Literatur zum Schwerpunkt
Die Übersicht über die wichtigsten Publikationen zum Schwerpunktthema, die unsere LeserInnen seit längerem gewöhnt sind, stieß diesmal auf unerwartete Probleme. Entgegen aller Erwartung ist Literatur zum polizeilichen Staatsschutz mehr als dünn. So findet sich zwar eine kaum enden wollende Reihe von antiterroristischer Bekennerliteratur (insbesondere aus den 70er Jahren), in der aber so gut wie nichts zu finden ist über Aufbau, Organisation und Arbeitsweise der Staatsschutzabteilungen. Selbst die wenigen Titel, die sich ausdrücklich jenem Thema zuwenden, bleiben bei allgemeinen Ausführungen stehen. Verglichen etwa mit dem Verfassungsschutz, der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks mehr denn je in die öffentliche Kritik geraten ist, ist der polizeiliche Staatsschutz kein Thema – nicht einmal in polizeilichen Fachblättern.
Allgemeines zum Staatschutz in der BRD
Werkentin, Falco: Der Staat, der Staat ist in Gefahr … – Kontinuität und Formwandel innerer Rüstung in der Bundesrepublik, in: Prokla, 18.Jg., 1990, Nr. 4 (73), S. 97-117
Gössner, Rolf: Das Anti-Terror-System. Politische Justiz im präventiven Si-cherheitsstaat, (Terroristen und Richter Bd. 2) Hamburg (VSA) 1991
Harnischmacher, Robert/Heumann, Rolf: Die Staatsschutzdelikte in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz (Kohlhammer) 1984, ca. 200 S., DM 39,80
„Die vorliegende Arbeit zum Thema Staatsschutz gibt uns Informationen und Lehrinhalte an die Hand. Sie kann auch als ein Hilfsmittel für Auszubildende in der Polizei dienen“, so der frühere Bielefelder Polizeipräsident und Ex-GdP-Chef Schirrmacher im Geleitwort (S. 5). Auch die Autoren sehen ihr Buch als „lehrdidaktische Hilfe“ (S. 6). Dementsprechend nimmt die Ausein-andersetzung mit den einzelnen Staatsschutzparagraphen des StGB den Groß-teil des Buches ein. Damit kann man sogleich rund die Hälfte der Seiten überblättern. Aufschlußreich wird es allerdings ab dem vierten Kapitel des Buches. Offenbar haben sich die Autoren mittlerweile ‚freigeschrieben‘, und so stößt man unvermittelt auf Sätze wie „Die Enttarnung (von Spionen, Anm. OD) ist dadurch schwierig, daß es keinen speziellen Tätertyp ‚Illegaler‘ gibt. Die intellektuelle Einzelpersönlichkeit, nicht schematisierbare Einzelhandlungen, das unauffällige Eigenleben, die raffinierten Anpassungsmodalitäten an den Lebensrhythmus im Einsatzland Bundesrepublik Deutschland, setzen hier Schranken für den polizeilichen Ermittlungserfolg“ (S. 150); oder “ Als zersetzende Nachrichten wurden und werden massenerregende Nachrichten zentral gesteuert durch erkennbar werdende Mechanismen fremder Nachrichtendienste, die aber nur dem Staatsschutzsachbearbeiter vom ersten Verdacht her gesehen auffallen und der überwiegenden großen Mehrheit der Gutgläubigen im Volke verborgen bleiben“ (S. 152). Damit ist – wohlgemerkt in einem Lehrbuch – plötzlich heraus, was ansonsten immer heftig bestritten wird, die polizeiliche Vorfeldarbeit im Staatsschutzbereich. Soweit wir uns im Bereich der Spionageabwehr bewegen, haben wir es hier eindeutig mit der gesetzlich definierten Aufgabe des Verfassungsschutzes zu tun. Erst wenn ihm von dort die Fälle bereits enttarnter Spionage übergeben werden, ist es Aufgabe des Staatsschutzes, die exekutiven Maßnahmen einzuleiten sowie die strafrechtlich relevanten Tatbestände gerichtsfest auszuermitteln. Hinsichtlich einer vorbeugenden Verdachtsschöpfung „zersetzender“ Texte hat der Staatsschutz die Füße ohnehin gänzlich still zu halten. Auch in bezug auf anzuwendende Ermittlungspraktiken gegen politisch Unliebsame läßt sich aufschlußreiches lesen: „So ist es für die Polizei ohne jede Schwierigkeit möglich, einen Verdacht, der nur wegen einer allgemeinen Aversion gegen bestimmte Gruppen gehegt wird, zum Anlaß von durchaus belästigenden Ermittlungen zu machen, indem z.B. wiederholte Identitätsüberprüfungen und Befragungen durchgeführt werden“ (S. 164). Bei so viel Fingerspitzengefühl der Autoren können die weiteren Schlußfolgerungen nicht mehr verwundern: „Der Staatsschützer braucht eine Behördenstruktur, die ihm Freiräume, Vertrauen und Teamgeist bietet. (…) Erfolgsorientierte Kreativität und pragmatische Wissensanwendung sind notwendige und in vielen Fällen hinreichende Voraussetzungen dafür, daß die Schwierigkeiten gemeistert werden. Der Kriminalist benötigt den Spielraum des ‚Laissez-faire‘ (Hervorhebung im Text)“ (S. 181).
In seinen Kapiteln 4-6 ein äußerst aufschlußreiches Buch; als Lehrbuch aller-dings hat es schleunigst zu verschwinden.
(Otto Diederichs)
Römelt, Günter: Geschichte und heutiger Standort der Staatsschutzpolizei, in: Kriminalistik, 5/1977, S. 207-212
Walter, Dieter: Polizeilicher Staatsschutz – Ein kriminalistisches Spezialge-biet, in: Taschenbuch für Kriminalisten, Bd.39, Hilden (Verlag Deutsche Polizeiliteratur) 1989, S. 64-83
Walter war Leiter der Meckenheimer Staatsschutzabteilung des BKA, Römelt sein Vorgänger. In beiden Artikeln erfahren die LeserInnen nur minimal etwas über Organisation und Tätigkeit des polizeilichen Staatsschutzes, dafür erhalten sie die geschichtlichen Legenden dieser Sparte, die sich krampfhaft vom Begriff ‚politische Polizei‘ lossagen will. Dies geht freilich nur dann, wenn man die Methoden im Vorfeld, im Bereich der Gesinnungsschnüffelei, einfach nicht thematisiert oder beschönigt.
Politische Polizei und Justiz im Kalten Krieg
Brünneck, Alexander von: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Frankfurt/M. (ed.Suhrkamp) 1978, 405 S., DM 14,–
Posser, Diether: Anwalt im Kalten Krieg – Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951 – 1958, München (Bertelsmann) 1991, 470 S., DM 42,–
Schiffers, Reinhard: Zwischen Bürgerfreiheit und Staatsschutz – Wiederher-stellung und Neufassung des politischen Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf (Droste) 1989, 390 S., DM 78,–
ders.: Grundlegung des strafrechtlichen Staatsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1951, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 38. Jg., 1990, H. 4, S. 589-607
BKA und Staatsschutz
Den folgenden offiziellen Schriften sind allenfalls einige allgemeine Hinweise über die organisatorische Gliederung und rechtliche Zuständigkeit des Staatsschutzes beim BKA zu entnehmen:
BMI (Hg.): Betrifft: BKA, 4. ergänzte Auflage, Wiesbaden Dezember 1977
BKA, Pressestelle: BKA Dienststelle Bonn: Von der „Sicherungsgruppe“ zur Hauptabteilung, in: Bund Deutscher Kriminalbeamter: Dokumentation Bun-deskriminalamt, November 1981
BKA, Stabstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Hg.): Das Bundeskri-minalamt. Seine Aufgaben und Funktionen im föderalistischen Sicherheitssystem der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden o.J.(1984)
BKA (Hg.): 1951-1976 – 25 Jahre Bundeskriminalamt, Wiebaden 1976
Wertlos. Enthält eine kurze lobhudelnde Einführung, in der dem Staatsschutz nur einige Zeilen gewidmet sind, sowie weitgehend informationslose Reden einer Feierstunde.
Zachert, Hans-Ludwig (Hg.): 40 Jahre Bundeskriminalamt, Stuttgart/ München (Boorberg) 1991, 256 S., DM 126,-
Wieder einmal zeigt sich, daß Sicherheitsbürokratien die Darstellung ihrer eigenen Geschichte fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Was hier vom BKA-Präsidenten unter dem Titel „40 Jahre BKA“ vorgelegt worden ist und einen Rückblick auf Werden und Wachsen dieser zentralen Institution suggeriert, ist nicht mehr als eine Zusammenstellung relativ beliebig ausgewählter, bereits an anderer Stelle erschienener Aufsätze von ehemaligen und derzeitigen BKA-Mitarbeitern. Wie es sich für einen hierarchischen Apparat gehört, ist jeder der bisher sieben BKA-Präsidenten mit einem Beitrag vertreten. Ansonsten durfte (oder mußte) jede Abteilung und Stabsstelle des BKA im Archiv eigener Publikationen kramen und einen alten Vortrag oder Aufsatz abliefern (zur Sicherungsgruppe S. 210-219, zur Abteilung Staatsschutz, S..220-232). Autoren aus ‚fremden Beritt‘ kommen in dieser Festschrift überhaupt nicht zu Wort. Kritisch-selbstkritische Töne, die sich selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz in begrenztem Maße in seiner Festschrift zum 40. Jubiläum leistete, sind völlig ausgespart. So ist ein völlig nutzloses Buch aufgelegt worden, das nur unter einem Gesichtspunkt von Interesse ist: als Indiz für einen erschreckenden Mangel an Selbstreflexion.
(Falco Werkentin)
Mergen, Armand: Die BKA-Story, München/ Berlin (Herbig) 1987, 311 S., DM 38,-
Materialreich insbesondere, was die Entstehungsphase des BKA und die auch personellen Kontinuitäten mit dem Faschismus betrifft. Allerdings läßt Mergen jegliche Belege fehlen. Während er mit den polizeilichen Ex-Nazis und der zweifelhaften Figur des Paul Dickopf, Vorgänger Herolds als Präsident,
erfreulich kritisch umgeht, läßt er sich gegenüber der Amtszeit des letzteren nur noch lobend aus (Besprechung in: Bürgerrechte & Polizei/ CILIP 30 (2/88).
Ahlf, Ernst-Heinrich: Das BKA als Zentralstelle, Sonderband der BKA-For-schungsreihe, Wiesbaden 1985
Im wesentlichen juristische Behandlung der Rolle des BKA.
Dokumentation und Stellungnahme: Entwurf eines Gesetzes über das Bun-deskriminalamt, in: Bürgerrechte & Polizei/ CILIP 31 (3/88)
Dokumentiert wird der Entwurf aus dem Jahre 1988, dem inzwischen eine weitere Vorlage aus dem Jahre 1990 gefolgt ist. Der Kommentar geht u.a. auf die Aufgaben und Befugnisse des BKA als Staatsschutz-Polizei des Bundes ein.
Staatsschutz bei den Länderpolizeien
Schauer, Wolfgang: Stellung und Aufgaben der 14. Kommissariate im Land Nordrhein-Westfalen, in: Bund Deutscher Kriminalbeamter, NRW (Hg.), Kripo-Campus 2, 1981, S. 20-22
Dargestellt werden die Zuständigkeiten der 14. Kommissariate, ihre organi-satorische Einbindung in die Polizei des Landes, ihr Verhältnis zum Verfas-sungsschutz sowie der Meldedienst in Staatsschutzangelegenheiten.
Landtag von Baden-Württemberg: Kleine Anfrage der Abg. Rosemarie Glaser (Grüne) und Antwort des Innenministeriums – Arbeit der polizeilichen und justitiellen Staatsschutzabteilungen, Drs. 10/ 2564 vom 29.11.1989
In Baden-Württemberg arbeiteten 1989 230 Polizeibeamte beim Staatsschutz. Von den 468 LKA-Beamten waren 80 Staatsschützer. Die Antwort enthält ferner Daten aus der Staatsschutz-Kriminalstatistik der Jahre 1987 und 1988.
Staatsschützerische Datenverarbeitung
Hier sei insbesondere auf Bürgerrechte & Polizei/ CILIP 41 (1/92) hingewiesen, in dem die Errichtungsanordnung der „Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit“ (APIS) dokumentiert ist. Vgl. auch die dortigen Beiträge von
Schraut, Lena: PIOS-Dateien, Meldedienste und Spurendokumentationen, S. 29-34
und
APIS – Erläuterungen zur Dokumentation der Errichtungsanordnung, S. 42-45
Zur Darstellung und Kritik dieses zentralen Datenverarbeitungsinstruments des polizeilichen Staatsschutzes siehe auch
Weichert, Thilo: APIS ins Gerede bringen, in: Geheim 3/ 1988, S. 6-8
Personen- und Objektschutz
Die folgenden Artikel informieren im wesentlichen über die rechtliche Zu-ständigkeit der Grenzschutzabteilung und der Sicherungsgruppe für den Schutz der „Verfassungsorgane des Bundes“:
Walter, Dieter: Polizeilicher Staatsschutz – ein kriminalistisches Spezialge-biet, in: Taschenbuch für Kriminalisten, Band 39, Hilden 1989
Zumhof, Peter: Lagebeurteilung als Grundlage für die Einstufung und Durchführung von Personenschutzmaßnahmen, in: Die Polizei 11/ 1988, S. 315-318
Harnischmacher, Robert: Der Schutz von Bundesorganen, wahrgenommen von der Bundesgrenzschutzabteilung, in: Bayerische Polizei 5/ 1986, S. 2-6 und 6/ 1986, S. 2-4
Über die tatsächlichen Tätigkeiten der Polizei auf diesem Gebiet finden sich keine öffentlich zugänglichen Materialien. Über das „Personenschutzkonzept 106“ etwa informieren nur als Verschlußsachen deklarierte Berichte des BMI an den Innenausschuß des Bundestages, aus denen u.a. die hohen Kosten, die große Zahl der in einer Personenschutzmaßnahme befindlichen Personen und die daraus resultierende Ineffektivität solcher Maßnahmen hervorgehen.
Spionageabwehr
Walter, Dieter/ Engberding, Rainer: Zentraler Angriff und dezentrale Abwehr, in. Kriminalistik 1/ 1988, S. 44-46
Bericht eines PFA-Seminars über „Landesverrat“, an dem Vertreter der Polizei, der Geheimdienste und der Wirtschaft teilnahmen. Der Spionage-Angriff aus dem Osten werde zentral gesteuert. Dem stehe aber nur „eine dezentrale Abwehr durch eine Vielzahl von Behörden gegenüber mit beschränkten Zuständigkeiten, konkurriernden Tätigkeitsbereichen und behindertem Informationsaustausch“. Über die Datenverarbeitungsprojekte in diesem Bereich (u.a. Arbeitsdatei PIOS Landesverrat), die Gegenstand der Referate von BKA-Mitarbeitern waren, wollen sich die Autoren nicht auslassen. „Obwohl hochinteressant wäre es aus Gründen der Geheimhaltung verfehlt, hier auf Einzelheiten einzugehen“.
Staatsschutz in der DDR
(siehe auch die fortlaufenden Besprechungen von Aufsätzen und Büchern zur STASI in den vergangenen Heften)
Fricke, Karl Wilhelm: Politik und Justiz in der DDR – zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945 – 1968, Bericht und Dokumentation, Köln (Wis-senschaft und Politik) 2. Auflage 1990, 676 S., DM 38,–; bis auf das Vor-wort unveränderter Nachdruck der 1.Auflage von 1979
ders.: Die DDR-Staatssicherheit. Entwicklungen, Strukturen, Aktionsfelder, Köln (Wissenschaft und Politik) 3. aktualisierte und ergänzte Auflage 1989, 264 S., DM 29,80
ders.: MfS intern, Köln (Wissenschaft und Politik) 1991, 208 S., DM 26,-
Gill, David; Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums, Berlin (Rowohlt) 1991, 530 S., DM 36,-
(Besprechung in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 41 (1/92)
Kommission zur Erforschung und Ausarbeitung der Geschichte der Deutschen Volkspolizei (Hg.): Geschichte der Deutschen Volkspolizei. Band 1: 1945-1961, Band 2: 1961 – 1985, Berlin (DDR) 2. überarbeitete Auflage 1987
Zur Mühlen, Heinrich von: Die „Innere Sicherheit“ der Sowjetzone – Aufbau und Aufgaben der Sicherungseinheiten in der „DDR“, in: SBZ-Archiv, 8.Jg., 1957, S.183-185
Schlechte, Klaus-Dieter: Bewaffnete Organe der DDR – eine Auswahlbiblio-graphie, in: Deutschland-Archiv, 14. Jg., 1981, S.866-879
Staatsschutz im Ausland
Klerks, Peter: Terreurbestrijding in Nederland 1970-1988, Amsterdam (Ravijn) 1989, 300. S.
Umfängliche Darstellung der Rolle und Entwicklung der Geheimdienste und der Polizei im Rahmen der Terrorismusbekämpfung und des Staatsschutzes insgesamt.
Bunyan, Tony: Political Police in Britain, London (Julian Friedman) 1976, ca. 300 S.
Dieses Buch ist zwar schon 15 Jahre alt und müßte in einigen Punkten ergänzt werden, ist aber nach wie vor aufschluß- und materialreich und eine gute Einführung in die Geschichte und Arbeitsweisen der britischen Polizei. Es kann derzeit zum Preis von 6,- Pfd. (einschl. Porto) bezogen werden bei: State Watch, PO Box 1516, London N16 0EW.
(ohne Namenszeichnung: sämtlich Heiner Busch)
Sonstige Neuerscheinungen
Bering, Dietz: Kampf um Namen. Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels, Stuttgart (Klett-Cotta) 1991, ca. 500 S, DM 68,–
Das Buch des Linguisten Bering ist weniger eines über die Berliner Polizei, in der Bernhard Weiß seit Ende des 1. Weltkrieges seine Karriere machte. Zunächst stellvertretender Leiter der Kripo, danach Chef der Politischen Polizei, die der Autor völlig zu Unrecht immer in Anführungszeichen steckt, avancierte er 1927 zum Vizepräsident der Berliner Polizei, ein in der Tat schwieriger Posten in der Endphase der Weimarer Republik. Nach dem Preußenstreich 1932, der das Ende der Republik einleitete, wurde der Jude Weiß abgesetzt und mußte schließlich 1933 emigrieren. Das Buch konzentriert sich auf die öffentliche und gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Goebbels und Weiß um den Namen des letzteren, den der Nazi-Propagandist wegen seiner jüdischen Herkunft „Isidor“ tituliert. Die Darstellung des Kampfes um Namen belegt vor allem die Bedeutung der Sprache als Mittel der antisemitischen Diskriminierung. Auch wenn in dem Buch die Geschichte der Berliner Polizei etwas zu kurz kommt und z.T. zu unkritisch beschrieben wird, so zeigt es doch eine wichtige Facette der Machtentfaltung der Nazis.
(Heiner Busch)
Peters, Edward: Folter – Geschichte der Peinlichen Befragung, Hamburg (Europäische Verlagsanstalt) 1991, ca. 260 S.,DM 44,–
Fortentwicklung des Rechts durch Anwendung von Folter? Das ist gewiß ein ungewöhnlicher Erklärungsansatz für die historische Entwicklung der Justiz. Gleichwohl kann er über weite Strecken als gelungen bezeichnet werden. Be-ginnend im antiken Griechenland weist der Autor quer durch die europäische Geschichte detailliert nach, wie sich durch den Einsatz von Folter, bzw. der schrittweisen Ausschließung bestimmter Personengruppen von diesem ‚Beweismittel‘, humanere Rechtssysteme entwickelt haben; wie neben dem stets uneingeschränkt stärksten Beweismittel, dem Geständnis, zunehmend andere, unterschiedlich abgestufte neue Mittel Eingang in die Rechtssprechung finden. Vom Gottesurteil über die Folter zum Sach- und Indizienbeweis; mit der Ausprägung des Ehrbegriffs zum Zeugenbeweis usw. Dünner wird das Buch leider da, wo es zwangsläufig ins 18. und 19. Jahrhundert gerät und sich damit auf immer weniger historisches Quellenmaterial stützen kann. Insbesondere gilt dies für die Loslösung der Folter als richterliches Instrument der Wahrheitsfindung und sein stillschweigender Einsatz außerhalb der Justiz durch Polizei und Militär. Dennoch: trotz des mißglückten (deutschen) Titels ein gutes Buch. Wer an Justizgeschichte interessiert ist, dem kann es empfohlen werden.
(Otto Diederichs)
STASI-Auflösung und -Akten
Vogel, Jürgen: Magdeburg, Kroatenweg – Chronik des Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi, Braunschweig (Steinweg) 1991, 130 S., DM 19,80
Vogel, Jürgen; Pechmann, Roland (Hg.): Abgesang der Stasi – Das Jahr 1989 in Presseartikeln und Stasi-Dokumenten, Braunschweig (Steinweg) 1991, 386 S., DM 24,80
Die beiden von Vogel, Gründungsmitglied des Magdeburger Bürgerkomitees, herausgegebenen Bücher zur Auflösung der MfS-Bezirksverwaltung Magdeburg komplettieren die Reihe der Dokumentationen zur Arbeit und zum Untergang von MfS-Bezirksverwaltungen. Während die „Chronik zur Auflösung der Stasi“ tagebuchartig den Streit um die Auflösung der Mageburger Bezirksverwaltung zwischen Dezember 1989 bis Oktober 1990 festhält, und nahezu keine STASI-Dokumente enthält, werden diese im zweiten Band nachgereicht. Er enthält zum einen sog. Leitungsschriftgut der Magdeburger Bezirksverwaltung, zum anderen Artikel aus der SED-Bezirkszeitung ‚Magdeburger Volkstimme‘ sowie als Kontrast Beiträge zur Entwicklung in der DDR aus der ‚Braunschweiger Zeitung‘.
Es gibt für andere Bezirke (z.B. Rostock und Leipzig) gewiß besser kompilierte Dokumentationen, in denen sich die Agonie des SED-Regimes und ihres „Schild und Schwertes“ im Jahre 1989 aussagekräftiger widerspiegelt. Gleichwohl haben auch diese Bände ihre Berechtigung – zum einen als Belege für aufbrechende Widerstände auch in weniger exponierten Regionen der DDR als Leipzig oder Berlin (Ost), zum anderen als Quellen, die einen ersten Einstieg ermöglichen, wenn es darum geht, die alltäglichen Herrschaftsmechanismen im SED-Regime zu erfassen und darzustellen.
Hierfür wird sich die bisher nahezu ausschließlich auf die STASI konzentrierte Perspektive verschieben müssen. Notwendig sind kleinräumige sozial-geschichtliche Studien, die das vielfältige Geflecht an Interaktionen zwischen STASI, SED, gesellschaftlichen Institutionen und den Bürgern sezieren. Die zahlreichen Berichte zur Auflösung der STASI in den Bezirken und Kreisen der DDR mit ihren Dokumenten-Anhängen liefern hierfür wertvolles Ausgangsmaterial.
(Falco Werkentin)
Krone, Tina; Kukutz, Irena; Leide, Henry: Wenn wir unsere Akten lesen: Handbuch zum Umgang mit den Stasi-Akten, Berlin (BasisDruck) 1992, 151 S., DM 10,-
Hunderttausende haben inzwischen Anträge auf Einsicht in ihre MfS-Akten gestellt. Doch nur wenige hatten bisher Gelegenheit, zu MfS-ExpertInnen zu werden. Und nicht jeder und jede hat auch Zeit, Interesse und Energie, sich so intensiv mit dem MfS auseinanderzusetzen wie die AutorInnen dieses Bandes.
Klar gegliedert, liefert dieser relativ schmale Band hilfreiche Informationen u.a. über: STASI-interne Abkürzungen und Begriffe, die verschiedenen Akten-Kategorien, mögliche Standorte von Akten, Anschriften von Behörden, die Akten verwalten, sowie von Organisationen und Initiativen, die zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte beitragen wollen. Es enthält außerdem den kompletten Text des STASI-Unterlagen-Gesetzes. Im Anhang sind einige exemplarische Aktenstücke unterschiedlichster Kategorie dokumentiert.
Auffällig ist die Nüchternheit und Distanz, mit der der Band geschrieben wurde, als sei die AutorInnengruppe völlig unbetroffen vom Gegenstand dieses makaberen Handbuches. Sich auf die eigenen MfS-Akten einzulassen, auf Freunde und Bekannte zu stoßen, die als IMs gearbeitet haben, ist zwangsläufig eine schmerzhafte Erfahrung. Darauf vorzubereiten und Hinweise zu geben, wie dies aufgefangen werden kann, wäre m.E. bei einer Neuauflage eine sinnvolle Ergänzung.
(Falco Werkentin)