Die Klage hat keinen Erfolg! Kein Unfallausgleich für CN-Verletzung

In Nordrhein-Westfalen hat ein Polizeibeamter, Mitglied eines SEK gegen seinen Dienstherrn geklagt, um zwei CN-Kontakte während des Einsatzes als Dienstunfälle anerkannt zu bekommen.

1980 und 1981 war der Beamte an zwei Einsätzen beteiligt, in de-nen jeweils die sog. Chemische Keule mit dem Reizstoff CN einge-setzt wurde. Beide Fälle endeten für den Beamten mit „stechenden Augenschmerzen und akuter Beeinträchtigung der Sehfähigkeit“.

Im Mai 1982 stellte der Polizeihauptmeister ein Nachlassen seiner Sehkraft fest. Der Chef der Augenklinik Dortmund, Prof. Dr. Ullrich, bestätigte eine Minderung der Sehstärke um fast ein Prozent sowie eine Linsentrübung. Der Mediziner zog auch die Möglichkeit in Betracht, daß diese Beeinträchtigungen durch „toxische“ Einwirkungen zustande kamen, z.B. durch Verätzungen in Folge der früheren Einsätze.

Seit 1984 ist der SEK-Beamte als „polizeidienstunfähig“ entlassen. Anerkannt wurden die Unfälle zwar, ein finanzieller Unfallausgleich jedoch abgelehnt. Im August 1990 hat er einen daraufhin angestrengten Prozeß auf Bewilligung einer Unfallfürsorge verloren.
Wir dokumentieren das Urteil.

Tatbestand:

Der 1941 geborene Kläger stand seit dem 05. Oktober 1959 im Polizeidienst des Beklagten. Mit Ablauf des 31. Juli 1984 wurde er auf eigenen Antrag als Polizeihauptmeister wegen Polizeidienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

Unter dem 07. Juni 1982 erstattete der Kläger zwei schriftliche Unfallmel-dungen, die sich auf dienstliche Ereig-nisse vom 19. November 1980 und 07. November 1981 bezogen. In beiden Fällen sei er bei Einsätzen als Angehöriger des Sondereinsatzkommandos des Polizeipräsidenten Dortmund „erheblich am Kopf und an der Kleidung mit Reizstoff besprüht“ worden. Bei den Reizstoffen handelt es sich um das Tränengas Chloracetophenon (CN), das mit dem Reiz-stoffsprühgerät 1 (RSG 1) versprüht worden war. Als „Art der Verletzung“ gab der Kläger jeweils an: „Gerötete Bindehäute, tränende und anfänglich geschlossene Augen, erheblich eingeschränkte Sehfähigkeit, starker Schmerz in den Augenhöhlen und im Gesamtbereich des Kopfes“. Wegen der Unfallmeldungen im einzelnen wird auf Bl. 17 ff. der Beiakte (BA) Heft 3 Bezug genommen.

Durch Bescheid vom 31. August 1982 erkannte der Polizeipräsident Dortmund die „Unfälle vom 19.11.1980 und 07.11.1981, bei denen es sich jeweils um eine augenblickliche Beeinträchtigung der Sehfähigkeit handelte“, als Dienstunfälle an; von der „förmlichen Untersuchung“ der Unfälle wurde „abgesehen, da nach der Verordnung für die Polizei (NW) 940/1 ‚Ausbildung und Einsatz mit dem Reizstoffsprühgerät 1 (RSG 1)‘ dienstbeeinträchtigende Dauerschäden voraussichtlich nicht zu erwarten sind“; eine „Erwerbsminde-rung im Sinne des   35 BeamtVG, die den An-spruch auf Zahlung eines Unfallaus-gleichs zur Folge hätte“, liege nicht vor. Mit seinem Widerspruch vom 10. September 1982 beanstandete der Kläger, daß der Polizeipräsident Dort-mund eine im Rahmen des   35 BeamtVG anspruchsauslösende Er-werbsminderung verneint habe; über die „jeweils augenblickliche Beein-trächtigung der Sehfähigkeit aufgrund der schädigenden Ereignisse“ hinaus sei „eine weitere Beeinträchtigung der Sehfähigkeit“ zu verzeichnen gewe-sen. Der Regierungspräsident Arns-berg wies den Widerspruch nach Ein-holung einer Stellungnahme des Poli-zeiärztlichen Dienstes in Dortmund durch Wi-derspruchsbescheid vom 21. Mai 1984 als unbegründet zurück.

Stechende Schmerzen

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Kla-ge macht der Kläger geltend: Nach-dem er mit dem Reizgas aus dem RSG 1 in Berührung gekommen sei, hätten sich sofort stechende Schmerzen und eine akute Sehbeeinträchtigung einge-stellt. Nach den vorgeschriebenen Spülungen hätten die akuten Wir-kungen nachgelassen; im Laufe der Zeit habe sich aber herausgestellt, daß sein Sehvermögen gemindert sei. Der Beklagte habe es – als sein Dienstherr – vor Einführung des Kampfstoffes CN unterlassen, „exakte wissen-schaftliche Untersuchungen des Reiz-stoffsprühgerätes und der darin ver-wandten Chemikalien durchzufüh-ren“. Er habe damit „eine Gefahren-quelle geschaffen, die allein daraus resultiert, daß chemische Kampfstoffe üblicherweise zu Gesundheitsbeein-trächtigungen führen müssen“; des-halb treffe ihn (den Beklagten) auch die Beweislast, wenn insoweit Kausa-litätsfragen nicht (oder noch nicht) zu klären seien.

Der Kläger verweist auf das vom Institut für Aerobiologie der Fraunhofer Gesellschaft veröffentlichte Gutachten des Dr. med. Gerhard Schreiber, Grafschaft, zur Frage der „Unbedenk-lichkeit der Verwendung des Reizstof-fes CS“ und auf die Stellungnahme des Prof. Dr. Otto Wassermann, Di-rektor der Abteilung Toxikologie des Klinikums der Christian-Albrechts-Universität Kiel, vom 19. Oktober 1982 „zur Einführung von CS in Schleswig-Holstein“, die sich in Ab-lichtungen in der BA Heft 3 befinden (Bl. 96 ff.). Er bemerkt dazu, daß eine augenfachärztliche Begutachtung nicht ausreiche, sondern daß ein Toxi-kologe, etwa Prof. Dr. Wassermann, zu Rate gezogen werden müsse.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Be-scheides des Polizeipräsidenten Dort-mund vom 31. August 1982 und Auf-hebung des Widerspruchbescheides des Reigerungspräsidenten Arnsberg vom 21. Mai 1984 zu verpflichten, die bei ihm vorliegende dauernde Be-einträchtigung der Sehfähigkeit als Dienstunfallfolge anzuerkennen und ihm einen Unfallausgleich unter Zugrundelegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 60 v.H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung und meint: Nachdem in seinem Auftrage vom Direktor der Universitätsaugenklinik Düsseldorf Prof. Dr. Pau unter dem 20. September 1984 erstatteten augenfachärztlichen Gutachten und den gutachterlichen Äußerungen des Leiters der Abteilung für Experimentelle Ophthalmologie der Medizinischen Einrichtungen der Uni-versität Bonn, Prof. Dr. Otto Hockwin, vom 08. November 1985 und 06. Februar 1987 sowie nach den Sachdarstellungen der bei den dienstlichen Ereignissen vom 19. November 1980 und 07. November 1981 beteiligten Beamten, BA Heft 8, lasse sich ein Ursachenzusammenhang zwischen der Augenerkrankung des Klägers und diesen Ereignissen nicht feststellen. Der Kläger trage nach der Rechtsprechung die Beweislast, zumal er die notwendigen Ermittlungen durch sei-ne späten Unfallmeldungen wesentlich erschwert habe. Wegen der vom Beklagten angeführten gutachterlichen Stellungnahmen bezieht sich die Kam-mer auf Bl. 37 ff. der Ge-richtsakten sowie auf die BAn Hefte 7 und 9.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.

Bedenken gegen die Zulässigkeit des Klagebegehrens bestehen nicht. Insbe-sondere kann durch feststellenden Verwaltungsakt eigens darüber entschieden werden, ob ein bestimmtes einzelnes Leiden Folge eines als Dienstunfall anerkannten Ereignisses ist.

Die Klage ist aber nicht begründet.

Die Kammer geht von dem augenfachärztlichen Gutachten des Direktors der Universitäts-Augenklinik Düsseldorf Prof. Dr. Pau vom 20. September 1984 aus, gegen das der Kläger substantiierte Einwände nicht erhoben hat und zu dem er zunächst bemerkt hatte, die Einholung eines weiteren Gutachtens erübrige sich danach (Schriftsatz vom 01. Februar 1985). Prof. Dr. Pau, ein herausragender Fachmann auf dem Gebiete der Augendiagnostik, ist aufgrund einer ausführlichen ambulanten augenärztlichen Untersuchung des Klägers zu folgenden Ergebnissen gelangt:

– Eine geringe Weitsichtigkeit mit Astigmatismus und ein Netzhautforamen (vernarbt) im rechten Auge hätten „nichts mit den Folgen einer Trä-nengasverätzung zu tun“.

– Die verminderte Tränensekretion und die vorderen subkapsulären Lin-sentrübungen beider Augen stellten dagegen „durchaus denkbare Folgeer-krankungen milder Verätzungen“ dar. „Wissenschaftlich klären“ lasse sich der „denkbare Zusammenhang“ in diesen Fällen nicht.

– Das Sehvermögen des Klägers sei durch die vorderen subkapsulären Linsentrübungen (Rindenkatarakte) „kaum beeinträchtigt“. Beidseits liege ein „nahezu volles Sehvermögen von 0,9 vor“.
Gutachten

Die vom Beklagten danach eingeholten gutachterlichen Äußerungen des Leiters der Abteilung für Experimentelle Ophthalmologie der Medizinischen Einrichtungen der Universität Bonn Prof. Dr. Otto Hockwin haben zu folgenden Einsichten geführt:
– Gutachten vom 08. November 1985: Die bei dem Kläger infolge der von Prof. Dr. Pau festgestellten Linsentrü-bungen aufgetretenen Sehstörungen könnten „aufgrund der biochemischen Untersuchungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge einer einmaligen oder wiederholten Exposition gegenüber CN-Gas … sein, falls dabei im Kammerwasser des Auges Chloracetophenonkonzentrationen über 0,0003 mg/Kammervo-lumen (ca. » 10-5 mol/l) aufgetreten sind“.

– „Bericht“ vom 06. Februar 1987: Unter den von ihm (Hockwin) gewählten in vitro-Versuchsbedinungen an Schweinehornhäuten in Verbindung mit einer hochempfindlichen Methode habe keine Penetration von 2-Chloracetophenon in das Augeninnere (Kammerwasser) nachgewiesen werden können. Die methodisch-ana-lytischen Voraussetzungen hätten mit Sicherheit ausgereicht, um die unter anderen Voraussetzungen ermittelte Linsenschädigungskonzentration von 10-5 mol/l im Kammerwasser zu erfassen.

In Anbetracht des in dem vorerwähnten „Bericht“ referierten Ergebnisses ist der Nachweis eines Kausalzusammenhanges zwischen den von Prof. Dr. Pau diagnostizierten Beeinträchtigungen des Klägers und den dienstlichen Ereignissen vom 19. November 1980 und 07. November 1981 nicht zu führen, so daß auf sich beruhen kann, ob die im Gutachten vom 08. November 1985 herausgestellte „Schwellendosis“ nach Lage der Din-ge überhaupt erreicht werden konnte, was aufgrund der (naturgemäß wenig präzisen) zudem Sachdarstellungen in BA Heft 8 jedenfalls kaum verifi-zierbar gewesen wären.

Die vom Kläger angeführten medizinischen Äußerungen stehen dem nicht entgegen. Dies gilt namentlich im Blick auf die Stellungnahmen des Prof. Dr. Wassermann, der einerseits das sog. „Frauenhofer-Gutachten“ als „wegen zahlreicher Mängel wissenschaftlich nicht haltbar“ kennzeichnet, andererseits einräumt, daß „hinsicht-lich Linsenschädigungen durch CN/ CS in der Literatur außer-ordentlich wenig Hinweise zu finden“ seien (s. BA Heft 3, Bl. 96). Die Feststellung Prof. Wassermanns, daß „die aus Tierversuchen verfügbaren wenigen Daten … für eine sichere toxi-kologische Bewertung“ nicht ausreichten, findet sich in seiner Stellungnahme vom 19. Oktober 1982; die Solidarität des späteren experimentellen Vorgehens, zu dem sich Prof. Dr. Hockwin aus Anlaß der Begutachtung des vorliegenden Falles schließlich entschlossen hat, wird hierdurch nicht berührt. Die Einholung eines weiteren Gutachtens, etwa eines Toxikologen, scheidet für die Kammer schon deshalb aus, weil sich der Sachverhalt (letztlich auch infolge der recht späten Unfallmeldungen des Klägers) nicht mehr in einer Weise aufklären läßt, daß ein Sachverständiger hierauf – gegebenenfalls mit einem für den Kläger positiven Ergebnis – überzeugend aufbauen könnte. In Übereinstimmung mit dem Oberver-waltungsgericht,

vgl. Beschluß vom 10. April 1990
– 6 A 2741/86 -, m. w. N.,

ist die Kammer der Auffassung, daß hier etwa verbliebene Unklarheiten oder Beweisschwierigkeiten zu Lasten des Klägers gehen. Soweit dieser dem Beklagten als seinem Dienstherrn eine Fürsorgepflichtverletzung vorwirft, geht dies fehl. Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 11. September 1985, auf den insoweit, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen wird, im Einzelnen dargelegt, daß die nach der Rechtslage erforderlichen Untersuchungen vor der Zulassung der Reizstoffe CN und CS in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt worden seien. Es kann deshalb dahinstehen, ob sich eine etwaige Fürsorgepflichtverletzung des Beklagten rechtlich da
hin auswirken könnte, daß sich die Beweislast umkehrte.

Az: 1 K 2261/84

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß der Kläger mit seinem Unfallausgleichsbegehren auch dann keinen Erfolg haben könn-te, wenn man die von Prof. Dr. Pau als „denkmögliche“ Folgeerscheinun-gen „mit den Verätzungen“ herausge-stellten Sehbeeinträchtigungen des Klägers als Dienstunfallfolgen ansähe. Würdigt man nämlich, daß dieser Gutachter dem Kläger „beidseits … ein nahezu volles Sehvermögen“ bescheinigt hat, so scheidet die Annahme einer mindestens 25-prozentigen dienstunfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben aus (s. S. 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG).