Die Automation der Berliner Polizei – Pleiten, Pech und Pannen

von Lena Schraut

1987 bescheinigte die Berliner Polizei sich selbst in einem umfassenden Bericht, „einen Automationsgrad erreicht (zu haben), der deutlich über dem der anderen Bundesländer liegt“.1 Um zu verstehen, daß die gegenwärtige Misere auf dem Datenverarbeitungssektor bei der Berliner Polizei dennoch nicht nur der Öffnung der Mauer geschuldet ist, bedarf es zunächst einer Betrachtung der Situation vor 1989.

Die einstige Insellage Berlins und die damit verbundene jahrzehntelange Sub-ventionierung aus dem Bundeshaushalt hatte im Laufe der Jahre (nicht nur) bei der Berliner Innenverwaltung – und damit verbunden auch in der Polizei – zu einer ausgeprägten Subventionsmentalität und zu planerischer Bequemlichkeit geführt. Bei der polizeilichen Datenverarbeitung führte dies bei einigen Vorhaben zu einer vollständigen Abhängigkeit von den Anbieterfirmen. Diese ihrerseits betrieben dabei z.T. Produktentwicklung auf Kosten des Berliner Haushaltes. Andererseits war bei den drei wichtigsten Komponenten der polizeilichen Automationstechnik, der zentralen Datenverarbeitungsanlage, dem Kommunikationsnetz und der Einsatzleitzentrale, der Punkt erreicht, an dem sich wegen technischer Überalterung oder jahrelanger Fehlplanung eine Neukonzeptionierung nicht hinausschieben ließ.

In diese Situation platzte 1989 die Öffnung der Mauer. Der neuen Lage zeigten sich die Datenanlagen der (West)Berliner Polizei endgültig nicht mehr gewachsen. Alle Verfahren waren für den Westteil der Stadt ausgelegt und schon bis an die Kapazitätsgrenzen ausgelastet, die technische Infrastruktur der ehemaligen Volkspolizei zudem völlig ungenügend. (Das führt gegenwärtig z.B. dazu, daß beim Notruf 110 Anrufer im Ostteil u.U. zwar das Freizeichen hören, ihr Anruf aber nicht entgegengenommen wird, weil das System in der Warteschleife nur für 10 Anrufe ausgelegt ist.)
Mit der Behebung solcher technischen Unzulänglichkeiten ist nun im Herbst 1991 begonnen worden.

Das ‚Informationssystem für Verbrechensbekämpfung Berlin‘ (ISVB):

Das ISVB ist die zentrale Datenverarbeitungsanlage der Berliner Polizei. Es dient nicht nur der Informationsverarbeitung, sondern umfaßt auch die Funktion der Landesverarbeitungsanlage im INPOL-Konzept. Als solches speichert es den in allen Ländern parallel geführten INPOL-Fahndungsbestand.

Das Mitte der 70er Jahre geplante Verfahren läuft seit 1983 im Vollbetrieb. Im Unterschied zu anderen Bundesländern sind dabei seinerzeit zugleich weitere Systemleistungen miteingeführt worden, wie das elektronische Tagebuch, das die gesamte Vorgangsverwaltung abwickelt; die elektronische Kriminalakte mit einer gegenüber INPOL erweiterten Personenerkennungsdatei; der elektronische Meldedienst (eine Fallbeschreibungsdatei) und die Möglichkeit der modus-operandi-Recherche, die Tatzusammenhänge und Täterhinweise liefern soll. Das System ist in sechs Datenbankbereiche untergliedert.

Die Vorgangsdatei: Hier werden alle Vorgänge von der Erstspeicherung bis zur Löschung vorrätig gehalten. Erschlossen wird die Vorgangsdatei über die allen Datensätzen zugeordnete ISVB-Nummer oder über die fallbeschreibenden Merkmale.

Die elektronische Kriminalakte: Sie hält nicht nur alle „offenen“ Vorgänge, sondern auch die bereits abgeschlossenen Fälle für den ständigen Zugriff be-reit. Damit sind auch die Daten eventueller ehemaliger Mittäter ständig re-cherchierbar.

Die Zentraldatei: Die in der Zentraldatei gespeicherten Personendaten können sowohl über die Personalien, wie auch über personen- oder fallbeschreibende Merkmale abgefragt werden. Gegenwärtig enthält der Datenbankbereich 1,8 Mio. Personendatensätze.

Die Speicherfristen richten sich nach den Richtlinien zur Führung kriminal-polizeilicher Sammlungen (KpS-Richtlinien): zehn Jahre bei Erwachsenen, fünf bei Jugendlichen und zwei bei Kindern. Vorgangsdatei, Zentraldatei und der dritte Datenbankbereich, die Gegenstandsdatei, sind über die ISVB-Nummer und weitere EDV-Nummern miteinander verknüpft.

Die Berechtigungsdatei: Hier sind alle ca. 18.000 ISVB-berechtigten Beamten und ihre unterschiedlichen Zugriffsrechte registriert. Zum Datensatz eines Vorgangs gehören die ISVB-Ausweisdaten des jeweiligen Sachbearbeiters als Pflichteingabe. Nur sie akzeptiert das System für die weitere Nutzung des Datensatzes.
Thesaurus: Eine Sammlung häufig benötigter Begriffe.
Statistikdatei: Sie dient der automatischen Zusammenstellung der Kriminal-statistik.

Zu den Systemleistungen gehören regelmäßige Auswertungen des Bestandes und Abgleiche mit anderen Datenbeständen. Im Rahmen der täglichen Auswertung der Vorgangsdatei werden alle Ereignisse der letzten 24 Stunden – nach Direktionen sortiert – zur Verfügung gestellt. Polizeidienststellen und Innenverwaltung greifen hierauf online zu, in- und ausländische Nachrichtendienste erhalten sie als Papierausdruck. In regelmäßigen Abständen wird zu-dem ein Magnetband aus dem Melderegister mit dem Personenfahndungs-bestand abgeglichen.

Alle Daten sind nach Möglichkeit redundanzfrei, d.h. nur einmal in der Da-tenbank eingestellt. Das hat zwangsläufig zur Folge, daß die Daten von Straftätern, Beschuldigten, Tatverdächtigen, Zeugen, Hinweisgebern und Opfern von Straftaten sowie Störern nicht getrennt voneinander für den Zugriff bereitgehalten werden. Der Status der Betroffenen hat keinerlei Auswirkung auf die Verarbeitung und die Speicherfrist. Damit erklärt sich auch die hohe Zahl registrierter Personen.

ISVB-Umstellung, aber keine Neukonzeption:

Anfang 1987 mußte dieses Verfahren auf einen neuen Rechner mit leistungs-stärkerem Betriebssystem umgestellt werden, weil der Wartungsvertrag mit dem Hersteller auslief und der alte Rechner aus dem Programm genommen wurde. Schon zwei Jahre nach der Umstellung wurden die Folgen der dabei unterlassenen Neustrukturierung so offensichtlich, daß die Polizei in der Fortschreibung des 1987er Berichts eine Umstrukturierung aufgrund der technischen Veralterung aber auch datenschutzrechtlicher Vorgaben für un-umgänglich hielt. Dies um so mehr, als durch die Vereinigung eine Mio. Einwohner hinzukamen. So liegen die Antwortzeiten im ISVB-Dialogbetrieb derzeit bei bis zu 30 Minuten. Üblich waren zuvor Zeiten im einstelligen Sekundenbereich.
Nach derzeit in Polizeikreisen diskutierten Plänen soll das ISVB die Funktion eines Aktennachweissystems übernehmen, das nur Indexdaten zu den Vor-gängen enthält. Die eigentliche Vorgangsverwaltung würde auf Direktions-ebene geführt. Damit würden die Direktionen auch einen großen Teil der bis-her im ISVB zentralisierten Personendaten speichern, wodurch auch die da-tenschutzrechtlich gebotene Trennung erreicht wäre.
Um diese Konzeption zu realisieren, müssen allerdings für eine Übergangszeit die zentrale Datenerfassung im ISVB und das derzeitige Datenübertragungsnetz beibehalten werden. In dieser Zeit soll die neue Struktur in den Ostberliner Direktionen aufgebaut und danach auf den Westen ausgeweitet werden.

Das Transdata-Terminalnetz:

Mit dem Transdata-Terminalnetz wird über 211 Bildschirm-Arbeitsplätze, mehrere Netzknotenrechner und angemietete Leitungen der Datenaustausch mit dem ISVB-, dem INPOL- sowie Fremdsystemen vorgenommen. Bei den Fremdsystemen handelt es sich um das Einwohnerregister (EWW), die Datenverarbeitungsanlage des Kraftverkehrsamtes (KVA) und das zentrale Verkehrsinformationssystem (ZEVIS) des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA).
Die Bildschirmplätze können isoliert oder im Verbund mit anderen Personal-computern oder dem ISVB genutzt werden. Sie sind besonders geeignet für die verteilte Datenverarbeitung, da aus dem Großrechner Teildatenbestände auf die Arbeitsplätze überspielt, bearbeitet und wieder in den Großrechner zurückgestellt werden können.
Nach der Begeisterung bei Inbetriebnahme 1986 war es um so überra-schender, als im Oktober 1989 mitgeteilt wurde, daß das Terminalnetz erneu-ert werden müsse, weil der Hersteller das Betriebssystem und damit auch die Netzknotenrechner aus der Produktion nehme. Bei der Neubeschaffung soll nun zunächst der Ostteil mit dem neuen Betriebssystem ausgestattet werden, während im Westteil das alte Transdata-Terminalnetz zunächst mit einer ver-besserten Version des alten Systems weiterlaufen soll. Daß sich dadurch die Kosten erhöhen, versteht sich von selbst.

Das Einsatzleitsystem der Berliner Polizei (ELSY):

Der Versuch, die alte Funkbetriebszentrale (FubZ) aus den 60er Jahren durch den Aufbau eines rechnergestützten Einsatzleitsystems abzulösen, ist ein Fia-sko besonderer Art.
Anfang der 80er Jahre schlossen Berlin und Hamburg, wo ebenfalls ein Ein-satzleitsystem aufgebaut werden sollte, ein Verwaltungsabkommen, um die Vorhaben in gemeinsamer Planung zu realisieren.
In Berlin sollte ELSY ursprünglich 1989 die Arbeit aufnehmen, Gesamtkosten: einschließlich Baumaßnahmen ca. 100 Mio. DM. Bei einem Probelauf 1989, der mit den Einsatzunterlagen des Sylvesters 1988 durchgeführt wurde, versagte das System jedoch völlig. Da auch Reparaturen nicht fruchteten – die zentrale Rechnereinheit war den Anforderungen einfach nicht gewachsen -, wurde das Projekt 1990 gestoppt. Während Hamburg sich entschlossen hat, das dort HELP genannte System nach einigen Modifikationen doch zu realisieren, kann sich Berlin zu überhaupt keiner Entscheidung aufraffen.

Unterdessen hat der Generalunternehmer angeboten, innerhalb eines Jahres eine ‚Notrufzentrale Ost‘ in der bereits fertig eingerichteten Zentrale zu in-stallieren sowie in drei Jahren das System für Gesamtberlin betriebsfertig zu übergeben. Obwohl gerade die Situation beim Notruf in Ostberlin dringend einer Lösung bedarf, haben darauf bisher weder die Innenverwaltung noch das Abgeordnetenhaus reagiert.

Automatisierung in Fachdezernaten:

Seit 1988 werden die Fachdezernate der Kriminalpolizei – aber auch der Schutzpolizei – mit Arbeitsplatzcomputern (APC-Maßnahmen), die isoliert betrieben werden, ausgestattet. So erhielt z.B. die ‚Direktion Öffentliche Sicherheit‘ Computer zur Unterstützung der Einsatzplanung während der IWF- und Weltbanktagung 1988. Auch die Wirtschaftskriminalität wird in Berlin seither automatisiert bekämpft.

In den Jahren 1988/89 wurden 20 APC-Maßnahmen durchgeführt. Auf Betreiben der Alternativen Liste sind die Maßnahmen während der rot-grünen Koalition 1989, soweit sie die Verarbeitung personenbezogener Daten betrafen, gestoppt worden, da eine gesetzliche Grundlage fehlte und der sog. Übergangsbonus bestehende Datenverarbeitung nicht aber ihre Ausweitung gestattet. Geplant war damals u.a., vorrangig die mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität befaßten Dienststellen zu automatisieren. Seit der Vereinigung der Stadt dürften die APC-Maßnahmen wegen Geldmangels und dringlicherer Maßnahmen gestoppt worden sein.
Lena Schraut ist Datenschutzexpertin der GRÜNEN/AL in Berlin

1 Bericht über die Automation in der Berliner Polizei, August 1987, S. 24
2 Bericht über die Automation in der Berliner Polizei, August 1989, S. 10