Bericht des Bundesministers des Innern über den Stand der Beratungen der für Einwanderungsfragen zuständigen Minister und der TREVI-Minister

Stand: 26. April 1991

Vorbemerkung

Die Vorbereitungen zur Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen bis zum Ende des Jahres 1992 sind während des Jahres 1990 unter irischer und italienischer Präsidentschaft im Kreise der für die Einwanderung zuständigen Minister und der TREVI-Minister fortgesetzt worden.

Teil I des nachstehenden Berichts befaßt sich mit den Beratungen der für Einwanderungsfragen zuständigen Minister der EG-Mitgliedsstaaten. Schwerpunkte der Arbeiten der Minister waren

– der Abschluß eines Übereinkommens über die Bestimmung des Staates, der für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags zuständig ist, am 15. Juni 1990 in Dublin

– die Beratungen über ein Übereinkommen über das Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften.

I. Beratungen der Einwanderungsminister

Die für Einwanderungsfragen zuständigen Minister hielten am 7. Dezember 1990 in Rom ihre 9. Tagung ab, der die Treffen von London (Oktober 1986), Brüssel (April 1987), Kopenhagen (Dezember 1987), München (Juni 1988), Athen (Dezember 1988), Madrid (Mai 1989), Paris (Dezember 1989) und Dublin (Juni 1990) vorausgegangen waren.

Bei den Beratungen der Einwanderungsminister und der ihnen zuarbeitenden ad-hoc-Arbeitsgruppe „Einwanderung“ geht es schwerpunktmäßig darum, die notwendigen Voraussetzungen für die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes auf den Gebieten des Ausländer- und des Asylrechts zu schaffen.

1. Asylübereinkommen

Das „Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags“ ist am 15. Juni 1990 in Dublin von den für Einwanderungsfragen zuständigen Ministern der EG-Mitgliedstaaten – mit Ausnahme von Dänemark – unterzeichnet worden. Dänemark hat die Zeichnung des Übereinkommens für Juni 1991 in Aussicht gestellt.

Über den Inhalt des Übereinkommens ist der Innenausschuß des Deutschen Bundestages zuletzt mit Schreiben vom 4. September 1990 eingehend unterrichtet worden.

2. Grenzübereinkommen

Unter irischer und italienischer Präsidentschaft ist der von der französischen Präsidentschaft Mitte 1989 vorgelegte Entwurf eines Übereinkommens der Mitgliedstaaten über das Überschreiten der Außengrenzen (zum wesentlichen Inhalt vgl. die Unterrichtung des Ausschusses vom 27. März 1990) intensiv beraten worden. Dies geschah insbesondere, um den Auftrag des Europäischen Rates in Paris zu erfüllen, wonach die Beratungen über das Übereinkommen bis zum Ende 1990 abgeschlossen werden sollten.

Über weite Bereiche der von dem Übereinkommen zu regelnden Gegenstände konnte im Verlauf der Beratungen Einigkeit erzielt werden. Dies betrifft namentlich:

– die Bedingungen für die Einreise von Drittausländern zu Aufenthalten bis zu drei Monaten

– die Modalitäten der Einreisekontrolle an den Grenzübergängen

– die Überwachung der grünen und blauen Außengrenzen

– die Kriterien für die Aufstellung einer Liste von Drittausländern, denen die Einreise aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht gestattet werden kann

– die Voraussetzungen und technischen Modalitäten für die Erteilung eines gemeinsamen Visums, das für alle Mitgliedstaaten für Aufenthalte bis zu drei Monaten gültig ist

– die Einrichtungen eines Ausschusses, der für die Anwendung und Auslegung des Abkommens verantwortlich ist.

Außer wenigen Fachfragen sind somit noch einige Kernpunkte nicht oder nicht endgültig gelöst:

a) Abbau der Binnengrenzkontrollen

Das Übereinkommen enthält – im Gegensatz zum Schengener Zusatzübereinkommen – keine Bestimmung über einen Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen, da zwischen den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht keine Einigkeit über die Auslegung von Artikel 8a EWG-Vertrag besteht. Einige Mitgliedstaaten vertreten die Auffassung, diese Vorschrift verpflichte nicht zu einem Abbau der Binnengrenzkontrollen für Drittausländer.

Um dem Grundsatzstreit auszuweichen, hat die französische Präsidentschaft Mitte 1989 vorgeschlagen, daß der Vertrag nur die Außengrenzkontrollen und Sichtvermerksbestimmungen regelt. Auf dem Treffen der Einwanderungsminister und des Europäischen Rates in Rom im Dezember 1990 konnte eine Einigung über die Grundsatzfrage noch nicht gefunden werden. Die Einwanderungsminister haben daher die ad-hoc-Gruppe „Einwanderung“ gebeten, die noch bestehenden Probleme abschließend zu erörtern und dabei zu prüfen, welche Maßnahmen für die Verwirklichung eines Raums ohne Binnengrenzen im Sinne des Artikels 8a des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erforderlich sind.

Nach den bisherigen Erörterungen kann davon ausgegangen werden, daß demnächst eine Entscheidung auf der Ebene des Europäischen Rates fallen wird.

b) Kontrollen auf den Flughäfen (Artikel 6)

Im Zusammenhang mit den Binnengrenzkontrollen stellt sich auch die Frage, wie die Kontrollen von Binnenflügen und Drittlandsflügen auf den Flughäfen gestaltet werden sollen. Das Schengener Zusatzübereinkommen sieht dazu vor, daß Binnenflüge als Überschreitung einer Binnengrenze angesehen und daher kontrollfrei gestellt werden sollen, während für Drittlandsflüge Kontrollmodalitäten vereinbart sind, die eine Vermischung von Verkehrsströmen und die kontrollfreie Einreise und Ausreise von Drittausländern auf Drittlandsflügen verhindern sollen. Zur praktischen Verwirklichung dieses Systems sind auf vielen „Schengener“ Flughäfen Umbauten im Gange; davon ist in Deutschland vor allem Frankfurt/Main betroffen.

Die italienische Präsidentschaft hatte vorgeschlagen, dieses System auch im EG-Rahmen vorzusehen. Einige nicht durch Schengen gebundene MS lehnen dies ab, wobei sowohl die Grundsatzfrage – Kontrollfreiheit auf Binnenflügen für alle Passagiere – als auch praktische Erwägungen – Kosten des erforderlichen Umbaus von Flughäfen – ins Feld geführt werden.

Wie immer die Lösung in dieser Frage ausfällt, sie darf keinesfalls im Verhältnis der Schengener Staaten untereinander das im Schengener Zusatzübereinkommen vereinbarte System beeinträchtigen oder die dort vereinbarten Erleichterungen für die Fluggäste einschränken.

c) Nordische Union

Eine Sonderproblematik stellt sich für Dänemark aufgrund seiner gleichzeitigen Zugehörigkeit zur EG und zur Nordischen Union. Dänemark will an der Kontrollfreiheit zwischen den Nordischen Staaten, wie sie seit über 30 Jahren besteht, festhalten.

Die übrigen EG-Mitgliedstaaten bevorzugen eine Lösung, wonach Personenkontrollen zwischen Dänemark und den übrigen Nordischen Staaten durchzuführen sind, gleichzeitig aber – entsprechend der deutsch-österreichischen Vereinbarung zur Erleichterung der Grenzkontrollen vom 20. August 1984 – den Angehörigen dieser Staaten Kontrollerleichterungen gewährt werden. Auch die EG-Kommission befürwortet dieses Modell, da es den Vorrang der Kontrollfreiheit der Gemeinschaft wahren würde.

Gespräche der italienischen Präsidentschaft und der EG-Kommission mit den Nordischen Staaten haben ergeben, daß die nordischen Partner von Dänemark dem von den übrigen EG-Staaten befürworteten Modell nicht ablehnend gegenüberstehen.

d) Datenschutzbestimmungen

Der ursprüngliche französische Entwurf des Übereinkommens enthielt einen Anhang mit datenschutzrechtlichen Grundsätzen, auf die das Übereinkommen Bezug nahm. Dies wurde von den Mitgliedstaaten als sowohl inhaltlich wie methodisch unzureichend bewertet: Inhaltlich erschienen die Regelungen des Anhangs als lückenhaft, hätten also intensiver Beratung und erheblicher Verbesserung bedurft. Eine solche Arbeit im Rahmen des Außengrenzübereinkommens zu leisten, erschien aber nicht sinnvoll, da für die übrigen Bereiche der Ausgleichsmaßnahmen, namentlich im TREVI-Bereich, ebenfalls Datenschutzregeln geschaffen werden müssen. Daher wurde unter italienischer Präsidentschaft beschlossen, im Übereinkommen auf die noch zu schließende Datenschutzkonvention zu verweisen, die sich auf das Übereinkommen des Europarats vom 28. Januar 1981 zum Schutz der Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten stützen wird. Um sicherzustellen, daß das Außengrenzübereinkommen nicht vor dem Datenschutzübereinkommen in Kraft tritt, wird bei Unterzeichnung des Grenzübereinkommens eine entsprechende Erklärung abgegeben.

e) Reiserecht für Drittausländer innerhalb der EG

Im Gegensatz zum Schengener Zusatzübereinkommen enthält der Entwurf des Außengrenzübereinkommen bisher keine Regelung über ein innergemeinschaftliches Reiserecht von Drittausländern, die in derr EG rechtmäßig ansässig sind. Wir dringen darauf, eine solche Regelung aufzunehmen, da sie die Rechtsstellung von Drittausländern mit gültiger Aufenthaltserlaubnis entscheidend verbessern und zur Integration beitragen würde. Damit wäre z.B. auch das Problem türkischer Schulkinder bei Klassenfahrten in andere EG-Staaten zu lösen, die bisher dem Visazwang unterliegen und damit praktischen und psychologischen Nachteilen ausgesetzt wird.

f) Entscheidungen des Exekutivausschusses

Der Exekutivausschuß faßt seine Beschlüsse einstimmig; allerdings kann er eine Liste mit Beratungsgegenständen erstellen, in denen seine Beschlüsse mit Zweidrittel-Mehrheit gefaßt werden können. Zur Klarstellung soll noch hinzugefügt werden, daß diese Liste nur einstimmig beschlossen werden kann. Die Möglichkeit, daß Mitgliedstaaten im Ausschuß überstimmt werden können, darf nicht geschaffen werden, ohne daß alle Mitgliedstaaten zuvor einvernehmlich die möglichen Anwendungsfälle definiert haben.

Ergänzend ist auf die Regelung hinzuweisen, wonach der Ausschuß auf Ersuchen des Vertreters eines Mitgliedstaats die Verabschiedung eines vorbereiteten Beschlusses um bis zu 2 Monate vertagen muß. Diese Vorschrift entspricht Artikel 132 Absatz 3 des Schengener Zusatzübereinkommens und gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, vor der Beschlußfassung im Ausschuß erforderlichenfalls zunächst sich den erwünschten parlamentarischen Rückhalt zu verschaffen.

Seit dem Treffen der Einwanderungsminister in Rom sind die Arbeiten unter luxemburgischem Vorsitz schnell fortgeführt worden. Eine Entscheidung über die Grundsatzfrage nach der Tragweite von Artikel 8 a des EWG-Vertrages ist aber noch nicht getroffen worden.

3. Sichtvermerkspolitik

Als Ergebnis der intensiven Beratungen und Konsultationen im Frühjahr 1990 haben die Mitgliedstaaten einvernehmlich beschlossen, die Visapflicht für Bürger Ungarns und der CSFR aufzuheben; die Entscheidung ist inzwischen von zehn Mitgliedstaaten umgesetzt worden.

Anfang 1991 haben parallel zu den Verhandlungen der Schengener Staaten auch im EG-Rahmen Konsultationen über die Aufhebung der Visapflicht für Polen stattgefunden, die dazu geführt haben, daß neben den Schengener Staaten auch Dänemark eine entsprechende Entscheidung getroffen hat.

Die Einwanderungsminister haben bei ihrem Treffen in Dublin auf die Bedeutung hingewiesen, daß ein solches konzertiertes Vorgehen für die Schaffung und Vertiefung der gemeinsamen Visapolitik der Zwölf hat.