von Reta Barfuss und Charlotte Vöhl
Europa lagert nicht nur Grenzen, sondern auch Abschiebungen aus. Am Beispiel von Marokko und Algerien beleuchtet der folgende Artikel Abschiebepraktiken von Drittstaaten vor dem Hintergrund der Auslagerung europäischer Migrationskontrolle.
Europäische Migrationskontrolle erfolgt nicht nur an den europäischen Außengrenzen, sondern bereits weit vor dem geographischen Europa. Um Migration in ihrem Sinne zu steuern und zu stoppen, kooperieren die Europäische Union (EU) und die Schengen-Staaten auch mit Drittstaaten. Eines der Instrumente dieser Externalisierungspolitik ist die starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen an europäischen Außengrenzen und weit darüber hinaus. Doch auch damit entsteht keine absolute Kontrolle der europäischen Außengrenzen, die nach wie vor auf unterschiedlichen Wegen überschritten werden.
Entsprechend sind Abschiebungen ein weiteres Instrument, um die Kontrolle über den Zugang zu Europa zu erlangen. Dazu schließen verschiedene Staaten inner- und außerhalb der EU sogenannte Rückübernahmeabkommen ab. Abschiebungen erfolgen aber auch ohne derartige Verträge. Menschen werden an eine Grenze gebracht und gezwungen, diese zu überqueren. Oder sie werden bei ihrem Grenzübertritt aufgehalten und gewaltsam zurückgedrängt, bevor sie überhaupt Asyl beantragen konnten. Solche Pushbacks gibt es an europäischen Außengrenzen, beispielsweise auf dem Mittelmeer, in der Ägäis, an der griechisch-türkischen Landgrenze oder an der polnisch-belarussischen Grenze.
Abschiebungen und Pushbacks werden auch von nordafrikanischen Staaten systematisch durchgeführt. Diese werden kaum je in einen Zusammenhang mit der europäischen Migrationspolitik und deren Externalisierung gestellt. Doch die Ausweitung und die Verlagerung der europäischen Migrations- und Grenzüberwachung begünstigen die Aufnahme oder die Verschärfung bestehender Abschiebepraktiken in Drittstaaten. Ein transnationales Netz aus Abschiebungen entsteht, in dem Menschen aus europäischen und aus nicht-europäischen Staaten abgeschoben werden, mitunter in Kettenabschiebungen über mehrere Grenzen hinweg.
Kooperation durch Rückübernahmeabkommen
Mit den Rückübernahmeabkommen verpflichten sich Regierungen, ihre eigenen Staatsangehörigen, in einigen Fällen auch Staatenlose sowie Menschen, die sich nur zur Durchreise im betreffenden Land befanden, zurückzunehmen. Drittstaaten knüpfen ihre Kooperation meist an Bedingungen, etwa Visaerleichterungen oder den Aufbau regulärer Migrationsmöglichkeiten. Die beteiligten Parteien treten mit ihren entsprechend unterschiedlichen Interessen in Verhandlungen über Rückübernahmeabkommen ein. Drittländern, die sich nicht im Sinne Europas einlassen, werden Sanktionen wie die Aussetzung von finanzieller Hilfe oder die reduzierte Visavergabe an ihre Staatsangehörigen angedroht.[1]
Mittlerweile bestehen fast vierhundert bilaterale Abkommen zwischen europäischen und nichteuropäischen Staaten,[2] teils in einem Rückübernahmeabkommen formalisiert, teils in umfassendere Kooperationsabkommen eingebunden. Außerdem existieren aktuell 18 rechtsverbindliche und sechs rechtlich nicht bindende Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Drittstaaten.[3] Mit dem neuen Migrations- und Asylpaket soll diesen bilateralen Kooperationen bei Abschiebungen ein noch höherer Stellenwert zukommen. Dennoch, und auch dies ist im Neuen Migrations- und Asylpaket festgehalten, „gehört zu den größten Schwachstellen des Europäischen Migrationsmanagements […] die schwierige Durchsetzung der Rückführung derjenigen, die eine freiwillige Rückkehr ablehnen.“[4] Die Umsetzung der Rückübernahmeabkommen verläuft also nicht immer im Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten.
(Konfliktreiche) Kooperation
Die Kooperation zwischen Spanien und Marokko ist ein Beispiel für eine von Unstimmigkeiten und Konflikten geprägte Umsetzung eines solchen Abkommens. Dies ist nicht zuletzt vom politischen Konflikt der beiden Staaten angesichts des Westsaharakonfliktes geprägt, der die migrationspolitische Kooperation zwischen Spanien und Marokko immer wieder überschattet hat. Während Marokko weite Teile der Westsahara annektiert und seine Souveränität über diese proklamiert, erkannte die spanische Regierung diese nicht an.
Dennoch schlossen Marokko und Spanien ein Jahr nach der Einführung der Visapflicht für marokkanische Staatsangehörige 1992 das erste Rückübernahmeabkommen zwischen einem europäischen und einem nicht-europäischen Staat. Seitdem befindet die Regierung in Madrid dessen Umsetzung aber als unzureichend. In der Annahme, dass sie mehr Einfluss nehmen könne als Spanien, nahm 2003 die EU Verhandlungen mit Marokko auf. Da nach mehreren Runden keine brauchbaren Ergebnisse zu verzeichnen waren, wurden die Gespräche 2010 ausgesetzt.[5] Parallel zu Verhandlungen über Visaerleichterungen nahmen die Regierungen sie drei Jahre später wieder auf, bis heute ohne nennenswerte Ergebnisse.
Die Gespräche beschränken sich nicht auf das Rückübernahmeabkommen, vielmehr geht es um eine möglichst umfassende Kontrolle der Grenzen zu Marokko. Fast zeitgleich mit der Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens hat Spanien 1993 mit dem Bau einer Grenzanlage in seiner in Nordafrika liegenden Exklave Ceuta begonnen, 1996 in Melilla. Hauptsächlich durch die EU finanziert wurde eine hoch militarisierte Grenzzone eingerichtet, ausgestattet mit Stacheldraht, unterschiedlichen Überwachungstechnologien sowie bewaffneten spanischen und marokkanischen Sicherheitskräften, die an der Anlage patrouillieren. 1999 folgte die Einführung des „Integrierten Systems der externen Überwachung“ (Sistema Integrado de Vigilancia Exterior – SIVE), mit dessen Hilfe der Zugang zu spanischen Gewässern überwacht wird.[6] Auch die Kontrolle der Straße von Gibraltar wurde unter anderem mit Missionen der EU-Grenzagentur Frontex in den letzten Jahren weiter ausgebaut. Diese zunehmende Überwachung und Aufrüstung führt zur Diversifizierung und Verlagerung von Migrations- und Fluchtrouten. Immer mehr Menschen versuchen seit 2020 anstelle des spanischen Festlands die Kanarischen Inseln zu erreichen oder weichen auf Routen über Algerien aus.
Abschiebungen über aufgerüstete Grenzen
Die Grenzen bei Ceuta und Melilla sind Schauplatz systematischer Pushbacks.[7] Durch eingebaute Türen innerhalb der Grenzanlage werden Menschen unmittelbar nach ihrer Überquerung nach Marokko zurückgeschoben. Mit der Einführung des spanischen Gesetzes zum Schutz der Sicherheit von Einwohner*innen („Ley de protección de la seguridad ciudadana“) wurden Pushbacks an der Grenze zu Spanien 2015 gesetzlich erlaubt. Zwei davon betroffene Personen klagten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen diese Praxis. Im ersten Urteil gab der Gerichtshof den Klägern Recht, doch der spanische Staat legte Widerspruch ein. Dies führte zum Urteil von 2020, mit dem Pushbacks an den Grenzen von Ceuta und Melilla quasi legalisiert wurden.[8]
Immer wieder ziehen sich die marokkanischen Grenztruppen auch zurück und lassen Menschen die Grenze passieren. So geschah es im Mai 2021, als die Regierung in Rabat aufgrund der anhaltenden Spannungen zum Westsaharakonflikt ihre Kontrolle und Überwachung in Melilla und Ceuta entgegen spanischer Interessen aussetzte. Infolgedessen gelang es Medienberichten zufolge über 6.000 Menschen, die Grenze zu überqueren.[9] Ein Großteil wurde umgehend zurückgeschoben.[10] Nach einer erneuten Grenzöffnung durch die marokkanischen Behörden im März dieses Jahres scheint die spanische Regierung ihre Westsaharapolitik zu überdenken und sich der marokkanischen Position anzunähern. Es ist zu vermuten, dass Madrid im Gegenzug eine beständigere Grenzüberwachung durch den marokkanischen Staat und eine engere Kooperation bei Pushbacks und Abschiebungen erwartet. Mit dem Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und der Kriminalitätsbekämpfung, das am 30. April 2022 in Kraft getreten ist, scheinen sich die beiden Staaten anzunähern. Es enthält auch Bestimmungen zur weiteren Kriminalisierung der Migration.[11]
Marokkos widerrechtliche Abschiebungen
Auch in Marokko selbst sind Menschen von Abschiebungen bedroht. Mit den sich seit den 1990er Jahren verschärfenden Einreisebedingungen nach Spanien und der Einführung entsprechender Grenzkontrollen haben die Behörden ab 2003 auch die Einreise nach Marokko verstärkt überwacht. Die Regierung kriminalisiert die unerlaubte Ein- und Ausreise sowie deren Unterstützung.[12] Gegen Personen, die abgeschoben werden, kann eine Einreisesperre von bis zu einem Jahr verhängt werden.[13]
Neben dieser Kriminalisierung von Migration erkannte die Regierung in Rabat zwar auch internationale Konventionen wie die Genfer Flüchtlingskonvention, die Rechte von Kindern sowie das Recht auf Schutz vor Folter an. Viele der Schutzmaßnahmen für Migrant*innen werden unterschiedlichen Berichten zufolge in der Praxis aber nicht umgesetzt. Auch nationale Gesetze werden nicht eingehalten. So legt das Euro-Mediterranean Human Rights Network (EMHRN) dar, dass Abschiebungen und Ausweisungen nur selten begründet werden, was einen klaren Verstoß gegen das marokkanische Migrationsgesetz darstellt. Hinzu kommt, dass es kein Verfahren zur Anfechtung von Abschiebungsanordnungen gibt. Selbst dort, wo es ein Einspruchsverfahren gibt, ist dieses weitgehend unwirksam, da die Antragsteller*innen nicht ausreichend informiert werden und die Beamt*innen die Vorschriften nicht einhalten.[14]
Die marokkanischen Behörden missachten nicht nur die Rechte der Menschen, die sie abschieben, es fehlt auch ein Abkommen mit dem algerischen Staat, in den abgeschoben wird. Die politischen Beziehungen zu Algerien sind im Kontext der Westsaharapolitik stark angespannt. Damit findet derzeit offiziell keine Kooperation im Bereich der Abschiebung statt – trotzdem werden sie immer wieder durchgeführt. Einem Bericht der National Sureté in Oujda zufolge fanden zwischen 2005 und 2012 79.000 Abschiebungen nach Algerien statt.[15] Zu den vergangenen Jahren gibt es keine offiziellen Zahlen, aber immer wieder Berichte über diese Praxis.[16] Demnach hielten die Abschiebungen nach Algerien bis auf eine kurze Unterbrechung auch während der Pandemie an. So berichtet die Organisation Caminando Fronteras, wie Migrant*innen festgenommen, eingesperrt und mitten in der Wüste an der Grenze zu Algerien abgeschoben wurden – und das trotz offiziell geschlossener Grenzen.[17] Eine betroffene Person erzählte, dass die Abschiebungen vollzogen wurden, ohne die algerischen Behörden darüber in Kenntnis zu setzen, und bezeugte darüber hinaus Misshandlungen: „Sie tun es nachts und nehmen uns an der Grenze die Handys weg und machen sie kaputt […] Sie sagen […], dass sie uns wegen des Virus eingesperrt haben, weil wir im Wald waren, dass sie uns Essen geben, aber das ist eine Lüge, sie weisen uns aus“.[18]
Algerien reagiert mit Abschiebungen
Die Regierung in Algier reagiert darauf ebenfalls mit Abschiebungen zurück nach Marokko. Denn, so ließen Regierungsvertreter*innen aus Algier schon in den frühen 2000er Jahren verlauten, das Land werde keinesfalls die Folgen der europäischen Migrationspolitik ausbaden. „Sie ließen uns in der Wüste zurück, wir wussten wirklich nicht, wo wir waren. […] Wir gingen weiter, wir liefen, die Schwächsten blieben stehen. Wir sind in Richtung Algerien gelaufen, aber die Algerier haben uns bedroht, sie hatten ihre Gewehre schussbereit. Dies ist ein Fußballspiel zwischen Marokko und Algerien, und wir sind der Ball”,[19] berichtete eine Person, die diese Praxis am eigenen Leib erfuhr.
Die Abschiebungen der marokkanischen und algerischen Behörden erfolgen ohne entsprechende Abkommen. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Grenze zu Marokko, Menschen werden auch nach Mali und Niger abgeschoben. Erst 2014 unterzeichneten die Regierung in Algier und der nigrische Staat ein bilaterales Rückübernahmeabkommen zur Migrationskontrolle. Bis heute ist dessen Inhalt nicht öffentlich einsehbar, bekannt ist nur, dass der nigrische Staat sich verpflichtet, seine irregulär eingereisten Staatsangehörigen zurückzunehmen. Damit entstand ein rechtlicher Rahmen für die bereits bestehende Praxis, von dem Algerien in den folgenden Jahren jedoch nur sporadisch Gebrauch machen sollte. Dies änderte sich, als Algerien im Jahr 2017 Massenverhaftungen und
-abschiebungen in beispiellosem Ausmaß durchführte. Das bilaterale Abkommen mit Niger entpuppte sich als reine Formsache, da neben nigrischen Staatsangehörigen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten von diesen Verhaftungen und anschließenden Abschiebungen betroffen waren.
Die Repression in Algerien erfolgte in einer Zeit zunehmender ökonomischer Probleme, Arbeitsplätze und erschwinglicher Wohnraum wurden knapp. Menschen aus subsaharischen Staaten, die sich in Algerien aufhielten und dort arbeiteten, wurden dafür mit rassistischer Stimmungsmache verantwortlich gemacht. Im Machtkampf um die algerischen Wahlen 2017 wurden diese Ressentiments mit Aussagen wie jener des hohen algerischen Beamten Ahmed Ouyahia geschürt, der „Ausländer, die sich illegal in Algerien aufhalten [als] Quelle von Kriminalität, Drogen und vielen anderen sozialen Übeln” bezeichnete.[20]
Grenzexternalisierung und Abschiebungen
Doch die ökonomischen Probleme und rassistische Stimmungsmache allein reichen nicht aus, um die Massenabschiebungen zu erklären. Auch wenn Algerien entgegen der dominanten europäischen Darstellung nicht nur ein Transitstaat ist, befinden sich doch viele Menschen aus subsaharischen Ländern in Algerien auf der Durchreise nach Europa. Mit dem EU Emergency Trust Fund for Africa (EUTF) hat die EU 2015 darauf reagiert und ein weiteres, flexibles Finanzierungsinstrument geschaffen, um die Ausweitung der europäischen Migrationskontrolle in Nordafrika und anderen Ländern außerhalb Europas voranzutreiben.[21] Neben der finanziellen und militärischen Unterstützung des marokkanischen Staates, die migrationspolitischen Interessen Europas durchzusetzen, wurden auch die algerische Küstenwache, die Marine und die algerischen Außengrenzen (unter Beteiligung der deutschen Industrie) massiv aufgerüstet. Algerien gab 2016 den Bau eines befestigten Sperrwalls an der Grenze zu Marokko in Auftrag.[22]
Diese von Europa unterstützten Entwicklungen sind nur beispielhaft für die immer dichtere Überwachung und Kontrolle der Migrationsrouten nach Europa, durch die immer mehr Menschen in Algerien blockiert sind. Die Massenverhaftungen und -abschiebungen aus Algerien von 2017 sind also nicht allein die Folge innenpolitischer Entwicklungen, sondern hängen auch mit dem weitläufigen und engmaschigen Netz aus Migrationskontrolle und -überwachung zusammen, das mit der europäischen Externalisierungspolitik gesponnen wird. Entsprechend ordnet das Alarme Phone Sahara, eine aktivistische Organisation mit Sitz in Niger, die algerische Abschiebepolitik als eine Kriegserklärung gegen Migrant*innen ein, die „dem Interesse der algerischen Behörden [dient], die Zahl der Migrant*innen zu reduzieren und den Rassismus innerhalb ihrer eigenen Gesellschaft zu befriedigen. Andererseits ist es eine Chance für (den algerischen Staat), sich als Hüter des Grenzregimes der EU-Staaten zu positionieren. Obwohl sich der algerische Staat bisher geweigert hat, ein formelles Migrationsabkommen mit den EU-Ländern zu unterzeichnen, dient ihm seine rücksichtslose Abschiebepolitik als Trumpf in Verhandlungen mit europäischen Staaten über Kredite und wirtschaftliche Zusammenarbeit.“[23]
(In)offizielle Abschiebekonvois nach Niger
Dieser Krieg gegen Migrant*innen in Algerien hält bis heute an. Menschen werden willkürlich und teils wochen- und monatelang unter widrigen Umständen in Haft genommen. Betroffene berichten von Hunger und von Gewalt durch algerische Sicherheitskräfte in Haft und während der Abschiebung.[24] Während nigrische Staatsangehörige in offiziellen Konvois in die nigrische Grenzstadt Assamaka gebracht werden, werden Angehörige anderer Staaten mit inoffiziellen Konvois unmittelbar an der Grenze zwischen Algerien und Niger am sogenannten „Point Zero“ in der Sahara ausgesetzt. Dort werden sie gezwungen, sich zu Fuß ins 15 Kilometer entfernte Assamaka aufzumachen.[25]
Die meisten der in inoffiziellen Konvois Abgeschobenen kommen anschließend in Kontakt mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Finanziert von europäischen Akteur*innen, betreibt die zu den Vereinten Nationen gehörende Organisation in Niger Transitzentren für Menschen, die aus Algerien, immer öfter aber auch aus Libyen, abgeschoben wurden. Die IOM stellt diese Zentren als eine direkte Unterstützung von Menschen in Not dar, die dringend benötigt würde, da den meisten Abgeschobenen ihre persönlichen Gegenstände von den algerischen Sicherheitskräften abgenommen werden. Dennoch, so berichtet Alarme Phone Sahara, meiden immer mehr Menschen diese Einrichtungen. Neben der unzureichenden Ernährung und schlechten hygienischen Bedingungen wird ein weiterer Grund genannt: Die Unterstützung und der Zugang zu den Zentren der IOM ist an die Bedingung geknüpft, sich an sogenannten freiwilligen Rückkehrprogrammen zu beteiligen.[26] Die Organisation macht sich also die prekäre Lage von Menschen zunutze, um sie unter dem Deckmantel der Freiwilligkeit in ihr sogenanntes Herkunftsland abzuschieben und spinnt damit das transnationale Netz aus Abschiebungen weiter.
Transnationales Abschieberegime
Europäische Staaten und Akteur*innen schieben ab, der marokkanische Staat schiebt ab, Algerien schiebt ab. Sie alle stehen beispielhaft für ein weitreichendes Netz aus unterschiedlichen Akteur*innen und Praktiken der Abschiebung in bilateralen oder multilateralen Abkommen. Angesichts zwischenstaatlicher politischer Spannungen wird aber auch ohne derartige Regimes abgeschoben, wie etwa nach Algerien oder im Rahmen von Pushbacks die wie in Spanien teils als legal erklärt wurden.
Abschiebungen ohne rechtlichen Rahmen sind nicht die Ausnahme, sondern integraler Bestandteil der Herausbildung eines transnationalen Abschieberegimes. Auch wenn die EU nicht direkt darin involviert ist, so dient es der europäischen Migrationspolitik – und ist nicht selten durch diese geprägt. Die zunehmende Ausweitung der Überwachung und Kontrolle von Migrationsrouten in nordafrikanischen Staaten führt dazu, dass Mobilität in Richtung Europa immer gefährlicher wird und Menschen in nordafrikanischen Staaten blockiert sind. Dies begünstigt die Aufnahme und Verschärfung der Abschiebepolitiken in Staaten wie Marokko und Algerien. Mit dem transnationalen Abschieberegime werden nicht nur Menschen auf der Flucht aufgehalten und von Europa weggedrängt. Betroffen sind auch diejenigen Menschen, die Migrationsmustern wie zirkulärer oder saisonaler Migration folgen. Dies ist ganz im Sinne eines kapitalistischen und rassistischen Europas, das dafür den Verlust unzähliger Leben und die Ausübung von Gewalt in Kauf nimmt und diese selbst anwendet – in Europa und darüber hinaus.