Literatur

Zum Schwerpunkt

Jenseits der vorherrschenden Meinung in Polizei und Politik, dass die Polizei in Deutschland ausreichend kontrolliert sei, steht eine beschränkte Zahl von Veröffentlichungen, die eine wirksame externe Kontrolle der Polizei fordern und/oder auf die Kontrollmechanismen in anderen Ländern verweisen. Insgesamt sind die in deutscher Sprache verfügbaren Informationen äußerst dürftig. Weder existiert für das Inland auch nur eine Untersuchung, in der Kontrolle und Kontrolldefizite etwa polizeilicher Todesschüsse oder der Gewaltanwendung durch PolizistInnen über Einzelfälle hinaus untersucht würde, noch gibt es in nennenswertem Umfang Darstellungen über die Vorkehrungen und Erfahrungen im Ausland.

Lehne, Werner: Aus Fehlern lernen oder Fehlverhalten kontrollieren und sanktionieren? – Die Erfahrungen der Hamburger Polizeikommission, in: Liebel, Karlhans (Hg.): Fehler und Lernkultur bei der Polizei, Frankfurt/M. 2004, S. 123-137

Dieser Aufsatz des Hamburger Kriminologen, der hauptberuflich für die Kommission arbeitete, liefert eine Bilanz des bislang einzigen Versuchs einer polizei-externen Kontrolleinrichtung. Seine Analyse weist auf die Grenzen der Kontrolle hin, die sich aus dem Auftrag der Polizei und der korrespondierenden Polizeikultur ergäben.

Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsfraktion (Hg.): Extern und unabhängig? Eine Polizeibeschwerdestelle in Sachsen-Anhalt – ein Modell für den Bund?, Berlin 2008 (www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/publikationen/reader/reader_extern_und_unabhaengig_eine_poliz.pdf)

Im Zusammenhang mit der Debatte um die „Polizeibeschwerdestelle“ in Sachsen-Anhalt veranstaltete die Grüne Bundestagsfraktion eine Anhörung, die in dieser Veröffentlichung dokumentiert wird. Besonders lesenswert ist der Beitrag von Michael Sturm über die „Entwicklungslinien demokratischer Kontrolle von Polizei“ in der Geschichte der BRD.

Amnesty International: Unabhängige Untersuchungsmechanismen in Fällen von rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland, Berlin 2010 (www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/PP_UnabhUntersuchungsmech_2010.pdf)

Amnesty International: Fachkonferenz Polizei und Menschenrechte, Berlin 2010 (www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/Konferenz-Dokumentation.pdf)

Amnesty International fordert schon lange die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz für die deutschen Polizeien. Im Positionspapier vom Juni 2010 werden die Argumente auf sechs Seiten zusammengetragen. Bezugspunkte bilden dabei insbesondere die Vorgaben des Völkerrechts sowie die Empfehlungen etwa des Menschenrechtskommissars des Europarates. Amnesty formuliert eine Reihe von Merkmalen, über die wirksame Kontrolleinrichtungen verfügen müssten. Auf der Fachkonferenz, die ai im Oktober 2010 veranstaltete, wurde über Erfahrungen im Ausland (England, Österreich) wie in Deutschland (Köln, Sachsen-An­halt) berichtet. Außerdem kamen unterschiedliche Positionen zur Kontrollfrage zu Wort. Leider sind die Beiträge nicht im Original dokumentiert, sondern nur in der Zusammenfassung durch Amnesty.

Menschenrechtskommissar des Europarates: Stellungnahme des Menschenrechtskommissars des Europarates zur unabhängigen und effektiven Untersuchung von Beschwerden gegen die Polizei (CommDH(2009)4), Straßburg 2009 (https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1726977&Site=CommDH)

In diesem Dokument formuliert der Menschenrechtskommissar die Grundzüge, die seiner Ansicht nach ein wirkungsvolles Beschwerdesystem aufweisen muss. „Ein unabhängiges und effektives Polizeibeschwerdesystem ist von grundlegender Bedeutung für einen demokratischen und rechenschaftspflichtigen Polizeidienst.“ Diesen ersten Satz seiner Zusammenfassung haben die deutschen Innenminister bis zum heutigen Tag konsequent ignoriert.

Mawby, Rob; Wright, Alan: Police Accountability in the United Kingdom, January 2005 (www.humanrightsinitiative.org/programs/aj/police/res_mat/police_accountability_in_uk.pdf)

Wer sich dafür interessiert, ob und wie Polizei anderswo in der Welt kontrolliert wird, kann einige interessante Anregungen und Erfahrungen finden. Leider sind die deutschen Veröffentlichungen (etwa zu Australien von Manfred Brusten, zu Kanada und den Niederlanden in früheren CILIP-Heften) veraltet. Der Beitrag von Mawby und Wright stellt die verschiedenen Instrumente und Ebenen der Kontrolle der Polizei in England und Wales dar. Neben der gerade gegründeten IPCC (s.u.) werden interne Kontrollen, aber auch die durch Nichtregierungsorganisationen und die Öffentlichkeit gewürdigt.

Filstad, Catherine; Gottschalk, Petter: Performance evaluation of police oversight agencies, in: Policing & Society 2011, No. 1, pp. 96-109

Ausgehend von der Tätigkeit des „Norwegian Bureau for Investigation of Police Affairs“ werden in diesem Beitrag fünf Kriterien entwickelt, mit deren Hilfe die Wirksamkeit von Kontrollmechanismen bewertet werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Büro um eine Ermittlungs- und Anklagebehörde der Justiz handelt.

Prenzler, Tim: The evolution of police oversight in Australia, in: Policing & Society 2011, No. 4, pp. 284-303

Der Aufsatz gibt einen Überblick über die Entwicklung der Polizeikontrolle in den acht Bundesstaaten bzw. Territorien Australiens. Insgesamt sind die Kontrollmechanismen im letzten Jahrzehnt ausgebaut worden.

Perez, Thomas E.: External Governmental Mechanisms of Police Accountability: Three Investigative Structures, in: Policing & Society 2000, No. 1, pp. 47-77

In diesem Beitrag werden staatliche polizei-externe Kontrollmechanismen in den USA, Südafrika und Indien verglichen. Dass der Autor der justiziellen Aufarbeitung im Grand Jury-System den Vorzug gibt, mag auf seine Tätigkeit in der US-Regierung zurückzuführen sein. Seine Ausführungen zum „Independent Complaints Directorate“ in Südafrika und der indischen „National Human Rights Commission“ sind lesenswert – auch, was der Autor vermisst, wenn sie über keine Sanktionsmöglichkeiten verfügen.

Aus dem Netz

www.gardaombudsman.ie

Die „Garda Sìochána Ombudsman Commission”, die unabhängige Kontrollinstanz der Polizei der Republik Irland, arbeitet seit 2007. Ihre Seite informiert darüber, wie BürgerInnen ihre Beschwerden an die Kommission richten können, und über deren Untersuchungsmöglichkeiten. Sie gibt einen monatlichen Überblick über die eingegangenen Beschwerden (im Oktober 2011: 176) und deren Folgen. So hat sie etwa in 592 der im laufenden Jahr insgesamt eingegangenen 1.945 Beschwerden eine eigene Untersuchung der Vorwürfe unternommen. In den ersten zehn Monaten des Jahres hat sie 68 Todes- oder Verletzungsfälle im Polizeigewahrsam untersucht. In (meist nicht sehr umfangreichen) Einzelpublikationen werden die Ergebnisse zu einzelnen Beschwerden veröffentlicht. Hinzu kommt ein zusammenfassender jährlicher Tätigkeitsbericht.

www.ipcc.gov.uk

Die „Independent Police Complaints Commission“ ist die zentrale Beschwerdeinstanz für die Polizei in England und Wales; sie löste 2004 die seit 1984 bestehende „Police Complaints Authority“ ab. Die Kommission untersucht Beschwerden über die Polizeiarbeit und von sich aus (d.h. unabhängig von Beschwerden) bestimmte Amtsdelikte sowie Todesfälle und ernstere Verletzungen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen. Das Beschwerdesystem kennt vier unterschiedliche Arten von Untersuchungen, deren letzte Stufe die „unabhängigen Untersuchungen“ durch die IPCC selbst bildet. Zu diesem Zweck verfügt die Kommission über eigene ErmittlerInnen, die über polizeiliche Befugnisse verfügen. Auf der Homepage wird die Arbeit der IPCC ausführlich dokumentiert. Im Unterschied zum irischen Pendant werden regelmäßig die ausführlichen Untersuchungsberichte veröffentlicht.

Beide Kommissionen sind in ihrer Wirksamkeit begrenzt. BefürworterInnen externer Kontrollen können sich an diesen Modellen orientieren. Und die GegnerInnen können daraus lernen, dass Transparenz und Verantwortlichkeit weder die Polizei noch den Staat bedrohen. (Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Ritzi, Matthias; Schmidt-Eenboom, Erich: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann, Berlin (Ch. Links Verlag) 2011, 248 S., EUR 19,90

Anfang 2011 hat auch der Bundesnachrichtendienst (BND) unwillig und eher etwas halbseiden eine Historikerkommission in seinen Archivkeller schicken müssen, um dort die braune Vergangenheit des Dienstes aufzuarbeiten. Seither erscheinen in unregelmäßiger Folge in unterschiedlichen Zeitungen immer wieder Geschichten, von denen man meist irgendwie schon mal gehört oder zumindest etwas geahnt hatte. Ähnliches gilt für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundeskriminalamt (BKA). So arbeiten Sicherheitsbehörden eben ihre alten Naziwurzeln auf und ab. Da freut man sich schon, wenn hierzu plötzlich ein komplettes Buch auf den Markt kommt. Selbst wenn – wie sollte es auch anders sein – Erich Schmidt-Eenboom dabei als Co-Autor seine Finger im Spiel hat. Doch mit einer solchen Wertung allein täte man Matthias Ritzi unrecht, der die Urschrift schon 2010 als Promotionsschrift an der Universität Innsbruck vorgelegt hat. Diesem Umstand ist es vermutlich geschuldet, dass seine Fleißarbeit auch als Buch noch randvoll ist mit Namen, Daten und Hintergründen aus der braunen Zeit des BND – bis hin in allerletzte Nebensächlichkeiten. Das macht das Buch deshalb nicht schlecht, aber in der Lektüre unendlich zäh, so dass nur wenige bis zum Ende durchhalten werden. Schade, insoweit leider eine vertane Chance!

Letho-Bleckert, Katriina: Ulrike Meinhof 1934-1976. Ihr Weg zur Terroristin, Marburg (Tectum Wissenschaftsverlag) 2010, 720 S., EUR 29,90

Petermann, Axel: Auf der Spur des Bösen. Ein Profiler berichtet, Berlin (Ullstein Verlag) 2010, 300 S., EUR 8,95

Groß, Hermann; Schmidt, Peter (Hg): Empirische Polizeiforschung XIII. Polizei: Job, Beruf oder Profession?, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2011, 191 S., EUR 19,80

Diese Bücher könnten thematisch und stilistisch kaum unterschiedlicher sein. Sie gemeinsam zu rezensieren, mag daher zunächst erstaunen. Und doch haben alle drei etwas gemeinsam: Ihren Stellplatz im Regal könnte man auch mit Nippes füllen.

Noch ein Buch über Ulrike Meinhof! Dass man selbst in Finnland als seinerzeitige Gymnasiastin von der RAF und den sie damals prägenden Personen gehört hat, ist noch nachvollziehbar. Warum man dann Jahrzehnte später als Philosophin und Historikerin jedoch noch ein Buch über Ulrike Meinhof schreiben muss, wird hingegen wohl das persönliche Geheimnis der Autorin bleiben. Allein der Umzug nach Berlin-Kreuzberg kann es nicht gewesen sein, denn bereits früher veröffentlichte Letho-Bleckert in ihrer Heimat ein Sachbuch über Ulrike Meinhof, und auch die Forschungsarbeiten zum jetzigen Buch begannen bereits vor 2007. Akribisch bis in letzte Einzelheiten recherchiert ist es schon – was man von so einem dickleibigen Wälzer sicher erwarten darf. Aber wirft es deshalb ein neues Licht auf die Person Ulrike Meinhof und macht ihre „Entscheidungen nachvollziehbar und auf frappierende Weise verständlich“? Diese Frage muss letztlich jeder, der sich durch die Seiten quälen will, für sich selbst entscheiden. Meine Antwort lautet: Nein.

Der Kriminalkommissar Axel Petermann hingegen ist Praktiker; seit 30 Jahren bei der Bremer Kripo und nach längerer Zeit bei der Mordkommission inzwischen Leiter der dortigen Dienststelle „Operative Fallanalyse“. Wenn also ein Profiler, wie es unterdessen ja auch neu-deutsch heißt, über seine Fälle und Arbeit berichtet, könnte dies spannend, interessant und sogar erhellend sein. Ist es aber nicht. Für Krimifans ist das Ganze einfach zu dröge; für jeden, der sich intensiver mit Polizei und Polizeiarbeit beschäftigt, hingegen zu oberflächlich und nichtssagend.

Und aus dem Verlag für Polizeiwissenschaft hat man auch schon Besseres auf den Tisch bekommen. Der Bericht über die 13. Tagung „Empirische Polizeiforschung“ vom Juli 2010 reicht von stets wiederkehrenden Begriffsdefinitionen bis hin zur Sezierung polizeilicher Arbeit und deren Wiedergabe in TV-Krimi-Serien. Und dies alles in einem derart über­stelzten wissenschaftlichen Sprachduktus, dass Interessierte in Polizeien und Ministerien (sofern sie nicht zum Zwangslesen verurteilt sind) es schon nach wenigen Seiten entnervt in die Ecke werfen werden. Halbwegs aufschlussreich ist allenfalls der Beitrag von Lena Lehmann über polizeiliche Auslandsmissionen (S. 131-143).

(sämtlich: Otto Diederichs)

Koltermann, Lars: Police Private Partnership. Tönning (Der Andere Verlag), 2006, 188 S., EUR 27,90

Die Kriminalität steigt und steigt, die finanziellen Spielräume des Staates sinken und sinken, die „staatlichen Monopole verfallen mehr und mehr“ (S. 30). Public-Private-Partnerships können „oftmals professionellere Entscheidungen“ treffen und „sind wesentlich unabhängiger von politischer Einflussnahme als die Kernverwaltung“ (S. 45). Mit diesen apodiktischen und zum Teil vom Autor selbst widerlegten Behauptungen (zur Kriminalitätsentwicklung, vgl. S. 22-24) wird die Diskussion der 1990er Jahre zum möglichen Einsatz kommerzieller Sicherheitsdienste im Lichte des staatlichen Gewaltmonopols nacherzählt. „Da die Polizei zu einer alleinigen Gewährleistung von Sicherheit nicht mehr in der Lage ist“, so Koltermann, könne „eine Kooperation aller Sicherheitsverantwortlichen dieses Defizit beheben“ (S. 58). Die an der juristischen Fakultät der Universität Kiel angenommene Dissertation betrachtet sodann knapp und empirisch dünn die Police-Private-Partnerships in den Städten Düsseldorf, Frankfurt/M., Kiel, München, in der Abschiebehaftanstalt Büren und in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen (S. 65-76), ohne die genannte These belegen zu können. Ohne detaillierte Begründung heißt es – nach einer breiten Auseinandersetzung mit bekannten Positionen zum Für und Wider der Einsatzmöglichkeiten und -be­dingungen kommerzieller Sicherheitsdienste (S. 77-161) – „von einer systematischen Arbeitsentlastung der Polizei kann folglich keine Rede sein“ (S. 163). Wer, so abschließend der Autor, nicht auf Beleihung oder Verwaltungshilfe zurückgreifen wolle, müsse sich „weiterhin auf das ‚Beobachten, Erkennen und Melden‘ beschränken“ (S. 167). Eine deutlich bessere Qualifikation des Wachpersonals vorausgesetzt, seien Police-Private-Partnerships „eine interessante Alternative zur Entlastung der Polizei“, die allerdings „nicht zu Lasten der Polizeistärke gehen“ dürfte (S. 170). Es handelt sich um eine knappe Zusammenfassung der Debatten bis zum Jahr 2003, einen eigenständigen Gedanken entwickelt die Arbeit allerdings nicht.

Mayer, Marlene: Öffentliche Sicherheit und Ordnung in Sportstadien. Veranstaltungsrecht, Sicherheitspolizei, private Sicherheitsdienste, Wien (Jan Sramek Verlag) 2009, 299 S., EUR 68,

Ausgehend von der These, Fußball und Eishockey seien „nicht nur gesell­schaftsrelevante Sportarten, die helfen, Gewalt und Aggression zu kanalisieren, sondern auch Ursachen großer Sicherheitsprobleme“ (S. 1), liefert der Band einen Überblick über veranstaltungs- und sicherheitspolizeiliche Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung öffent­licher Sicherheit und Ordnung in Fußball- und Eishockeystadien Österreichs ergriffen werden können. Dass Sport „helfen“ kann, Gewalt und Aggression zu kanalisieren, wird nicht belegt. Warum Fußball und Eishockey „Ursachen“ von Sicherheitsproblemen und nicht etwa Ausdruck gesellschaftspolitischer Problemlagen oder, schlichter, zunächst logistische Herausforderungen darstellen, erschließt sich auch nicht recht. Darum geht es der promovierten Juristin aber auch nicht. Ziel der Arbeit ist eine umfassende Bestandaufnahme der juristisch kodifizierten Maßnahmen im Sportbereich, zu denen etwa die „Gewalttäterdatei Sport“, Gefährder­ansprachen, Platzverweise, Durchsuchungsanordnungen und Überwachungsmaßnahmen in und um Stadien sowie der Einsatz kommerzieller Sicherheitsdienste gehören. Der Band erläutert zwar das einschlägige österreichische Recht, geht allerdings mit keiner Silbe auf bürgerrechtliche Problemlagen ein.

Förster, Stig; Jansen, Christian; Kronenbitter, Günther (Hg.): Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär zwischen staatlichem Monopol und Privatisierung: Von der Antike bis zur Gegenwart. Paderborn (Ferdinand Schöningh) 2010, 323 S., EUR 38,

Heck, Daniel: Grenzen der Privatisierung militärischer Aufgaben. Ba­den-Baden (Nomos) 2010, 270 S., EUR 69,

Dass die allmähliche Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 begann und die Schaffung des Bürgersoldaten im Laufe des 19. Jahrhunderts „die unzuverlässigen und schwer kontrollierbaren Söldlinge verdrängte“ (S. 11), ist für das westliche Europa des 21. Jahrhunderts ebenso wahr wie die Feststellung der Herausgeber des Bandes „Rückkehr der Condottieri?“, dass die „Meistererzählung von der Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols nicht nur erhebliche Differenzierungen“ nötig hat, sondern „in vielen Punkten grundlegend infrage“ zu stellen ist (S. 25). Die 19 Kapitel – von der Antike über den Dreißigjährigen Krieg und das „lange 19. Jahrhundert“ bis zum Einsatz privater Militärfirmen heutiger Tage – leistet dazu einen Beitrag und legt anschaulich dar, dass von „neuen“ Kriegen oder „neuen Asymmetrien“ in historischer Perspektive nur schwerlich gesprochen werden kann. Noch bis 1907 etwa war der Seeraub im staatlichen Auftrag, das Kapern von Schiffen, legal und spielte vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle im Wirtschaftskrieg zur See. Auch Piraten waren für England bis ins 18. Jahrhundert eine „willkommene Hilfstruppe im Kampf gegen konkurrierende Kolonialmächte“ (S. 80), so Jann M. Witt in seinem Beitrag. Andreas Stucki beschreibt den Einsatz von bis zu 33.000 Söldnern, maßgeblich finanziert durch die spanientreue Finanzbourgeoisie in Havanna, die gegen die auf Kuba kämpfende Guerillabewegung zwischen 1868 und 1898 vorgingen. Shell Nigeria beschäftigt gegenwärtig 600 bewaffnete Polizisten und 700 Soldaten zum Schutz der Förderanlagen, die sie von der Regierung mietet, die auf diese Einnahmen angewiesen ist. „Eine sinnvolle Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sicherheit kann“, so Marc von Boemcken, „in einer derartigen Konstellation freilich nicht mehr getroffen werden … Der Staat stellt also kein Gegengewicht zur fortschreitenden Ökonomisierung der Sicherheit dar, sondern ist selbst daran beteiligt“ (S. 308).

Diesen Gedanken nimmt Daniel Heck in seiner juristischen Dissertation zur staatlichen Beauftragung privater Militärunternehmen anhand der Verfassungsordnungen Deutschlands und der USA sowie des Völkerrechts auf. In den USA gehe es vor allem um die Kontrolle der privaten Militärs, andere Schranken für deren (Kampf-)Einsatz seien nicht eingebaut. Heck stellt für die Bundesrepublik lapidar, aber juristisch überzeugend fest: „Private sind auf den Bereich der Logistik beschränkt“ (S. 135). Ob und wieweit allerdings eine trennscharfe Differenzierung von Logistik und (Kampf-)Einsatz, von Zivilist und Kombattant etwa beim Betrieb von Drohnen oder Satelliten im modernen Krieg gelingen kann, erscheint fraglich. Insoweit tönt die These, es ließe sich „von einem Wehrmonopol des Grundgesetzes sprechen“ (S. 137) recht optimistisch. Privates Militärpersonal bewegt sich je nach Auftrag an der humanitärvölkerrechtlichen Unterscheidungsgrenze zwischen zu den Streitkräften gehörenden Kombattanten und diese begleitenden Zivilpersonen und weicht mithin diese Unterscheidung auf. Heck betont mit Blick auf Menschenrechte und Völker(straf)recht, dass Staaten „weiterhin als zentrale Adressaten“ vonnöten seien (S. 218) und insoweit ein Verbot privater Militärfirmen unrealistisch und deren „nicht nur faktische, sondern auch formelle Eingliederung in die Streitkräfte wünschenswert“ sei (S. 219). Nicht zuletzt, weil dieselben Staaten, die im so genannten Krieg gegen den Terror „eine dritte Kategorie ‚illegaler Kombattanten‘ schaffen … andererseits für die Anerkennung der von ihnen beauftragten Mitarbeiter privater Militärunternehmen als Zivilisten“ eintreten (S. 214). Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, mit welchen Bandagen das private Militärbusiness und seine Auftraggeber für ihre Profite dies- und jenseits des Rechts agieren werden. Heck hat für den deutschsprachigen Raum mit seiner Arbeit erstmals umfassend und kritisch nicht nur die gegenwärtigen rechtlichen Schranken für private Militärs, sondern auch zukünftige Möglichkeitsräume zur (adäquaten) Regulierung dieses „Business“ ausgeleuchtet.

Francioni, Francesco; Ronzitti, Natalino (eds.): War by Contract. Human Rights, Humanitarian Law, and Private Contractors, Oxford (Oxford University Press) 2011, 532 S., EUR 92,

Für die Bundesregierung, die im September 2011 die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zur „Regulierung privater Militär- und Sicherheitsfirmen“ (nicht) beantwortet hat (BT-Drs. 17/6780) und im selben Monat das Ansinnen der deutschen Wirtschaftsflotte zurückwies‚ deren Schiffe durch Polizei vor Piraterie zu schützen, erscheint dieser Sammelband als eine Art Nachhilfeunterricht in 23 Einzelbeiträgen.

Im Abschnitt I wird bereits deutlich, dass ohne verbindliche internationale Vereinbarungen (zu der auch ein schlichtes Verbot von kommerziellen Militärfirmen gehören könnte) die Private Military Security Industry (PMSI) nicht kontrolliert werden kann (S. 11-36). Der nachfolgende Beitrag von Mitherausgeber Ronzitti (S. 37-51) zeigt, dass auch der Einsatz der PMSIs gegen Piraten mit zahlreichen juristischen und menschenrechtlichen Herausforderungen verbunden ist. Die weiteren Beiträge heben hervor, welchen Einfluss private Militärunternehmen auf die Menschenrechte (Abschnitt II, S. 55-196) und das Humanitäre Völkerrecht (Abschnitt III, S. 197-342) haben bzw. wie sie durch die genannten Rechtsnormen (bisher nicht hinreichend) reguliert werden. Die Abschnitte IV (S. 343-422) und V (S. 423-489) setzen sich mit Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen kommerzieller Sicherheitsdienst­leister sowie mit Fragen zur Schuldfähigkeit, Immunität und zivilrechtlichen Haftung dieser Firmen und ihrer Mitarbeiter auseinander.

Der Sammelband, der allein 28 Seiten für die Auflistung sämtlicher multilateraler Verträge, Vereinbarungen, Gesetze und weiterer juristischer Instrumente zwischen den Jahren 1856 und 2010 verwendet, geht auf das seit 2008 von der EU finanzierte und von elf Universitäten getragene Forschungsprojekt „Regulating the Privatisation of ‚War‘“ zurück. Er stellt zusammen mit der Monographie „Corporate Warriors“ (Peter W. Singer, 2003) und dem Sammelband „Private Military and Security Companies“ (Jäger & Kümmel, 2007) den gegenwärtigen Forschungsstand zu den Herausforderungen dar, die mit der Kommerzialisierung des staatlichen Gewaltmonopols verbunden sind. (sämtlich: Volker Eick)