Berndt Georg Thamm: Drogenfreigabe – Kapitulation oder Ausweg. Pro und Contra zur Liberalisierung von Rauschgiften als Maßnahme zur Kriminalitätsprophylaxe, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 1989

Während die Bundesregierung nach wie vor an ihrer starren Prohibitionspolitik gegenüber Drogen festhält, ist es interessanterweise die Gewerkschaft der Polizei, die in einem Fachseminar das Thema kritisch aufgegriffen hat und deren Verlag „Deutsche Polizeiliteratur“ eines der gegenwärtig wohl provozierendsten Bücher zu dieser Frage auf den Markt gebracht hat.

Thamms Plädoyer für eine Drogenfreigabe beginnt mit einem Kapitel über die „Geschichte der Drogenkontrollen“, in dem er der aktuellen Diskussion den Spiegel früherer gescheiterter Prohibitionsversuche in Bezug auf andere Drogen, darunter auch Alkohol, Tabak und Kaffee, vorhält.

Sein Fazit: „Mit Beginn des 17. Jahrhunderts läßt sich über einen Zeitraum von knapp 400 Jahren ein immer wiederkehrender Ablauf erkennen“, nämlich: von der Einführung einer kulturfremden Droge über deren Verbreitung vor allem durch Soldaten, zum Verbot aus moralischen und religiösen Gründen bis hin zur Aufweichung und Aufgabe des Verbots, nachdem es sich trotz härtester polizeilicher und anderer staatlicher Unterdrückungsversuche nicht aufrechterhalten ließ. Das Ergebnis ist die Ersetzung der Prohibition durch „ein Staatsmonopol mit zugehöriger Steuerpolitik“ (S.28).

In seinem zweiten Kapitel über die Drogenpolitik der USA zeigt Thamm, wie die moralischen Anti-Drogen-Kampagnen in diesem Lande verbunden mit einer repressiven Bekämpfung durch die Staatsgewalt zum Wachstum des „größten Drogenproblems der Nachkriegsgeschichte“ beigetragen haben.

Am Drogengeschäft des 20. Jahrhunderts profitiert aber – so kann man im dritten Kapitel nachlesen – nicht nur die großen Verbrechersyndikate – von der italienischen Mafia in den USA bis zu den kolumbianischen Kartellen von Medellín und Cali -, sondern auch andere Syndikate, die üblicherweise nicht unter den Begriff „Kriminalität“ gefaßt werden: Die Verbreitung von Heroin und Kokain hätte ohne Bayer, Merck und andere Chemie-Multis wohl nie dieselben Ausmaße erreicht. Monopolistischen und internationalen Charakter habe aber auch schon früh der illegale Handel mit Drogen erhalten, beginnend mit der Droge Alkohol und dem Aufstieg der italienischen Mafia in den USA, die ab den 30er Jahren auf eine neue illegale Droge – nämlich Heroin – umstieg. Die diversen „Connections“ und ihre Betreiber, die internationale organisierte Kriminalität, stellt Thamm im 4. Kapitel dar, in dem er auch auf das Problem der Geldwäsche in den Steuerparadiesen (zugleich übrigens beliebten Zielen des deutschen  Ferntourismus) eingeht.

Das mit „Der verlorene Krieg“ überschriebene Kapitel 5 ist der für die polizeipolitische Diskussion wohl zentrale Teil des Buches. Hier macht Thamm klar, daß auch verschärfte Formen der Repression nicht geeignet sind, um den Krieg gegen den Drogenhandel zu gewinnen. Er zeigt, wie sich die 22 Rauschgiftverbindungsbeamten des BKA in den Produktions- und Transitländern für Drogen auf verlorenem Posten befinden, wie schwierig Programme der Umstellung auf Nutzpflanzenproduktion unter den ökonomischen und sozialen Bedingungen der Herstellerländer umzusetzen sind und wie schlecht die Aussichten sind für eine Kontrolle des Exports von Chemikalien, die für die Aufbereitung natürlicher und die Produktion synthetischer Drogen gebraucht werden.

Thamm hält weder die neuen noch die klassischen Instrumentarien der Polizei gegen den organisierten Drogenhandel für erfolgversprechend:
– Die Drogenkriminalität sei keine Anzeigenkriminalität. Im Unterschied zu den meisten Bereichen polizeilicher Arbeit läuft die Polizei hier hinterher und bekommt nicht die Fälle per Anzeige durch Bürger frei Haus geliefert. Die Folge davon ist, daß sich die Polizei auf das konzentrieren muß, was an der Oberfläche sichtbar ist, das schwächste Glied der Kette, den Konsumenten, und den meist ebenfalls konsumierenden Kleindealer. Selbst bei der Verfolgung von Straftaten der Konsumenten reduzierte sich die polizeiliche Kenntnis „auf höchstens 0,5 %“ aller von diesen begangenen Delikte.

– Nur zwischen 3 und 12% der gehandelten Drogen würden international durch Polizei und Zoll sichergestellt.

– An die Geldwäsche, eines der wichtigsten Delikte der organisierten Händler, könne die Polizei nicht heranreichen, wenn nur jeweils national entsprechende Normen für die Abschöpfung illegaler Gewinne geschaffen werden. Denn: Geldwäsche sei eine internationale Angelegenheit, internationale Bankgeschäfte seien aber national noch weniger zu kontrollieren als sie auch bei größerer Offenheit international zu durchschauen seien.

– Kronzeugenregelungen und verdeckte Ermittlungen verwirft Thamm ebenso als probate Mittel, um in die inneren Zirkel des Geschäfts polizeilich einzudringen. Kronzeugen riskierten ihr Leben, wenn sie das „Gesetz des Schweigens“ durchbrechen. Verdeckte Ermittlungen hätten sich nicht nur in den USA, wo diese Strategie seit längerem eingesetzt wird, nicht ausgezahlt. Die Anwendung dieser Strategie beinhalte auch die Gefahr, daß Polizeibeamte selbst umgedreht würden.

Nicht die Polizei habe schlecht gearbeitet. Sie sei ein ungenügendes Mittel im Krieg gegen die Drogen. Die Flut der Drogen nach Europa werde nicht erst mit dem neuen europäischen Binnenmarkt einsetzen, sie sei längst da. Von daher verschreibt der Autor den politischen Instanzen die Therapie der Drogenliberalisierung und -freigabe mit dem Ziel eines staatlichen Monopols.
Thamms Buch, das sei vorschnellen Verteidigern der Prohibitionspolitik vorab gesagt, bedient sich in den meisten seiner Argumentationen polizeilicher Materialien. Thamm ist auch kein Befürworter von Drogen, sondern stellt sie als bekämpfenswert dar, wobei er allerdings die zu schaffende „Intoleranz gegen Drogen“ nicht dem Staat und allen voran der Polizei zur Aufgabe stellt, sondern der Gesellschaft, insbesondere dem Erziehungsprozeß.

Wie sehr er sich auf polizeiliche Argumentationen bezieht kann an den problematischen Abschnitten über „Drogen als Finanzquelle des Terrorismus“ nachvollzogen werden (S.219 ff.). Hier übernimmt er nicht nur den unscharfen Terrorismus-Begriff, sondern darüber hinaus die von den USA ausgegebenen Formeln des „Narco-Terrorismus“ und der „Narco-Guerrilla“, die auch hierzulande kritiklos und ohne jede Differenzierung übernommen wurden. Die Auflistung auf S. 221 ff. liest sich wie eine Zusammenstellung aller möglichen bewaffneten Organisationen der betreffenden Länder ohne jede Unterscheidung der Art ihrer Verwicklung in das Drogengeschäft oder auch ihrer politischen Haltung.

Zwischen der Duldung des Anbaus von Coca durch Bauern, wie sie in Kolumbien z.B. durch die Guerrilla der FARC betrieben wird, und der Absicherung des politischen Einflusses der rechtsradikalen Mafia und Teilen der Oligarchie durch die 140 paramilitäri-schen Gruppen, die im selben Land oft gemeinsam mit den Miltärs gegen politische Gegner vorgehen, besteht ein erheblicher Unterschied, zu dessen Aufklärung Thamm nicht beiträgt.

Er verliert damit auch den Blick für die Rolle des Militärs und der Polizei in diesen Ländern sowie für die Funktion von Militär- und Polizeihilfen. Insbesondere die USA haben mit ihren Einflüssen und Unterstützungsprogrammen in Lateinamerika gerade den rechtsgerichteten Militärs unter die Arme gegriffen und damit paradoxerweise oft genug diejenigen unterstützt, deren Verfilzung mit dem Drogengeschäft nicht zu leugnen ist. Unter der Parole des Kriegs gegen die Drogen haben sie so meist dazu beigetragen, die Konkurrenz der unteren und mittleren Händler der Branche auszuschalten und die Monopole der großen Kartelle zu stärken.

Zieht man diese Schwächen ab, so bleibt trotzdem ein lesenswertes und spannendes Buch übrig. Lesenswert insbesondere deshalb, weil die Legalisierung von Drogen nicht nur die Last der Verfolgung von den kleinen Konsumenten wegnehmen könnte, sondern auch der Gesellschaft insgesamt einen Verlust an Freiheiten ersparen könnte, die im Zuge der Verrechtlichung und verbreiterten Anwendung verdeckter Polizeitätigkeiten auf uns zurollt.