Editorial

Ein Signal? Rot-Grüne Politik „innerer Sicherheit“ in Berlin

Einhundert Tage rot-grüne Koalition, das waren einhundert Tage permanente Auseinandersetzung um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in dieser Stadt. Bestimmte der Konflikt um Nukem und Alkem die rot-grüne Koalition in Hessen, so sind es hier Hausbesetzungen, Demonstrationen, Polizei und Verfassungsschutz, die den neuen Senat in Atem halten.

Doch hier endet schon die Gemeinsamkeit des Vergleichs. Denn nicht prinzipiell unvereinbare Positionen zwischen den Koalitionspartnern sind kennzeichnend für die Berliner Situation, sondern das Bemühen – trotz divergierender Ausgangspositionen – einen Neuanfang im Bereich der Justiz, der Polizei und beim Verfassungsschutz zu finden. Anders als in Hessen nahm deshalb auch die Debatte um diese Themen bei den Koalitionsverhandlungen einen breiten Raum ein. Und anders als im Konflikt um die Kernenergie lassen sich in Berlin in diesen Fragen auch keine Gemeinsamkeiten zwischen CDU und SPD mehr finden; im Gegenteil, auf keinem Gebiet kämpft die CDU erbitterter gegen den neuen Senat als im Bereich „innerer Sicherheit“.

Doch kann von einem Willen zum Neuanfang bei einer aus einer politischen Zwangslage heraus geborenen Koalition überhaupt die Rede sein? Skepsis über die Möglichkeiten und Reichweite einer rot-grünen Politik „innerer Sicher-heit“ sind sicher angebracht. Wie weit die Positionen von SPD und AL noch auseinanderliegen, zeigen nicht zuletzt die in dieser Ausgabe dokumentierten Koalitionsvereinbarungen, denn die unter den Stichworten „innere Sicherheit“ und „Verfassungsschutz“ zu findenden Beschlüsse wurden von der AL nur mit Widerwillen unterzeichnet. Zu weit entfernt sind sie von den programmatischen Forderungen etwa nach der Auflösung der Ämter für Verfassungsschutz oder nach einem personellen Abbau der Polizei in Berlin. Doch drei Punkte berechtigen gleichwohl zu der Hoffnung, daß in Berlin Ansätze zu einer „Politik innerer Sicherheit“ entwickelt werden, die sich qualitativ von der Politik der sozialliberalen Ära der siebziger und der konservativen Ägide der achziger Jahre unterscheidet.

1. Aufmerksamkeit erfuhr vor allem ein symbolischer und in der abstrakten Form unsinniger Akt: das Bekenntnis der AL zum staatlichen Gewaltmonopol, das die SPD zur Voraussetzung der Koalition machte. Viel entscheidender war jedoch, daß sich die AL in den Koalitionsverhandlungen auf die Frage eingelassen hat, wie denn ihre grundsätzlichen Vorstellungen nach einem Abbau von Staat, nach Verzicht auf Strafe, nach gesellschaftlichen Konfliktlö-sungsmechanismen durch eine konkrete Umgestaltung nicht zuletzt der staatlichen Instanzen ansatzweise umgesetzt werden könnten. Die Koalition erzwingt bei der AL eine von vielen Wehen begleitete und noch lange nicht abgeschlossene Aueinandersetzung darüber, wie man denn der allgemeinen Vorstellungen einer freien und demokratischen Gesellschaft durch konkrete Reformen der staatlichen Ordnung näher kommen kann. Voraussetzung hierfür war nicht nur, daß sich die SPD auf eine solche Diskussion einließ, sondern sich ganz offen von ihrer in den siebziger Jahren betriebenen Politik distanzierte – einer Politik, die auf die Mobilisierung zugunsten eines umfassenden staatlichen Sicherheitsauftrags und auf die Aus-grenzung eines breiten politischen Spektrums hinauslief, das der bü-rokratischen Politik der SPD  alternative gesellschaftliche Organisations- und Politikformen entgegenzusetzen suchte.

2. Glaubwürdig wird die Selbstkritik der Repräsentanten der Sozialdemokratie, die in den siebziger Jahren dem Betonflügel der Partei zugerechnet wurden – wie der in der Partei einflußreiche Abgeordnete Lorenz oder der neue Innen-senator Pätzold – nicht nur dadurch, daß im Schmücker-Untersuchungsausschuß oder aber im neuen Sicherheitsausschuß auch die skandalösen Folgen der sozialdemokratischen Staatssicherheitspolitik der 70er Jahre auf den Tisch kommen werden. Sie manifestiert sich vor allem in der Bereitschaft, auch gegen den Widerstand aus Polizei und Verfassungschutz Reformen durchzusetzen, welche die Grundrechtspositionen der Bürger stärken und über das hinausgehen, was etwa im Saarland Lafontaines oder im Scheswig-Holstein Engholms formuliert wird: verstärkte parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, Auflösung der politischen Abteilung der Staats-anwaltschaft, Auflösung der berüchtigten EbLT. Selbst die allgemeinen Zielsetzungen der Koalitionsvereinbarungen sind in dieser Form in Nordrhein-Westfalen oder im Saarland kaum angedacht worden.

Sicherlich haben hierzu die Skandale um den Berliner Verfassungsschutz, die „law and order“-Politik eines Heinrich Lummer oder die Arroganz der Macht, wie sie Kewenig den kritischen Bürgern und der Opposition gegenüber an den Tag legte, entscheidend beigetragen. Eigene Erfahrungen mit staatlichem Machtmißbrauch machen sensibler gegenüber potentiellen Gefährdungen bürgerlicher Freiheiten und demokratischer Rechte (siehe hierzu in dieser Ausgabe den Beitrag von A. Funk und W. Wieland).
Hinzu kommt, daß zumindest in der Berliner SPD die Einsicht wächst, daß sie längerfristig nur dann Erfolg haben kann, wenn sie einer auf den starken Staat setzenden konservativen Politik eine freiheitliche Alternative entgegensetzen kann.

3. Veränderungen zeigten sich schließlich auch im Umgang des neuen Senats mit dem politisch brisanten Thema, wie die staatlichen Instanzen mit den wegen terroristischer Taten Verurteilten umgehen sollten. In der Auseinandersetzung der Justizminister um den Hungerstreik, in der die meisten verantwortlichen Sozialdemokraten in Deckung gingen und der CSU und Staatssekretär Kinkel das Feld überließen, riskierten der neue Senat und Momper die öffentliche Auseinandersetzung trotz aller daraus erwachsenden Schwierigkeiten selbst mit Teilen der eigenen Wahlklientel. Der neue Senat beschloß auch die Haftver-schonung für die kranke Angelika Goder, obwohl dies Wasser auf die Mühlen der Rechten und ihrer Parole von der „Heirat zwischen SPD und den Linksradikalen“ war (Egon Franke, Polizeigewerkschaft im deutschen Beamtenbund).

Die Frage, ob sich aus den zarten Ansätzen einer rot-grünen Innenpolitik wirklich neue, tragfähige Konzepte öffentlicher Sicherheit entwickeln, läßt sich sicher erst in ein paar Jahren sinnvoll beantworten – sofern es dann noch eine solche Koalition gibt. Sicher ist jedoch, daß kaum ein Regierungs-bündnis in der Geschichte der Bundesrepublik einen derart massiven Widerstand hervorgerufen hat wie der rot-grüne Senat.

Auf der linken Seite waren es vor allem diejenigen, die im Regierungseintritt der AL das Ende einer wirklichen Alternative zum bestehenden System, das Ende der AL als Fundamentalopposition, gekommen sahen. Auf der Abschlußkundgebung der „revolutionären 1.Mai-Demonstration“ in Kreuzberg hieß es dann auch: „Es gibt keine Alternative zur Revolution“. Die Plünderungen und Auseinanderset-zungen mit der Polizei galten denn auch in weiten Teilen der AL. Sie wurden untermalt durch den Slogan: „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten, wer verrät uns schneller, die AL-er“.
Doch dies war – wie der Beitrag von Diederichs und Meyer zeigt – nur die eine Seite der Medaille. Die andere war der Unmut von Teilen der Polizei und ihrer Führung über den neuen, ungeliebten Senat, der sich in einer seltsamen Hilflosigkeit eines Apparates niederschlug, der über vielfältige Erfahrungen mit solchen gewalttätigen Demonstrationen verfügt.

Die Art und Weise, in der CDU wie „Republikaner“, der von diesen nicht weit entstehende Franke (Polizeigewerkschaft im DBB – PDB), ja selbst die GdP auf den 1.Mai reagierten, ist symptomatisch für eine von Konservativen und Repräsentanten der Sicherheitsapparate getragenen Politik der Polarisierung. Die „Deutsche Polizeigewerkschaft“ (wie sich die PDB seit einiger Zeit nennt) hatte schon bei der Besetzung des Arbeitsschutzmuseums in der Fraunh-oferstraße, das später freiwillig geräumt wurde, konstatiert: „Linskradikale AL läßt ihre Bürgerkriegsarmee los. Innensenator Pätzold bereits nach 5 Tagen am Ende“ (Polizeispiegel, 5/89). Die Gewalttätigkeiten am 1.Mai waren dann Anlaß, auf breiter Front den Chaotensenat für die Vorkommnisse in Kreuzberg verantwortlich zu machen („Beirutt??? Nein: Das ist Berlin“ BZ, 2.1.89). Ganz als ob es ähnliche Aueinandersetzungen nicht schon früher gegeben hätte, wurde „eine völlig neue Form der Brutalität“ (CDU Fraktionsvorsitzender Landowsky) behauptet und die Verantwortung hierfür einer „gewalttätigen so-geannten Alternativszene“ (Diepgen) oder gar der AL direkt in die Schuhe geschoben, da Gewalttäter, angeblich gestützt durch Erklärungen der AL, „immer ungebierter gegen die Polizei vorgehen“ (GdP laut Tagesspiegel, 3.5.89).

Die GdP war es dann auch, die eine Solidaritätsdemonstration für die Polizei organisierte, bei der weniger die Bürger und die komplett anwesende CDU-Spitze als die starken Blöcke von „Republikanern“, insbesondere in Uniform, ins Auge fielen. Selbst in Springers „Morgenpost“ wurde ein leises Unbehagen an der seltsamen Einheitsfront dieser Demonstration deutlich, indem eine Passantin mit dem Satz zitiert wurde: „Ich bin auch für den Abbau von Feindbildern, aber wenn die Republikaner für Recht und Ordnung demonstrieren, dann bekomme ich ein mulmiges Gefühl“ (Morgenpost 11.5.89).

Kritik an der Rolle der GdP wurde im übrigen auch in der Gewerkschaft selbst laut. Wie schwer sich diese Organisation mit dem Problem der „Republikaner“ in der Polizei tut, darauf verweist auch der Beitrag zu diesem Thema in dieser Ausgabe. Die „Deutsche Polizeigewerkschaft“ tut sich hier leichter; sie ist gewerkschaftliches Sammelbecken der „Republikaner“, zu denen der bisherige Berliner Vorsitzende bemerkt: „REP`s, die immerhin 91.000 Wähler auf sich vereinigen konnten und in einer freien und geheimen Wahl in das Abgeordnetenhaus hinein gewählt worden sind, haben bisher im Gegensatz zu den Linksradikalen keine Gewalt in die Stadt getragen, keine Polizeibeamten tätlich angegriffen und weder mit Steinen geworfen noch mit der Zwille ge-schossen. Sie haben auch im Gegensatz zu den Linksradikalen keine demokratiefeindliche Staatsauffassung“ (Polizeispiegel 4/89).

Die Art und Weise, in der im Umfeld der 1.Mai-Vorfälle  nicht etwa nur von den REP`s, sondern auch von Teilen der CDU Ängste und Vorurteile in der Bevölkerung mobilisiert wurden, erschreckt. Noch mehr erschreckt, auf welch fruchtbaren Boden diese Politik gerade in den staatlichen Sicher-heitsapparaten fällt. Fatal wäre es, nun jedoch die Politik der Po-larisierung, wie sie von rechts betrieben wird, selbst mitzumachen. Eine an den Bürgerrechten orientierte Sicherheitspolitik setzt eine offene Auseinandersetzung mit der Masse der Beamten voraus, denen ihr traditionelles sozialdemokratisches Berufsbild des aufrechten staatlichen Ordnungshüters abhanden gekommen ist und die, zwischen Berufsfrust und Statusängsten schwankend, für rechte Parolen anfällig werden. Rot-grüne Politik kann hierfür nur die äußeren Voraussetzungen schaffen, durch eine Öffnung der Polizei, durch eine veränderte Aus- und Fortbildung, durch mehr innerbe-triebliche Demokratie. Diese offene Auseinandersetzung müssen dann aber nicht etwa nur die Parteien suchen, sondern vor allem auch die „alternativen“ und von den Polizeibeamten kritisch beäugten Bürger selbst.