Editorial

von Heiner Busch

Junge, gutaussehende und wohlhabende Freizeitmenschen tummeln sich mit ihren Handys in der freien Natur. Wichtige Träger von Verantwortung und Designerklamotten sind permanent erreichbar. Boris Becker ist im Internet „drin“. Glaubt man der Werbung der Anbieterfirmen, dann ist die schöne, neue, allseitig und grenzenlos kommunizierende Welt voll von nützlichen Informationen und spaßiger Unterhaltung. Die Kluft zwischen dieser Wunderwelt und den Warnungen von Polizei, Geheimdiensten und SicherheitspolitikerInnen könnte größer nicht sein. Die grenzenlose Freiheit der Kommunikation verwandelt sich im Handumdrehen in einen Abgrund von Kinderschändern, Drogenhändlern, Terroristen und sonstigen Staatsfeinden. Dank modernster Technik laufen die Halunken den staatlichen Ordnungshütern wieder einmal davon.

Die Lösung, die letztere vorschlagen, ist im Grundsatz nicht neu. Sie lautet: Es dürfe keine „rechtsfreien Räume“ geben. Jede Kommunikation müsse prinzipiell überwachbar sein. Neue Kommunikationstechnologien dürften nicht zugelassen werden, wenn sie keine Zugangsmöglichkeiten für die Polizeien und Geheimdienste böten. Damit das gewährleistet wird, arbeiten Industrie und Sicherheitsbehörden in geheimen Gremien zusammen und entwickeln technische Schnittstellen. Die Zusammenarbeit lohnt sich auch für die Unternehmen, denn Überwachungstechnik hat ihren Preis.

Der Druck, den das Sicherheitskartell – sprich: die Behörden und ihre Politiker – im vergangenen Jahrzehnt erzeugt hat, hat sich offensichtlich gelohnt. Die Klagen aus der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts, dass Mobiltelefone nicht oder nur mit großem Aufwand zu belauschen seien, sind längst verstummt und vergessen. Die überwiegende Zahl der abgehörten Telefone sind heute Handys. Die neue Kommunikationswelt hat aber auch neue Überwachungsmöglichkeiten geschaffen, die sich längst nicht mehr nur auf den übermittelten Inhalt beziehen. Scheinbare Randdaten – Verbindungs-, Verkehrs-, Standortdaten – ermöglichen es schon im Fall der Mobiltelefonie, Kontakt- und Bewegungsprofile von Personen zu erstellen oder gar ihren momentanen Aufenthaltsort zu peilen. Ein Überblick über besuchte Seiten im Internet erlaubt unter Umständen umfangreiche Aussagen über Konsumverhalten oder gar sexuelle Vorlieben. Jedes neue Kommunikationsmittel ist ein potenzielles Überwachungsinstrument.

Eine Entgrenzung der Überwachung findet auch im engeren geografischen Sinne statt. Sowohl die rechtlichen als auch die technischen Standards der Überwachung werden heute in internationalen oder zumindest EU-weiten Gremien diskutiert. Praktisch geht es dabei längst nicht mehr nur um den nachträglichen Austausch von Informationen, die aus einer Abhöraktion gewonnen wurden, sondern in der Tat um den direkten grenzüberschreitenden Zugriff der Polizeien und Geheimdienste – der „gesetzlich ermächtigten Behörden“, wie es im Jargon des Rates der EU heißt – auf die neuen Kommunikationsnetze. Für Polizei und Geheimdienste mag sich die in der Werbung versprochene Wunderwelt der Kommunikation als Welt von Cyberkriminellen darstellen. Die NutzerInnen der Netze sollten sich statt dessen um den Schutz ihrer persönlichen und politischen Freiheiten sorgen. Das Ende der Privatsphäre ist dabei allerdings kein Horrorszenario, sondern eine reale Gefahr.

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Die Versammlungsfreiheit ist das einzige politische Grundrecht, das eine kollektive Einmischung in das politische Geschehen außerhalb der etablierten politischen Formen ermöglicht. Die kommende Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP wird sich den verschiedensten Formen widmen, in denen BürgerInnen dieses zentrale Grundrecht wahrnehmen. Notgedrungen geht es dabei immer auch um seine politischen und polizeilichen Einschränkungen.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.