Netz mit Webfehlern – Europas DNA-Datenbankenverbund

von Eric Töpfer

Die europaweite Verknüpfung polizeilicher DNA-Datenbanken schreitet voran. Wirklich reibungslos funktioniert der grenzüberschreitende Informationsaustausch, der auf eine Initiative des ehemaligen Bundesinnenministers Otto Schily aus dem Jahr 2003 zurückgeht, bislang allerdings nicht.

Stichtag ist der 26. August 2011: Bis dahin soll die Vernetzung der nationalen DNA- und Fingerabdruckdatenbanken sowie der Kraftfahrzeugregister aller 27 EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen sein; so gibt es der Ratsbeschluss der Europäischen Union (EU) 2008/615/JI zur „Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität“ vor.[1] Gemäß den Prüm-Beschlüssen, mit denen das 2005 geschlossene Abkommen in den EU-Rahmen überführt wurde, sollen europäische Polizeien die entsprechenden Datenbestände anderer Staaten automatisch durchsuchen können. Mit der Teilautomatisierung der Rechtshilfe würden sich lange Dienstwege verkürzen auf die Anfrage bei nationalen Kontaktstellen, die als elektronische Schnittstellen für die Datenabfrage bei den Partnerländern zuständig sind. In Deutschland übernimmt das Bundeskriminalamt diese Funktion, bei Kfz-Registerdaten zusammen mit dem Kraftfahrzeugbundesamt. Erst im Falle eines „Treffers“ müssten auf dem Wege klassischer Rechtshilfeersuchen weitere Informationen angefragt werden.

Doch Mitglied des Prüm-Netzwerkes zu werden, ist ein komplexer politischer und technischer Prozess: Nationales Recht ist anzupassen und die zentralen Kontaktstellen sind zu benennen. Mitunter müssen die abzufragenden Datenbanken erst eingerichtet und an S-TESTA, das gesicherte Netzwerk der europäischen Verwaltung, angeschlossen werden. Ein kleinster gemeinsamer datenschutzrechtlicher Nenner ist zu garantieren. Suchkapazitäten müssen geklärt und technische Spezifikationen erfüllt werden. Fragebögen müssen beantwortet und Testläufe erfolgreich durchgeführt worden sein. Schließlich ist eine Vor-Ort-Evaluation zu bestehen, bevor schlussendlich der Ministerrat der EU einstimmig beschließen muss, dass ein Mitgliedstaat mit dem automatisierten Datenaustausch starten kann.

Vor dem Hintergrund dieses aufwändigen Prozederes verwundert es nicht, dass bereits jetzt feststeht, dass der Termin am 26. August nicht zu halten ist. Im Oktober 2010 funktionierte, so eine Umfrage der belgischen Ratspräsidentschaft, nur in zehn Staaten der Austausch von DNA-Profilen, in sieben jener von Informationen aus Fahrzeugregistern, und nur fünf Länder waren in der Lage, Fingerabdrücke elektronisch abzugleichen. Dennoch verkündeten die Belgier hoffnungsfroh, dass „die meisten Länder überzeugt sind, für alle drei Datenkategorien die Deadline zu halten“, mussten aber zugleich einräumen, dass mindestens sechs Länder Ende August weder DNA- noch Fingerabdruckdatenbanken an das Prüm-Netzwerk angeschlossen haben werden. Fünf weitere Länder sehen sich außerstande, bis zum Stichtag ihre Kfz-Register grenzüberschreitend zu vernetzen.[2] In Reaktion auf die Schwierigkeiten mahnte der Rat der Innen- und Justizminister im November 2010, „dass die betreffenden Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen verstärken sollten und dass die Mitgliedstaaten, die die Prümer Beschlüsse bereits anwenden, sich noch mehr bemühen sollten, technische Unterstützung zu leisten.“[3]

Im Bereich DNA waren es im Oktober 2010 Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowenien, Spanien und Bulgarien, die zum Prüm-Netzwerk gehörten, sowie – noch in der Testphase – Belgien. Die Slowakei trat dem Informationsverbund im November bei.[4] Doch selbst zwischen diesen zwölf Ländern ist es keinesfalls so, dass jedes Land Zugriff auf die DNA-Datenbanken aller Partner hat. Die Spinne im Netz der europäischen DNA-Datenbanken ist gegenwärtig Österreich, das allein zu allen anderen Ländern einen direkten Draht hat. Deutschland hingegen kann nur mit fünf anderen Ländern DNA-Profile austauschen.[5] Eine deutsch-französische „Achse“, ansonsten Motor der europäischen Integration, gibt es zum Beispiel nicht, was den bayerischen Innenminister Joachim Hermann bereits im August 2009 zu dem verärgerten Kommentar veranlasste, dass der Nachbar die Strafverfolgung in Europa „unnötig“ behindere.[6]

Die Gründe für die schleppende Vernetzung sind vielfältig: Schwierigkeiten, politische Mehrheiten für die Anpassung des nationalen Rechts an die Vorgaben von Prüm zu mobilisieren, Kompetenzstreitigkeiten zwischen Behörden bei der Benennung der Nationalen Kontaktstelle, Ärger bei organisationsinternen Neustrukturierungen, die aus der Internationalisierung resultieren, sowie personelle und finanzielle Engpässe. Die größte Herausforderung scheinen aber technische Probleme zu sein. Mit ihnen kämpfen nach eigenen Angaben mindestens zehn Länder: Hardware oder Softwarekomponenten erweisen sich als inkompatibel oder der Anschluss ans S-TESTA-Netzwerk gelingt nicht reibungslos; mitunter müssen existierende Systeme komplett abgelöst werden. Durchschnittlich soll der Beitritt zum Prüm-DNA-Verbund knapp zwei Millionen Euro kosten, so das Ergebnis der belgischen Umfrage.[7] Allerdings dürften die Kosten insbesondere für Länder wie Italien, Griechenland, Malta oder Irland, die vor 2008 keine nationale DNA-Datenbank betrieben, weit höher liegen.[8]

Abhilfe schaffen sollen finanzielle Hilfen durch die EU-Kommission, ein „Helpdesk“ bei Europol sowie eine Expertengruppe des deutschen Bundeskriminalamtes. Letztere eilt als „Mobiles Kompetenzteam“ durch Europa, um überforderten Partnern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wie erfolgreich diese Maßnahmen sind, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Ab März 2011 wird eine Welle von abschließenden Evaluationen erwartet, die ihren Höhepunkt vermutlich in letzter Minute im Sommer des Jahres erreichen soll. Dass die absehbare Arbeitsbelastung allerdings von den wenigen Gutachtern in so kurzer Zeit zu stemmen sein wird, darf bezweifelt werden. Und dass die Evaluationen, die Grundlage für das grüne Licht des Rates der EU zum Start des Datenaustausches sind, schließlich positiv ausfallen, ist keinesfalls garantiert: „Das Prüm-Prozedere allein für sich ist ein zeitraubender Prozess; sollte es unverändert bleiben, scheint es äußerst unwahrscheinlich, dass alle Mitgliedstaaten bis zum 26. August 2011 zum Wirkbetrieb übergehen können. Selbst wenn alle anderen Schwierigkeiten – seien sie technischer, organisatorischer oder finanzieller Natur – gelöst wären, könnte sich dies [der absehbare Stau an Evaluationen] als eine der größten zu bewältigenden Herausforderungen bei der Umsetzung der Prüm-Beschlüsse erweisen“, warnt der Bericht der Belgier.[9] Nach den deutlichen Problemen mit der Installation von Europols Computersystemen und dem Schengen-Informationssystem II sieht es also sehr danach aus, als ob hochtrabende Pläne der europäischen Polizeikooperation erneut durch die Komplexität technischer Großprojekte ausgebremst werden.

Sechs Loci, ein Treffer?

Vermutlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis die Anlaufschwierigkeiten bei der Vernetzung der DNA-Datenbanken gelöst sind und das Prüm-Netzwerk voll operabel ist. Wesentlich folgenreicher für die zukünftige Praxis dürfte ein anderes Problem sein. Kapitel 1 des Anhangs zum Ratsbeschluss 2008/616/JI, der die technischen Details der Umsetzung des Prüm-Beschlusses ausführt, definiert die Regeln für den Austausch von DNA-Daten wie folgt: Übermittelt werden Zahlenpaare, die die Allele – Varianten eines Gens an einer bestimmten Stelle auf einem Chromosom – repräsentieren. Übermittelte DNA-Profile müssen Allelwerte für mindestens sechs der sieben Genstellen (sogenannte „Loci“) enthalten, die das „European Standard Set of Loci“ (ESS, im Folgenden auch kurz „Europäischer Standardsatz“) beinhaltet. Zusätzlich können sie je nach Verfügbarkeit weitere Loci – erlaubt sind insgesamt 24 – oder Leerfelder enthalten. Zwar wird empfohlen, „alle verfügbaren Allele in der Indexdatenbank für DNA-Profile zu speichern und für die Suche und den Abgleich zu verwenden“, um die Treffergenauigkeit zu erhöhen. Allerdings gilt bereits die Übereinstimmung von sechs Loci als „Treffer“.[10]

Doch mit der wachsenden Zahl der Mitglieder im Prüm-Netzwerk wächst das Risiko von „Zufallstreffern“. So rechnete man vor dem deutsch-niederländischen Massenabgleich von DNA-Profilen im Sommer 2008 mit 190 solcher falschen Treffer.[11] Zahlen zur tatsächlichen Bilanz wurden bis dato nicht veröffentlicht, und die Bundesregierung behauptet, dass hierzu keine Statistiken geführt werden.[12] Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Schwierigkeiten empfahl die „Arbeitsgruppe Informationsaustausch“ des Rates, „dass die nationalen DNA-Experten der anfragenden Mitgliedstaaten eine zusätzliche Prüfung solch möglicher Treffer vornehmen sollen, bevor sie das Ergebnis an andere Polizei- oder Justizbehörden übermitteln“. Es gelte, „die Balance zu wahren zwischen der Bereitstellung von Ermittlungshilfen für die Strafverfolgung, die das Ziel des Prümer Datenaustausches war, und der Vermeidung unnötigen Aufwandes bei der Nachverfolgung falscher Treffer.“[13]

Bekannt ist das Problem seit längerem. Bereits 2005 diskutierten Forensiker der European DNA Profiling Group (EDNAP)[14] und der DNA-Arbeitsgruppe des European Network of Forensic Science Institutes (ENFSI)[15] auf einem gemeinsamen Treffen die Möglichkeit, den Europäischen Standardsatz aus dem Jahr 2001 um weitere Loci zu erweitern.[16] Nachdem auf einem ENFSI-Treffen im Jahr 2008 die Erweiterung um fünf Loci beschlossen und eine entsprechende Vorlage erstellt worden war, verabschiedete der Rat der Innen- und Justizminister Ende November 2009 eine entsprechende Entschließung. Allerdings handelt es sich dabei im Gegensatz zu Beschlüssen des Rates nur um unverbindliches „soft law“, mit dem den Mitgliedstaaten lediglich empfohlen wird, „den neuen Europäischen Standardsatz so bald wie möglich, spätestens jedoch 24 Monate nach der Annahme dieser Entschließung, anzuwenden“.[17]

Umgangen hat man damit eine Änderung der Prüm-Beschlüsse, die insbesondere nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und der neuen Mitspracherechte des Europaparlamentes im Bereich der Polizeikooperation politisch kaum durchsetzbar schien. Gestritten wird seither um den Status der Entschließung. So behauptet die niederländische Delegation in der „Arbeitsgruppe Informationsaustausch“ in einer Note vom Juni 2010, dass die Prüm-Beschlüsse ausdrücklich zur Umsetzung eines neuen Europäischen Standardsatzes verpflichten.[18] In der deutschen Version des bemühten Rechtsaktes heißt es allerdings: „Jeder Mitgliedstaat sollte, so bald wie praktisch möglich, die Loci eines neuen ESS, der von der EU übernommen wurde, einführen.“[19] Eine Soll-Vorschrift, die sich zudem an der praktischen Realisierbarkeit orientiert. Eben hier liegt der Haken, da die Anpassung der jeweiligen nationalen Infrastruktur an den neuen Europäischen Standardsatz zumindest bei einigen Mitgliedstaaten mit erheblichem technischem und finanziellem Aufwand verbunden wäre.

Entsprechend überrascht es nicht, wenn in der Auswertung der oben zitierten belgischen Umfrage zu lesen ist: „Ein Mitgliedstaat zögert, all seine Profile für den Datenaustausch zugänglich zu machen, da dies dazu führen könnte, dass eine exzessiv hohe Zahl von Profilen aufgrund falscher Treffer ins Ausland übermittelt wird, was datenschutzrechtliche Probleme aufwirft.“[20] Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei dem zögerlichen Land um Großbritannien mit seiner knapp sechs Millionen Einträge schweren „National DNA Database“.[21] Im Zeichen von Wirtschaftskrise und drastischer Sparpolitik hält das Königreich wohl lieber die Mehrheit seiner gespeicherten DNA-Profile vom Prüm-Netzwerk fern, anstatt technisch von gegenwärtig zehn auf zwölf Loci umzurüsten. Zumindest vorübergehend scheint der Ausbau der pan-europäischen Überwachungsmaschinerie also an seine technischen und organisatorischen Grenzen zu stoßen. Vielleicht Zeit, um beim atemlosen Ausbau internationalisierter biometrischer Kontrolle kurz Luft zu holen und kritisch Bilanz zu ziehen.

Dieser Artikel erschien zuerst in einem Themenheft des „Gen-ethischen Informationsdienstes“ (GID) zur Expansion polizeilicher DNA-Datenbanken: GID Heft 204.

Eric Töpfer, Berlin, ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Die „Prüm-Beschlüsse“ sind mittlerweile auch auf die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen und Island ausgedehnt, vgl. Amtsblatt der EU (ABl. EU) L 353/1 v. 31.12.2009.
[2] Ratsdok. 15567/10 v. 28.10.2010
[3] Ratsdok. 15848/10 v. 8.11.2010
[4] Ratsdok. 14606/10 v. 29.10.2010 verabschiedet auf dem Ratstreffen vom 8.11.2010
[5] Ratsdok. 5904/5/10 v. 17.9.2010
[6] Focus Nr. 35/09 v. 24.8.2009
[7] Ratsdok. 14918/10 v. 19.10.2010
[8] Prainsack, B.; Toom, V.: The Prüm Regime. Situated Dis/Empowerment in Transnational DNA Profile Exchange, in: British Journal of Criminology 2010, No. 10, pp. 1117-1135 (1121)
[9] Ratsdok. 14918/10 v. 19.10.2010
[10] ABl. EU L 210/20 ff. v. 6.8.2010
[11] Van der Beek, K.: Exchange of DNA-profiles by the Treaty of Prüm, www.dna-conferen
ce.eu/ppt/Van%20der%20Beek.pdf
[12] BT-Drs. 16/14150 v. 22.10.2009
[13] Ratsdok. 8505/09 v. 15.4.2009
[14] EDNAP wurde 1988 auf Initiative des „London Metropolitan Police Forensic Science Laboratory“ als informelles Netzwerk forensischer Genetiker gegründet mit dem Ziel, die DNA-Analyse für die Strafverfolgung zu harmonisieren. Seit 1991 ist EDNAP formelle Arbeitsgruppe der „International Society for Forensic Genetics“, die mit Sitz in Mainz die Interessen ihrer mehr als 1.100 Mitglieder aus 60 Ländern vertritt. Damit ist EDNAP vereinsrechtlich organisiert, übt aber – u.a. gefördert mit EU-Geldern – erheblichen Einfluss auf die offizielle Entwicklung der DNA-Analyse aus, vgl. www.isfg.org/EDNAP.
[15] ENFSI wurde 1995 als Netzwerk staatlicher forensischer Institute gegründet. Gegenwärtig hat die Organisation 58 institutionelle Mitglieder in 33 Ländern, u.a. das Kriminaltechnische Institut beim Bundeskriminalamt. Inzwischen müssen ENFSI-Mitglieder nicht mehr notwendigerweise staatliche Einrichtungen sein. Es reicht, wenn sie einen „glaubwürdigen Status“ in ihrem Heimatland genießen und die Qualität ihrer Arbeit nach ISO-Norm 17023 zertifiziert ist (oder werden soll); vgl. www.enfsi.eu.
[16] Gill, P. et al.: The Evolution of DNA Databases – Recommendations for new European STR loci, in: Forensic Science 2006, No. 156, pp. 242-244
[17] ABl. EU C 296/1 v. 5.12.2009
[18] Ratsdok. 11084/10 v. 16.6.2010
[19] § 1.1 in Kapitel 1 des Anhangs zum Ratsbeschluss 2008/616/JI
[20] Ratsdok. 14918/10 v. 19.10.2010
[21] National DNA Database Statistics, www.npia.police.uk/en/13338.htm

Bibliographische Angaben: Töpfer, Eric: Netz mit Webfehlern. Europas DNA-Datenbankverbund, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 97 (3/2010), S. 80-85