von Martin Thomas
Als ich im November 1987 in die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) der Bremischen Bürgerschaft gewählt wurde, war dies gleich in mehrfacher Hinsicht eine Premiere. In erster Linie natürlich für mich selbst, der als ehemaliges KPD-Mitglied in den Akten des Verfassungschutzes bis dato als linksradikaler Systemveränderer geführt wurde und der nun nach dem Willen meiner Partei die ‚Schlapphüte‘ kontrollieren sollte. Auch die GRÜNEN betraten hier Neuland, denn bislang hatte es einen ‚grünen Geheimdienstkontrolleur‘ noch nirgendwo gegeben. Und selbst die Dienste, zumindest das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Bremen, standen vor einer völlig ungewohnten Situation, als plötzlich eines ihrer bisherigen Ausforschungsobjekte Einblick in ihre Tätigkeiten erhalten sollte.
Wie sie intern darauf reagierten, ist hinsichtlich der deutschen Dienste weitgehend unbekannt geblieben. Bekannt geworden ist jedoch (mit ca. zweijähriger Verspätung) die Reaktion der US-Amerikaner: Im März 1988 wurde ein Offizier der ‚7. US-SUPCOM-Versorgungseinheit‘ in Rheinsberg (NRW) da-mit beauftragt, ein Dossier über mich anzufertigen. Das LfV Bremen will daran allerdings nicht mitgewirkt haben. Sei’s drum.
Die Arbeitsweise der PKK
Der Berichterstattung über die Arbeit in einer PKK sind von vornherein da-durch Grenzen gesetzt, daß ihre Beratungen grundsätzlich nichtöffentlich und geheim sind und „die Mitglieder der Kommission (…) zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet (sind), die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Kommission bekannt geworden sind.“ So kann es also nicht darum gehen, die Ergebnisse einzelner Beratungen wiederzugeben. Ziel muß und soll es sein, die Probleme, Erfahrungen und Ergebnisse einer mittlerweile achtjährigen Kontrolltätigkeit zusammenzufassen.
Die PKK in Bremen besteht aus sechs Personen, drei ordentlichen Mitgliedern und je einem ständigen Vertreter. Zwar gilt für alle das selbe Informations- und Rederecht, abstimmungsberechtigt sind jedoch nur die regulären Mitglieder. Die Sitzungen finden in der Regel in abhörsicheren Räumen statt. Neben den PKK-Mitgliedern sind der zu kontrollierende Senator für Inneres und die Leitung seines Verfassungsschutzamtes anwesend.
In zwei ganz wesentlichen Punkten unterscheidet sich die PKK von allen an-deren parlamentarischen Gremien. In allen sonstigen Ausschüsse, seien es Finanzen, Soziales, Sport oder Datenschutz entsenden die Fraktionen ihre ‚Experten‘. Da es zumindest bei den GRÜNEN meist keine ausgesprochenen Verfassungsschutzspezialisten gibt, entscheiden über die Entsendung in die PKK andere Kriterien: Es wird jemand ‚ausgeguckt‘, der/dem man diese Arbeit (im Idealfalle) am ehesten zutraut. In den Altparteien ist es etwas anders. Wegen der Geheimhaltungspflicht und des unterstellten besonderen ‚Herr-schaftswissens‘ beim Umgang mit den Geheimdiensten, erklären vor allem SPD und CDU die Mitgliedschaft in der PKK zur Chefsache. Die Fraktions-vorsitzenden sind aber zumeist mit anderen Aufgaben und Terminen schon mehr als ausgelastet. Aufwand, Zeit und Interesse für die Kontrolle sind damit eng begrenzt. Eine tatsächliche Kontrolle des Verfassungsschutzes setzt Wissen und Vorbereitung jedoch zwingend voraus. Nur wenn man etwas über die Arbeitsweise und die Strukturen des Verfassungsschutzes weiß, kann man auch gezielt fragen. Mit den notwendigen Fragen aber beginnt die Kontrolle. Die falsche Besetzung einer PKK verhindert somit die Herausbildung von ‚Experten‘ und damit eine möglichst effektive Kontrolle.
Ein weiteres Manko kommt hinzu. So gibt es zur Vorbereitung der Sitzung z.B. keine Akten. Im günstigsten Falle liegen sie in einem gesonderten Ge-heimschutzraum bereit und können dort eingesehen werden. Alles dies bedeutet Zeitverluste. Was für die Vorbereitung auf eine jede Sitzung gilt – auf der Höhe der Aktenlage zu sein -, ist bei der PKK also nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Statt dessen werden Unterlagen während der Sitzung ausgeteilt und am Ende wieder eingesammelt, einschließlich des Protokolls der vorausgegangenen Sitzung.
Ich habe mir sagen lassen, daß Sitzungen früher bereits nach 15-30 Minuten wieder beendet waren. Die gesetzlich alle drei Monate vorgeschriebene PKK-Sitzung war damit ein formaler Akt. Eine Kontrolle, so begrenzt sie auch sein mag, fand schon wegen Desinteresse und mangelnder Kenntnisse nicht statt. Das LfV fühlte sich von den Politikern weder kontrolliert noch ernst genommen. Es hatte vor allem eine Bedingung zu erfüllen: Seine Schnüffelpraxis durfte nicht auffliegen, um öffentliche Diskussionen zu verhindern und die herrschende Politik nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Heute dauern die Sitzungen zumindest ein bis zwei Stunden und die Auskünfte sind tie-fergehender. Ob die Kontrolle damit effektiver geworden ist, ist eine Frage, die ich mir häufiger stelle, ohne darauf jedoch eine (mich) befriedigende Antwort zu finden.
Tagesordnung einer PKK-Sitzung
Wie entscheidend die Eigeninitiative der Mitglieder in der Kommission für eine tatsächliche Kontrolle ist, wird bereits an der Tagesordnung deutlich, die in der Regel aus zwei Punkten besteht,
– 1. Bericht nach 7 des Bremischen Verfassungsschutzgesetzes,
– 2. Bericht nach 2 des Bremischen ‚G 10-Ausführungsgesetzes‘.
Im Klartext heißt das, der Verfassungsschutz unterrichtet die PKK über
– die Bereiche, in denen Personenüberprüfungen stattfinden (z. B. Sicher-heitsüberprüfungen, Verfassungstreueprüfungen, personeller Geheimschutz in der Wirtschaft usw.),
– die geheimdienstlichen Mittel und deren Anwendung (z.B. Einsatz von V-Personen),
– die Löschung personenbezogener Daten sowie
– die Eingaben einzelner Bürger (Speicherungsauskünfte).
Zum ersten Tagesordnungspunkt wird den Mitgliedern der PKK der bremische Bestand des ‚Nachrichtendienstlichen Informationssystems‘ (NADIS) mitgeteilt, getrennt nach den Bereichen Links-, Rechts- und Ausländerextremismus, Spionageabwehr und Geheimschutz. Der zweite Tagesordnungspunkt beinhaltet die Unterrichtung über eventuelle Telefonüberwachungen, die von einer ‚G 10-Kommission‘ genehmigt werden müssen. Darüber hinaus wird durch schriftliche Monatsberichte über die aktuelle Entwicklung sog. extremistischer Organisationen im Land Bremen informiert.
Solch eine formale Tagesordnung verdeutlicht, daß ohne eigene Kenntnisse über Aufbau und organisatorische Strukturen sowie die Arbeitsweise des Ver-fassungsschutzes nicht einmal ansatzweise von einer Kontrolle geredet werden kann. Mit welchen Mitteln welche Informationen beschafft werden, auf welche Bereiche die Kräfte konzentriert werden und wo etwa V-Leute eingesetzt werden, all dies muß erfragt und hinterfragt werden (können). Eine lediglich alle drei Monate tagende PKK läßt schon wegen der geringen Anzahl der Sitzungen nur eine begrenzte Kontrolle zu. Allerdings hat jedes Mitglied das Recht, bei besonderen Anlässen eine außerordentliche Sitzung zu beantragen, der dann auch stattgegeben werden muß.
Die intensivsten Kontrollmöglichkeiten ergeben sich immer dann, wenn Skandale öffentlich werden und der verantwortliche Politiker, also der Innensenator, unter Legitimationsdruck gerät oder bei Fällen von besonderer Bedeutung, etwa beim ‚Auffliegen‘ eines geheimen Mitarbeiters, also eines Spitzels.
Grenzen und Ergebnisse der Kontrolltätigkeit
Nach meinem Eintritt in die PKK habe ich seinerzeit als erstes meine eigene Akte angefordert, mußte jedoch feststellen, daß diese kurz vorher, also rechtzeitig, vernichtet wurde. Geblieben sind daraus lediglich zwei Fotos, die man mir seinerzeit aushändigte. Obwohl der Start damit alles andere als vertrauenerweckend begann, konnte ich während meiner langjährigen Kontrolltätigkeit später immer eine grundsätzliche Auskunftsbereitschaft des Landesamtes auf meine Fragen feststellen. Die Einsicht in von mir gewünschte Personalakten wurde in keinem Fall verweigert. Die seit Jahren gepflegte Weitergabe der Monatsberichte des Amtes an ausländische Geheimdienste (z.B. der USA, England, Niederlande u.a.) wurde auf meinen Antrag hin eingestellt. Zur Begründung dienten datenschutzrechtliche Bedenken.
Bei der Forderung nach näheren Informationen über die vom Verfassungsschutz geführten V-Leute war die Grenze der Kontrolle allerdings erreicht. Mit schöner Regelmäßigkeit berufen sich das Amt und der Innensenator bei ihrer Auskunftsverweigerung hier auf das Bremische Verfassungsschutzgesetz, daß die Ablehnung von Kontrollbegehren erlaubt, „wenn es die Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes gefährden würde.“ Spätenstens hier, wo es ‚an das Eingemachte‘ geht, sind meine Kontrollmöglichkeiten al-so massiv eingeschränkt. Anderen GRÜNEN-Geheimdienstkontrolleuren geht es nicht anders, und von den Vertretern der Altparteien sind solche unziemlichen Fragen ohnehin nicht zu erwarten – jedenfalls ist diesbezüglich nichts überliefert. Solche Zurückhaltung hat ihren Grund. ‚Vertrauenspersonen‘ (VP) – so zwei-felhaft das in sie gesetzte Vertrauen immer sein mag – sind die wichtigste geheimdienstliche Informationsquelle des Verfassungsschutzes über Aktivitäten im sog. extremistischen Lager. (Terrorismus und Spionage sind in Bremen von untergeordneter Bedeutung.) So führt das Landesamt allein in seinem Zuständigkeitsbereich (Bremen und Bremerhaven) laut einer Auskunft des Landesamtschefs ca. 25 V-Leute. Gemessen an der Zahl der 53 hauptamtlichen Verfassungsschutzbeschäftigten ist das ein recht hoher Prozentsatz.
Das Lesen von VP-Berichten ist den mit der Kontrolle beauftragten Parla-mentariern also nicht möglich; sie erfahren auch nichts über die Umstände seiner/ihrer Anwerbung, die persönliche Lebenssituation der Spitzel oder gar etwas über die konkrete Tätigkeit. Mögliche Konsequenzen, wie etwa die Forderung nach einer ‚Abschaltung‘ einzelner V-Leute, können aufgrund der Informationsdefizite begründet gar nicht erhoben werden. So bleibt es zwangsläufig bei einer prinzipiellen politischen und damit folgenlosen Ab-lehnung von Spitzeltätigkeiten.
Telefonüberwachungen oder Postkontrollen, die einen ebenso massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der BürgerInnen darstellen, sind damit besser kontrolliert als eine Vertrauenserschleichung. Die Kontrolle solcher Maß-nahmen durch die G 10-Kommission ist zumindest an diesem Punkt effektiver ausgestaltet. Die Kontrollmöglichkeiten sind weiterhin da massiv einge-schränkt bzw. werden unmöglich gemacht, wo es sich um geheimdienstliche Tätigkeiten des Bundesamtes oder der LfV anderer Bundesländer handelt, auch wenn „bremische Interessen“ betroffen sind. Im Januar 1994 wurde mir die Spitzeltätigkeit eines rechtsextremistischen DVU-Abgeordneten für das Kölner Bundesamt bekannt. Angeblich soll er rechtzeitig vor seinem Einzug in die Bremische Bürgerschaft „abgeschaltet“ worden sein. Ob der V-Mann auch noch als Parlamentarier für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig war, was fundamental die Unabhängigkeit eines Parlaments betroffen hätte, wäre nur durch Einsicht in die Akte zu prüfen gewesen. Das Bundesamt lehnte jedoch jede Information ab. Begründung: Die Kontrolle der Bremer PKK erstrecke sich nur auf das eigene Landesamt. Ein zweites Mal wurde mir die Grenze meiner Kontrollmöglichkeit im Fall Lemke aufgezeigt. Der heutige Werder-Manager wurde Anfang der 70er Jahre vom Hamburger Landesamt als V-Mann für die Spionageabwehr angeworben. Dies wurde Anfang 1994 durch die Memoiren des früheren Hamburger Verfassungsschutzchefs Hans-Josef Horchem bekannt. Um die genauen Umstände und die Tätigkeit von Willi Lemke für den Hamburger Dienst beurteilen zu können, verlangte die Bremer PKK Einsicht in die Hamburger Akten. Der dortige Innensenator weigerte sich jedoch, die Akten herauszugeben. Noch nicht einmal eine gemeinsame Sitzung mit der Hamburger PKK kam zustande. Was bei anderen parlamentarischen Tätigkeiten selbstverständlich ist, die Zusammenarbeit mit Abgeordneten unterschiedlicher Bundesländer oder des Bundes; in Fragen der Kontrolle des Verfassungsschutzes ist diese Zusammenarbeit tabu – ein unhaltbarer Zustand!
Schlußfolgerung
Auch wenn unter den gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnissen die For-derung nach einer Abschaffung des Verfassungsschutzes nicht durchsetzbar ist, so ist es unterhalb dieser Forderung für engagierte PKK-Mitglieder, die bereit sind, sich in die Materie einzuarbeiten und den Widerständen sowohl des Amtes wie auch den (meisten) anderen Parlamentariern nicht nachzugeben, zumindest in Teilen möglich, die Arbeitsweise, Organisation und personelle Stärke ‚ihres‘ Verfassungsschutzes zu verändern. Dies um so mehr, wenn politische Rahmenbedingungen sich grundlegend verändern, wie etwa durch das Ende der Ost-West-Konfrontation, und (glücklicher Zufall) gleichzeitig finanzielle Engpässe zum Sparen zwingen.
So konnte z.B. das Personal des Bremer Verfassungsschutzes in den vergangenen sechs Jahren von 80 auf 53 Mitarbeiter (ca. 35%) und der Haushalt des Landesamtes um 40 Prozent gesenkt werden. Auch wurde die Geheimniskrämerei um den Umfang des Geheimdiensthaushaltes teilweise aufgehoben. Einzelne Posten sind heute im Haushalt des Innensenators ausgewiesen und damit für eine interessierte Öffentlichkeit einsehbar. Weiterhin konnte die personenzentrierte Sammelleidenschaft des LfV Bremen korrigiert werden: 60 Prozent seiner NADIS-Personendaten wurden vernichtet.
David gegen Goliath
Die Forderung der GRÜNEN, an der Kontrolle des Verfassungsschutzes zumindest beteiligt zu werden, war also richtig und hat die Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen und gleichzeitig ein realistischeres Bild von der Tätigkeit dieser Behörden zu bekommen, erleichtert. Dennoch bleibt, daß die Arbeit als Geheimdienstkontrolleur einem Kampf ‚David gegen Goliath‘ gleicht, Erfolge sind nur im Kleinen zu erringen. Trotz der – nach heftigem Sträuben – unterdessen selbst im Bundestag akzeptierten Beteiligung von GRÜNEN-Po-litikern an der PKK, wird dieser Kampf aus meiner Sicht derzeit immer schwerer. Das allerdings liegt nun einmal nicht an den Diensten, sondern an den GRÜNEN selbst. Anders als in ihren Anfangsjahren gibt es heute ein zu geringes Interesse für Geheimdienstprobleme. In der Folge bleiben ihre ‚Kontrolleure‘ mit ihren Problemen nicht nur in den Fraktionen allein (zusätzlich isoliert durch die auferlegte Geheimhaltungspflicht), sondern auch durch einen fehlenden Erfahrungsaustausch untereineinander. Dieser zumindest wäre trotz der allen auferlegten Schweigeverpflichtung noch möglich. Ein solcher Austausch allerdings hat seit einem Treffen 1987 in Berlin lediglich noch einmal stattgefunden: In den neuen Bundesländern ist der Verfassungsschutz ebenfalls zur Realität geworden. Unterhalb der Forderung nach seiner Abschaffung gibt es bisher aber keine Weiterentwicklung grüner Politikvorstellungen. Eine Reform des Verfassungsschutzes ist derzeit unrealistisch. Das Potential an personeller und finanzieller Kürzung ist weitgehend ausgeschöpft. Dies müßte GRÜNE-InnenpolitikerInnen und -Kontrol-leure eigentlich fordern, die Erfahrungen der letzten Jahre zusammenzufassen und politisch (neu?) zu bewerten. Wollen die PKK-Mitglieder der GRÜNEN ihre Kontrollfähigkeit nicht im Alltag parlamentarischer Aufgaben verschleißen oder zur Normalität werden lassen, ist eine kritische Bilanz und Ergebnis-analyse ihrer Kontrolltätigkeit und -fähigkeit mehr als überfällig.
Ohne einen solchen Austausch und damit verbundene neue Ideen und politische Strategien beginnt der dienstälteste GRÜNE-Geheimdienstkontrolleur (ich gestehe es), allmählich einsam zu werden.