Die „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung“

von Otto Diederichs

Ihrer Einsetzung vorausgegangen waren Beratungen der Arbeitsgruppe „Terrorismus“ der Verfassungsschutzämter und der „AG Kripo“ der „Gemeinsamen Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder“, kurz Innenministerkonferenz (IMK) genannt. In Abstimmung mit ihren Arbeitskreisen AK II (Öffentliche Sicherheit) und AK IV (Verfassungsschutz) wurde von der IMK dann in einem einstimmigen Beschluß am 3. Mai 1991 die „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung“ (KGT) ins Leben gerufen. Die Federführung wurde dem Bundeskriminalamt übertragen, wo auch die Geschäftsstelle eingerichtet wurde.

Die ersten Sitzungen der KGT fanden zunächst noch in kleiner Runde statt. Unter der Leitung des Bundeskriminalamtes (BKA), in Person seines Abtei-lungsleiter „Terrorismusbekämpfung“, trafen sich dort Vertreter der Abteilung VII (Terrorismus) des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Referates II 7 (Fahndung) beim Generalbundesanwalt (GBA). Eine Ausweitung dieses Kreises war allerdings im IMK-Beschluß vom 3.5.91 bereits angelegt. Noch bevor die vorgesehene „entsprechende Länderbeteiligung“ jedoch ihre organisatorische Umsetzung erfahren konnte, versuchte man im BKA bereits durch einseitige personelle Ausdehnung die KGT zu dominieren. Auch wenn dieser Versuch zurückgedrängt wurde, ist der ursprüngliche Kreis durch die unterdessen vollzogene Beteiligung aller Landeskriminalämter sowie der Verfassungsschutzämter beträchtlich angewachsen. Je nachdem, welchen Stellenwert die einzelnen Entsender dem Gremium beimessen, sitzen dort nun vom Abteilungsleiter bis zum einfachen Sachbearbeiter bei Vollzähligkeit 35 Fachbeamte regelmäßig zu Beratungen zusammen.

In dem vertraulichen, „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmten Bericht des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Einrichtung der KGT (siehe S. 30) geht der potentielle Teilnehmerkreis sogar noch etwas weiter.“ Des weiteren wird die Koordinierungsgruppe alsbald Gespräche mit Vertretern der großen Wirtschafts-unternehmen aufnehmen, deren Repräsentanten und Einrichtungen als durch die RAF besonders gefährdet gelten müssen. In den Beratungen sollen alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit im präventiven Bereich geprüft werden.“ Eine solche Formulierung legt den Verdacht nahe, daß Vertreter (oder Sicherheitsbeauftragte) der Privatwirtschaft zumindest als assoziierte Mitglieder im Gespräch waren. Zu einem tatsächlichen Treffen soll es allerdings nur einmal im Verlauf des zweiten Halbjahres 1991 gekom-men sein. Gegenstand dieser Gesprächrunde war damals eine Einschätzung und Entscheidungsfindung hinsichtlich der tatsächlichen Gefährdungslage von Wirtschaftsführern im Rahmen des „Fahndungs- (und Personenschutz, Anm. O.D.) Konzept 106“. In diesem Schutzkonzept befanden sich seinerzeit mehrere hundert Personen (Stand Juni 1991: insgesamt rd. 930; davon 272 Politiker und Bedien-stete der Bundesbehörden und obersten Bundesge-richte). Auf Anraten seiner Experten hatte das BMI hier unmißverständliche Vorgaben gemacht. „Im Vordergrund der Arbeitsplanung steht zunächst die Erhebung und Festlegung des Personenkreises, an den Maßnahmen nach dem Fahndungskonzept 106 ausgerichtet werden. Er soll nicht zu groß bemessen sein, um eine möglichst intensive Durchführung der Maßnahmen zu ermögli-chen.“ Im Klartext heißt dies, den Managern und Wirtschaftsmagnaten war möglichst schonend beizubringen, daß der ausgeuferte Kreis der Schutzper-sonen auf ca. 100 reduziert werden würde und damit ein Großteil in Kürze auf entsprechende Maßnahmen würde verzichten müssen (siehe auch S. 33).

Die Aufgaben

Rund ein halbes Jahr nach der Einrichtung hatte es die „Koordinierungs-gruppe“ bereits auf insgesamt 29 Sitzungen gebracht , deren Inhalte bislang weitestgehend geheim geblieben sind. Des weiteren hatte sie sich geteilt in eine ‚große KGT‘, in der alle Beteiligten in vierzehntägigem Rhytmus zusammentreffen und in eine ‚kleine KGT‘, bestehend aus den Ursprungsver-tretern BKA, BfV und GBA, die sich wöchentlich zusammensetzen, um die Ergebnisse der Vorwoche weiter zu beraten und auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen.

Aus ihrem Namen geht dies zwar nicht hervor und auch im erwähnten Bericht des BMI wird es nicht gesagt, dennoch kann, einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke davon ausgegangen werden, daß die „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung“ überwiegend zur Beendigung des RAF-Terrorismus geschaffen wurde. Dort heißt es u.a.: „Die KGT ist vorwiegend mit der ‚Roten Armee Fraktion‘ (RAF) befaßt, wobei das ‚Rekrutierungsfeld‘ dieser Gruppe regelmäßig die gewaltbereite Anhängerschaft bildet und unter ‚Personen mit Nahtstellenfunktion‘ solche verstanden werden, denen nach dem Gesamtgefüge der RAF besondere Bedeutung zukommt.“

Das BMI-Papier benennt die Aufgaben folgendermaßen:
„Vorrangige Gegenstände der Koordinierung sind:
– der umfassende und zügige Informationsaustausch zwischen Polizei, Ver-
fassungsschutz und Justiz in Bund und Ländern,
– die systematische Auswertung aller Informationen,
– die Bewertung des vom BKA zu erstellenden Bundeslagebildes,
– die Festlegung regionaler, personen- und strukturbezogener Schwerpunkte
der Terrorismusbekämpfung,
– die Abstimmung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Maßnah-
men sowie
– die Heranziehung und Bündelung der polizeilichen und nachrichtendienst-
lichen Ressourcen.“

Damit steht der polizeiliche Aspekt der Fahndung und Ergreifung eindeutig im Vordergrund und zweifellos darf dies auch als das Hauptanliegen des Bundeskriminalamtes gelten, dessen Handschrift man auch ansonsten aus dem zitierten Berichtspapier des Innenministers herauslesen kann.

Darüber hinaus verstehen sich zumindest Teile der „Koordinierungsgruppe“ wohl auch als fachkompetentes Beratungsgremium der Ministerebene. So wird aus Kreisen der KGT nicht ohne Stolz darauf hingewiesen, daß dort z.B. die Grundlagen der sog. Kinkel-Initiative erarbeitet wurden. Einzelne Pressemeldungen bestätigen dies. (Unter der ‚Kinkel-Initiative‘ versteht man die Prüfung der Möglichkeiten einer vorzeitigen Haftentlassung für langjährige, z.T. schwerkranke oder haftunfähige RAF-Gefangene und das „Versöhnungsangebot“ des ehemaligen Bundesjustizministers an die RAF infolge deren Ankündigung einer Kampfeinstellung. )

„Alles Quatsch, das ist ein reines Fahndungsinstrument“, meint hierzu jemand, der es wissen muß, und dem man nur mit vorsetzlich böser Absicht eine Gegnerschaft zur ‚Kinkel-Initiative‘ unterstellen kann.

Rechtliche Grundlagen unnötig?

Eine spezielle gesetzliche Grundlage für die Zusammenführung polizeilicher und geheimdienstlicher Intelligenz mit der Justiz in einem kontinuierlich tagendem Kreis sei „nicht erforderlich“ antwortete die Bundesregierung drei Monate nach Einrichtung der KGT frech auf die Anfrage der PDS-Abgeordneten Jelpke. Das mag u.U. richtig sein, wenn es bei dem geblieben wäre, was die geistigen Väter der KGT sich ursprünglich darunter vorgestellt hatten – ein kleiner Expertenzirkel unmittelbar zuständiger Fachbeamter. Für ein derartiges Treffen dreier Behörden, die ohnehin zur anlaßbezogenen Zusam-menarbeit verpflichtet sind und dem so (nur) eine Regelmäßigkeit verliehen worden wäre, hätte die durch häufiges Strapazieren ohnehin schon recht dehnbar gewordene Rechtslage möglicherweise wirklich ausgereicht.

Dies allerdings war schon bald nach der Gründung der KGT nicht mehr der Fall; zumal auch die ca. 30 direkt an den Beratungen Beteiligten kaum den gesamten, in die Aktivitäten der KGT involvierten Personenkreis ausmachen. Daß ein quasi in Permanenz tagendes Gremium zumeist hochrangiger Beamter nicht in der Lage ist, ohne entsprechende Zuarbeit auszukommen, liegt auf der Hand und wird auf Nachfrage auch nicht weiter bestritten. Damit allerdings kann dann von einem einfachen Informationsaustausch keine Rede mehr sein. Vielmehr handelt es sich um eine Organisationseinheit nach Art einer Sonderkommission. Eine ‚Soko‘ aus polizeilichem Staatsschutz, Verfassungsschutz und Justiz allerdings ist vom grundgesetzlich gebotenen Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten keinesfalls mehr gedeckt.

Schlußbetrachtung

Einmal vorausgesetzt, es ist richtig, daß Teile der KGT starken Anteil an der ‚Kinkel-Initiative‘ haben, so muß man diesem Gremium zweifellos zugestehen, hier eine positive Entwicklung befördert zu haben. Ebenso unbestreitbar dürfte sein, daß nach dem Wechsel im Bundesjustizministerium ein kompetenter ‚brain trust‘ gesellschaftlich anerkannter Persönlichkeiten notwendig sein wird, um der neuen, politisch recht blassen Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Rücken zu stärken, diese Initiative auch gegen massiven Druck aus den Reihen der CDU/CSU weiterzuführen. In einem solchen Kreis, der auf der politischen und nicht auf der polizeilichen Ebene anzusiedeln wäre, müßten dann auch Vertreter der Sicherheitsbehörden ent-sprechend repräsentiert sein. Dazu wären einzelne Mitglieder der KGT si-cherlich geeignet.

In ihrer gegenwärtigen Form kann die „Koordinierungsgruppe“ jedoch keinesfalls bestehen bleiben. Einmal ganz davon abgesehen, daß eine solche Einrichtung, die in hohem Maße (wenn nicht gar vorrangig) Fahndungsinteressen verfolgt, sich auf den Erfolg einer politischen Lösung kontraproduktiv auswirken könnte, ist vor allem die weitere schleichende Erosion des Trennungsgebotes und der damit einhergehende Gewöhnungseffekt zu befürchten.

„Das Gremium (KGT, Anm. O.D.) gilt auch bei Rechtsstaatsbewahrern als Fortschritt, gemessen an den früheren Verhältnissen. Zuvor nämlich hatten sich die gleichen Beteiligten regelmäßig zur Abstimmung ihrer Aktivitäten in aller Stille getroffen und obendrein noch den Pullacher Bundesnachrichtendienst hinzugebeten, der eigentlich nur im Ausland arbeiten darf“, wußte zu Beginn des Jahres ‚Der Spiegel‘ zu berichten. In der Tat hatten sich von 1982 bis ca. Mitte 1990 BKA, BfV und GBA in vierteljährlichem Turnus mit dem BND in sachen Terrorismusfahndung ausgetauscht. In der Einrichtung der KGT deshalb schon einen rechtsstaatlichen Fortschritt zu sehen, zeigt, wie weit dieser Effekt unterdessen gediehen ist. Wie kaum anders zu erwarten, setzt er sich fort, wenn es richtig ist, daß bereits erste Stimmen laut werden, die der KGT auch andere Zuständigkeiten, etwa auf dem Gebiet des Rechtsextremismus, zuweisen lassen möchten.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.