Literatur

Zum Schwerpunkt

Obwohl zum Thema „Polizei und Demonstrationen“ viel veröffentlicht wurde und wird, fehlen nach wie vor Darstellungen, die die polizeiliche Praxis gegenüber Demonstrationen wie die Praxis der Demonstrierenden gegenüber der Ordnungsmacht mehr als nur punktuell beleuchten. Soweit ersichtlich mangelt es ebenso an Untersuchungen, in denen ereignisbezogen die verschiedenen Perspektiven systematisch analysiert werden, wie an solchen, die die strategischen Wandlungen und die empirischen Variationen demonstrationsbezogener Polizeieinsätze über die Jahre oder Jahrzehnte hinweg verfolgen. Im Folgenden können deshalb nur Hinweise auf einige Veröffentlichungen gegeben werden, die nicht mehr als Teile eines unfertigen Puzzles sind.

Walter, Manfred; Tielemann, Kea (Bearb.): Neue Soziale Bewegungen und Polizei – eine Bibliographie, Berlin 1991

In dieser Veröffentlichung (die nach wie vor von CILIP bezogen werden kann) sind knapp 650 Texte aufgelistet, die zwischen 1975 und 1990 in der Bundesrepublik zum Thema publiziert wurden. Zwar erschöpfen sich die „Neuen Sozialen Bewegungen“ nicht in Demonstrationen, aber ohne massenhafte Aktionen im öffentlichen Raum ist eine soziale Bewegung kaum vorstellbar. Mehr als ein Jahrzehnt nach Erscheinen hat der die Bibliographie einleitende Beitrag von Albrecht Funk („Polizei, politischer Protest und soziale Bewegungen“) nur vordergründig an Aktualität verloren. Zwar ist in ihm nicht von Aufenthaltsverboten, von präventiven „Gefährderansprachen“ oder Ausreiseverboten die Rede – diese polizeilichen Instrumente existierten damals noch nicht –, aber die Tendenz, die Funk diagnostiziert, hat sich im letzten Jahrzehnt fortgesetzt: Denn die neuen Maßnahmen bewirken eine weitere „Flexibilisierung des Gewaltpotentials der Polizei“, die zuvor bereits durch den Ausbau polizeilicher „Vorfeldarbeit“, durch Einführung neuer Bewaffnung und Ausrüstung, durch die Auflösung militärischer Einsatzstrukturen und die Aufstellung demonstrationsspezifischer Sondereinheiten eingeleitet wor­den war.

Winter, Martin: Politikum Polizei. Macht und Funktion der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland, Münster 1998

Winter, Martin: Polizeiphilosophie und Protest policing in der Bundesrepublik Deutschland – von 1960 bis zur staatlichen Einheit 1990, in: Lange, Hans-Jürgen (Hg.): Staat, Demokratie und Innere Sicherheit in Deutschland, Opladen 2000, S. 203-220

Winter zeichnet in seiner 1998 erschienenen Dissertation (s. CILIP 60, S. 89-91) und zusammengefasst in dem Beitrag des Sammelbands die Diskussionen über sozialen Protest und die Rolle der Polizei in der alten Bundesrepublik nach. Für die jüngste der vier von ihm ausgemachten Phasen, die Ende der 70er Jahre begann, macht Winter das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1985 als Scheitelpunkt der polizeilichen Debatten aus. Seither sei der grundrechtsfreundliche Tenor des Urteils zum Mainstream polizeilichen Selbstverständnisses geworden. Dabei bleibt allerdings fraglich, inwiefern dieser aus polizeilichen Äußerungen und Selbstdarstellungen gewonnene Befund auch für eine gewandelte Polizeipraxis spricht.

Kniesel, Michael; Behrendes, Udo: Demonstrationen und Versammlungen, in: Kniesel, Michael; Kube, Edwin; Murck, Manfred (Hg.): Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis, Lübeck 1996, S. 273-354

Der Aufsatz stellt die moderne, aufgeklärte, liberalste Variante der polizeilichen Sicht auf Demonstrationen dar. Mit Bezug auf die Brokdorf-Entscheidung wird Deeskalation zur Grundmaxime aller polizeilichen Aktionen erhoben. Kritisiert werden die in polizeilichen Auflagen versteckten ordnungsrechtlichen Traditionen. Stattdessen müsse die Polizei als „Dienstleistungsbetrieb für die Grundrechtsverwirklichung“ (S. 312) tätig werden; sie müsse eine „Moderatorenrolle“ (S. 318) übernehmen; sie dürfe nicht zur Partei in einem Konflikt werden, sondern müsse sich als „Konfliktregelungsinstitution“ (S. 329) verstehen.

Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1996, H. 4: Thema heute: Deeskalation – ein Begriff voller Missverständnisse!?

Dass mit dem Begriff „Deeskalation“ noch wenig über die tatsächliche polizeiliche Praxis gewonnen ist, zeigen die Beiträge in diesem Heft. In Schmalzls Versuch der „Klärung eines schwierigen Begriffs“ wird unterschieden zwischen der Deeskalation als Ziel polizeilicher Demonstrationseinsätze und „deeskalativen Mitteln“, durch die dieses Ziel erreicht werden soll. Der Autor definiert Deeskalation als den „polizeistrategischen Leitgedanken“, der darauf abzielt, „drohende oder bestehende Konfrontationen so zu verhindern oder zu reduzieren, daß eine nachhaltige Befriedung der Lage möglich wird (S. 15). Er plädiert für eine genaue polizeiliche Lageanalyse im Vorfeld von Demonstrationen, die frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Veranstaltern, daran anschließende Kommunikation und Kooperation. Gleichzeitig räumt er ein, dass manchmal Deeskalation nur „auf Umwegen“ zu erreichen sei. „In Ausnahmefällen mag die Befriedung der Lage nur über den Umweg einer in Kauf genommenen Eskalation möglich sein“ (S. 16). Auch in den anderen Beiträgen des Heftes wird offenkundig, dass bei aller Sympathie, die die Deeskalations-Philosophie genießt, ihre praktische Bedeutung offen bleibt. Etwa wenn Bredthauer in seiner differenzierten Erörterung der Hannoveraner Chaos-Tage bemerkt, dass es bei der Deeskalation um die „intelligente Nutzung aller verfügbaren polizeilichen Kompetenzen zur Durchsetzung polizeilicher Ziele“ gehe (S. 58). Oder wenn Deeskalation lediglich als Resultat polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit erscheint.

Driller, Ulrich: „Wir können auch anders“ – „Wir aber nicht“. Möglichkeiten und Grenzen des polizeilichen Konzeptes „Konfliktmanagement“ im CASTOR-Einsatz 2001, in: Polizei & Wissenschaft 2. Jg., 2001, H. 3, S. 29-50

Hier wird dargestellt, was es bedeutet, wenn die Polizei zum „Konfliktmanagement“ im großen Stil übergeht. Für den Castor-Großeinsatz wurde ein Aufgabenbereich „einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit und Konfliktmanagement“ mit insgesamt 146 MitarbeiterInnen gebildet. Deren Tätigkeiten reichten von der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit über die Einrichtung eines Bürgertelefons bis zur Tätigkeit als mobile Konfliktmanager und in Kriseninterventionsteams. Dieses erhebliche Repertoire an Kommunikationsangeboten diente der Konfliktminimierung im Kleinen. Demgegenüber könne das Konzept nur „wenig zur Überbrückbarkeit der gegenseitigen Standpunkte beitragen“. Etwa hinsichtlich der Blockaden gebe es Auffassungen, die „eine rechtsstaatlich ausgerichtete Polizei nicht akzeptieren“ könne (S. 48).

Knape, Michael: Strategie und Taktik zur Bekämpfung gewalttätiger Aktionen, in: Polizei – heute 27. Jg., 1998, H. 1, S. 11-14 und 19

Neben den Prinzipien von Deeskalation und Kooperation war die zentrale polizeipraktische Botschaft des Brokdorf-Beschlusses das „Differenzierungsgebot“, dem zufolge das polizeiliche Vorgehen zwischen friedlichen Teilnehmern und Gewalttätern unterscheiden muss. Dies sei, so Knape, durch „Separierung und Isolierung von Gewalttätern durchzusetzen, das heißt, konsequentes, frühzeitiges Einscheiten gegen Straftäter“. Deshalb seien u.a. Beweissicherung und Dokumentation sowie „besondere Formen des Zugriffs, der Einschließung, Ausschließung, Auflösung, Räumung und Absperrung“ für „moderne Einsatz- und Führungskonzepte“ von „besonderer Bedeutung“ (S. 12). Was das praktisch bedeuten kann, scheint an einigen Formulierungen durch, wenn etwa „der kompakte, entschlossene, intelligent geführte Einsatz von mehreren Zugriffseinheiten nicht unter Hundertschaftsstärke“ oder der „Scheinzugriff“ als „aggressionsablenkende polizeiliche Aktivität“ erwähnt werden (S. 13).

Hücker, Fritz: Beweissicherung, Dokumentation, Beweisführung bei unfriedlichen Ereignissen und Aktionen. Konzepte für Einsatzaufgaben und Ausbildung, Stuttgart u.a. 1998

Das Lehrbuch versammelt polizeipraktische Grundsätze und Ratschläge zur Identifizierung, Festnahme und Beweissicherung von Straftätern im Zusammenhang mit Demonstrationen. Dabei reichen die Empfehlungen von dem Grundsatz „Klasse statt Masse“ (S. 15) – nicht jedes Delikt sogleich verfolgen – über die obligatorischen Einrichtung von Beweissicherungs- und Dokumentationstrupps (S. 22) bis zur Unterscheidung von erlaubter und unzulässiger Vorbereitung der Polizeizeugen auf die Gerichtsverhandlung (S. 99 ff.).

Temme, Michael: Konzepte zur Verhinderung/Bewältigung von Gewalt. Analyse spezifischer Maßnahmen bei komplexen, problematischen Einsatzlagen, in: Polizei – heute 27. Jg., 1998, H. 6, S. 207-210

Einen Einblick in das fortgeschrittene polizeiliche Repertoire zur Bewältigung „problematischer Einsatzlagen“ gibt auch dieser Beitrag. Die Stichworte lauten: Abfahrtverhinderung potentieller Gewalttäter, Kontrollstellen auf den Zufahrtswegen mit anschließenden Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen, „flächendeckender starker Raumschutz“, Bereithaltung dislozierter Einsatzkräfte, verstärkte Seitenkräfte am Demonstrationszug, Eingreif- und Beweissicherungskräfte vor Ort, begleitende „intensive Öffentlichkeitsarbeit“, um Verständnis bei den von Polizeimaßnahmen betroffenen Unbeteiligten zu wecken. Aber jenseits dieser Maßnahmen, so Temme, werde ein „offensives Einsatzkonzept“ „in erster Linie durch hohen Kräfteeinsatz, flächendeckende Präsenz und entschlossenes Vorgehen erreicht“. Mit dem anschließenden Hinweis, dass nur so dem Differenzierungsgebot entsprochen werden könne, macht der Autor deutlich, dass auch grundrechtsfreundliche Beschlüsse zur Rechtfertigung polizeilicher Totalüberwachung herangezogen werden können.

Srugies, Siegmar; Weiß, Andreas; Ertel, Christian: Die taktischen Maßnahme der stationären Einschließung im Lichte multifunktionaler Aspekte: Rechtliche und taktische sowie technisch/organisatorische Dimensionen für polizeiliches Handeln, in: Die Polizei 93. Jg., 2002, H. 2, S. 46-49

Welche organisatorischen und logistischen Vorbereitungen für eine Polizeistrategie erforderlich sind, die auf massenhafte Strafverfolgung setzt, zeigen die Autoren am Beispiel des Berliner 1. Mai 2001. Dabei resultieren diese polizeilichen Probleme aus der Strategie der Einkesselung, die im Text als „taktische Maßnahme der abschließenden Absperrung“ bezeichnet wird. Die generalstabsmäßig geplanten Maßnahmen reichen von der Einrichtung spezieller „Bearbeitungskommandos“ (für Identitätsüberprüfung, Durchsuchungen etc.) über die Anmietung von Reisebussen, um die vielen Festgenommenen transportieren zu können, bis zur Beschaffung von Laptops, Ausweishüllen mit Klemmen oder Generatoren zur Stromerzeugung.

Della Porta, Donatella; Reiter, Herbert (eds.): Policing Protest: The Control of Mass Demonstrations in Western Democracies, Minneapolis 1998

Zum Abschluss ein Blick über den bundesdeutschen Tellerrand. Denn wer sich über „Polizei und Demonstrationen” informieren will, wird in der notorisch unterentwickelten deutschen Polizeiforschung kaum fündig werden. Dieser Sammelband versammelt nicht nur eine Reihe von Länderberichten und Fallstudien zum Thema, sondern die/der HerausgeberIn liefern in ihrer Einleitung einen Überblick über Fragen und Befunde der internationalen Forschungen über „Protest Policing“.

Neuerscheinungen

Pitschas, Rainer (Hg.): Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“. Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft, Berlin (Duncker & Humblot) 2002, 270 S., EUR 64,–

Die vorliegende Veröffentlichung dokumentiert Vorträge und Diskussionen der Tagung „Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft“, zu der im März 2001 die Verwaltungshochschule in Speyer eingeladen hatte. Die zwölf Beiträge des Bandes sind in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil („Entwicklungslinien der Kriminalprävention“) wird die bekenntnishafte Rhetorik der jüngeren Präventionseuphorie durch den rheinland-pfälzischen Innenminister (bzw. dessen Staatssekretär) präsentiert. Ein weiterer Vortrag stellt Entstehungsgeschichte, Selbstverständnis und erste Arbeiten des „Deutschen Forums für Kriminalprävention“ vor. Der zweite, mit „Kommunale Kriminalprävention“ überschriebene Teil versammelt Beiträge über lokale Sicherheitspolitik in den USA, über Kriminalprävention in Ludwigshafen, über die Rolle der Polizei in der Prävention und über die „Weiterbildung in der Kriminalprävention“. Der dritte Teil ist dem Komplex „Privatwirtschaft und Kriminalprävention“ gewidmet, während der Schlussteil („Rechtliche Ordnung der Prävention“) allein aus den Ausführungen des Herausgebers zum „Polizeirecht im kooperativen Staat“ besteht.

Der Titel des Bandes wie auch Pitschas’ einleitende Bemerkungen verweisen auf das zentrale Erkenntnisinteresse der Tagung: Es ging um die „Zukunft des Polizeirechts“, das gegenwärtig einem „Paradigmenwechsel“ unterworfen sei, der „in der Perspektivenverschiebung weg von der Polizei als rechtsstaatlich zu begrenzender Aktivität und hin zu einer Polizei als Garant der Kriminalitätsverhütung“ liege (S. 21). Pitschas konstatiert, dass mit der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ und der „Vorsorge für die Gefahrenabwehr“ eine dritte Säule polizeilicher Aufgaben (neben Strafverfolgung und Gefahrenabwehr) entstanden sei, die die überkommene Systematik des Polizeirechts sprengt.

Gemessen an seinem Anspruch wirkt der dritte Teil des Bandes als ein Fremdkörper; zumal die Beiträge zeigen, dass private Sicherheitsdienste kaum an der Kriminalprävention vor Ort beteiligt sind und die Wirtschaft ein eher zurückhaltendes Interesse an diesen Fragen hat. Statt der Öffnung zur Privatwirtschaft hätten Tagung und Tagungsband sich dem Zauberbegriff „Prävention“ intensiver widmen müssen. An keiner Stelle wird dessen Vielschichtigkeit thematisiert – wenn man von der rudimentären Kategorisierung in primäre, sekundäre und tertiäre absieht. Gerade in dieser Vielschichtigkeit – dass Prävention im Polizeirecht etwas anderes meint als in der Strafzwecklehre, dass sie sich beziehen kann auf Interventionszeitpunkte oder -mittel, dass sie unspezifisch oder deliktisch orientiert sein kann etc. – liegen die Gründe für die Konjunktur des Begriffs; und dort liegen auch die zentralen (polizei‑) rechtlichen Probleme. Denn das Spezifische an der polizeilichen Prävention sind deren repressive Mittel. Die Auswege, die der Herausgeber in seinem Schlussbeitrag andeutet, überzeugen kaum. Zum einen ist eher zweifelhaft, ob sich die Polizei im Übergang zu einem „Bürge für Kriminalitätsverhütung im Wege staatlichen Leistungshandeln“ (S. 255) befindet. Zum anderen kann die von ihm favorisierte „Verwaltungspartnerschaft“ weder die Demokratiedefizite noch die inhaltliche Beliebigkeit „präventiven“ Handelns beheben. Darüber hinaus, das zeigt der lesenswerte Beitrag von Behrendes, liegen die eigentlichen Probleme nicht in den Rechtsnormen, sondern in der „Präventions“-Praxis, die sich über windige Konstruktionen (irgend)eine Rechtsgrundlage sucht.

Kasperzak, Thomas: Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht. Darstellung, Analyse und Kritik verbrechensvorbeugender Maßnahmen im Spannungsfeld kriminalgeographischer Erkenntnisse und bauplanerischer Praxis (Empirische Polizeiforschung, Bd. 14), Holzkirchen/Obb. (Felix Verlag) 2000, 335 S., EUR 25,–

Diese juristische Dissertation greift eines der Standardthemen der Kriminalprävention auf: Die Vorstellung, durch gezielte stadträumliche oder architektonische Gestaltungen Kriminalität verhindern und/oder Kriminalitätsfurcht vermeiden zu können. Auf den ersten 130 Seiten liefert Kasperzak einen Literaturüberblick zu verschiedenen Aspekten des Themas Stadtstruktur und Kriminalität(sfurcht). Die Kurzvorstellung von kriminalgeographischen Studien, die in der Bundesrepublik seit 1968 unternommen wurden, ist dabei besonders informativ (wenn auch nicht vollständig). Die Zwischenresümees des Autors sind eindeutig: Während ein Zusammenhang zwischen bestimmten städtebaulichen Formen und einzelnen Kriminalitätsarten nicht zu bestreiten sei, wobei allerdings Sozialstruktur und Sozialkontrolle ausschlaggebend seien (S. 120), könnten zum Zusammenhang zwischen Stadtstruktur und Verbrechensfurcht keine verlässlichen Aussagen gemacht werden (S. 133).

Im zweiten Teil präsentiert der Autor die eigene Untersuchung zum „Expertenwissen über Kriminalgeographie“. Statt die eigentlich interessante Fragen zu prüfen, ob und mit welchem Erfolg stadtplanerische etc. Maßnahmen mit kriminalpräventiver Zielsetzung realisiert wurden, beschränkt er sich – unter dem plausiblen Verweis auf methodische Probleme – auf die Erhebung von Expertenwissen. 214 Experten (Stadtverwaltung, Polizei, Parteien, Justiz, Wirtschaft) aus 12 Städten, die in der Vergangenheit kriminalgeographisch untersucht worden sind, wurden schriftlich befragt. Die Studie gibt deshalb keine Auskunft über die Erfolge von städtebaulicher Kriminalprävention, sondern allenfalls über deren Resonanz in den Köpfen lokaler Eliten. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Bei einer Rücklaufquote von 64,5 % gaben 73,9 % der Antwortenden an, dass sie die Studie über ihre Stadt nicht kannten (S. 154); weitere 5 % räumten ein, die Befunde für ihre Stadt nicht zu kennen (S. 16); und über zwei Drittel der Antwortenden gaben an, dass sie den Erfolg städtebaulicher Maßnahmen nicht beurteilen könnten (S. 192f.). Der Unkenntnis zum Trotz genießen kriminalgeographische Studien ein hohes Ansehen. Besonders die Befragten aus den Bereichen „Polizei, Justiz, Rechtspflege“ halten die Kriminalgeographie für „sehr geeignet“, praktische Präventionsratschläge zu entwickeln (S. 218f.) – wenngleich auch diese Berufsgruppen zu drei Vierteln die alten Studien nicht kannten (S. 174). Die Diskrepanz zwischen Unwissenheit und gleichzeitiger Sympathie für die städtebaulichen Kriminalprävention ist das interessanteste Ergebnis dieser Studie – ein Befund, der neue Fragen aufwirft.

Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland. Polizei und Bürgerrechte in den Städten, Köln 2002, 150 S., EUR 10,–

Der Band dokumentiert die Jahrestagung des Komitees im Herbst 2000. U.a.: Fritz Sack über die Wandlungen des Gewaltmonopols in Deutschland, Martin Kutscha und Fredrik Roggan über jüngere Polizeirechtsentwicklung, Wolfgang Hecker über die Verdrängung von Randgruppen aus den Innenstädten und Martin Herrnkind über rassistische und andere Implikationen der „Schleierfahndung“ – eine lohnende Lektüre für alle, die an einer kritischen Bestandsaufnahme interessiert sind.

(sämtlich: Norbert Pütter)

Zöller, Mark Alexander: Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, Heidelberg 2002 (C.F. Müller Verlag), 509 S., EUR 132,–

Moderne Kriminalitätsbekämpfung, so der Autor, zeichne sich dadurch aus, dass sie Vorfeldmaßnahmen mit dem Einsatz von Informationstech­nologien kombiniere. Polizei, Staatsanwaltschaften, Zoll und Geheim­dienste speichern daher nicht nur personenbezogene Daten in ihren Informationssystemen, sondern erheben sie zunehmend pro­aktiv, d.h. bevor überhaupt Straftaten begangen werden oder Gefahren entstehen. Vorsorge zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und vorbeugende Bekämpfung von Straftaten heißt dies im Polizei- und Strafprozessrecht. Dass durch diese sicherheitsbehördliche Datensammelei der Persönlichkeitsschutz der BürgerInnen bedroht ist, liegt auf der Hand.

Ausgehend vom Volkszählungsurteil und seinen Konkretisierungen will Zöller daher in dieser juristischen Dissertation Aufgaben und Befugnisse im Rahmen „moderner Kriminalitätsbekämpfung“ einer kritischen Prüfung unterziehen. Der Autor betrachtet dazu fast das gesamte Spektrum staatlicher Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich: das polizeiliche Informationssystem INPOL, Datenverarbeitung durch BKA, Zoll (INZOLL und KOBRA) und Geheimdienste (NADIS), DNA-Analyse-Datei, staatsanwaltschaftliche Register sowie auf europäischer Ebene das Schengener Informationssystem, EUROPOL und EUROJUST. An dieser Aufzählung wird bereits deutlich, dass die Arbeit stark in die Breite geht. Unklar bleibt, warum der Autor Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste nach dem G 10-Gesetz und verdachtsunabhängige Kontrollen durch den Bundesgrenzschutz untersucht. Während sich bei letz­teren die Frage stellt, in welchem Verhältnis die Maßnahme zum Untersuchungsgegenstand „Informationssysteme“ steht, erscheint die Auswahl der G 10-Überwachung als Vorfeldmaßnahme willkürlich. Diese Teile fallen daher ein wenig heraus aus der überwiegend gut lesbaren Darstellung der Datenverarbeitungssysteme und des Verhältnisses von Strafprozess- und Polizeirecht. Im Ergebnis bemängelt Zöller, dass die Vorgaben des Volkszählungsurteils ausgehöhlt werden, insbesondere das Zweckbindungsprinzip. Der Gesetzgeber solle sich auf die Grundprinzipien informationeller Selbstbestimmung besinnen und nicht bestehende Praxis und Begehrlichkeiten der Polizei verrechtlichen. Ein frommer Wunsch, der wohl trotz der lesenswerten Arbeit ungehört bleiben wird.

(Martina Kant)