von Lena Schraut *
Im Herbst 1988, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, brachte die Berliner SPD im Abgeordnetenhaus einen Entwurf für ein Gesetz zum Schutz der personenbezogenen Daten in der Berliner Verwaltung (kurz: Berliner Datenschutzgesetz/BlnDSG) ein.
Wegen des Zeitablaufes konnte dieses Gesetz seinerzeit nicht mehr beraten werden. Für die Alternative Liste war der Gesetzentwurf ohnehin nicht tragbar.
Die Einwände richteten sich vor allem gegen die Befugnis zur Datenverarbei-tung, ohne daß Verwendungszweck, Verknüpfungsmöglichkeiten oder Nutzbarkeit der verarbeiteten Daten ausreichend präzise geregelt waren. Dies kann ein allgemeines Daten-schutzgesetz auch nicht leisten, hierzu sind bereichsspezifische Regelungen erforderlich. Als Querschnittsgesetze sollten Datenschutzgesetze daher Pa-rameter aufstellen, innerhalb derer die Datenverarbeitung abzulaufen hat, die Rechte der Betroffenen geregelt sowie Rechtsstellung, Aufgaben und Befug-nisse der Datenschutzbeauftragten festgelegt werden.
Weiterhin bot der seinerzeitige SPD-Entwurf keinen amtshilfefesten Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts wie er vom Bundesverfassungsgericht (BVG) im Volkszählungsurteil gefordert wird. Stattdessen räumte er den Behörden die Befugnis ein, Daten sowohl zu erheben wie auch weiterzugeben, wenn sie bei ihrer Tätigkeit von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erfuhren.
Die rot-grüne Koalition machte sich denn auch gleich daran, den Entwurf der SPD, der sich bis dahin durchaus auf der Linie der bundesweit bereits verabschiedeten oder beratenen Datenschutzgesetze bewegte, den Vorgaben des Volkszählungsurteils entsprechend „umzustricken“.
Nach gründlicher Beratung, an der sowohl der Berliner Datenschutzbeauftragte wie auch die Innenverwaltung teilgenommen hatten, verab-schiedete das Abgeordnetenhaus die völlig überarbeitete Fassung des Ge-setzes. Am 01.11.1990 trat es in Kraft.
Das Gesetz bildet den Rahmen, in dem die Datenverarbeitung in Berlin ablaufen soll, ohne daß sich aus ihm die sonst üblichen Befugnisse ableiten lassen. Ein Übergangsparagraph trägt der Tatsache Rechnung, daß in Berlin – wie anderswo – bereichsspezifische Regelungen, z. B. im Sicherheitsbereich, noch fehlen.
Einzelne Paragraphen
6: Zulässigkeit
Hier weicht das Berliner Gesetz zum ersten Mal von anderen Datenschutzgesetzen ab, indem es die Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann zuläßt, wenn bereits ein anderes Gesetz die Verarbeitung gestattet oder die Betroffenen zuvor eingewilligt haben.
Anders als bei 4 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) kann der 6 BlnDSG nicht als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung herangezogen werden. Die dortige Formulierung „…wenn dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt“ fehlt bewußt.
10: Erheben
In seiner ursprünglichen Fassung enthielt dieser Paragraph gleich zwei Erhebungsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden. In ähnlicher Form finden sie sich auch in allen anderen Gesetzen. So erlaubt 12 BDSG das Speichern, Verändern und Nutzen personenbezogener Daten, wenn es „zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl“, „zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten“, oder „zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer anderen Person“ erforderlich ist. Solche Regelungen gehören in die Strafprozeßordnung oder das Polizeigesetz, nicht jedoch in ein Datenschutzgesetz. Das Berliner Gesetz verzichtet daher sowohl bei der Datenerhebung wie auch in den anderen Phasen der Verarbeitung darauf. Stattdessen folgt es dem Prinzip der Transparenz und Unmittelbarkeit und legt fest, daß personenbezogene Daten grundsätzlich beim Betroffenen selbst zu erheben sind.
Von diesen Prinzipien darf nur abgewichen werden, wenn ein anderes Gesetz dies vorsieht, oder angenommen werden kann, daß durch die Erhebung schutzwürdige Belange der Betroffenen nicht beeinträchtigt werden.
15: Auskunft und Benachrichtigung
So eng das Berliner Gesetz Eingriffe in das informelle Selbstbestimmungs-recht der BürgerInnen regelt, so groß-zügig sind andererseits die Rege-lungen beim Auskunftsrecht für die Betroffenen. Daß interessierte BürgerInnen mit Inkrafttreten des BlnDSG keine Gebühren mehr zahlen müssen, bevor sie beispielsweise Auskünfte aus dem Informationssystem für Ver-brechensbekämpfung (ISVB) der Ber-liner Polizei erhalten, sei nur am Ran-de bemerkt.
Ein absolutes Novum ist allerdings, daß weder Polizei noch Verfassungsschutz von der Verpflichtung ausgenommen werden, Auskunft zu erteilen. Auch für sie gilt das Prinzip der Transparenz. Ergibt eine Abwägung, daß aus Gründen der Geheimhaltung oder weil durch eine Auskunft die Rechte Dritter berührt werden, keine Auskünfte erfolgen können, so sind dem Betroffenen die Gründe hierfür zu benennen.
18: Durchführung des Datenschutzes, Dateibeschreibung und behördliche Datenschutzbeauftragte und
24: Dateienregister
In beiden Paragraphen ist festgelegt, daß seitens der datenverarbeitenden Stellen Register über die von ihnen geführten Dateien zu erstellen sind. Neben dem in den Datenbanken er-faßten Personenkreis sind darin auch die Geräteart, das Betriebsverfahren usw. darzulegen. Die solchermaßen erstellten Listen sind an den Berliner Datenschutzbeauftragten weiterzuleiten und werden dort im Bedarfsfall für eine öffentliche Einsichtnahme bereitgehalten.
Selbst Polizei und Verfassungsschutz sind davon nicht automatisch ausgenommen. Damit ist es einer interessierten Öffentlichkeit leichter als bisher möglich nachzuvollziehen, wie sich die Informations- und Kommunikationstechnologie entwickelt.
33: Besondere Regelungen
Dieser Paragraph dient als Übergangsregelung für all jene Fälle, in denen bereichsspezifische Regelungen bisher noch fehlen. Bis zum 31.12.91 kann die Datenverarbeitung der Sicherheitsbehörden damit auf der Grundlage dieses Paragraphen erfolgen. Dann müssen ein Berliner Verfassungsschutzgesetz und ein Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz verabschiedet sein, in denen die noch offenen Fragen zu regeln sind.
Rückblick
Rückblickend ist festzustellen, daß die Erarbeitung des Berliner Datencshutz-gesetzes als gutes Beispiel einer rot-grünen Kompromißfindung gelten kann. Wie so häufig (und dies auch in der Innenpolitik) waren sich SPD und AL über die groben Züge ihrer Politikvorstellungen einig; in den Detailfragen zeigten sich dann aber oft die gänzlich unterschiedlichen Auffas-sungen. In den sehr konstruktiven Be-ratungen, die sich – mit Unterbre-chungen – fast ein Jahr lang hinzogen, haben sich die unterschiedlichen Auf-fassungen dann jedoch angenähert.
Leider reichte der datenschützerische Elan der SPD-Fraktion dann aber nicht mehr aus, auch die notwendige Ergänzung des Datenschutzgesetzes, ein allgemeines Akteneinsichtsrecht, auch noch über die letzte parlamentarische Hürde zu bringen. Der Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes wurde nicht mehr verabschiedet.
Dennoch muß man sagen, daß sich die zeitaufwendige Prozedur der Kompro-mißfindung in den Detailfragen ge-lohnt hat; dies nicht nur bei Fragen des Datenschutzes, sondern in der (Innen-) Politik generell. Die Klippe, an der die rot-grüne Koalition schließ-lich zerschellte, hätte sich möglicherweise auch wieder umschiffen lassen, wenn der Wille zur Kompromiß-findung – und die Zeit dazu – noch vorhanden gewesen wäre.