Demokratie und der Grundrechte Partei zu ergreifen.
Die Themen dieses Heftes, des zweiten in Folge zum Thema Überwachungstechnologien, sind nicht dazu angetan, Freude und optimistische Zukunftserwartungen aufkommen zu lassen. Wie auch: Internationale Überwachungsnetze – so dokumentiert Steve Wright – funktionieren ohne jegliche Kontrolle. Das gilt nicht nur für das vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA dominierte ECHELON, sondern auch für die gemeinsamen Überwachungspläne der EU und der USA, die sich vorwiegend auf die polizeiliche Kontrolle der Telekommunikation beziehen. Mindestens ebenso düster sind die Aussichten für den lokalen Bereich, etwa was die Nutzung von Video-Überwachungsanlagen betrifft, deren flächendeckender Einsatz in Stadtzentren Großbritanniens von Clive Norris und Gary Armstrong beschrieben wird.

Der Blick über den deutschen Tellerrand gibt zwar keinen Anlaß zu Optimismus, vermittelt aber einiges an Klarheit über den Charakter der hier verhandelten technischen Mittel und Methoden. Erstens: Vor dem überwachenden Staat und seinen privaten Helfern sind keineswegs alle gleich. Männlich, arm, schwarz, jung – das ist das Raster, dem die Operateure an den Videobildschirmen städtischer Behörden und Polizeien in Großbritannien folgen. Neue Techniken der Überwachung werden – so David Banisar – in den USA zunächst an Gruppen getestet, die über keine politische Lobby, keine Beschwerdemacht, verfügen.
Zweitens: Auch 30 Jahre, nachdem Kommissar Computer seinen Dienst bei der Polizei antrat, ist die Entwicklung polizeilicher Informations- und Kommunikationstechniken noch keineswegs abgeschlossen. Der schnelle Aufstieg der DNA-Analytik vom kostspieligen Einzelfall zur DNA-Datenbank – siehe den Beitrag von Detlef Nogala – zeigt, daß die technische Entwicklung auch in der Polizei und anderen ‘Sicherheitsbereichen’ weiterhin sehr dynamisch verläuft. Automation ist angesagt. Bilddatenbanken schienen wegen der dafür erforderlichen Speicherkapazität noch vor zehn Jahren kaum denkbar. Heute schaffen es Maschinen, Videobilder zu lesen und sie automatisch mit den Informationen in einer solchen Datenbank abzugleichen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes ging mit einem Konversionsprozeß einher: Firmen, die bisher für die militärische Rüstung produziert haben, beleben nun den Markt, auf dem sich die Polizeien mit Elektronik für die innere Rüstung versorgen.
Drittens: Den gewachsenen Möglichkeiten der Überwachung haben die Bürgerinnen und Bürger nur wenig entgegenzusetzen. Datenschutzbestimmungen, wie sie in der BRD nunmehr in allen nur denkbaren Sicherheitsgesetzen enthalten sind, fehlen in den USA und in Großbritannien noch weitgehend. Daß unsere britischen und amerikanischen Autoren solche Bestimmungen fordern, klingt in deutschen Ohren etwas seltsam. Bestehen doch unsere Datenschutzbestimmungen zu einem großen Teil aus dünner juristischer Luft. Das Volkszählungsurteil, in dem das Bundesverfassungsgerichts vor genau 15 Jahren das Recht auf informationelle Selbstbestimmung proklamierte, ist heute zu einem bloßen Besinnungsaufsatz degeneriert. Es hat eine breite Welle der Verrechtlichung ausgelöst, mehr aber nicht. Auf europäischer Ebene bietet sich ein ähnliches Bild. Die EU-Datenschutzrichtlinie gilt nicht für den ‘Sicherheits’bereich, die Datenschutzbestimmungen in den diversen Konventionen in Sachen Polizei, Zoll, Immigration und Asyl sind dagegen wortreiche Null-Lösungen.
Freudige Nachrichten können wir leider auch außerhalb unseres Schwerpunktes nicht melden. Zwar haben die WählerInnen am 27. September nach 16 Jahren die konservative Regierung nach Hause geschickt. Sie mögen einen Politikwechsel gewollt haben, auf dem Gebiet der ‘Inneren Sicherheit’ ist bisher aber nur ein Personenwechsel zu erkennen. Der einzige Lichtblick ist die bevorstehende Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und auch hier sind die Reformpläne der neuen Regierung zurückhaltend. Die Macht der Polizeien des Bundes, mit denen wir uns im nächsten CILIP-Schwerpunkt beschäftigen, wird dagegen genausowenig angetastet, wie die unter der vorherigen Koalition eingeführten Befugnisse zur Überwachung privater Räume. Die öffentlichen Äußerungen des neuen Innenministers machen ihn zu einem prominenten Kandidaten für die Verleihung eines deutschen Big-Brother-Awards. Vielleicht haben wir wenigstens dann etwas zu lachen.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.