Datenschutz und polizeiliche Datenverarbeitung

von Claudia Schmid

Die Diskussion über die polizeiliche Datenverarbeitung konzentriert sich derzeit auf den Einsatz verdeckter Ermittler und technischer Mittel, wie „Wanzen“, Richtmikrofone und Videokameras. Es bestehen jedoch gerade im Polizeibereich noch eine Reihe anderer datenschutzrechtlicher Probleme.

Aufgabe des Berliner Datenschutzbeauftragten ist es, die Einhaltung des Da-tenschutzes bei Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen zu kontrollieren. Eine effektive Kontrolle wird dabei nicht nur durch Akteneinsichtsrecht, Zu-trittsrecht in Diensträume und die Verpflichtung der Behörden, Unterlagen herauszugeben, gewährleistet,1 sie setzt zunächst die Kenntnis der vorhandenen Datensammlungen voraus. Deshalb sind alle Behörden und öffentliche Stellen des Landes Berlin verpflichtet, die von ihnen betriebenen Dateien und die verwendeten Geräte beim Datenschutzbeauftragten anzumelden.2 Das gilt auch für die Dateien der Polizei. Das zuvor übliche Verfahren, polizeiliche Dateien pauschal in einem gesonderten Register zu führen, das sich auf eine Übersicht über Art und Verwendungsweise beschränkte, wurde aufgehoben. Nur bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Geheimhaltung dürfen einzelne Dateien der Polizei noch in einem besonderen Register geführt werden. Das am 10.11.90 in Kraft getretene Berliner Datenschutzgesetz (BlnDSG) hat mit diesen Regelungen für wesentliche Verbesserungen der Kontrollmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten gesorgt und ungerechtfertigte Privilegien bei Polizei und Verfassungsschutz beseitigt. Auch die für alle Behörden geltende Regelung, nur automatisch betriebene Dateien anzumelden und über Karteien (wie etwa die „Prostituiertenkartei“ der Berliner Polizei) nicht unterrichten zu müssen, ist mit dem neuen BlnDSG entfallen.

Der lange Weg zum Datenschutz

Eine erste Verbesserung der Datenschutzkontrolle im Polizeibereich brachte 1983 der Erlaß zur Änderung der Richtlinien über Kriminalpolizeiliche Sammlungen (KpS-Richtlinien), nach der auch für manuell geführte Karteien eine Errichtungsanordnung eingeführt wurde. Darin sind insbesondere der Zweck, der betroffene Personenkreis sowie Art und Herkunft der zu erfassenden Daten aufzuführen. Die Errichtungsanordnung über Karteien war allerdings nicht dem Datenschutzbeauftragten zur Kenntnis zu geben, sondern lediglich der Senatsverwaltung für Inneres. Diese legte dann 1986 ein Verzeichnis der polizeilichen Karteien vor, das erstmals eine Ausgangsbasis für die datenschutzrechtliche Kontrolle bot.

Bis zum novellierten BlnDSG, das für mehr Transparenz bei der polizeilichen Datenverarbeitung sorgte, war es ein beschwerlicher Weg. Erste Rückschritte deuten sich allerdings schon an.

Im November 1991 wurde von den Koalitionsfraktionen CDU und SPD ein Entwurf zur Novellierung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (ASOG)3 im Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht. In diesem Gesetzentwurf werden die datenschutzrechtlichen Errungenschaften des gerade novellierten Datenschutzgesetzes für die Polizei und die Ordnungsbehörden4 im bedenklichen Umfang wieder rückgängig gemacht.
Nach dem BlnDSG hat auch die Polizei für jede Datei in einer Beschreibung schriftlich festzulegen
– die Bezeichnung der Datei und ihre Zweckbestimmung,
– die Art der gespeicherten Daten und die Rechtsgrundlage ihrer Verarbei
tung,
– den Kreis der Betroffenen,
– die Art regelmäßig zu ermittelnder Daten, ihre Empfänger und die
Herkunft regelmäßig empfangener Daten,
– Fristen für die Sperrung und Löschung der Daten,
– die technischen und organisatorischen Datensicherungsmaßnahmen und
– bei automatisierten Verfahren die Betriebsart des Verfahrens, die Art der
Geräte, die Stellen, bei denen sie aufgestellt sind und das Verfahren zur
Übermittlung, Sperrung, Löschung und Auskunftserteilung.
Diese Dateibeschreibungen sind dem Berliner Datenschutzbeauftragten zur Aufnahme in das Dateienregister zu melden. Hiervon sind nur manuelle Karteien ausgenommen, aus denen keine Daten an Dritte übermittelt werden.

BlnDSG und ASOG-Entwurf im Streit

Nach dem ASOG-Entwurf soll diese Dateibeschreibungspflicht für die Polizei wieder eingeschränkt und durch Errichtungsanordnungen ersetzt werden, die dem Datenschutzbeauftragten zuzusenden sind.5 Statt der festzulegenden Löschungs- und Sperrfristen sind in dieser Anordnung nur „Prüffristen“ vorzusehen, d.h. Fristen, zu denen die Notwendigkeit der weiteren Speicherung geprüft wird (bei Erwachsenen bis 10 Jahre).

Errichtungsanordnungen – und damit auch die Unterrichtung des Daten-schutzbeauftragten – sollen bei polizeilichen Karteien unterbleiben, aus denen „gelegentlich“ (wann ist das?) personenbezogene Daten an andere Stellen übermittelt werden. Dies bedeutet eine ganz erhebliche Einschränkung der Transparenz polizeilicher Datenverarbeitung und der Kontrollmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten.

Doch dies ist nicht die einzige Abweichung von den Bestimmungen des BlnDSG, die der ASOG-Entwurf für die Polizei vorsieht:
Bei der Erhebung von Daten bestehen bestimmte Hinweis- und Aufklärungs-pflichten gegenüber den betroffenen Bürgern, die alle öffentlichen Stellen zu beachten haben.6 Danach ist z.B. bei Befragungen der Betroffene in geeigneter Weise über den Zweck der Datenerhebung, die weitere Verwendung, die Pflicht bzw. die Freiwilligkeit der Auskunft aufzuklären.
Von diesen nicht nur datenschutzrechtlich erforderlichen, sondern auch bür-gerfreundlichen Bestimmungen soll im Polizeibereich künftig wieder abgewichen werden.7 Dann sollen Bürger, die von der Polizei befragt werden, nur noch auf die Freiwilligkeit der Auskunft, eine evtl. bestehende Auskunftspflicht und die Rechtsgrundlage der Befragung hingewiesen werden, wenn sie dies ausdrücklich verlangen. Wenn dies allerdings die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben erheblich erschweren würde, brauchen auch auf Verlangen des Bürgers keine Hinweise gegeben zu werden.

Warum gerade die Polizei von der für alle öffentlichen Stellen Berlins vorge-sehenen Hinweispflicht entbunden werden soll, ist nicht ersichtlich.
Gerade bei Befragungen durch die Polizei ist die Aufklärung der Bürger über die Freiwilligkeit bzw. die Rechtsgrundlage besonders wichtig, denn diese wissen in der Regel nicht, ob sie der Polizei gegenüber zur Auskunft ver-pflichtet sind oder nicht. Von solchen Hinweisen darf allenfalls abgesehen werden, wenn anderenfalls die Aufgabenerfüllung der Polizei – z.B. bei Eil-maßnahmen – gefährdet würde. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen dürfen nicht zur Einschränkung der Aufklärungsverpflichtungen der Polizei führen.

Der Koalitionsentwurf zum ASOG sieht ferner in 46 Abs. 3 eine Einschränkung der Überprüfbarkeit von Online-Abrufen aus polizeilichen Dateien vor. Statt der nach dem Datenschutzgesetz8 vorgesehenen Vollprotokollierung, welche die Überprüfung sämtlicher Datenabfragen anderer Polizeibehörden ermöglicht, ist nun eine Stichproben-Protokollierung geplant. Gerade bei polizeilichen Dateien, in denen besonders sensible Daten gespeichert sein können, ist eine Protokollierung aller Abrufe jedoch unerläßlich.

Nach dem BlnDSG ist vorgesehen, daß vor der Löschung ihrer Daten die betroffenen Bürger anzuhören sind.9
Nur so können sie in die Lage versetzt werden, z.B. Restitutionsansprüche oder andere schützenswerte Interessen vor der Löschung geltend zu machen. Praktikable Regelungen zur Umsetzung der Anhörungsverpflichtung hat die Polizei bereits getroffen. Warum nach dem Gesetzentwurf der Koalitions-fraktionen10 künftig keine Anhörungen der Betroffenen mehr durchgeführt werden sollen, ist deshalb – gerade auch im Hinblick auf den vertrauensfördernden Aspekt dieser Maßnahme – unerfindlich.

Die Rechte der Bürger auf Auskunft und Akteneinsicht, die ihnen nach dem BlnDSG auch gegenüber der Polizei zustehen, sollen nach dem ASOG-Entwurf wieder eingeschränkt werden. Das Recht auf Akteneinsicht soll künftig in das freie Ermessen der Polizei gestellt werden,11 die Auskunft grundsätzlich an bestimmte Darlegungsobliegenheiten geknüpft werden,12 und die Be-gründungspflicht bei Auskunftsverweigerungen wird aufgehoben.13 Ferner soll die Polizei künftig Auskünfte über den Zweck, die Rechtsgrundlage und die Herkunft der gespeicherten Daten sowie die Datenübermittlungen nicht mehr erteilen.

Die Löschung personenbezogener Daten soll nach dem ASOG-Entwurf ebenfalls beschränkt werden.14 Im Gegensatz zum BlnDSG soll eine Löschung von Daten – auch in Dateien – unterbleiben, wenn „wegen der besonderen Art der Speicherung“ eine Löschung nicht oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Ungeachtet dessen, daß dieser Begriff zu unbestimmt ist, um erkennen zu lassen, in welchen Fällen die Löschung unterbleiben soll, können Praktikabilitätserwägungen nicht zu einem Außerkraftsetzen des wichtigen Löschungsrechts führen. Bei der Speicherung in Dateien ist eine Unmöglichkeit der Löschung zudem nicht denkbar.

Wende im Polizeirecht

Neben den erheblichen Abweichungen von den Schutzrechten des BlnDSG stellt der ASOG-Entwurf eine Wende im bisherigen Polizeirecht dar, indem er die Befugnisse der Polizei zur Verarbeitung personenbezogener Daten weit in das Vorfeld konkreter Gefahr verlagert und den Personenkreis, der von der Polizei erfaßt werden kann, erheblich erweitert.

Die Ausdehnung polizeilicher Befugnisse auf sog. „andere Personen“ ist eine bedenkliche Entwicklung. Damit wird das hergebrachte Prinzip aufgegeben, polizeiliche Eingriffe außer in Fällen des Notstandes nur gegen „Störer“ zu-zulassen. Hinter diesem Prinzip steht der rechtsstaatliche Grundsatz, daß alle, die sich gesetzestreu verhalten, das Recht haben, „vom Staat in Ruhe gelassen zu werden“.15

Die Polizei soll nun zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten die Befugnis erhalten, bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr Maßnahmen gegen potentielle Straftäter zu ergreifen. D.h., daß bereits eine kriminalistische Bewertung, unabhängig von einer konkreten Gefahrenlage, zu erheblichen Informationseingriffen (Einsatz von „Wanzen“, Videoaufnahmen oder verdeckten Ermittlern) und einer jahrelangen Speicherung führen kann. Solche Informationseingriffe sollen nicht nur gegen potentielle Straftäter eingesetzt werden können, sondern auch gegen völlig unverdächtige Personen.

Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, im neuen Po-lizeigesetz die Eingriffsvoraussetzungen und verfahrensrechtlichen Sicherungen umso enger zu fassen, je intensiver in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen werden soll. Das gilt insbesondere, wenn an der weitgehenden Einbeziehung unverdächtiger „anderer Personen“ festgehalten wird.

Einfache Hinweise auf die Gefährlichkeit von Straftaten mit erheblicher Be-deutung oder auf die Organisierte Kriminalität reichen für die weitgehende Informationssammlung und Ermittlung allein nicht aus. Vielmehr ist von einer Polizei, die diese Befugnisse fordert, detailliert darzulegen, in welchen konkreten Situationen derartige Befugnisse für die Gefahrenabwehr oder zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung unerläßlich sind. Ein novelliertes Poli-zeigesetz darf sich nicht damit begnügen, die bisherige Praxis der polizeili-chen Datenverarbeitung uneingeschränkt zu legalisieren.

Claudia Schmid ist stellvertretende Datenschutzbeauftragte in Berlin.
1 28 Abs. 1 Berliner Datenschutzgesetz/BlnDSG
2 25 BlnDSG
3 Abgeordnetenhaus von Berlin, Drs. 12/858
4 Ordnungsbehörden werden in der Folge nicht berücksichtigt.
5 49 ASOG-Entwurf
6 10 Abs. 2 BlnDSG
7 18 Abs. 4 ASOG-Entwurf
8 5 Abs. 6 Nr. 6 BlnDSG
9 17 Abs. 3 Satz 3 BlnDSG
10 48, 51 ASOG-Entwurf
11 50, Abs. 6 ASOG-Entwurf
12 50 Abs. 1 ASOG-Entwurf
13 50, Abs. 3 ASOG-Entwurf
14 48 Abs. 2 ASOG-Entwurf
15 BVerfGE 27, 1