Chronologie

zusammengestellt von Norbert Pütter

Juli 1995

01.07.: Die Spionageabwehr des Bundeskriminalamtes wird von fünf auf zwei Referate reduziert.
02.07.: In Leipzig kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Hausbe-setzern und der Polizei. Nachdem die Polizei in der Nacht ein Fest der Hausbesetzer aufgelöst hatte, wird eine Protestdemonstration verboten und ebenfalls polizeilich aufgelöst. 10 Personen werden festgenommen.
03.07.: Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 1994 wird bekanntgege-ben: Danach sank die registrierte Kriminalität gegenüber 1993 um 3,2 Prozent.
04.07.: Nach Angaben der Bundesregierung wurden 1994 in der Bundes-republik insgesamt 7.952 Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder vermutetem rechtsextremistischen Hintergrund bekannt.

Ein 17jähriger Kurde, der deutliche Spuren von Mißhandlungen aufweist, beschuldigt fünf Münchener Polizisten, mit Fäusten und Gürteln auf ihn ein-geschlagen zu haben.
05.07.: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind im ersten Halbjahr 1995 gegenüber dem Vorjahr erneut weniger Asylanträge gestellt worden. Der Rückgang betrug 6,6 Prozent.
06.07.: Anläßlich der Vorstellung des ‚Verfassungsschutzberichtes‘ des Bundes für 1994 kündigt Innenminister Manfred Kanther (CDU) an, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) werde künftig gezielt Informationen über „extremistische Teilgruppen“ in der PDS sammeln und auswerten. Am 9.7. weist der Präsident des Amtes, Eckart Werthebach, darauf hin, daß bereits seit 1990 Informationen über die PDS gesammelt werden. Der Präsident des Brandenburger Verfassungsschutzes Wolfgang Pfaff lehnt die nachrichtendienstliche Beobachtung der PDS ab.
10.07.: Der sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU) tritt von sei-nem Amt zurück. Frühere Mitarbeiter hatten ihm sexuelle Belästigungen vorgeworfen. Am 1.9. wird der bisherige Hamburger Justizsenator Klaus Hardraht (parteilos) neuer Innenminister.
11.07.: Der 1991 gescheiterte Versuch des Bundesnachrichtendienstes (BND), Panzer und Waffen aus den Beständen der NVA illegal an den is-raelischen Geheimdienst Mossad zu liefern, bleibt ohne strafrechtliche Kon-sequenzen. Das Hamburger Landgericht spricht zwei angeklagte BND-Mitarbeiter vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz frei, da sie im „Verbotsirrtum“ gehandelt hätten. Die Staatsanwaltschaft legt Revision gegen das Urteil ein.
12.07.: Der Pilot, der beim Plutoniumschmuggel des BND im August 1994 genutzten Lufthansa-Maschine stellt Strafantrag wegen Transportgefährdung. Er will geklärt wissen, welche Behörden die Verantwortung für den Transport tragen. Am 17.7 verurteilt das Münchener Landgericht drei Beteiligte wegen des Schmuggels zu Haftstrafen zwischen drei und vier Jahren. Strafmildernd wertete das Gericht nicht nur die Geständnisse der Angeklagten, sondern auch die Tatprovokation von seiten der Polizei. Am 7.8. bestätigt die Münchener Staatsanwaltschaft Berichte, denen zufolge sie Vorermittlungen gegen zwei Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes eingeleitet hat. Die beiden Beamten hatten im Prozeß erklärt, vom Transport des Plutoniums nach München nichts gewußt zu haben.
Nach einem Beschluß des Greifswalder Verwaltungsgerichts fehlt dem Berliner Abschiebegewahrsam eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Im August wird vom Abgeordnetenhaus ein entsprechender Gesetzentwurf nachgeschoben.
13.07.: Durch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts wird die Beteiligung des BND an der Strafverfolgung, die durch das ‚Verbrechensbekämpfungsgesetz‘ von 1994 eingeführt worden war, eingeschränkt. Bis auf weiteres dürfen BND-Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung nur bei hinreichendem Tatverdacht auf eine Straftat an die Polizei weitergegeben werden. Unter Bezugnahme auf den Bundesdatenschutzbeauftragten teilt das Gericht mit, daß der BND täglich Hunderttausende Telefonate und Telefax-Mitteilungen überwacht.
14.07.: Das Oberverwaltungsgericht Koblenz weist eine Beschwerde der REPUBLIKANER gegen ihre Beobachtung durch das rheinland-pfälzische Landesamt für Verfassungsschutz zurück.
In der Berufungsverhandlung spricht das Berliner Landgericht zwei Polizisten vom Vorwurf frei, einen Iraner mißhandelt zu haben. In erster Instanz waren die Polizisten zu Geldstrafen verurteilt worden.
15.07.: Es wird bekannt, daß der Bundesgrenzschutz (BGS) in der ersten Jahreshälfte 2.148 Ausländer aus Nicht-EU-Staaten an den Grenzen zu Frankreich und den Benelux-Staaten zurückgewiesen hat.
16.07.: Franz-Josef Kniola (SPD) wird neuer Innenminister in Nordrhein-Westfalen.
17.07.: In einem Schreiben an die Berliner ‚tageszeitung‘ kündigt die ‚Antiimperialistische Zelle‘ (AIZ) weitere Sprengstoffanschläge an.
In einer Stellungnahme unterstützt die Bundesanwaltschaft die Generalstaats-anwaltschaft in Celle in ihrem Vorgehen gegen die Göttinger ‚Autonome Antifa (M)‘. Die Celler Staatsanwaltschaft hatte Beschwerde gegen einen Beschluß des Oberlandesgerichts eingelegt, der eine Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen und die Werbung für eine terroristische Vereinigung nicht zugelassen hatte. Am 1.10. kommt es im Anschluß an eine friedliche Demonstration in Göttingen, auf der gegen ein städtisches Demon-strationsverbot für die ‚Autonome Antifa (M)‘ protestiert wird, zu Auseinan-dersetzungen mit der Polizei. 14 Personen werden festgenommen; 52 Platz-verweise werden erteilt.
19.07.: Nach dem Urteil des Hamburger Verfassungsgerichts darf der Se-nat der Stadt dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum ‚Ham-burger Polizeiskandal‘ die Herausgabe von Polizeiakten verweigern. Nach Ansicht des Gerichts hat der Datenschutz Vorrang vor dem Informationsrecht des Ausschusses.
20.07.: In einem Urteil bekräftigt der Bundesgerichtshof, daß Autobahn-Blockaden weiterhin als Nötigung bestraft werden können. Das Gericht be-stätigt die Verurteilung eines Kurden wegen seiner Beteiligung an einer Au-tobahn-Blockade im März 1994.
21.07.: In Berlin unterzeichnen Vertreter Deutschlands und Vietmans ein Abkommen, das die „Rückführung“ von 40.000 in Deutschland lebenden Vietnamesen vorsieht. Am 17.10. beginnt Berlin mit der Abschiebung.
23.07.: Bundesinnenminister Manfred Kanther kündigt an, den Bundes-grenzschutz an den Grenzen nach Polen und Tschechien um weitere 500 Beamte zu verstärken.
25.07.: In fünf Städten Baden-Württembergs werden Brandanschläge auf türkische Einrichtungen und ein Reisebüro verübt. Weitere Anschläge folgen in den nächsten Nächten in verschiedenen deutschen Städten.
27.07.: Mit Wasserwerfern und Schlagstöcken löst die Polizei in Frank-furt/Main eine Kundgebung von 200 hungerstreikenden Kurden auf. In der darauffolgenden Nacht kommt es zu Ausschreitungen in der Frankfurter In-nenstadt. Am 30.7. versucht die Frankfurter Polizei durch die Kontrolle von Zufahrtswegen und der kurzzeitigen Festnahme Dutzender Personen eine verbotene Demonstration von Kurden zu verhindern. In Berlin stirbt am glei-chen Tag eine Kurdin nach einer Woche Hungerstreik. Inwiefern das Vorgehen der Polizei zum Tod der Frau beitrug, bleibt umstritten. Mitte August eröffnet die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Veranstalter des Hungerstreiks wegen unterlassener Hilfeleistung oder fahr-lässiger Tötung. Am 1.8. nehmen in Berlin 10.000 Menschen an einem Trauermarsch für die Verstorbene teil. Am 9.8. wird bekannt, daß die Berliner Justiz mindestens 120 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Aktivitäten für die ‚Kurdische Arbeiterpartei‘ PKK führt. Am 11.8. kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und der Polizei in Berlin, nachdem die Polizei nach Anwohnerbeschwerden ein Tor vor dem Kurdischen Kulturzentrum beseitigte. In dem Kulturzentrum setzen 170 Menschen ihren Hungerstreik fort, mit dem sie auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam machen wollen. Am 15.8. wird der Hungerstreik beendet. Hessens Innenminister Gerhard Bökel (SPD) teilt mit, daß das Land den Abschiebestopp für Kurden in die Türkei aufgehoben hat. Mit der Entscheidung folgt die Landesregierung einem Beschluß des hessischen Verwaltungsgerichtshofes, der den Abschiebestopp für rechtswidrig erklärt hatte. Am 25.9. beginnt in Frankfurt/M. der Prozeß gegen drei mutmaßliche Funktionäre der verbotenen PKK. Die Männer werden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, schwerer Brandstiftung und Sachbeschädigung angeklagt. Am 6.10. wird in Berlin ein mutmaßlicher Funktionär der PKK verhaftet; nach der Festnahme wird das Kurdische Kulturzentrum von der Polizei erneut durchsucht. Am 10.10. erhebt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen weitere drei in Deutschland lebende Kurden Anklage wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der als terroristisch geltenden PKK. Nach Razzien gegen die PKK werden am 15.10. acht Männer in Untersuchungshaft genommen. Im hessischen Pohlheim werden die 180 Teilnehmer eines Kurden-Treffens vorläufig festgenommen.
Hansjörg Geiger, bislang Direktor der Berliner ‚Gauck-Behörde‘, wird neuer Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wurden seit 1992 gegen mehr als 3.000 Stasi-Mitarbeiter aus der DDR und gegen 2.412 Stasi-Mitarbeiter aus der BRD Ermittlungsverfahren wegen Spionageverdachts eingeleitet.
28.07.: In Köln nimmt ein Mann die Insassen eines Busses als Geiseln. Er tötet zwei Menschen. Bei der Stürmung des Busses wird der Geiselnehmer getötet.

August 1995

01.08.: Der baden-württembergische Verfassungsschutzpräsident Eduard Vermander wird zum neuen Präsidenten des Berliner Landesamtes für Ver-fassungsschutz ernannt.
Nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haftstrafe wird Erich Mielke vor-zeitig aus der Haft entlassen. Der frühere DDR-Minister für Staatssicherheit war wegen Mordes an zwei Polizisten im Jahr 1931 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.
04.08.: In Hannover beginnen für drei Tage und Nächte gewaltsame Aus-einandersetzungen zwischen der Polizei und Punkern, in deren Verlauf es zu erheblichen Sachschäden kommt. Die Polizei verhängt über ganz Hannover ein Aufenthaltsverbot für Punks, von dem 1.986 Personen betroffen sind. Bis zum 7.8. hat die Polizei 1.300 Punks festgenommen. Die Sachschäden der Chaostage belaufen sich auf ca. 800.000 DM; die Kosten des Polizeieinsatzes werden auf 10 Mio. DM geschätzt. Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) und die polizeiliche Einsatzleitung werden von Beamten der ‚Deutschen Polizeigewerkschaft‘ (DPolG) wegen unterlassener Hilfeleistung und Beihilfe zu Straftaten angezeigt. Am 25.8. setzt der niedersächsische Landtag einen Untersuchungsausschuß ein. Am selben Tag tritt der Polizeipräsident Hannovers Herbert Sander zurück. Im September werden die ersten Punker zu Haftstrafen verurteilt. Im Oktober teilt das Amtsgericht Hannover mehreren hundert Personen mit, daß sie rechtswidrig von der Polizei festgehalten wurden, lediglich 74 Personen seien rechtmäßig festgenommen worden. Innenminister Glogowski erklärt, die Polizei werde gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Beschwerde einlegen. Bei dem als Fortsetzung der ‚Chaostage‘ von Hannover angekündigten Treffen am 18.8. in Osnabrück bleiben die erwarteten Krawalle aus. Den rund 100 Punks standen mehr als 1.000 Polizeibeamte gegenüber; 30 Punks werden festgenommen.
07.08.: Mit Hinweis auf seine gute Spürnase bewirbt sich ein Polizist aus dem nordrhein-westfälischen Jülich um die freie Stelle eines Diensthun-des.
09.08.: In Bremen werden bei der ‚tageszeitung‘ von Beamten des Bun-deskriminalamtes (BKA) und der örtlichen Kripo die Redaktionsräume durchsucht. Die Beamten suchen nach einem Bekennerschreiben der ‚Roten Zora‘. Am 29.9. durchsuchen erneut Polizeibeamte Redaktionsräume in Berlin. Bei der ‚tageszeitung‘ und der ‚jungen welt‘ werden im Auftrag des Ge-neralbundesanwalts Schreiben der Gruppe ‚K.O.M.I.T.E.E.‘ gesucht.
13.08.: Auf Beschluß des Amtsgerichts Chemnitz werden 85 Rechtsradikale für eine Woche in Unterbindungsgewahrsam genommen, um mögliche Ausschreitungen zum Todestag von Rudolf Heß zu verhindern.
15.08.: Das Bundesverfassungsgericht verhindert die Abschiebung von sieben Männern in den Sudan. Die Sudanesen waren am 4.8. aus Protest gegen ihre drohende Abschiebung in einen Hungerstreik getreten. Am 24.8. verlängert das Verfassungsgericht das Abschiebeverbot bis zum 8.9.; am 12.9. genehmigen sie jedoch die Abschiebung, die noch am selben Tag erfolgt.
An mehreren Orten in der Bundesrepublik werden acht Sprengstoff- und Waffendepots von Neonazis entdeckt. Die Funde gehen auf Angaben eines Mannes zurück, der damit seine Abkehr von neonazistischen Gruppen unter Beweis stellen will.
17.08.: Auf ein Asylbewerberheim in Mannheim wird ein Brandanschlag verübt. Es entsteht Sachschaden.
Nach einem Erlaß des hessischen Generalstaatsanwalts dürfen in Hessen wieder Brechmittel zur Überführung von Rauschgifthändlern eingesetzt werden. Im April war der Einsatz untersagt worden, da deren Nebenwirkungen umstritten sind.
18.08.: In Mecklenburg-Vorpommern werden die ersten fünf AusländerInnen zu Polizeimeisteranwärtern ernannt. In Berlin wird am 13.10 ein Österreicher als erster Ausländer zum Beamten bei der Polizei ernannt.
Es wird bekannt, daß Münchener Polizeibeamte in die Pässe von homosexuellen Ausländern entsprechende Vermerke eingetragen haben. Ein Polizeisprecher kündigt an, die Beamten müßten wegen des Eintrags mit „dienstaufsichtlichen Konsequenzen“ rechnen.
20.08.: In Potsdam wird bei einer nächtlichen Kontrolle von einem Ein-brecher ein Zivilfahnder erstochen.
22.08.: In der Nacht kommt es am Zwischenlager Gorleben zu mehreren Anschlägen, die Sachschäden zur Folge haben. Am 29.8. wird ein Anschlag auf die Castor-Bahnstrecke verübt. Nach weiteren Anschlägen kündigt die Bahn an, überprüfen zu wollen, ob sie in Einzelfällen den Castor-Transport verweigern kann.
Die Generalbundesanwaltschaft zieht die Anklage gegen den letzten Spiona-gechef der DDR Werner Großmann zurück und stellt das Verfahren gegen ihn ein. Die Entscheidung resultiert aus dem Urteil des Bundesverfassungsgrichts vom Mai ’95.
26.08.: Rund 100 Beamte von Sondereinsatzkommandos aus Berlin und Brandenburg beenden eine Gefangenenmeuterei in der Justizvollzugsanstalt Luckau. Drei Häftlinge werden leicht verletzt.
28.08.: Die Bundesregierung teilt mit, daß 1994 und im Januar 1995 ins-gesamt 78 Brandanschläge und ein Sprengstoffanschlag auf türkische Ein-richtungen in der Bundesrepublik gemeldet wurden.
29.08.: Das Berliner Landgericht verurteilt den Neonazi Bela Ewald Althans zu dreieinhalb Jahren Haft. Mit seinen Äußerungen im dem Film ‚Beruf Neonazi‘ habe er sich u.a. der Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener schuldig gemacht.
Bundesinnenminister Manfred Kanther legt den Tätigkeitsbericht des Bun-desgrenzschutzes vor. Dem Bericht zufolge hat der BGS 1994 31.065 illegal eingereiste Ausländer aufgegriffen.
30.8.: Die Berliner Justizverwaltung teilt mit, daß die Staatsanwaltschaft seit Anfang 1993 in 150 Fällen wegen Polizeiübergriffen auf Ausländer ermittelt. In 102 Fällen seien die Verfahren mangels Beweisen eingestellt worden; in zwei Fällen wurden die Beamten freigesprochen, in einem wurde ein Strafbefehl ausgestellt.

September 1995

02.09.: In Stuttgart und Baden-Baden verhindert die Polizei geplante Punk-Treffen. In Stuttgart werden 58, in Baden-Baden 15 Personen vorläufig in Gewahrsam genommen.
04.09.: Es wird bekannt, daß die Potsdamer Landesregierung beschlossen hat, die Regelanfrage bei der Gauck-Behörde bei Neueinstellungen in den öffentlichen Dienst abzuschaffen. Die Überprüfung, ob BewerberInnen mit der Stasi zusammengearbeitet haben, soll zukünftig nur bei begründetem Verdacht oder bei der Besetzung höherer Posten eingeleitet werden.
05.09.: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision der RAF-Terroristin Eva Haule und bestätigt die vom Frankfurter Oberlandesgericht verhängte lebenslange Haftstrafe wegen dreifachen Mordes.
Das Berliner Landgericht weist die Klage gegen Alexander Schalck-Golodkowski wegen Steuerhinterziehung in Höhe von etwa 100 Mio. DM ab. Am 11.9. beginnt vor dem Berliner Landgericht jedoch ein neuer Prozeß gegen Schalck-Golodkowski wegen Waffenschmuggels.
12.09.: In Artern (Thüringen) wird von einem Polizisten ein Einbrecher erschossen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft löste sich der Schuß verse-hentlich.
14.09.: In Berlin wird von der Polizei ein flüchtender Schmuckräuber erschossen.
17.09.: Auf das Haus des CDU-Bundestagsabgeordneten Paul Breuer wird ein Sprengstoffanschlag verübt, bei dem Sachschaden entsteht. In der Nähe des Tatortes wird ein Bekennerschreiben der ‚Antiimperialistischen Zellen‘ gefunden. Im Oktober setzt die Bundesanwaltschaft eine Belohnung von 100.000 DM für die Aufklärung der AIZ-Anschläge aus.
20.09.: Das Schweriner Landgericht verurteilt den früheren Polizeidi-rektor Hans-Jürgen Christophersen zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Be-stechlichkeit und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Er hatte Bestechungs-gelder von einer Polizeiausrüstungsfirma angenommen und Waffen der Volkspolizei in seinem Wohnhaus gelagert.
21.09.: Die hessischen Ausländerbeiräte legen Verfassungsbeschwerde gegen das Ausländerzentralregistergesetz ein.
Das Berliner Abgeordnetenhaus mißbilligt mehrheitlich die Amtsführung von Innensenator Dieter Heckelmann. Das Parlament wirft ihm nachhaltige Ver-letzung von Dienstpflichten im Zusammenhang mit dem ‚Mykonos‘-Attentat vom September 1992 vor.
Der Bundestag bestätigt den Beauftragten der Bundesregierung für die Stasi-Unterlagen Joachim Gauck für weitere fünf Jahre in seinem Amt.
22.09.: Von einem nebenberuflich als Tankwart tätigen Polizeibeamten wird in München ein 19jähriger Räuber erschossen.
Das Amtsgericht Rudolstadt spricht drei Polizisten vom Vorwurf der versuchten Strafvereitelung im Amt frei. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, nicht gegen randalierende Rechtsradikale in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald eingeschritten zu sein.
26.09.: Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilt das RAF-Mitglied Sieglinde Hoffmann zu lebenslanger Haft wegen Beteiligung an der Schleyer-Entführung und -Ermordung.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt der Klage einer Lehrerin wegen ihrer Entlassung aus dem niedersächischen Schuldienst statt. Nach dem Urteil des Gerichts verstieß das bundesdeutsche Berufsverbot gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
29.09.: Im brandenburgischen Bernau spricht das Amtsgericht zwei Poli-zisten von dem Vorwurf frei, einen vietnamesischen Zigarettenhändler mißhandelt zu haben. Nach Ansicht des Gerichts fehlten Beweise für eine Mißhandlung. Am 2.10. werden in Berlin drei Polizisten wegen Mißhandlung eines Vietnamesen zu Haftstrafen zwischen sieben und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Am 13.10. werden zwei weitere Polizisten ebenfalls wegen Mißhandlung eines Vietnamesen zu sechs Monaten auf Bewährung bzw. zu einer Geldstrafe verurteilt.

Oktober 1995

04.10.: Nach fast fünf Wochen beendet der RAF-Terrorist Christian Klar einen Hungerstreik, mit dem er bessere Haftbedingungen erreichen wollte.
Das Landgericht Fulda lehnt es ab, ein Verfahren gegen die Organisatoren des Aufmarsches von Neonazis in Fulda vom Sommer 1993 zu eröffnen. Die Veranstaltung sei wirksam angemeldet und nicht verboten gewesen.
07.10.: In Sachsen-Anhalt löst die Polizei mit einem starken Aufgebot ein vom Magdeburger Regierungspräsidenten verbotenes Skinhead-Konzert auf. Am 21.10. kommt es aus Anlaß einer Feier von Skinheads im niedersächsischen Northeim zu einer Straßenschlacht zwischen Polizisten und Skinheads. 2 Polizisten und 7 Skinheads werden verletzt. 65 Personen werden festgenommen.
In Berlin verhindert die Polizei eine Hausbesetzung, 17 Personen werden wegen schwerer Sachbeschädigung und Landfriedensbruch festgenommen.
Die ehemalige Terroristin Gabriele Tiedemann stirbt im Alter von 44 Jahren an Krebs.
09.10.: Beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Erfurt anläßlich des fünften Jahrestages der deutschen Einheit kommt es zu Auseinanderset-zungen zwischen rund 200 Demonstranten und der Polizei. Sieben Demonstranten werden festgenommen. Beim Großen Zapfenstreich am 26.10. in Bonn anläßlich des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr werden die rund 1.000 Gegendemonstranten von der Polizei ferngehalten und teilweise eingekesselt. 60 Personen werden festgenommen.
Ergebnisse einer bislang nicht veröffentlichten Studie der ‚Kienbaum Unter-nehmensberatung‘ werden bekannt, derzufolge in der nordrhein-westfälischen Polizei rund 5.000 Stellen bei Polizeisonderdiensten, wie Kfz-Werkstätten oder Reiterstaffeln, eingespart werden könnte.
10.10.: Nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Mecklenburg-Vor-pommern wird das Ermittlungsverfahren zur Todesursache des mutmaßlichen Terroristen Wolfgang Grams nicht wieder eröffnet. Eine Beschwerde von Grams‘ Eltern wurde abgewiesen.
12.10.: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision eines Angeklagten im Verfahren wegen des Anschlags auf die Synagoge in Lübeck. Die Ver-urteilungen sind damit rechtskräftig.
13.10.: Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilt die vier Ange-klagten im Prozeß um die Brandstiftung von Solingen zu Haftstrafen zwischen 10 und 15 Jahren. Bei dem Brandanschlag im Mai 1993 waren fünf Menschen getötet worden.
16.10.: Der ehemalige RAF-Terrorist Knut Folkerts wird nach 18 Jahren Haft vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.
17.10.: In Wesel wird von einem Polizisten ein Mann erschossen.
Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts können Bürgerkriegs-flüchtlinge in ihr Heimatland abgeschoben werden. Die „allgemeinen Gefahren und Folgen eines Bürgerkrieges“ stehen nach Ansicht des Gerichts einer Abschiebung nicht im Wege. (Az.: 9 C 9/95)
Ein Gerichtssprecher bestätigt einen Bericht über einen Beschluß des Bundes-gerichtshofs vom Juni, dem zufolge Erkenntnisse, die aus Lauschangriffen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr stammen, auch bei der Strafverfolgung verwendet werden dürfen.
18.10.: In Frankfurt/Oder beginnt der Prozeß gegen zwei Polizisten, die im Februar 1994 einen flüchtenden Mann erschossen hatten. Die Staatsan-waltschaft wirft ihnen vollendeten und versuchten Todschlag vor.
Es wird bekannt, daß der BGS einen abgelehnten Asylbewerber in den Sudan abgeschoben hat, obwohl das hessische Verwaltungsgericht ausdrücklich die Abschiebung nach Libanon verfügt hatte.
Der Bundesgerichtshof folgt dem Beschluß des Verfassungsgerichts und hebt das Urteil gegen den früheren Chef der DDR-Auslandsspionage Markus Wolf auf. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte Wolf wegen Landesverrat und Bestechung zu sieben Jahren Haft verurteilt.
19.10.: Es wird bekannt, daß Staatsanwaltschaften und Steuerfahn-dungsbehörden gegen mehrere Tausend Kunden und Mitarbeiter der Commerzbank wegen des Verdachts des Schwarzgeldtransfers ins Ausland ermitteln. Bankfilialen und Wohnungen von Kunden werden durchsucht.
20.10.: Die Hamburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen drei Polizisten, die beschuldigt werden im Mai 1994 einen Journalisten geschlagen und getreten zu haben.
Die Berliner Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den mutmaßlichen Ter-roristen Johannes Weinrich wegen des Sprengstoffanschlags auf das Maison de France 1982 in Berlin.
25.10.: Das Landgericht München weist die Schadenersatzklagen der An-gehörigen der Opfer des Münchener Olympia-Attentats von 1972 ab.
30.10.: In einer Berufungsverhandlung verurteilt das Augsburger Amts-gericht den Kurden Fariz Simsek zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe wegen Nötigung und Landfriedensbruch. Im ersten Verfahren war er wegen seiner Beteiligung an einer Straßenblockade zu einem Jahr verurteilt worden.
31.10.: Der Bundesgerichtshof hebt die Bewährungsstrafen gegen drei frühere Skinheads als zu milde auf. Die Männer hatten 1992 einen Nigerianer brutal mißhandelt.

Norbert Pütter ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP