Literatur

Zum Schwerpunkt

Eine Literatur zum polizeilichen Staatsschutz ist so gut wie nicht vorhanden. Seit CILIP sich in Heft 42 (1992) dem Thema widmete, ist kaum Nennenswertes veröffentlicht worden. Monografien existieren nicht. Meist, wenn der „Staatsschutz“ im Titel auftaucht, handeln die Arbeiten vom „Verfassungsschutz“ und nicht von der „Politischen Polizei“. Öffentliches (auch wissenschaftliches) Nichtwissen korrespondiert mit der Scheu des Staatsschutzes gegenüber der Öffentlichkeit.

Leggewie, Claus; Meier, Horst: Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik, Berlin (Archiv der Jugendkulturen Verlag) 2012, 220 S., 12, – Euro

Aus Anlass des NSU-Skandals erneuern die Autoren ihre Kritik am deutschen „Verfassungsschutz“ und plädieren für die Aufwertung der „politischen Polizei“: Der grundrechtsschädliche, demokratiegefährdende, skandalträchtige, unkontrollierbare „Verfassungsschutz“ gehöre aufgelöst. (Staatsbürgerliche) Bildung sei von anderen Einrichtungen glaubwürdiger und wirkungsvoller zu vermitteln. Und an die Stelle der von politischen Konjunkturen abhängigen „Feinderklärungen“ der Ämter müsse die auf Strafverfolgung ausgerichtete „politische Polizei“ treten.

Über weite Strecken ist das Buch eine aktualisierte Kritik an Geschichte, Ideologie und Praxis der „Ämter“. Hier fassen die Autoren zusammen, was in kritischen Kreisen seit langem Konsens ist. Neu ist, in welcher Deutlichkeit und – man muss es so nennen – Naivität sie auf die „politische Polizei“ als Instrument eines demokratietauglichen „Republikschutzes“ setzen. Dabei sind ganze 11 Seiten des Buches überhaupt der „politischen Polizei“ gewidmet (S. 145-155). Auf S. 147 wird klargestellt: „Wo sich in das Verbrechen politische Motive mischen, sind besondere Dienststellen zuständig.“ Und wenig später: „Natürlich muss man auch die Politische Polizei historischer Revision unterziehen.“ Dann folgen dreieinhalb Seiten über deren Geschichte von der „Demagogenverfolgung“ im Vormärz bis zur „Kommunistenverfolgung“ in den 1950er Jahren. Trotz dieser Tradition seien die Politischen Polizeien „gleichwohl angemessener und demokratieverträglicher als der ideologische Zauber des Verfassungsschutzes“, denn sie „beschäftigen sich mit Handfesterem: mit ‚politisch motivierten Straftaten‘, also krimineller Dissidenz.“ (S. 151). Zwar sei auch die Politische Polizei auf Spitzel und andere verdeckte Methoden angewiesen, aber zu den Diensten gebe es einen „strukturellen Unterschied“: ihr gehe es um den „gesetzlich definierte(n) Schutz handfester Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit oder Eigentum“. Und: „Jede Polizeitätigkeit bleibt an das Vorliegen konkreter Gefahren gebunden. Sobald aber die Politische Polizei in die uferlose Vorfeldüberwachung des Verfassungsschutzes vorstößt, wird auch ihre Arbeit rechtsstaatlich fragwürdig …“ (S. 152). Eine kühne Argumentation: Haben Leggewie/Meier schon von der jahrzehntealten Diskussion über „abstrakte Gefährdungsdelikte“ gehört – von wegen „handfest“? Warum vergessen sie zu erwähnen, dass in den einschlägigen Bestimmungen des politischen Strafrechts zunächst der „Bestand des Bundes und der Länder“ – der Staatsapparat – im Vordergrund steht? Kann man einer kritischen Öffentlichkeit zumuten, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf eine Stufe mit dem Eigentumsrecht z.B. an einer Fabrik zu stellen? Gibt es eine demokratisch verträgliche Unterscheidung zwischen einem „uferlosen“ und einem begrenzten Vorfeld (eben mit „Ufern“)? Warum sollte ausgerechnet die Politische Polizei sich aus dem „Vorfeld“ zurückziehen, wenn seit dreißig Jahren die gesamte Polizei sich in präventiver Euphorie auf das „Vorfeld“ stürzt?

Man sieht sehr schnell: In entscheidenden Punkten ihrer neuen „Architektur“ bleiben Leggewie/Meier mehr als nebulös. Den Schleier des Nichtwissens über die Praxis politischer Polizeien in Deutschland lüften sie an keiner Stelle. Stattdessen verharmlosen sie eine Einrichtung, die in ihren Methoden, ihren Wirkungen, ihrer Öffentlichkeitsscheu so nah den Ämtern ist wie keine andere.

Söllner, Sebastian: Die Verpolizeilichung. Grenzen, Chancen und Risiken einer neuen Sicherheitsarchitektur, Köln (Carl Heymanns Verlag) 2011, 189 S., 46,– Euro

Kein politisches Plädoyer für die Zukunft, sondern eine juristische Bewertung des gegenwärtig Vorhandenen will diese Dissertation leisten. Der Kern der Darstellung gilt den Wandlungen der staatlichen Sicherheitsapparate seit den 1990er Jahren. Tendenzen der „Verpolizeilichung“ untersucht der Autor auf drei Ebenen: die Zentralisierung von Polizeiaufgaben bei Bundesbehörden (Bundespolizei und Bundeskriminalamt; Zoll und Küstenwache werden nur gestreift), Verpolizeilichung der Ordnungsverwaltung in den Ländern und die „Aufweichung der Trennung von Nachrichtendiensten und Polizei“. Söllner versteht die „Verpolizeilichung“ als Gegenbewegung zur von den Alliierten nach 1945 verordneten „Entpolizeilichung“, die auf drei Elementen gefußt habe: Ablehnung einer Bundespolizei als Gefahrenabwehrbehörde, Ablehnung einer Geheimpolizei und „nur zivile, lokale Gefahrenabwehrbehörden“ (S. 1)

Bereits im Untertitel seiner Arbeit klingt an, dass es dem Autor um eine Abwägung geht, um die „richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ (S. 2). In den drei Dimensionen werden deshalb die bestehenden Regelungen und Verfahren im Hinblick auf mögliche Vorund Nachteile untersucht. Bei den „Chancen“ führt er regelmäßig eine größere Effektivität im Hinblick auf Sicherheit an: So werden die Personenkontrollen der Bundespolizei im Inland (auf Straßen mit „sachlichem Grenzbezug“, S. 107) ebenso gerechtfertigt wie die Übernahme zollpolizeilicher Aufgaben. Durch die Übertragung von Gefahrenabwehraufgaben könne „eine besonders effektive Gefahraufklärung erwartet werden“ (S. 108). Die uniformierten Streifen der Ordnungsämter könnten „eine gesteuerte erhöhte Normdurchsetzung“ (S. 123) sowie „bürgernahe Sicherheit“ bewirken (S. 127). Und die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten könnte eine „effektive Nutzung und Auswertung von Daten, die für die Abwehr schwerer und nachhaltiger Gefährdungen erforderlich sind“, gewährleisten (S. 156).

Aber alle Chancen sind mit Risiken belastet: Die Zusammenarbeit mit den Diensten kann zur „Totalüberwachung“ führen (S. 156). Die Ortspolizeien könnten dazu beitragen, „dass eine übermäßige Kriminalisierung sozial schwacher Randgruppen“ einsetzt (S. 123); und die Stärkung des Bundeskriminalamts schaffe eine „erhebliche Eingriffskompetenz, die nicht unkontrolliert sein darf“ (S. 108).

Man kann Söllners Fazit „ausgewogen“ nennen. Im Ergebnis gibt er jedoch grünes Licht für die weitere „Verpolizeilichung“: Zwar gilt der Förderalismus in der Gefahrenabwehr weiterhin und darf „nur im Ausnahmefall“ zugunsten des Bundes verlassen werden. Darüber hinaus kann der Bund aber da tätig werden, wo dies sachlich geboten und rechtlich möglich ist: Grenzschutz (auch „auf grenzüberschreitenden Wegen“ – was immer das heißt), „Zoll/Küstenschutz/Internetsicherheit (Telekommunikation)“ (S. 159). Bei den lokalen Polizeien müsse „willkürlicher Ordnungswahn“ durch klare gesetzliche Bestimmungen und durch den Einsatz von Beamten gewährleistet werden (S. 160). Und die Zusammenarbeit von Polizei und Diensten müsse durch „organisatorische und technische Maßnahmen“ vor Missbrauch geschützt werden. Erforderlich sei „unbedingt eine umfassende Kontrolle der Anwendung dieser nachrichtendienstlichen Methoden“ durch die Polizei. (S. 161f.) Dies könne durch ein parlamentarisches Gremium gewährleistet werden (S. 108). Außerdem seien die Datenschutzbeauftragten mit mehr Kompetenzen auszustatten (S. 162). Chancen und Risiken dieser kleinen Modifikationen am „Weiter so“ werden leider nicht thematisiert.

Weisser, Niclas-Fredric: Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ). Rechtsprobleme, Rechtsform und Rechtsgrundlage, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2011, H. 3, S. 142-146

Das GTAZ war der Pionier der vernetzten Sicherheitsarchitektur. Erdacht von Behörden, realisiert durch und mit Leben gefüllt durch Behörden. Kein Gesetz musste geändert, kein Volksvertreter um ein Votum gebeten werden, damit Polizeien von Bund und Ländern, Verfassungsschutz- und sonstige geheimdienstliche Ämter, der Zoll, die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Daten austauschen und Aktivitäten koordinieren. Naheliegend, dass Juristen nach den rechtlichen Grundlagen fragen. Weisser gibt für alle GTAZler und dessen Förderer Entwarnung: rechtsstaatlich alles in Ordnung. Das Trennungsgebot werde beachtet, da Polizei und Dienste mit jeweils eigenem Personal arbeiteten und der direkte Zugriff auf die Daten der anderen nicht erlaubt sei. An Transparenz mangele es nicht, denn es sei die „staatsnotwendige Geheimhaltung von sicherheitsbehördlichen Prozessen“ in Rechnung zu stellen. Probleme des Rechtsund des Datenschutzes stellten sich nicht, da diese gegenüber den beteiligten Behörden geltend gemacht werden könne (wenngleich „die Schaffung einer eigenständigen Aufsichtskommission zu empfehlen“ wäre). Und als rechtliche Basis für die Zusammenarbeit reichten „die gesetzlichen Einzelbestimmungen“ für die beteiligten Behörden aus, denn das GTAZ habe weder eine Rechtsform, noch einen Haushalt, noch eigene Kompetenzen. „Aus Gründen der Transparenz“, so der Autor, empfehle er jedoch eine solche „Rechtsgrundlage“ zu schaffen. Nachdem Weisser viel Mühe aufwendet, die herrschende Praxis als rechtskonform zu deklarieren, hätte er sich diesen butterweichen Ratschlag sparen können. Die, die seiner Argumentation folgen, sind daran ohnehin nicht interessiert.

Rigoll, Dominik: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen (Wallstein Verlag) 2013, 524 S., 39,90 Euro

Ursprünglich begonnen als eine Untersuchung über die „Berufsverbote“ in der Bundesrepublik – korrekter formuliert über die „Geschichte des Radikalenbeschlusses von 1972“ – ist diese zeitgeschichtliche Dissertation zu einer Geschichte der politischen Verfolgung und Denunziation in Zeiten des Kalten Krieges geworden. Zum „Radikalenerlass“ kommt Rigoll erst nach weit mehr als 300 Seiten. Denn so viel Raum braucht er, um den politisch-gesellschaftlichen Kontext zu entwickeln, auf dem und in dem die staatliche Bekämpfung von „Verfassungsfeinden“ in den 1970er Jahren wirksam werden konnte.

Die Arbeit ist historisch aufgebaut und in drei Kapitel gegliedert: die 50er Jahre als Phase der „inneren Friedenssicherung und (des) antitotalitären Dissens“, die zweite Hälfte der 60er als „Liberalisierung ohne Lernprozess“, an die sich in Abwandlung des Brandtschen Versprechens eine Periode anschloss, in der „Mehr Demokratie fürchten“ maßgeblich wurde. Erst hier setzt der Extremistenbeschluss ein, dessen Praxis (und Kritik und faktisches Ende) auf mehr als 120 Seiten dargestellt werden. Rigolls Untersuchung ist weit mehr als eine Dissertation für Spezialisten. Ihr wäre zu wünschen, dass sie von der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen würde. Denn sie wirkt überzeugend der nachträglichen Verklärung „Westdeutschlands“ entgegen. Der „freieste Staat auf deutschem Boden“ verband den wirtschaftlichen Wohlstand mit der Verdrängung seiner faschistischen Vorgeschichte – am deutlichsten sichtbar an der (Weiter-)Beschäftigung belasteter Nazi-Beamter im Staatsapparat –, mit dem schnellen, durch die Ost-West-Konfrontation beförderten Ende einer nachhaltigen Demokratisierung und mit der inneren Feinderklärung unter der „fdGO“-Formel. Das schuf den Boden für die Berufsverbote und die sie begleitende Überwachung oppositioneller Gruppen und Personen durch die Geheimdienste – mit Wirkungen für das staatliche Selbstverständnis und für die politische Kultur bis in die Gegenwart.

(alle: Norbert Pütter)

Ridder, Winfried: Verfassung ohne Schutz. Die Niederlagen der Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus, München (Deutscher Taschenbuch Verlag) 2013, 180 S., 13,90 EUR

„Ein Insider klärt auf.“ So heißt es stolz im Werbetext des Verlages und auf der Rückseite des Buches. Der Diplompolitologe Winfried Ridder war ab 1973 zunächst Dozent an der Verfassungsschutzschule für den Bereich Rechtsextremismus, bevor er 1977 beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln das Auswertungsreferat in der neuen „Abteilung Terrorismus“ übernahm. Er darf also als Kenner der Materie gelten. Doch was klärt der Autor, der 1995 aus dem Dienst schied, wirklich auf? Wenig bis nichts, was im Laufe der Jahre nicht schon anderweitig bekannt geworden wäre. Gleich im Vorwort stellt er klar, dass das BfV im Oktober 2011 „schon vor der Veröffentlichung des geplanten Buches auf die einschlägigen Straftatbestände (des Geheimnisverrates, d. Verf.) des Strafgesetzbuches hinwies“ (S. 8). Nach dieser Warnung war der Autor fein raus: Da spektakuläre Aufklärungen nicht drin waren, bezieht er sich bei seinen vermeintlichen Enthüllungen denn auch ausschließlich auf Veröffentlichungen von Geheimdienstkritikern – bis hin zum IDArchiv, Selbstzeugnissen ehemaliger TerroristInnen und anderem öffentlich zugänglichem Material. Dieses reichert er dann zwischendurch mit eigenen Überlegungen an, mit denen er sich zu seiner Amtszeit entweder nicht habe durchsetzen können oder die ihm erst in der Rückschau klar geworden seien. Und so geht es quer durch alte Gemüsebeete: von RAF, RZ und Roter Zora über die PFLP hin zur Stasi und zwecks Aktualität zum rechtsextremistischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU).

Dass V-Leute, die Ridder lieber „menschliche Quellen“ nennt, in all diesen Fällen kaum etwas bis gar nichts zur Aufklärung beigetragen haben, ist zweifellos richtig – aber auch nicht neu. Die gesamte TerrorBekämpfung möchte er deshalb lieber an die Polizei übergeben und VLeute durch Verdeckte Ermittler ersetzen. Die Problematik des Trennungsgebotes tut er mit einem Satz ab: „Die historisch auf der fatalen Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdienst im Nationalsozialismus begründeten verfassungsrechtlichen Bedenken haben heute keine reale Basis mehr“ (S. 158). So einfach ist das!

Recht hat er, wenn er feststellt, dass die Politik und die Dienste selbst bisher zur Debatte über eine notwendige Reform nichts Gehaltvolles beigetragen haben. Er selbst tut das auch nicht. Sein Buch im Wesentlichen nichts anderes als ein alter Aufguss in einer neuen Kanne. (Otto Diederichs)

Aus dem Netz

www.youtube.com/watch?v=t0knucKqWg0

Wer wissen will, wozu polizeilicher Staatsschutz in der Lage ist, ist auf die Schilderung einzelner „Vorgänge“ angewiesen. Besonders eindrucksvoll ist der „Fall“ des Anarchisten und Aktivisten Jörg Bergstedt. Er und die „Projektwerkstatt Saasen“ (ein Ort in Mittelhessen), in der er und andere leben und arbeiten, waren in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts durch lokale Proteste – etwa gegen die Gefahrenabwehrverordnung – in den Fokus des Gießener Staatsschutzes geraten.

Wer die unglaubliche Geschichte der polizeilichstaatsschützerischen Verfolgung aus der Sicht des Betroffenen hören will, sollte sich das über zwei Stunden lange Video ansehen. Unter dem Titel „Illegal – Die Tricks der Polizei in Gießen“ wird ein Vortrag dokumentiert, den Bergstedt 2010 in Regensburg gehalten hat. Dargestellt wird zum einen das Konzept der „Kommunikationsguerilla“ – subversive, entlarvende, gewaltfreie Aktionen –, das die Projektwerkstatt proklamiert und praktiziert. Zum anderen werden die Versuche der Polizei geschildert, mit ihren Mitteln das Treiben der „Guerilla“ zu beenden. Belegt mit Zitaten aus Polizeiakten und Gerichtsbeschlüssen, werden die lokalen Polizisten, Staatsanwälte und Richter als gefährliche Deppen sichtbar, deren Repertoire aus Überwachungen (MEK), Einschüchterung (Beschlagnahmen), Falschbeschuldigungen und dauerhaften Verdächtigungen besteht. Wäre es nicht so ernst, könnte man Bergstedts Vortrag durchaus karnevalistische Qualitäten zusprechen: wenn das MEK an einer Sperre auf dem Fahrradweg scheitert, wenn ein Gericht im Faustschlag einer Politikerin den Beweis dafür sieht, dass sie vorher angegriffen wurde, wenn Bergstedt für zwei Taten verurteilt wird, die zu einer Zeit begangen wurden, als er andernorts polizeilich observiert wurde.

Bergstedts staatsschützerische Verfolgung reicht übrigens bis in die Gegenwart. Nachdem im Sommer 2011 in Sachsen-Anhalt ein Feld mit genetisch veränderten Pflanzen „befreit“ wurden, ermittelte die Staatsanwaltschaft Magdeburg. Sie erwirkte eine richterlich angeordnete Telefonüberwachung. Dabei wurden auch die Gespräche mit einem Journalisten der Frankfurter Rundschau abgehört. Im Februar 2013 wurde das Verfahren eingestellt (s. http://indymedia.org/2013/02/341556.shtml). (Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Fussey, Pete; Coaffee, Jon; Armstrong, Gary; Hobbs, Dick: Securing and Sustaining the Olympic City. Reconfiguring London for 2012 and Beyond, Farnham, Surrey (Ashgate) 2011, 290 S., 63,20 Euro

Der vorliegende, in neun Kapitel gegliederte Band ist das Ergebnis langjähriger Forschung und geht von zwei Grundannahmen aus: Erstens, seit dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 steht ‚Sicherheit’ im Zentrum aller olympischen Planungen. Zweitens, die sicherheitspolitischen Planungen und Umsetzungen folgen zunehmend einem vorwiegend vom Olympischen Komitee bestimmten Vademekum, das global sukzessive vereinheitlicht wird. Zusammen mit dem Sammelband „Security Games“ (Bennett & Haggerty, 2011) liegt damit ein zweiter Band vor, der sich detailliert mit den Sicherheitsmaßnahmen vor, während und nach sportlichen Mega-Events auseinandersetzt. London 2012 sei dabei ein Beispiel für „security by sustainable development“ (S. 32), denn die nachhaltige Entwicklung städtischer Räume verlaufe stets unter der Überschrift ‚Sicherheit‘. Kapitel 2 und 3 zeigen in historischer Perspektive Verknüpfungen sowohl zwischen städtebaulichen Plänen und ‚Sicherheit‘ als auch zwischen geplanten Sport-Events und ‚terroristischen‘ Bedrohungen auf, die häufig lokale Verankerungen haben (S. 71-75) und insoweit keinen ‚Feind von außen‘ markieren. Kapitel 3 beschreibt die bisherigen Folgen für das Londoner East End und seine Bewohner (Gentrification, Preissteigerungen, Dauerüberwachung, Zugangsrestriktionen) sowie, im 4. Kapitel, was von den OlympiaOrganisatoren für das East End versprochen wurde und wird. Der zweite Teil des Bands beginnt mit Kapitel 5, das zunächst die Architektur der Londoner ‚Sicherheit‘ charakterisiert, während Kapitel 6 und 7 sich der Humanware (also Polizei, Militär, Geheimdienste, kommerzielle Sicherheitsdienste, Freiwillige) bzw. der Hardund Software (CCTV, RFID, Datenbanken, Computerprogramme etc.) widmen. Unter dem Rubrum „Spolitics“ (S. 211) werden politischer Protest und Widerstand gegen die Spiele beschrieben (Kap. 8), die im letzten Kapitel schlussfolgernd als Proteste auch gegen die ausgrenzenden, homogenisierenden und standardisierenden Sicherheitsund Lebensbedingungen zusammengefasst werden. Brot und Spiele also gegen die Armutspopulationen in Städten, die ins Rampenlicht wollen. (Volker Eick)

Elyafi-Schulz, Senan: Das Phänomen des „Ehrenmordes“. Eine rechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung der Täter- und Opferperspektive, Marburg (Tectum Verlag) 2012, 420 S., 39,90 EUR

Laut einer UNO-Studie aus dem Jahr 2000 werden weltweit jedes Jahr bis zu 5.000 Mädchen und Frauen im Namen der (Familien-)Ehre getötet. Besonders betroffen sind dabei Pakistan, Jordanien, Afghanistan, Irak und die Türkei. Spätestens seit der Tötung der kurdischstämmigen Hatun Sürücü im Februar 2005 in Berlin hat das Thema auch in der Bundesrepublik Einzug in die politische Debatte gehalten. Wirklich verlässliche Zahlen gibt es aber offenbar weder beim Bundeskriminalamt noch bei nichtstaatlichen Schutz-Initiativen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Autorin am Beispiel der Türkei die Stellung der Frau und die historische und religiöse Entwicklung des Begriffs der Ehre, dessen Bedeutung in den abgelegenen, traditionell konservativen ländlichen Regionen – in denen der Laizismus Atatürks nie so recht angekommen sei – und die Ahndung von Verstößen bis in die heutige Zeit. Das macht die unselige Ehrenmord-Tradition verstehbar und nachvollziehbar.

Weiter zeigt Elyafi-Schulz auf, wie und warum sich die Bedeutung der „Ehre“ auch mit der Migration in den deutschen Kulturkreis halten konnte. Diese Kapitel sind somit für die Diskussion in Deutschland die wichtigsten. Den zweiten Teil des Buches bilden ein deutsch-türkischer Rechtsvergleich sowie die Darstellung von Schutzmöglichkeiten für potentielle „Ehrenmordopfer“. Insgesamt ein sehr informatives und lesenswertes Buch. (Otto Diederichs)

Lisken/Denninger: Handbuch des Polizeirechts. Gefahrenabwehr – Strafverfolgung – Rechtsschutz (hrsg. v. Erhard Denninger; Fredrik Rachor), München (C.H. Beck) 2012, 5. Aufl., 1.538 S., 135,00 Euro

Zwei Jahrzehnte nach seinem ersten Erscheinen ist der „Lisken/Denninger“ in der 5. Auflage erschienen. Im Umfang um weitere 100 Seiten gewachsen, bietet der Band nicht nur eine gegenüber seinem fünf Jahre alten Vorgänger aktualisierte Kommentierung; die Herausgeber und Autoren haben sich auch bemüht, den Wandlungen im Sicherheitsbereich durch einige neue und anders zugeschnittene Kapitel gerecht zu werden.

Zu diesen konzeptionellen Änderungen zählen ein neues Kapitel „Nachrichtendienste und Polizei“ (S. 914-969), die Ausweitung des vormals „Polizeiorganisation in Deutschland“ genannten Kapitels auf den mehr als doppelten Umfang unter der Überschrift „Organisation der Sicherheitsbehörden in Deutschland“ (S. 140-183) sowie erheblich erweiterte Ausführungen zur „Polizei im Verfassungsgefüge“ (S. 59-93). Verzichtet hat die Neuauflage auf das Kapitel zur „Zusammenarbeit mit den Polizeien der Nachbarstaaten“; dessen Inhalte sind zum Teil in das Kapitel „Polizeihandeln auf der Ebene der Europäischen Union“ integriert worden. Die Kurzdarstellungen der Polizeien der neun Nachbarstaaten Deutschlands fehlen nun allerdings.

Treu geblieben – wie nicht anders zu erwarten – ist der Lisken/Denninger seiner grundsätzlichen rechtsund polizeirechtspolitischen Orientierung: Er ist weiterhin das Referenzwerk für die Versuche, den nach innen und außen wuchernden Sicherheitskomplex mit den Mitteln eines ernstgemeinten bürgerlich-demokratischen Rechts zu bändigen. Staatliche Herrschaft durch Recht, durch Ansprüche an Inhalt und Form rechtlicher Normen sowie deren Interpretation (und Anwendung) rechtsstaats-, verfassungsund grundrechtskonform zu gestalten, bestimmt das Anliegen des Bandes wie die Kommentierung im Einzelnen.

Reichweite und Grenzen dieses Ansatzes werden exemplarisch deutlich in den in verschiedenen Kapiteln der Neuauflage expliziter formulierten Passagen zum Verhältnis von Polizei und Geheimdiensten. In dem neuen Teilkapitel über die rechtsstaatlichen Grundlagen formuliert Denninger: „Das Vorfeld vor den rechtsstaatlichen Grenzmarken von konkreter Gefahr und konkretem Straftatverdacht kennt begrifflich keine Schranken mehr, weder hinsichtlich des Kreises risikoträchtiger Personen noch hinsichtlich der einzusetzenden Erkenntnisund Abwehrmittel noch hinsichtlich der Zielsetzung der im Interesse der Sicherheit zu treffenden Maßnahmen“ (S. 67). Diese Art der Vorfeldarbeit bezeichnet er – im Unterschied zum traditionellen Auftrag der Gefahrenabwehr – als „Prävention II“. Sie soll des Reich der Geheimdienste beschreiben, die als „Frühwarnsystem“ wirken sollen, während die Polizei „im Einzelfall konkrete Gefahren für die polizeilichen Schutzgüter abzuwehren und Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen“ habe (S. 78). Wegen dieser Unterschiede soll aus rechtsstaatlich-demokratischen Gründen das Trennungsgebot („organisatorisch, funktionell und befugnismäßig“) gelten. Das Gebot untersage „eine begrenzte und gesetzlich klar geregelte informationelle Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs-, Polizei- und Verfassungsschutzbehörden“ nicht. Hier müsse allerdings gewährleistet sein, dass sie „gesetzlich geregelt“ und „bei Zweckänderungen, die grundrechtlich gebotenen Übermittlungsschwellen“ berücksichtigt seien (S. 78-80). In anderen Teilen des Handbuchs wird der Problemkomplex nur gestreift. „Vernetzung“ oder „Netzwerk“ fehlen als Begriffe im Sachverzeichnis. Im polizeigeschichtlichen Kapitel werden die neuen Formen einer „vernetzten“ Sicherheitsproduktion lediglich benannt (GATZ und GASIM, S. 53). Im Organisationsteil sind den Geheimdiensten drei (!) Seiten gewidmet; die neuen Zusammenarbeitsforen mit der Polizei werden dort an keiner Stelle erwähnt (S. 165-168). Dies wird im neuen Kapitel „Nachrichtendienste und Polizei“ nur zum Teil nachgeholt. Hier werden die Grenzen der informationellen Zusammenarbeit mit der Polizei generell beschrieben (S. 955-965), die auch „für die Zusammenarbeit in gemeinsamen Einrichtungen maßgebend“ (S. 956) seien. Bereits dieser Halbsatz erscheint problematisch, weil er die realen Kommunikationsströme teilweise täglicher Zusammenarbeit trotz institutioneller Trennung nicht ausreichend würdigt.

Dass die Verfassungsschutzgesetze „umfassende und weit gefasste Vorschriften zur Übermittlung personenbezogener Daten“ beinhalten, wird festgestellt; in welchem Umfang den Behörden „ein Ermessen oder Beurteilungsspielraum“ hinsichtlich der Datenweitergabe zustehe, werde „uneinheitlich“ beurteilt (das Handbuch plädiert für einen „erheblichen Beurteilungsspielraum“); unzweifelhaft sei hingegen, dass nur solche personenbezogenen Daten der Dienste an die Polizei gegeben werden dürften, die letztere mit den ihr zur Verfügung stehenden Befugnissen auch hätte erheben können (S. 957). Offenkundig ist aber, dass man mit diesem Hinweis das Problem nicht lösen kann. Schließlich zielten die Nachrichtendienste (auch) auf die „Verdachtsgenerierung“ im Vorfeld ab, was mit erheblichen bürgerrechtlichen Risiken verbunden sei, da Unschuldige durch die Datenweitergabe leicht ins polizeiliche Visier geraten könnten. Hier sei „eine ausgewogene Entscheidung durch den Gesetzgeber“ erforderlich, der genauer bestimmen müsse, in welchen Fällen „zum Schutz höherrangiger Rechtsgüter“ die Übermittlung vager Verdachtsdaten zulässig sein soll. (S. 959)

Diese Passagen zeigen die Grenzen des bürgerlich-liberalen Polizeirechts und der mit ihm verbundenen demokratischen Hoffnungen. Was bleibt, ist das Hinterherlaufen hinter der realen Veränderung der Apparate und ihrer Strategien, die Versuche auf jeder neuen Ebene die traditionellen Kriterien des „alten“ Polizeirechts anzuwenden, sie vergleichsweise „eng“ auszulegen – und auf die Einsicht des Gesetzgebers zu hoffen. Keine besonders fundierte Hoffnung. (Norbert Pütter)

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