Zwangsräumung am 27.3.2014 in Berlin. www.montecruzfoto.org

Kontrolle der Polizei – Demokratische Selbstverständlichkeit oder starker Staat

von Norbert Pütter

Im demokratischen Rechtsstaat, so die herrschende Lehre, wird die Polizei umfassend kontrolliert. Die Wirklichkeit spricht jedoch eine andere Sprache. Das zeigen nicht nur die lange Geschichte offenkundiger Kontrollprobleme, sondern auch die besonderen Anstrengungen, die in anderen Ländern unternommen werden.

In der Polizei manifestiert sich das staatliche Gewaltmonopol praktisch. Es ist ihr spezifischer Auftrag, im Wortsinne handgreiflich zu werden, wenn die BürgerInnen sich den allgemeinen Gesetzen nicht freiwillig fügen. Die Polizei in vorderster Front, gestützt auf das Gesetz, begleitet und unterstützt von den anderen Instanzen des Strafverfolgungssystems, soll die bestehende Ordnung aufrechterhalten. Diese idealtypische Konstruktion ist seit jeher mit einem Problem konfrontiert: „Quis custodit custodes?“ („Wer bewacht die Wächter?“) Wie kann sichergestellt werden, dass diejenigen, die den Gesetzen Geltung verschaffen sollen, sich auch selbst an Recht und Gesetz halten?

Offenkundig ist, dass liberale Verfassungsstaaten durch ein Geflecht von Normen, Institutionen und Verfahren versuchen, die staatlichen Organe selbst an die Einhaltung des Rechts zu binden. Das soll ihre besondere Qualität im Vergleich zu Diktaturen und anderen Formen der Willkürherrschaft ausmachen. Das Repertoire zur bewussten Begrenzung staatlicher Gewalt beginnt – in der Bundesrepublik – bei den verfassungsmäßigen Garantien der Grundrechte, umfasst die vielfältigen Aspekte des Rechtsstaatsgebots, unterwirft auch polizeiliches Handeln der rechtlichen Überprüfbarkeit (bis zum Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) und bindet es in ein dichtes Geflecht disziplinarischer Kontrolle und politischer Verantwortlichkeit ein.[1] Offenkundig ist aber auch, dass diese Vorkehrungen zur demokratischen „Einhegung“ staatlicher Gewalt zu oft ins Leere laufen, bloße – mitunter wohlklingende – Versprechungen darstellen, die der Realität polizeilichen Handelns nicht gerecht werden. Sowohl der für die Polizei verantwortlichen Politik als auch der mit der Polizei verbundenen Justiz fehlen der notwendige Abstand und ein nachhaltiges Interesse, gegen polizeilichen Gewaltmissbrauch konsequent vorzugehen. Deshalb liegt es auf der Hand, dass die Polizei einer besonderen Kontrolle bedarf.

Die Einsicht, dass diese „besondere Kontrolle“ nicht vom Polizeiapparat selbst geleistet werden kann, dass es externer, eben nicht-polizeilicher Einrichtungen bedarf, um die Polizei zu kontrollieren, ist in den Staaten der „westlichen Welt“ weit verbreitet. Eine niederländische Untersuchung[2] aus dem vergangenen Jahrzehnt kommt zu dem Ergebnis, dass in 19 der 27 EU-Mitgliedstaaten spezielle Einrichtungen zur Polizeikontrolle bestehen. Dazu zählen 1. gesonderte Ermittlungseinrichtungen auf der Ebene der Innenministerien (z.B. in Griechenland, der Slowakei, Polen oder Slowenien), 2. Ombudsleute, die eine spezielle Zuständigkeit für Beschwerden über die Polizei besitzen (in den Niederlanden, Schweden, Spanien oder Rumänien) und 3. gesonderte externe Kontrolleinrichtungen wie in England und Wales, Irland, Frankreich, Belgien, Portugal oder Zypern. Deutschland wird in dieser Untersuchung ebenfalls zur Mehrheit jener EU-Staaten gezählt, die über solche besonderen Einrichtungen verfügen. Hierzulande könnten nämlich Beschwerden über die Polizei auch an die Petitionsausschüsse der Landtage und des Bundestages gerichtet werden. Angesichts der Realität und der Bedeutungslosigkeit dieser Ausschüsse – wie im Übrigen auch derjenigen der Ombudsmänner, die in einigen Bundesländern wirken – gehört Deutschland faktisch zur Minderheit der EU-Staaten, die glauben, ohne spezifisch die Polizei kontrollierende Instanzen auskommen zu können.

Auch der Blick auf vergleichbare Staaten jenseits der EU zeigt,[3] dass die Bundesrepublik weit hinter den Standards ihrer Vergleichsgruppe zurückbleibt: Norwegen, Kanada, Australien und Südafrika verfügen – teilweise seit Jahrzehnten – über externe Einrichtungen zur Polizeikontrolle. Die wiederholten internationalen Aufforderungen, einen externen Kontrollmechanismus zu schaffen,[4] sind bei deutschen Regierungen nur auf Ablehnung gestoßen.

Staatsfixierung aus Tradition und Überzeugung

Der Einsicht, dass die Polizei einer besonderen Kontrolle bedarf, und ihrer besonderen Stellung keineswegs dadurch Rechnung getragen wird, sie genauso zu kontrollieren wie Lehrerinnen oder Beamte des Bauamtes, steht die historisch gewachsene deutsche Staatsfixierung entgegen. Nach diesem Verständnis wird „Sicherheit“ vom Staat gewährt, sie kommt von „oben“ und stellt keine Aufgabe dar, die in der Verantwortung der BürgerInnen wahrgenommen werden muss. In dem Maße, wie die westdeutsche Polizeipolitik nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an Eigenständigkeit gegenüber den Alliierten gewann, wurden deren Vorstellungen einer zugleich kommunal organisierten und kommunal kontrollierten Polizei rückgängig gemacht. Die Verstaatlichung der Polizeien war Anfang der 1970er Jahre abgeschlossen. Die in der Britischen Zone geschaffenen Kontrollausschüsse wurden auf unbedeutende und allenfalls legitimatorisch wirkende „Polizeibeiräte“ reduziert, die in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bis heute bestehen.[5]

Angesichts der staatsfixierten Polizeitradition verwundert es nicht, dass das Kontrollproblem in Deutschland auf geringes öffentliches Interesse stößt. Der jahrzehntelange Widerstand gegen eine persönliche Kennzeichnung von PolizistInnen ist ein deutliches Indiz für mangelndes bürgerschaftliches Selbstbewusstsein in Deutschland. Namens- oder Nummernschilder sind zwar nur ein erster Schritt, Kontrolle auf der Ebene konkreter Handlungen und Verantwortlichkeiten zu ermöglichen. Den haben in den letzten zwei Jahren aber nur zwei Bundesländer gewagt – gegen die politische Ablehnung in den Parteien (namentlich bei CDU und CSU) und den anhaltenden Widerstand der Polizeigewerkschaften, die rundweg jedes besondere Kontrollbedürfnis bestreiten.[6]

Eine Kennzeichnung, die bewirkte, dass die handelnden PolizistInnen nicht länger in der Anonymität der mitunter bis zur Vermummung aufgerüsteten Uniform verschwinden können, beträfe nur einen Aspekt der Kontrolle. Denn jenseits der Fälle offenkundigen Fehlverhaltens, in denen die PolizstInnen nicht namentlich ermittelt werden können, lässt sich leicht eine ebenso lange Liste derjenigen Beispiele erstellen, in denen die Handelnden namentlich bekannt waren, die bestehenden Kontrollmechanismen aber ins Leere liefen – von der in Filmaufnahmen festgehaltenen massiven Gewaltanwendung gegen den Journalisten Oliver Neß während einer Demonstration in Hamburg (der Bundesgerichtshof sprach die beteiligten Polizisten vier Jahre nach dem Übergriff frei, u.a. weil der polizeiliche Videobeweis verschwunden war) bis zu den zwölf tödlichen Polizeischüssen, durch die der Regensburger Student Tennessee Eisenberg im April 2009 getötet wurde (die Staatsanwaltschaft eröffnete kein Verfahren gegen den Schützen).

Während in anderen Ländern bekannt gewordene grobe Fälle polizeilicher Übergriffe zur Einrichtung und Verbesserung der Kontrollinstanzen geführt haben, hat in Deutschland immer das Vertrauen in den Staat die Oberhand behalten. Von dieser Regel gab bzw. gibt es bislang nur zwei Ausnahmen: Die erste stellte die „Hamburger Polizeikommission“ dar, die 1998 nach dem „Polizeiskandal“ (v.a. Misshandlungen auf einer Wache) gegründet wurde. Drei Jahre später setzte die neue Landesregierung von CDU und Schill-Partei dem Versuch ein Ende. Die ersatzlose Abschaffung der Kommission war eine ihrer ersten Amtshandlungen.[7] Die zweite Ausnahme ist die „Zentrale Beschwerdestelle Polizei“ in Sachsen-Anhalt, die im September 2009 ihre Arbeit aufnahm. Diese Einrichtung, angesiedelt außerhalb des Polizeiapparates, aber im Innenministerium, ist jedoch ausdrücklich für Beschwerden über polizeiliche Gewaltanwendung nicht zuständig. Sie ist primär kein Instrument zur Kontrolle der Polizei, sondern soll im Interesse des Polizeiapparates den Umgang mit Beschwerden (über unfreundliche Behandlung, lange Wartezeiten, keine Reaktion auf Meldungen etc.) verbessern.[8] Sie dient der Legitimation polizeilichen Handelns und soll den Unmut in der Bevölkerung beschwichtigen. Mithin ist sie das Gegenteil einer externen Kontrollinstanz.

Nicht das grundlegende Problem, wie die Staatsmacht zu zähmen ist, auch nicht der Umstand, dass vergleichbare Länder erheblich weiter sind als Deutschland, sondern vor allem die Ohnmachtserfahrungen von Polizeiopfern sind das stärkste Argument, auch in Deutschland unabhängige Kontrolleinrichtungen zu schaffen. Denn die gegenwärtige Lage ist nicht nur durch die Schweigemauer und den Korpsgeist innerhalb der Polizeien[9] und die polizeifreundliche Haltung von Staatsanwaltschaft und Gerichten[10] gekennzeichnet, sondern auch durch den Umstand, dass Opfern vom Rechtsweg abgeraten werden muss, weil sie quasi als Gegenwehr mit einer Widerstandsanzeige rechnen müssen, deren Chancen vor Gericht erheblich höher sind als die der eigenen wegen des Übergriffs.

Wirkungen?

Über die Wirkung der externen Polizeikommissionen in anderen Ländern ist insgesamt wenig bekannt. In allen Fällen sind sie (auch) ein Instrument, um die Legitimation der Institution Polizei zu erhöhen. Insofern sind sie ein Element einer aufgeklärten Strategie des Polizei-Managements. In diesem Sinne sind sie alles andere als der Polizei oder gar dem Staat abträglich. Sie festigen beides; gerade dadurch, dass sie unabhängig Kritik äußern (können). Dass dieses staatstragende Potential in Deutschland durchweg nicht erkannt wird, ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich der maßgebliche Teil unserer Sicherheitselite gedanklich weiterhin am Obrigkeitsstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts orientiert. Gleichzeitig ist aber in internationalen Erfahrungen deutlich sichtbar, dass die Kontrolleinrichtungen die Position des Einzelnen und die Position der Öffentlichkeit gegenüber der Polizei deutlich verbessern.

Sucht man nach den Elementen, die eine wirksame, nicht am optimierten „Beschwerdemanagement“,[11] sondern an den Rechten der BürgerInnen orientierte externe Polizeikontrolle aufweisen muss, so lassen sich vier Bereiche identifizieren.[12] Diese sind 1. die Zugänglichkeit der Kontrollinstanz, 2. deren Unabhängigkeit von der Polizei und deren politischer Führung, 3. ihre Kompetenzen und 4. ihr Verhältnis zur Strafverfolgung. Wer Polizeikontrolle nicht nur symbolisch meint, sondern bürgerrechtlich wirksame Einrichtungen und Verfahren schaffen will, der/die muss diese Bereiche regeln. In verschiedenen Ländern werden durchaus unterschiedliche Wege beschritten. Keiner taugt zu einer Blaupause für Deutschland, aber insgesamt taugen sie als Hinweise auf Probleme, die einer effektiven Polizeikontrolle im Wege stehen, und darauf, wie diese gelöst werden könnten.[13]

Zugänglichkeit

Auf diese Frage nach der Schwelle, die erreicht sein muss, damit die Kontroll- oder Beschwerdeinstanzen sich mit einem Vorgang beschäftigen, wird in den Ländern unterschiedlich beantwortet. Man kann unterscheiden zwischen Instanzen, die nur tätig werden, wenn sie angerufen oder beauftragt werden, und solchen, die Kraft eigenen Auftrags selbstständig Vorgänge aufgreifen. Letztere Variante findet sich z.B. in Portugal, in Québec (Kanada) oder in der Republik Irland. Von Amts wegen muss hier die „Garda Síochána Ombudsman Commission“ z.B. alle Todesfälle im Polizeigewahrsam untersuchen. Sie wird auch ohne Aufforderung tätig, wenn der Eindruck entsteht, Angehörige der Polizei hätten ein Delikt begangen oder sich eines disziplinarischen Vergehens schuldig gemacht.[14] In anderen Ländern werden die Kontrollinstanzen nur nach Beschwerden von Betroffenen, ZeugInnen, Institutionen oder AnwältInnen (England), in manchen Ländern auch nach anonymen Hinweisen (Südaustralien) oder durch den Auftrag von Behörden oder Parlament (Belgien) tätig. In allen diesen Ländern wirkt die Strafbarkeit der absichtlichen Falschbeschuldigung als Schutz vor Missbrauch. Angesichts der geringen Beschwerdemacht von potentiellen Polizeiopfern liegt es aus bürgerrechtlicher Sicht nahe, die Kontrolleinrichtung möglichst niedrigschwellig zu konzipieren, d.h. auch anonyme Beschwerden zuzulassen und das Recht auf selbständiges Tätigwerden einzuführen. Negative Folgen (Denunziationen etc.) sind aus den Ländern mit derartigen Regelungen nicht bekannt.

Unabhängigkeit der Kontrolle

Weil vermutet wird, dass mit der Staats- bzw. Polizeiunabhängigkeit der Kontrollinstanz deren Chancen zur Aufklärung von Vorgängen steigen, sind nur polizei-externe Einrichtungen erfolgversprechend. „Extern“ bedeutet zunächst aber nur, dass es sich nicht um eine in die polizeiliche Hierarchie eingebundene Dienststelle handelt. International lassen sich unterschiedliche institutionelle Anbindungen der Kontrollgremien feststellen: Sie können zur weisungsunabhängigen Erledigung befugt sein, aber vom Innenministerium eingesetzt werden, dem sie auch verantwortlich sind. Das ist in England und Portugal so. In Irland wird die Kommission auf Vorschlag des Präsidenten der Republik von der Regierung ernannt. In anderen Ländern erfolgt die Besetzung durch Behörden und Gerichte (Frankreich) oder durch das Parlament (Belgien).

Gerade weil es sich um polizei-externe Einrichtungen handelt, die (inner-)polizeiliche Vorgänge aufhellen sollen, mithin ein Zugang zur Polizei sowie die Fähigkeit zu Ermittlungen bestehen muss, spielt die Frage eine große Rolle, ob Angehörige der Polizei in den Kontrollgremien arbeiten können. Die Frage wird unterschiedlich beantwortet. So dürfen z.B. die 17 regional zuständigen Mitglieder der britischen „Indepent Police Complaints Commission“ (IPCC) keine (ehemaligen) PolizistInnen sein. Aber die nachgeordneten MitarbeiterInnen stammen in der Regel aus dem Apparat. In Südaustralien muss der Leiter RechtsanwältIn oder RichterIn sein. In Québec können sowohl PolizistInnen wie NichtpolizistInnen beteiligt werden. Diese „gemischten“ Zusammensetzungen sollen zweierlei gewährleisten: auf der einen Seite die Unabhängigkeit von den Weisungen aus und den Loyalitäten gegenüber dem Polizeiapparat, auf der anderen Seite aber auch die Kenntnisse und das Vertrauen aus dem Apparat, das erforderlich ist, um Sachverhalte ermitteln zu können.

Nur selten gibt es Vorschriften über die personelle Zusammensetzung der Gremien. In der dreiköpfigen irischen Kommission müssen beide Geschlechter vertreten sein. In Frankreich werden die Mitglieder von staatlichen Institutionen entsandt. Allein in Österreich sind fünf der elf Mitglieder des Menschenrechtsbeirats des Innenministeriums VertreterInnen von Bürgerrechtsgruppen bzw. -vereinen. Einen Hinweis, wie wichtig die Zusammensetzung der Instanzen ist, liefert die britische IPCC. Denn obwohl Farbige überproportional häufig in Konflikt mit der Polizei geraten, kommt die Mehrzahl der an die Kommission gerichteten Beschwerden von weißen BritInnen.[15] Daraus darf man durchaus folgern, dass die Kontrolleinrichtungen nur dann wirksam werden können, je näher sie in Zusammensetzung und Arbeitsweise an der polizeilichen Klientel sind. Institutionell kommt es also auf möglichst große Selbstständigkeit gegenüber dem Innenministerium, eine Anbindung an das Parlament und eine Leitung an, die aus gesellschaftlichen Gruppen (Vereinen, Verbänden etc.) und nicht aus dem Staatsapparat rekrutiert wird.

Kompetenzen externer Kontrolle

International lassen sich auch hier zwei Modelle unterscheiden, die sich als „externe Überwachung interner Ermittlungen“ und „eigene Ermittlungen“ überschreiben lassen. Die erste Variante findet sich z.B. in Südaustralien. Die „Police Complaints Authority“ beauftragt die Polizei mit entsprechenden Ermittlungen, die dann von ihr überprüft werden. Bei bestimmten Vorgängen kann die Beschwerdestelle allerdings auch selbst untersuchen. Das ist im zweiten Modell die Regel: In Norwegen, Portugal, Belgien z.B. führen die Kontrolleinrichtungen eigenständige Ermittlungen. Bei diesen Tätigkeiten sind sie in der Regel der Staatsanwaltschaft unterstellt. In Irland und England existiert eine Mischform, der zufolge die Kommission entscheidet, ob sie selbst ermittelt oder die Polizei für sich ermitteln lässt. Generell gilt in allen diesen Verfahren: Für die BürgerInnen gibt es eine Stelle, bei der sie sich über die Polizei beschweren können. Die Beschwerdestelle ist die Herrin des Beschwerdeverfahrens; sie kann die Polizei beauftragen, sie kann aber auch Vorgänge an sich ziehen. Ob die Beschwerde als unbegründet abgelehnt oder ob die Vorwürfe bestätigt werden – in jedem Fall ist eine gerichtliche Überprüfung des Vorgangs möglich. Für eine effektive externe Kontrolle scheinen die genannten Merkmale wichtig: Wichtiger als eigene Ermittlungskapazitäten sollte die Fähigkeit der Instanz sein, Untersuchungen zu initiieren und zu kontrollieren. Dass diese Tätigkeit justiziell überprüfbar sein muss, sollte ebenso selbstverständlich sein wie eine möglichst umfassende Publizitätspflicht.

Kontrolle – Strafverfolgung – Disziplinarverfahren

Bei Beschwerden gegen polizeiliches Verhalten kann es auch um Sachverhalte mit straf- oder disziplinarrechtlicher Relevanz gehen. In diesen Fällen, in denen die Tätigkeit der Kontrollkommission in Konkurrenz mit der Strafverfolgung und/oder den Disziplinarvorgesetzten käme, werden international unterschiedliche Lösungswege beschritten: In Dänemark, Spanien und Lettland etwa ermittelt die Beschwerdeinstanz so lange nicht, bis die straf- oder disziplinarrechtlichen Vorwürfe geklärt sind. In Portugal und Belgien arbeiten die Kommissionen unabhängig von den rechtlichen Verfahren. In Norwegen, England und Irland beispielsweise treten die Untersuchungen der Beschwerdeinstanzen an die Stelle strafrechtlicher Ermittlungen. In Fällen straf- oder disziplinarrechtlicher Relevanz werden die Vorgänge im Anschluss an die Tätigkeit der Kommission an Staatsanwaltschaften und Vorgesetzte weitergeleitet.

Die kurzen Hamburger Erfahrungen haben gezeigt, dass die Tätigkeiten der Kommissionen ins Leere laufen, wenn sie warten, bis die rechtlichen Fragen geklärt sind. Das kann so lange dauern, dass keine Seite mehr ein Interesse an einer unabhängigen, nicht juristischen Kriterien folgenden Aufarbeitung hat. Die parallele Untersuchung durch unterschiedliche Organe ergibt wenig Sinn und ist mit der Gefahr konfrontiert, dass beide sich gegenseitig behindern. Die dritte Variante hat demgegenüber mehr Vor- als Nachteile. Wenn zunächst die Beschwerdekommission einen Fall untersuchte (oder untersuchen ließe) und der Vorgang danach an Vorgesetzte und Staatsanwaltschaft übergeben würde, hätte dies nicht nur den Nebeneffekt einer Entlastung der Justiz; es könnte vielmehr auch ein Weg sein, den Polizeiopfern eine Art von Wiedergutmachung oder Entschuldigung etc. verschaffen, die mit den Verfahren und Kriterien des Rechts erheblich schwerer zu erreichen ist. Für Deutschland setzte ein solches Verfahren allerdings voraus, dass die Strafverfolgungspflicht außer Kraft gesetzt und zu jeder Zeit die Entscheidungsfreiheit der BeschwerdeführerIn über den Fortgang der Beschwerde gewährleistet bliebe; eine Regelung, die selbstverständlich beim Vorliegen schwerster Straftaten eingeschränkt werden müsste. Aber die internationalen Befunde zeigen auch, dass die Mehrheit der Beschwerden sich auf unangemessenes Verhalten, auf die Verweigerung polizeilicher Hilfe und auf körperliche Misshandlungen bezieht.

Deutsche Diskussionen

Zusammengefasst ergeben diese kursorischen Bemerkungen folgendes Bild: Deutschland hinkt in Fragen der Polizeikontrolle deutlich hinter vergleichbaren Staaten her. In anderen Ländern gibt es eine reiche Fülle an Institutionen und Verfahren, die für eine unabhängige Polizeikontrolle in der Bundesrepublik Pate stehen könnten. Es mangelt nicht an Vorbildern und Ideen, sondern am Willen der politischen und polizeilichen Führung. Dabei sind die Kontrolleinrichtungen nahezu das Gegenteil von dem, was ihre KritikerInnen in Deutschland befürchten: Wenn sie funktionieren, erhöhen sie die Legitimität von Polizei und Staatsapparat.

Zu einer derart aufgeklärten Sicht sind in Deutschland nur wenige PolizeiführerInnen und InnenpolitikerInnen in der Lage. Schon in den 1990er Jahren gab es erste Gesetzentwürfe zur Einrichtung von Polizeibeauftragten. Seit 2008 liegt eine Art Musterentwurf der Humanistischen Union vor.[16] Im April 2009 brachte die Linksfraktion einen Antrag in den Bundestag ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, eine polizeiunabhängige Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt im Bund einzurichten sowie in der Innenministerkonferenz eine Initiative zu starten, die die Bundesländer zu ähnlichen Einrichtungen bewegen sollte. Der Antrag stand am 23. April 2011 auf der Tagesordnung. Die Reden der fünf Faktionen wurden nicht gehalten, sondern „zu Protokoll gegeben“. Mit den bekannten Argumenten sprachen sich die Vertreter von CDU/CSU, SPD und FDP gegen den Antrag aus, Grüne und Linke dafür. Der Antrag wurde an die Ausschüsse überwiesen, in denen er seither dümpelt.[17]

Weil in Deutschland noch immer mit den Argumenten des 19. Jahrhunderts gegen Errungenschaften gekämpft wird, die in vergleichbaren Ländern schon lange zu Selbstverständlichkeiten gehören, werden die Wirkungen externer Kontrolle häufig überschätzt. Die Gremien oder Beauftragten, über die in diesem Kontext gesprochen wird, sind staatlich geschaffene Einrichtungen. Mögen sie in ihrer Arbeitsweise und ihren Kompetenzen auch frei von direkter staatlicher Einflussnahme sein, so ist ihre gesamte Tätigkeit doch durch den staatlichen Rahmen begrenzt. Ähnlich wie bei den Datenschutzbeauftragten bleibt der Maßstab der Kritik an den geltenden Gesetzen, gegebenenfalls an der Auslegung der Verfassung orientiert. Das bedeutet aber, dass auch diese Form der Kontrolle in dem Maße wirkungslos bleibt, wie die Regelungsqualität der Gesetze sinkt. Wenn gesetzlich das Abhören von Wohnungen (und damit das heimliche Eindringen in die Wohnung) erlaubt wird, dann wird der Spielraum für Beschwerden, die die Unverletzlichkeit der Wohnung reklamieren, gering. Wenn „verdachtslose“ Personenkontrollen erlaubt werden, fällt der Nachweis schikanöser Kontrollpraktiken schwer.

Diese Beispiele verweisen auf einen weiteren Umstand. Eine unabhängige Kontrolleinrichtung hat ihre größte Bedeutung in der auf den Einzelfall bezogenen Überprüfung konkreter polizeilicher Handlungen bzw. Einsätze. Sie bietet für die Betroffenen wie für die Öffentlichkeit eine Möglichkeit, unabhängig von staatlichen Interessen, unabhängig von (partei-)politischen Kalkülen und unabhängig von den Routinen der Justiz zur Aufklärung von Sachverhalten, mitunter auch zur unmittelbaren Lösung von Problemen und Konflikten beizutragen. Eine solche Einrichtung wäre für Deutschland eine große demokratische und bürgerrechtliche Errungenschaft.

Die „externe Polizeikontrolle“ ist jedoch kein Allheilmittel zur Demokratisierung der Polizei. Sie stellt eine Antwort primär auf die physische Gewalthaftigkeit der Institution Polizei dar. Allerdings haben sich die Polizei und ihr Kontext in den vergangenen Jahrzehnten derart verändert, dass das „Kontrollargument“ in mehrfacher Hinsicht beschränkt ist:

  • Bereits auf der Ebene der Gewaltanwendung steht die Polizei nicht mehr alleine. Im Zeitalter der Sicherheitsnetzwerke agiert sie gemeinsam mit anderen Agenturen – gemeinsame Einsätze von Bundes- und Länderpolizeien, mit oder ohne Zoll, Zusammenarbeit mit Privaten Sicherheitsdiensten (Bahn, Personennahverkehr etc.) oder den Uniformierten der Ordnungsämter oder den Laienpolizeien in einigen Ländern. Wer kontrolliert diese Netzwerke?
  • Neben der Polizei existieren Geheimdienste. Aus dem alten Trennungsgebot von „geheimen Nachrichtendiensten“ und Polizei ist längst ein Gebot zur Zusammenarbeit geworden. Die Dienste sind ihrer Natur nach unkontrollierbar. Demnach lässt sich auch die Kooperation – und sei es nur die informatorische – mit der Polizei nicht kontrollieren.
  • Schließlich schreitet die Europäisierung der Polizeiarbeit voran. Diese Formen der Zusammenarbeit und die aus ihr resultierenden Polizeieinsätze lassen sich nicht durch regionale oder nationale Beauftragte oder Ausschüsse kontrollieren.

Kontrolle ohne Alternative

Das bedeutet insgesamt: Die externe Kontrolle der Polizei ist nötig und wie das Ausland zeigt möglich. Ihr Fehlen in Deutschland ist Ausdruck eines deutlichen demokratischen Defizits. Gleichzeitig darf man aus bürgerrechtlicher Sicht die Potenziale einer optimierten Kontrolle nicht überschätzen: Auch die extern kontrollierte Polizei realisiert das Gewaltmonopol, sie sichert keine abstrakte rechtliche Ordnung, sondern bestehende gesellschaftliche Zustände. Eine kontrollierte ist noch keine demokratisierte Polizei.

Wenn nicht zugleich den mehrfachen Entgrenzungen, die die Polizei der Gegenwart kennzeichnen (die rechtliche, die institutionelle, die nationale) Rechnung getragen wird, geraten auch externe Kontrollinstanzen schnell in die Gefahr, Akzeptanzmanagement für die Apparate zu betreiben. Deshalb bleibt – auch wenn sie nicht über die Wirksamkeit staatlicher Sanktionsdrohung verfügt – die nicht-staatliche Kontrolle der Sicherheitsapparate dauerhaftes demokratisches Gebot: Demo- und Prozessbeobachtung, Initiativen gegen eklatante Missstände oder Übergriffe, Beratungsstellen und Hilfsangebote für Betroffene.

Norbert Pütter, Berlin, Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP und Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule Lausitz.
[1] s. Drescher, F.: Wer kontrolliert die Polizei?, Berlin 2007
[2] den Boer, M.; Fernhout, R.: Policing the police: Towards a Comparative Overview of Ombudsmen and Their Competencies, in: www.fsw.vu.nl/nl/Images/rapport%20De%20 Boer_tcm30-69741.pdf
[3] s. Warning, G.: Übersicht über bisher aktive unabhängige Polizeikommissionen bzw. Polizeibeiräte, in: www.polizei-newsletter.de/documents/Polizeikommissionen_alle.pdf
[4] etwa 1996 seitens der UN-Menschenrechtskommission (www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/0/ 093478ab56f3e730c12563f40037b37f?Opendocument) oder 2009 vom Menschenrechtskommissar des Europarates (http://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1417857&Site =CM)
[5] Groll, K.H.G.: Bedingungen demokratischer Kontrolle. Lehren aus den Polizeiausschüssen der britischen Zone, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000), S. 42-58; in Brandenburg und Sachsen-Anhalt wurden die Polizeiausschüsse nach 1990 aus den westlichen „Patenländern“ übernommen.
[6] s. den Beitrag von Tobias Peter in diesem Heft auf S. 15-22
[7] Lehne, W.: Aus Fehlern lernen oder Fehlverhalten kontrollieren und sanktionieren? Die Erfahrungen der Hamburger Polizeikommission, in: Liebl, K. (Hg.): Empirische Polizeiforschung V: Fehler und Lernkultur in der Polizei, Frankfurt/M., S. 123-137
[8] s. Ostermeier, L.: Mit Beschwerdestellen, Polizeikommissionen und Polizeibeauftragten gegen Polizeigewalt und Rassismus?, in: RAV Infobrief #104 (2010). Bezeichnend für den geringen Stellenwert ist auch der Umstand, dass keiner der Links funktionierte, die die Selbstdarstellung der Beschwerdestelle (www.sachsen-anhalt.de/index.php?id=47786) enthält.
[9] Man kann das Phänomen auch mit Rafael Behr „Binnenkohäsion“ nennen, im Ergebnis verschärft es die Hilflosigkeit gegenüber der Polizei enorm, s. Behr, R.: Korpsgeist oder Binnenkohäsion? Ein Essay zur Organisationskultur in der deutschen Polizei, in: Die Polizei 2010, H. 11, S. 317-322.
[10] Singelnstein, T.: Institutionalisierte Handlungsnormen bei den Staatsanwaltschaften im Umgang mit Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizeivollzugsbeamte, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (MSchrKrim) 2003, H. 1, S. 1-26
[11] Hoffmann-Holland, K.: Beschwerdemanagement – Ergebnisse einer Berliner Studie, in: Die Polizei 2009, H. 11, S. 317-323
[12] Einen differenzierten Kriterienkranz listet der Menschenrechtskommissar des Europarates auf, s. Stellungnahme des Menschenrechtskommissars des Europarates zur unabhängigen und effektiven Untersuchung von Beschwerden gegen die Polizei v. 12.3.2009 (CommDH(2009), http://wcd.coe.int/wcd/ViewDoc.jsp?id=1726977&Site=CommDH
[13] Die Darstellung folgt, sofern nicht anders angegeben, der Übersicht von den Boer; Fernhout a.a.O. (Fn. 2) und Warning a.a.O. (Fn. 3).
[14] s. www.gardaombudsman.ie
[15] s. Amnesty International: Fachkonferenz Polizei und Menschenrechte. Dokumentation, Berlin 2011, S. 11 (www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/Konferenz-Dokumentation.pdf)
[16] Der von dem Publizisten Rolf Gössner entworfene und dem ehemaligen Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage überarbeitete Vorschlag dehnt die Zuständigkeit des Beauftragten weit über die Bearbeitung von Beschwerden aus, s. www.humanistische-union.de/wiki/_media/hu/projekte/gepolizeibeauftragter_20080921.pdf
[17] BT-Drs. 16/12683 v. 22.4.2009; BT-Plenarprot. 16/217 v. 23.4.2009, S. 23689-23695

Bibliographische Angaben: Pütter, Norbert: Kontrolle der Polizei. Demokratische Selbstverständlichkeit oder starker Staat, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 99 (2/2011), S. 3-14

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