Die ‚Operative Gruppe City West‘ – Polizeiarbeit auf Zuruf des Einzelhandels

von Volker Eick

Zum Pflichtprogramm einer Reise nach Berlin gehört unbedingt ein Bummel über den Kurfürstendamm. Das jedenfalls meinen die in der ‚Arbeitsgemeinschaft City e.V.‘ (AG City) organisierten Geschäftsleute. Und da, so der Vorsitzende Peter Hosemann, gibt es Probleme: Seit Ende der 80er Jahre haben die Geschäftsleute Sicherheitsrisiken beim Kaufhausbummel durch Hütchenspieler, Obdachlose, BettlerInnen, sog. Jugendbanden und Demonstrationen ausgemacht. Die zurückgehenden Umsatzzahlen des Einzelhandels, so ihr Resümee, seien nicht mehr hinnehmbar. Entsprechend lauteten die Forderungen, „geschäftsschädigende Personen“1 zu entfernen und das „Bettler- und Gauklerunwesen in Fußgängerzonen“2 zu bekämpfen. Seit Juli 1993 sind nun sowohl eine Sondergruppe der Polizei als auch ein privater Sicherheitsdienst eingerichtet.

Die Koordination bei der Bewachung des Nobel-Boulevards hat ein beim In-nensenat angesiedelter Gesprächskreis, die ‚Arbeitsgruppe City‘, in die Hand genommen. Senats- und Bezirksverwaltungen, Geschäftsleute, die ‚Deutsche Bahn AG‘ sowie die am Ku’damm engagierten sozialen Organisationen beraten dort gemeinsam mit der Berliner Polizei, dem für die Sicherheit des benachbarten Fernbahnhofes zuständigen Bundesgrenzschutz und privaten Sicherheitsun-ternehmen, was sie für einen sicheren Kurfürstendamm halten. Nach Darstellung der ‚AG City‘ eine Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit.

Die ‚AG City‘

Auf diese Zusammenarbeit hat die ‚AG City‘, eine „Konzentration der An-liegerinteressen im City-Bereich“ , lange hingearbeitet. Parallel zu den sich verschlechternden Umsatzzahlen des Berliner Einzelhandels waren die in der Arbeitsgemeinschaft organisierten ca. 140 Geschäftsleute nach längeren Que-relen mit der Polizei und dem Charlottenburger Bezirksamt mit dem Horrorbild von „Verhältnissen wie in Chicago“ an die Öffentlichkeit getreten; von einem „Zentrum der Kriminalität“ war die Rede.
Die Ausgrenzung nicht-konsumfähiger Gesellschaftsteile und ihre Verbannung aus der Öffentlichkeit hat durchaus Tradition: Schon im 19. Jahrhundert wurde z. B. das Auf-die-Straße-Spucken polizeilich verfolgt , und es gab ein Verbot des Bettelns, das die Berliner CDU zuletzt 1993 noch einmal zu einem ihrer Themen machte.

Neu war hingegen die Vehemenz, mit der die ‚AG City‘ den Senat angriff. Die Geschäftsführerin, Manuela Remus-Woelffling, spricht noch heute von einer unwilligen Polizei: „Immer kurz vor Ostern, wenn dann mal ein Aufruf kam vom Regierenden, unsere Stadt muß sauberer werden, (…) dann sind die wach geworden. Aber das ebbte sofort wieder ab.“
Daher engagierte die ‚AG City‘ schließlich mit dem ‚CM-Sicherheitsdienst‘ einen privaten Sicherheitsdienst, der am 15. Juli 1993 seine Arbeit antrat. Seine Aufgabe ist die Entfernung ‚geschäftsschädigender‘ Personen aus dem Ku’damm-Areal. Aber nicht nur gegen Obdachlose, DrogenkonsumentInnen, Hütchenspieler, StraßenhändlerInnen und BettlerInnen richtet sich die ‚AG City‘. Auch Demonstrationen schaden dem Profit: „Was meinen Sie, was hier hin und her gestreikt wird. (…) Ich kann ja nicht den gesamten Geschäftsverkehr zugunsten einer Minderheit in einer Einkaufsstraße lahmlegen“, so Remus-Woelffling. Entsprechend meint die ‚AG City‘, sich gegen den „Mißbrauch des Ku’damms als Demonstrations-Meile“ verteidigen zu müssen, und will „demobedingte Umsatzeinbußen ermitteln“. Eine „Güterabwegung“ solle dann Verbote ermöglichen.

Bereits 1986 hatte der damalige Innensenator Wilhelm Kewenig (CDU) den HändlerInnen versprochen, er wolle den Kurfürstendamm weitgehend ‚demonstrationsfrei‘ halten. Neben dem Grundrecht auf Demonstration“, so der Senator, „gäbe es auch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persön-lichkeit, etwa beim Schaufensterbummel oder Cafébesuch“. Ex-Innen-staatssekretär Armin Jäger kündigte 1994 prompt seine Unterstützung an. Einen ersten Erfolg in dieser Frage konnte die ‚AG City‘ bereits verbuchen. Die ‚Love-Parade‘ der Techno-Szene fand in diesem Jahr nicht am ersten verkaufsoffenen Samstag statt, sondern wurde um eine Woche nach hinten verlegt; auch als Demonstration im Sinne des Versammlungsrechts wurde sie erst nach längeren Auseinandersetzungen mit der Innenverwaltung genehmigt.

Die ‚Operative Gruppe City-West‘

Hatte der Vorwurf, der Senat kümmere sich nicht um die Interessen und Belange der Geschäftsleute auf dem Kurfürstendamm 1986 nichts bewirkt, so zeigte er 1993 Wirkung. Am 1. Juli 1993 nahm eine eigens geschaffene ‚Operative Gruppe City-West‘ (OG City-West) der Polizei ihre Arbeit auf. In ihr arbeiten derzeit acht Kriminal- und 14 SchutzpolizeibeamtInnen sowie ein Übersetzer (türkisch) im Angestelltenverhältnis.
Die ‚OG City-West‘ hat ihr Einsatzgebiet seither am Kurfürstendamm und seinen angrenzenden Straßen. Sie soll dort Präsenz zeigen und gegen Drogenabhängige, (ausländische) Jugendgruppen, Bettler, Obdachlose, Punks und Prostitution vorgehen. Weiterhin sollen die Beamten in Zivil Kontakte zu AnwohnerInnen und Geschäftsleuten halten sowie Erkenntnisse sammeln. Die Geschäftsleute hatten mehr und schneller Unterstützung erwartet und bestanden weiterhin auf ihrer privaten Sicherheitstruppe.

Zwei, zu anderen ’normalen‘ Polizeieinheiten wesentliche Unterschiede prägen die ‚Operativen Gruppen‘, von denen unterdessen weitere entstanden sind: Sie sind von Schreibarbeiten weitgehend entlastet, brauchen also ihre Fälle verwaltungstechnisch nicht selbst zu bearbeiten. Zum anderen sind sie mit eigenen Computern ausgestattet, in denen die erlangten Informationen ge-sammelt und ausgewertet werden, um sie anschließend unmittelbar in Ein-satzkonzeptionen und deren Durchführung umzusetzen. D.h. konkret, Beobachtung und Überwachung all dessen, was auffällig erscheint; Sammlung von Hinweisen verärgerter Geschäftsleute und Systematisierung zu Schwerpunkten, z.B. nach ethnischen Kriterien: Eine Razzia gegen Schwarze am Breitscheidplatz ist dann ein beabsichtigtes Ergebnis solch präventiver Arbeit. Dabei kann die ‚OG City-West‘ jederzeit auf Unterstützung durch andere, zivile und uniformierte Polizeikräfte zurückgreifen. Bei Razzien sind z.T. bis zu 100 BeamtInnen im Einsatz.

Ihre Erfolge sind sichtbar; die Geschäftsleute zufrieden. Ca. 15 Gruppen von Hütchenspielern wurden identifiziert und mit Unterstützung uniformierter Kräfte aus dem Einsatzgebiet der ‚OG City-West‘ vertrieben sowie 145 vor-läufige Festnahmen (1994) getätigt.

Die Hütchenspieler sind gegangen, mit Handkuß, wie es hieß. Es läßt sich allerdings bezweifeln, ob dies tatsächlich den Aufbau einer eigenen Polizei-dienststelle und den Einsatz von 22 Beamten, die in anderen Dienststellen fehlen, rechtfertigt. Nur wenig anders sieht es „bei der Nichtseßhaften-Pro-blematik“ aus. Der Abschlußbericht 1994 der ‚OG City-West‘ weist für die Gruppe der Obdachlosen keine eigene Statistik aus. Sie werden als ‚Stricher, Nichtseßhafte, etc.‘ unter dem Stichwort ‚Bahnhof Zoo‘ subsumiert und mit präventiven oder repressiven Maßnahmen, bspw. mit Erteilung eines Platz-verweises und u.U. dessen zwangsweiser Durchsetzung, aus der City-West weitgehend ferngehalten: „Ein Großteil der Nichtseßhaften hält sich nach hiesigem Erkenntnisstand jetzt auf den U-Bahnhöfen Hansaplatz und Turmstraße auf.“ Die Zahl der in Berlin obdachlos gemeldeten Personen belief sich 1992 auf knapp 10.000. Der Senat geht von einer Dunkelziffer von über 20.000 Obdachlosen aus. Angesichts solcher Zahlen erscheint es absurd, das Problem Obdachlosigkeit ausgerechnet mit Polizeigewalt beseitigen und in andere Quartiere abschieben zu wollen.

Im Bereich des illegalen Drogenkonsums stellte die ‚OG City-West‘ 1994 insgesamt 8.000 Gramm Haschisch, 1.000 Gramm Heroin/Kokain sowie 909 entsprechende Szenepäckchen sicher und nahm 216 Personen wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorläufig fest. Auch hier wurde damit lediglich etwas „gegen die Folgen, die das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger am meisten betreffen“ unternommen, das Problem selbst wird verdrängt und zwischen ‚OG City-West‘ und den KollegInnen der ‚OG Potsdamer Straße‘ hin- und hergeschoben. Letztlich bleibt es damit bei polizeilichen Lösungsstrategien, weil Ansätze, wie die des Charlottenburger Sozialamtes (Aufstellen von Spritzenautomaten) oder Initiativen der akzeptierenden Drogenarbeit (Fixpunkt e.V.), durch die ‚AG City‘ abgeblockt werden.

Auch im Bereich des Ausländerrechts ist die ‚OG City-West‘ aktiv und stellte 1994 insgesamt 421 Vergehen gegen ausländerrechtliche Bestimmungen fest.
Auf der Rechtsgrundlage des ‚Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes‘ (ASOG) sowie mit Hilfe des Berliner Straßengesetzes werden all jene aus dem City-Bereich vertrieben, die dem Konsum nicht folgen wollen oder können. Die ‚OG City-West‘ ist als polizeiliche Sonder-Truppe zentraler Baustein dieser Politik.

Der ‚CM Sicherheitsdienst‘

Zwar gewann die ‚OG City-West‘ den Wettlauf gegen den ‚CM Sicherheitsdienst‘ mit einem Vorsprung von 14 Tagen, konnte seine Einrichtung damit aber nicht verhindern. Lediglich das Patrouillieren „in Viererreihen auf dem Ku’damm“ konnte nach einer von der Polizei erzwungenen Vertragsänderung verboten werden. Das neu getroffene Arrangement, wonach der Sicherheitsdienst lediglich die Kundschaft aufsuche, läuft in der Praxis allerdings auf dasselbe hinaus.
Der ‚CM-Sicherheitsdienst‘, arbeitet mit zwölf Mann auf dem Ku’damm und in dessen Umgebung. Offiziell gilt die Lage als entspannt, auch eine Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols wird ausgeschlossen:
„Es ist mittlerweile so, wir sehen den Sicherheitsdienst als Bürger, als ganz normalen Bürger mit den Jedermann-Rechten (…) Inzwischen ist ein Ver-ständnis dafür da, daß die sofort anrufen, wenn was ist. Das klappt auch. Und das klappt auch mit dem ‚CM Sicherheitsdienst‘.“

Der ‚CM Sicherheitsdienst‘ ist derzeit der einzige private Sicherheitsdienst im Bereich der City-West, der sich auf öffentlichem Gelände bewegt. Daneben versehen zahlreiche andere private Sicherheitsdienste in und vor den Ge-schäften des Kurfürstendamms ihren Dienst. Definition und Durchsetzung von Sicherheitsinteressen, das ist das Ergebnis für den Kurfürstendamm, wird mehr und mehr zu einer Frage ökonomischer Potenz. Auch die ‚Deutsche Bahn AG‘ läßt den Bahnhof Zoo und das Bahnumfeld zusätzlich zum BGS noch durch einen eigenen Dienst schützen.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Privatisierung im Bereich der Sicherheit, (die mit der Einsetzung des ‚CM Sicherheitsdienstes‘ auf dem Kurfürstendamm im Juli 1993 auch eine breitere Öffentlichkeit kurzfristig beschäftigte), muß die ‚OG City-West‘ als ausführendes staatliches Organ für private Geschäftsinteressen betrachtet werden. Die Privatisierung von Sicherheit erübrigt sich.

Volker Eick studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.