von Laura Wisser
Allein im Jahr 2020 wurden mindestens zehn Menschen in der Bundesrepublik aus rechtsextremen Motiven ermordet.[1] Zeitgleich reiht sich ein rechtsextremer Polizei-Skandal an den nächsten. Rechtsextreme sind immer gefährlich. Aber ganz besonders dann, wenn sie Polizist*innen sind. Welche Gegenmaßnahmen eröffnet das Disziplinarrecht?
Ku-Klux-Klan, NSU 2.0, der Hannibal-Komplex oder das rechtsextreme Netzwerk in Nordrhein-Westfalen: Die Regelmäßigkeit, mit der rechtsradikale Strukturen, rassistische oder antisemitische Vorkommnisse in der Polizei bekannt werden, ist besorgniserregend.[2] Die deutsche Polizei hat ein Problem mit Rechtsextremen in den eigenen Reihen.[3] Das ist aus verschiedenen Gründen problematisch, vor allem deshalb, weil gut ausgebildete, bewaffnete Menschenfeinde mit Zugang zu staatlichen Strukturen ein Sicherheitsrisiko sind. Für einzelne Bürger*innen, die nicht in das rechtsextreme Weltbild passen, für die Gesellschaft insgesamt und den demokratischen Staat als solchen. Allein aus einem Interesse an Rechtsstaatlichkeit und der Integrität staatlicher Organisationen müssen Behörden dazu in der Lage sein, rechtsextreme Polizist*innen aus dem Dienst zu entfernen. Obwohl Gesetzeslage und Rechtsprechung ein entschiedenes Vorgehen ermöglichen,[4] agieren vielen Behörden zögerlich. Vorfälle werden lange ignoriert, Verfahren aufgeschoben und eine umfassende Information der Öffentlichkeit blockiert.
Ablauf eines Disziplinarverfahrens
Die normativen Ausgestaltungen des Arbeitsverhältnisses von Polizist*innen, zu denen auch das Disziplinarverfahren gehört, finden sich im Beamtenrecht. Im Fall von Bundespolizist*innen sind sie im Bundesdisziplinargesetz (BDG) geregelt, für Landespolizist*innen gelten die jeweiligen Landesdisziplinargesetze. Die Grundstruktur der Verfahren ist in etwa gleich: Ein Disziplinarverfahren beginnt, wenn der Verdacht eines Dienstvergehens gegeben ist. Dann muss gemäß § 17 BDG ein Disziplinarverfahren von Amts wegen eingeleitet werden. Die höheren Dienstbehörden sollen laut § 17 Abs. 1 BDG sicherstellen, dass diese Pflicht erfüllt wird; sie können das Verfahren jederzeit an sich ziehen. Der*die fragliche Beamt*in ist nach der Einleitung des Verfahrens gem. § 20 BDG zu unterrichten, zu belehren und anzuhören. Bei den Ermittlungen können nach §§ 24 ff. BDG Beweise erhoben, Zeug*innen und Sachverständige angehört und die Herausgabe von Unterlagen, gegebenenfalls sogar Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen angeordnet werden; ein Protokoll über den Ablauf der Beweiserhebung ist anzufertigen. Nach dem Ende der Ermittlungen ist dem*der Beamt*in nach § 30 BDG nochmal eine Gelegenheit zur abschließenden Äußerung zu geben. Wenn das Dienstvergehen nicht erwiesen ist oder eine Disziplinarmaßnahme aus anderen Gründen nicht angezeigt erscheint oder gar unzulässig ist, ergeht eine Einstellungsverfügung nach § 32 Abs. 1 BDG, andernfalls ergeht eine Disziplinarverfügung gemäß § 33 BDG. Der Katalog möglicher Maßnahmen ist in § 5 BDG festgelegt und umfasst den Verweis, Geldbußen, die Kürzung von Dienstbezügen, die Zurückstufung und in letzter Konsequenz auch die Entfernung aus dem Beamt*innenverhältnis. Gemäß § 13 Abs. 1 BDG ist die Festlegung der Maßnahme eine Ermessensentscheidung, die aufgrund der Schwere des Dienstvergehens und des Persönlichkeitsbildes des*der Beamt*in zu erfolgen hat.
Dienstvergehen und Zumessung
Dienstvergehen können innerhalb und außerhalb der Dienstzeit begangen werden: Innerhalb, wenn ein*e Beamt*in rechtswidrig und schuldhaft ihr*ihm obliegende Pflichten verletzt; außerhalb nur dann, wenn die Pflichtverletzung besonders schwerwiegend ist.[5] Die Schwere des Dienstvergehens wird in der Rechtsprechung anhand unterschiedlicher Kriterien festgestellt, wie Häufigkeit und Dauer, Form und Gewicht der Schuld des*der Beamt*in, Beweggründe für das Verhalten und unmittelbare Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte.[6]
Die Entfernung aus dem Dienst ist die schärfste Maßnahme des Disziplinarrechts. Sie kann nur dann vorgenommen werden, wenn die Dienstpflichtverletzung zu einem endgültigen (unheilbaren) Verlust des Vertrauens des*der Dienstherr*in oder der Allgemeinheit geführt hat.[7] Ob und inwieweit das Vertrauen beschädigt ist, ist laut Rechtsprechung „objektiv“ zu bestimmen. Entscheidend ist
„die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Überprüfung. Ein Beurteilungsspielraum des Dienstherrn besteht nicht.“[8]
Manche Dienstpflichtverletzungen sind auch strafrechtlich relevant. Wenn ein*e Beamt*in rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde, endet das Beamt*innenverhältnis automatisch und qua Gerichtsurteil.[9] Will der*die Dienstherr*in ohne oder bei einem geringeren Strafurteil die Entlassung erreichen, muss in den allermeisten Ländern Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden.[10]
Beamt*innenpflichten und Freiheitsrechte
Auch wenn ein Verhalten nicht strafrechtlich relevant ist oder letztlich keine Strafe nach sich zieht, kann es disziplinarrechtliche Konsequenzen haben. Denn die Pflichten eines*einer Beamt*in umfassen mehr als bloßen Rechtsgehorsam nach § 62 Abs. 1 S. 2 BBG und § 35 Beamtenstatusgesetz (BeamStG). Neutralitäts- und Mäßigungsgebot verpflichten Beamt*innen zur politischen und weltanschaulichen Neutralität bei Ausübung ihres Amtes. Auch außerhalb ihres Dienstes sind sie bei öffentlichen Äußerungen zu einer gewissen Mäßigung verpflichtet.[11] Natürlich dürfen auch sie sich als Privatpersonen grundsätzlich öffentlich äußern; wie alle anderen können sie sich selbstverständlich auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz (GG) berufen, aber eben nur besonnen, sachlich und unvoreingenommen.[12] Das heißt insbesondere, dass sie auch privat an das Menschenbild des Grundgesetzes gebunden sind.[13]
In einem engen Zusammenhang dazu steht die Treuepflicht.[14] Sie fordert von der*dem Beamt*in eine positive innere Einstellung und ein aktives Eintreten für die grundrechtlich geprägte Werteordnung des Grundgesetzes.[15] Das Bundesverfassungsgericht definierte sie 1975 im Urteil zum sogenannten Radikalenerlass als „Pflicht zur Bereitschaft sich mit der Idee des Staates, dem der Beamte dienen soll, mit der freiheitlich, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren“. Das heißt nicht, dass Polizist*innen zum unkritischen Bejubeln des Staates verpflichtet sind, wohl aber auf seine Grundpfeiler. Die Treuepflicht fordert vom Beamten, „dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren.“[16]
Die beamtenrechtlichen Treuepflichten können jedoch nicht losgelöst vom historisch-politischen Kontext ihrer Entstehung betrachtet werden. Da diese maßgeblich durch den Radikalenerlass geprägt war, mahnen Teile der Rechtswissenschaft, dass die Forderung nach Staatstreue und insbesondere damit verbundene Gesinnungsprüfungen illiberal und nicht mit den Freiheitsrechten der Beamt*innen vereinbar seien.[17] Das Urteil, das das Konzept der Treuepflicht derartig ausgestaltet, und sein Entscheidungsgegenstand, der Radikalenerlass, waren Anlass und Rechtfertigung dafür, dass in der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre hunderte Beamt*innen systematisch aus dem Dienst entlassen und Bewerber*innen gar nicht erst zugelassen wurden. Die Regelungen richteten sich vornehmlich gegen als „linksextrem“ stigmatisierte Lehrer*innen. Die Jahrzehnte andauernde Diskussion endete letztlich damit, dass die sogenannten Regelabfragen, die es den Dienstherr*innen erlaubte, generell und systematisch Auskünfte über Bewerber*innen und Beamt*innen beim Verfassungsschutz zu erfragen, bis 1991 in allen Bundesländern abgeschafft wurden.
1995 entschied auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zugunsten einer auf Grundlage des Radikalenerlasses entlassenen Lehrerin.[18] Dabei wurde allerdings weder das Konzept der Treuepflicht an sich, noch die Entlassung auf Grund einer Treuepflichtverletzung für grundsätzlich unzulässig erklärt.[19] Zu einer Grundsatzentscheidung sahen sich die Richter*innen explizit nicht aufgefordert, deuteten aber Zweifel an. Für den konkreten Fall stellten sie fest, dass die Entfernung aus dem Dienst unverhältnismäßig war, weil die der Klägerin zu Last gelegten Handlungen nicht genug Anhaltspunkte für ihre Verfassungsfeindlichkeit gegeben hätten und die Entfernung aus dem Dienst in Abgleich mit dem verfolgten Ziel unverhältnismäßig schwerwiegend in ihre Rechte eingegriffen habe.[20] In seinen Grundsätzen blieb das Konzept also unangetastet. Entsprechend wurde die grundlegende Definition der Treuepflicht, wie sie im Urteil von 1975 festgelegt wurde, Teil der ständigen Rechtsprechung – zuletzt zitiert in einem Urteil des Freiburger Verwaltungsgerichts, in dem von einem entlassenen Polizeibeamten auf Widerruf ein positives Verhältnis zu den Grundpfeilern der Verfassung gefordert wurde.[21]
Die Grundpfeiler von Staat und Verfassung und ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus hat das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Wunsiedel-Beschluss deutlich gemacht: Politische System und Grundgesetz der Bundesrepublik seien als Gegenentwurf zum NS-Regime konzipiert. Diese vollkommene Abkehr vom Nationalsozialismus habe geradezu „identitätsprägende Bedeutung“.[22] Das mag angesichts der personellen Kontinuitäten in Verwaltung und Justiz nach 1945, rechtsextremer Gewalt, strukturellem Rassismus und Antisemitismus für manche nach Augenwischerei oder gar Heuchelei klingen. Man kann diese Interpretation aber auch als Versprechen verstehen, an dem sich alle staatlichen Einrichtungen messen lassen müssen, auch die Polizei. Dass dem nicht immer genüge getan wird, zeigt ein Blick in die Praxis.
Blockieren
Fragt man bei den verschiedenen Landesinnenministerien und Polizeihochschulen nach, wie in aus den Medien bekannten Fällen und auch ganz grundsätzlich bei rechtsextrem motiviertem Verhalten von Polizist*innen vorgegangen wird, antworten nur sehr wenige Bundesländer ausführlich. Acht Bundesländer haben auch fünf Monate nach einer Anfang Juni 2020 gestellten Anfrage gar nicht reagiert. Die anderen blockieren mit Ausreden: Es sei zu viel Aufwand die Akten zu sichten, der Datenschutz stünde im Wege, ermittlungstaktische Gründe sprächen gegen eine Antwort auf die Frage, ob ein*e bestimmte*r Polizist*in noch im Dienst ist.[23] In einem Bundesland wird die Anfrage sehr vage beantwortet. Nach erneuter Nachfrage, wie in einigen konkreten Fällen disziplinarrechtlich vorgegangen wurde (die Namen der Polizist*innen waren weder aus den Medien bekannt, noch wurden sie abgefragt) und langer Diskussion, wurde schließlich geantwortet, dass die Informationen niemanden etwas angingen und man nicht antworten wolle. Den Ansprüchen eines demokratischen Rechtsstaates, in dem der Staat gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig ist, wird diese Blockadehaltung nur schwerlich gerecht.
Aufschieben und ignorieren: Der Fall Marko G.
Das Disziplinarverfahren gegen Marko G., Polizist beim Spezialeinsatzkommando in Mecklenburg-Vorpommern und als rechtsextremer Prepper Mitglied der Gruppe „Nordkreuz“, ist eines der wenigen Verfahren über das verhältnismäßig viel bekannt ist. An seinem Beispiel zeigt sich eine gewisse Zögerlichkeit, die in anderen Fällen nur erahnt werden kann: Bei Hausdurchsuchungen wurden im Sommer 2019 bei Markus G. neben Waffen auch zehntausende Schuss entwendeter Munition aus verschiedenen Polizeieinheiten und Bundeswehreinrichtungen gefunden.[24] Gegen ihn wurde neben einem Disziplinarverfahren auch ein Strafverfahren eingeleitet. Im Dezember 2019 wurde er wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.[25] Sobald das Urteil Rechtskraft erhält, wird Marko G. qua Strafurteil auch aus dem Dienst entfernt. Dies kann allerdings noch dauern, denn die Staatsanwaltschaft hat wegen des geringen Strafmaßes Berufung eingelegt. Das parallel laufende disziplinarrechtliche Verfahren wurde für die Dauer des Strafverfahrens ausgesetzt. Im Sommer 2020 ist es noch nicht wiedereingesetzt. Das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern scheint darauf zu setzen, dass sich das Problem mit dem Urteil des Strafgerichts quasi von selbst löst.
Es ist zwar rechtlich möglich, ein Disziplinarverfahren während strafrechtlicher Ermittlungen auszusetzen. Auf den ersten Blick mag das auch ressourcensparend wirken. Aber ein Abwarten zieht die Angelegenheit unnötig in die Länge, wie wir im Fall von Marko G. sehen. Außerdem geht es in den beiden Verfahrensarten um unterschiedliche Gegenstände: Während das Strafrecht dem eigenen Anspruch nach als letztes Mittel nur das Verhalten bestraft, das von der Gesellschaft als schlechthin nicht mehr hinnehmbar befunden wird, ist Ziel eines Disziplinarverfahrens die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und das Ansehen des Amtes im Besondern und des Beamtentums im Allgemeinen zu wahren. Es geht um die Integrität des Staates.[26] Die Rechtsordnung betrachtet Disziplinarverfahren daher eben nicht erst dann als geboten, wenn ein Verhalten auch strafrechtlich relevant ist.[27]
Dass gegen Marko G. – der bereits in den 1990ern bei der Bundeswehr durch rechtsextreme Äußerungen auffiel (dort entwendete er 1993 auch die Uzi, die 2019 in seiner Wohnung gefunden wurde), gegen den 2009 mindestens zwei Kollegen wegen rechtsextremen Parolen und Äußerungen Beschwerde erhoben hatten, ohne dass seine Vorgesetzten etwas unternahmen, und bei dem 2017 Munition aus Behördenbeständen gefunden wurden – erst 2019 ein Disziplinarverfahren eröffnet wurde, nur um es dann auszusetzen, zeigt, dass Rechtsextremismus unter Beamt*innen mancherorts lange ignoriert wurde.
Reformbedarf?
Angesichts dieser Vorkommnisse liegt es nahe, eine Reform des Disziplinarrechts zu fordern, um Entlassungen von rechtsextremen Polizist*innen zu erleichtern und zu beschleunigen.[28] Sicherlich sind unterschiedliche Gesetzesänderungen denkbar, die solche Maßnahmen vereinfachen würden: gesetzliche Klarstellungen, z.B. bezüglich der Frage welches Verhalten einen Vertrauensverlust verursacht. Denkbar sind auch Verfahrensvereinfachungen, wie Fristverkürzungen oder ähnliches. Sie sind aber nicht notwendig, um entschiedener gegen rechtsextreme Polizist*innen vorzugehen. Wenn das bestehende Recht angewandt, durchgesetzt und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf allen Ebenen des Staates ernstgenommen würde, wäre es durchaus möglich Rechtsextreme zügig aus dem Polizeidienst zu entfernen.
Dass dies möglich ist, zeigt das folgende Beispiel: Ein zur Sicherung deutscher Botschaften abgeordneter Bundespolizist war von der Bundespolizei angezeigt worden, nachdem er den Holocaust geleugnet und sich positiv auf den Nationalsozialismus bezogen hatte. Noch vor dem Ende des Strafverfahrens war er entlassen worden. Das Gericht bestätigte die Entfernung aus dem Dienst.[29]
Dass in ähnlichen Fällen nichts oder nur wenig passiert, liegt weniger am Mangel gesetzlicher Möglichkeiten, als vielmehr an Korps-Geist und Eigendynamik von Behördenstrukturen. Ebenso wie die generelle Tendenz von Behörden und Gerichten, die Gefahren von Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus zu verharmlosen, dürften diese Faktoren die eigentlichen Hindernisse sein. Abhilfe schaffen könnten externe Beschwerdestellen, wie es sie unter anderem in Dänemark seit 2012 gibt. Wären solche Einrichtungen zusätzlich zu ihren strafrechtlichen auch mit disziplinarrechtlichen Ermittlungsbefugnissen ausgestattet, ließe sich wohl zumindest Korpsgeist und Behördenverkrustung bei Disziplinarverfahren etwas entgegensetzen.
„Jetzt aber wirklich!“
Dass es so wie es derzeit läuft, nicht weitergehen kann, ist inzwischen auch den Innenministerien klar geworden. Im Juni 2020 legte das Bundesinnenministerium im Nachgang zum Anschlag von Halle eine Bestandsaufnahme zu disziplinarrechtlichen Konsequenzen bei extremistischen Bestrebungen vor.[30] Im September folgte die Veröffentlichung eines Lageberichts zu Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dieser listet erstmals dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen oder Verfahren auf, die zwischen 2017 und 2020 wegen des Verdachts auf rechtsextremistische Einstellungen oder Verhaltensweisen eingeleitet wurden.[31] Auch wenn Bundesinnenminister Seehofer bei der Vorstellung des Lageberichts betonte, dass es sich lediglich um Einzelfälle handele, bleibt die Hoffnung, dass die Behörden unter dem wachsenden öffentlichen Druck „jetzt aber wirklich“ die Möglichkeiten des Disziplinarrechts nutzen, um rechtsextreme Polizist*innen zu entlassen; zum Schutz von marginalisierten Gruppierungen, zum Schutz ihrer nicht-rechtsextremen Kolleg*innen und zum Schutz der gesamten Gesellschaft.