EUROPOL – Eigenständiger Organismus mit Zukunft

Was in den 70er Jahren noch ein unrealistischer Polizistentraum war, ist seit 1994 Realität geworden. Die EUROPOL-Drogeneinheit (EDU) nahm als erste Stufe des „Europäischen Polizeiamtes – EUROPOL“ ihre Arbeit auf. Mit der Unterzeichnung der EUROPOL-Konvention im Juli 1995, für deren Ratifizierung weitere zwei bis drei Jahre kalkuliert werden müssen, begann die Konzeption und Planung der Informationssysteme des neuen Amtes sowie die Arbeit an den vorgesehenen Durchführungsbestimmungen. Der Inhalt des Vertrages verbürgt, daß die Datenzentrale der EU-Polizeien von wirklicher Kontrolle weitgehend verschont bleiben.

Schon in den 70er Jahren weckte die Unzufriedenheit mit Interpol das Interesse (vor allem deutscher) Polizeibeamter an einer zentralen europäischen Polizei. 1974 präsentierte der ‚Bund Deutscher Kriminalbeamter‘ (BDK) seinen „EUROPOL-Gedanken“: Das Konzept einer zentralen europäischen Po-lizei mit Eingriffsbefugnissen in den Mitgliedstaaten, eines Euro-FBI, fand keinen rechten Anklang. Der damalige Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) Horst Herold hielt dies für eine gefährliche Verdoppelung von Interpol, dessen Generalsekretariat er statt dessen zu einer wirklichen Zentralstelle ausgebaut sehen wollte. Die Vorstellung von einem europäischen Kriminalamt verschwand nie völlig aus der Diskussion. In den 80er Jahren schien dem BKA-Mann Harald Maaß das Europäische Sekretariat beim Interpol-Generalsekretariat in St. Cloud bei Paris die „Keimzelle einer Euro-Kripo“. Die dünne Personaldecke des Sekretariats und seine schleppende Weiterentwicklung verhinderten aber, daß diese Zelle zu wuchern begann.

Britisches EDIU-Konzept versus Kohls Euro-FBI

Erst Ende der 80er Jahre bekam die EUROPOL-Forderung eine realistische Perspektive. Nachdem die 1985 gegründete dritte TREVI-Arbeitsgruppe (schwere und organisierte Kriminalität, Drogenhandel) einige Jahre ohne eigentliche Ergebnisse vor sich hin gedümpelt war, begann man dort ab Ende der 80er Jahre, gemeinsame „Intelligence“-Projekte aufzuziehen.

Der Begriff Intelligence stammt aus der Welt der Geheimdienste, die , so die Idee, Informationen zusammentragen und auswerten. Diese „Erkenntnisse“ – Intelligence – sollen den Regierungen und militärischen Führungen dann als Entscheidungsgrundlage für die Diplomatie sowie für die Kriegsführung dienen. Im Polizeibereich – und hier vor allem bei der Drogenbekämpfung – spielt dieser Begriff seit den 70er Jahren eine Rolle – zunächst in den USA, später in Großbritannien, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern. Dahinter steht die Vorstellung, die Polizei solle nicht einzelne Fälle bearbeiten, die ihr durch Anzeigen angeliefert werden, sondern durch eine gezielte Informationsbeschaffung (u.a. durch verdeckte Methoden) und -auswertung („Crime analysis“) selbst die Initiative ergreifen.

Bei der Kriminalitätsanalyse wird dabei unterschieden zwischen strategischer und operativer Analyse: Ergebnisse ’strategischer Analyse‘ (Lagebilder) sollen Trends in bestimmten Kriminalitätsbereichen aufzeigen und die polizeili-che und politische Schwerpunktsetzung erleichtern. Bei dieser Analyse werden meist Informationen ohne direkten Bezug zu einer konkreten Person verarbeitet. Bei ‚operativen Analysen‘ werden alle in einem Ermittlungskomplex möglicherweise relevanten Daten, Vermutungen und Spuren bei einer Aus-wertungseinheit zusammengefaßt. Die „Analysten“ dieser Einheit sollen die er-mittlungsführenden (taktischen) Dienststellen mit Informationen unterstützen und koordinieren. Hier geht es eindeutig um personenbezogene Daten, insbesondere um sogenannte weiche Daten, die zwar hochsensibel, zugleich aber ungeprüft sind.

Die gemeinsamen Intelligence-Projekte im TREVI-Kontext sollten europäische Zusammenhänge des Drogenhandels aufzeigen und die bis dahin herrschende nationale Begrenzung solcher Analysen aufheben. Sie bildeten den Hintergrund für den Vorschlag einer ‚European Drugs Intelligence Unit‘ (EDIU), mit der Projekte auf eine längerfristige Basis gestellt werden sollten. Vorbild war die 1973 als „Central Drugs and Illegal Immigration Unit“ gebildete und 1987 reorganisierte britische „National Drugs Intelligence Unit“ (NDIU), in der Daten der formell eigenständigen ‚Regional Crime Squads‘ und des britischen Zolls zusammengetragen und ausgewertet werden. Die NDIU, die 1992 im „National Criminal Intelligence System“ (NCIS) aufging, verfügt dabei selbst nicht über exekutive Befugnisse.

Daß der Vorschlag für eine EG-Polizeieinheit gerade von der britischen TREVI-Delegation ausging, mag angesichts der britischen Vorbehalte gegen eine stärkere Europäisierung der Polizeikooperation und gegen eine Abgabe von Souveränitätsrechten erstaunen. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich allerdings zwei wesentliche Unterschiede zu den vor allem von deutscher Seite vorgetragenen frühen EUROPOL-Vorstellungen: Zum einen sollte die EDIU nach britischem Muster nur für die Drogenbekämpfung zuständig sein und keine breitere Zuständigkeit erhalten; zum anderen sollte sie nur Intelligence-Zentrale sein und ausdrücklich nicht mit exekutiven Befugnissen in den Mitgliedstaaten operieren dürfen. Nach den Vorstellungen von Barry Price, seinerzeit Chef der NDIU, sollte EDIU (zivile) Analysten und Informatiker und eine ‚desk structure‘ von Verbindungsbeamten der nationalen Polizeien umfassen. Um den Kontakt mit anderen Intelligence-Gruppen (auch außerhalb Europas) sicherzustellen, wollte Price die EDIU beim Interpol-Generalsekretariat angesiedelt sehen.

Während andere Staaten dem Projekt eher skeptisch gegenüberstanden, hat die Bundesrepublik den Vorschlag von Anbeginn unterstützt, allerdings mit weitergehenden Vorstellungen: „Für die deutsche Seite stellt diese Stelle eine Vorstufe für eine europäische Polizeieinheit mit später auch exekutiven Befugnissen zur wirksamen Bekämpfung der international-organisierten Rauschgiftkriminalität dar“. Trotz der unterschiedlichen Konzepte ging EDIU als Vorschlag in das TREVI-Aktionsprogramm 1990 ein. Seine eigentliche Dynamik erhielt das Thema aber erst durch einen Vorstoß von Bundeskanzler Helmut Kohl: Auf der Tagung des Europäischen Rates in Luxemburg im Juni 1991 „kam dann von Kohl, interessanterweise ohne jegliche Abstimmung mit den Innenministern, der Vorschlag, EUROPOL einzurichten. Der hat dann“ – so der heutige EUROPOL-Chef Jürgen Storbeck – „die alten Ideen, die immer mal wieder zum Vorschein kamen, aufgegriffen und gesagt: Unter Berücksichtigung des Anstiegs der Kriminalität, besonders der international organisierten Kriminalität, brauchen wir: 1. eine Informationsaustauschstelle, ein Clearinghouse für Informationen; 2. eine zentrale Analyseeinheit; 3. irgendwann, möglichst bald, eine europäische Ermittlungsbehörde im Stil von FBI.“

Informationsaustausch und -analyse sollten 1992 im Bereich Drogen beginnen und 1993 auf andere Kriminalitätsbereiche ausgedehnt werden. Ab 1994 sollte EUROPOL nach dem Willen des Kanzlers eigene Ermittlungskompetenzen erhalten. Diesen Vorschlag hatte Kohl bereits 1988 vergeblich vorgebracht: „Nach eigenem Eingeständnis unterlief ihm damals aber der Fehler, von einem „Euro-FBI“ gesprochen zu haben.“ Nun wurden auf der politischen Ebene Fakten geschaffen. Auch wenn der Europäische Rat EUROPOL zunächst nur als Relaisstation für den Informationsaustausch und als Intelligence-Zentrale für Drogenkriminalität konzipierte, war der Anstoß für eine konkrete Aufbautätigkeit gelegt.

Die Innen- bzw. Justizminister wurden aufgefordert, zum Maastrichter Gipfel im Dezember 1991 einen Bericht vorzulegen. Der im Februar 1992 unterzeichnete EU-Vertrag reiht EUROPOL bereits unter den Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse auf (Art. K 1, Nr. 9). Als Aufgaben nennt die „Erklärung zur polizeilichen Zusammenarbeit“ im Anhang u.a. Koordination und Unterstützung bei Ermittlung und Fahndung, den Aufbau von Informationsdateien und die zentrale „Auswertung von Informationen zur Herstellung von Lagebildern und zur Gewinnung von Ermittlungsansätzen“. 1994 sollte die Ausweitung der Zusammenarbeit geprüft werden. Der konkrete Aufbauprozeß konnte begonnen werden, die Terminierung erwies sich dagegen als unrealistisch.

EDIU als EUROPOL-Kern

In Containern auf dem Gelände der Zentraleinheit des „Schengener Informationssystems“ (SIS) in Straßburg begann im September 1992 ein Aufbaustab (18-30 Beamte aus sieben Staaten) seine Arbeit. Die politischen Vorleistungen sollten weiterhin bei der in „Ad-hoc-Gruppe EUROPOL“ umbenannten EDIU-AG von TREVI III bleiben.

Angesichts der zu erwartenden langen Verhandlungen über eine Konvention entschied man sich für eine Zwischenlösung, mit der bereits ohne völker-rechtlichen Vertrag der Beginn der konkreten Tätigkeit eines EUROPOL-Kerns möglich sein sollte. Das dabei festgelegte Verbindungsbeamtenmodell orientiert sich am Vorbild des „El Paso Intelligence Center“ (EPIC) der US-„Drug Enforcement Administration“ (DEA), bei dem Verbindungsbeamte der etwa 30 mit Drogenangelegenheiten befaßten US-Bundesbehörden Informationen zentralisieren, auswerten und den Austausch zwischen ihren Behörden koordinieren. Aus EDIU war die EUROPOL-Drogen-Einheit (EDU) mit Sitz in Den Haag geworden.

Die Verbindungsbeamten der Mitgliedstaaten, die per Terminal oder Telex ausschließlich Zugang zu den Datensystemen ihrer eigenen nationalen Polizeizentrale haben, dürfen personenbezogene Daten nur fallbezogen, d. h. „zur Förderung spezieller kriminalpolizeilicher Ermittlungen im Hinblick auf drogenbezogene Straftaten“ weitergeben. Der Austausch erfolgt zwar direkt zwischen den Beamten, die rechtlichen Grundlagen bleiben aber jeweils die nationalen oder zwischenstaatlichen Vorschriften über polizeiliche Rechtshilfe sowie die nationalen Datenschutzklauseln. Die Prüfung der Rechtmä-ßigkeit wird ebenfalls von den Verbindungsbeamten wahrgenommen, die damit die Befugnisse ihrer nationalen Zentrale, im deutschen Falle des BKA, in ihrer Person vereinigen. Das bundesdeutsche „desk“ ist mit sechs Beamten das größte. Zwar sind sie formal alle vom BKA abgeordnet, nur zwei entstammen aber tatsächlich dem Amt, zwei weitere kommen vom Zollfahndungsdienst und zwei aus Länderpolizeien. Neben der schnellen Weitergabe von Einzelinformationen koordinieren und unterstützen die Verbindungsbeamten grenzüberschreitende Operationen wie etwa kontrollierte Lieferungen. Zusätzlich soll die Einheit „allgemeine Lageberichte und Verbrechensanalysen auf der Grundlage nicht-personenbezogener Informationen (erarbeiten), die von den Mitgliedstaaten und anderen Quellen geliefert werden.“ Aufgrund einer ministeriellen Übereinkunft bleibt eine zentrale Verarbeitung personenbezogener Daten und der Aufbau von gemeinsamen Computersystemen auf dieser Ebene der Zusammenarbeit ausgeschlossen.

Verhandlungsprozeß – ohne demokratische Kontrolle

Der Verhandlungsprozeß um die EUROPOL-Konvention ist symptomatisch für die ‚dritte Säule‘ der EU: Verhandelt wurde nur im geheimen. In Deutschland und den Niederlanden erhielten KritikerInnen durch „Indiskretionen“ zumindest zu einigen Fassungen des Entwurfs Zugang, in Spanien hingegen blieben diese Dokumente bis zur Unterzeichnung im Juli 1995 unter Verschluß. Aber auch da, wo man halbwegs informiert war, hatte die Öffentlichkeit keinen Einfluß auf die Debatten.

Die grundsätzliche Entscheidung für den Aufbau von EUROPOL war seit Arbeitsbeginn der EDU ohnehin gefallen. Weder die mit EUROPOL verbundene Zentralisierung, noch die Einrichtung von Informationssystemen für sensible Daten wurden von den Delegationen in Frage gestellt. Umstritten waren vielmehr formelle Souveränitätsfragen und der Grad der „Vergemeinschaftung“, z.B. der Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – nicht jedoch als Klageinstanz für Betroffene, sondern bei Auslegungsstreitigkeiten zwischen den nationalen Polizeien und Exekutiven.

Statt einer fertigen Konvention beschlossen die Innenminister im Dezember 1994 eine „gemeinsame Maßnahme“, die im März 1995 unterschrieben wurde und mit der die Zuständigkeit der EDU auf die Verschiebung von Kraftfahrzeugen und Ladungen, den Schmuggel mit radioaktiven Substanzen und die illegale Einschleusung von Ausländern ausgedehnt wurde. Am 26. Juli 1995 folgte die Unterzeichnung durch die „ständigen Vertreter“.

Ein eigenständiger Organismus …

In Artikel 40 der unterschriebenen Fassung ist der EuGH nicht mehr vorgesehen, er taucht nur noch in einem faulen Kompromiß auf, einem Protokoll aller EU-Staaten außer Großbritannien, in dem diese erklären, Streitfälle nach Ablauf der Frist „systematisch dem Gerichtshof der Europäischen Ge-meinschaften“ vorzulegen. Statt einer Kontrolle durch den Rechnungshof der EG sind ein eigenständiger Finanzkontrolleur und eine eigenständige Rech-nungsprüfung vorgesehen (Art. 35 und 36). Das Europa-Parlament (EP) wird nur in (dürftigen) jährlichen Berichten informiert (Art. 34). EUROPOL erhält den Status einer ‚juristischen Person‘ und kann Verträge mit Drittstaaten und „Drittstellen“, z.B. Interpol, abschließen (Art. 26). Alle wesentlichen Entscheidungen verbleiben beim Ministerrat, beim Verwaltungsrat (pro Staat ein Mitglied – Art. 28) und beim Direktor (Art. 29).

… mit umfassenden Zuständigkeiten …

Nach Art. 2 soll EUROPOL die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten „im Hinblick auf die Verhütung und die Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität“ verbessern. Voraussetzung für das Tätigwerden sind „tatsächliche Anhaltspunkte für eine kriminelle Organisationsstruktur“ sowie, daß mindestens zwei Mitgliedstaaten von den „genannten Kriminalitätsformen“ betroffen sind. Die Zuständigkeiten sind vorläufig auf den Drogenhandel sowie die durch die gemeinsame Maßnahme eingeführten Deliktsbereiche beschränkt. Durch einstimmigen Beschluß des Rates sollen sie schrittweise erweitert werden auch um den Terrorismus, der auf Drängen Spaniens spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags einbezogen werden muß. Integriert würde damit auch das nach wie vor existierende Netzwerk von TREVI I (AG Terrorismus).

EUROPOL wird so zur EU-weiten Staatsschutzpolizei.
Die Drogenbekämpfung hat zwar die Legitimation für den Aufbau von EUROPOL abgegeben, ist aber nur eine unter vielen Zuständigkeiten des zukünftigen Amtes, das damit zur Allround-Informationszentrale für alles wird, was sich als organisierte Kriminalität interpretieren läßt.
Die praktische EUROPOL-Kooperation soll sich zwischen den „nationalen Stellen“ (Art. 4), den von ihnen entsandten Verbindungsbeamten (Art. 5) und dem originären EUROPOL-Personal abspielen. Die bereits in der EDU vorhandene Struktur wird damit bestätigt. Die zentralisierende Wirkung von EUROPOL ergibt sich dabei nicht nur aus den vorgesehenen gemeinsamen Datensammlungen auf EU-Ebene, sondern auch durch den Zwang zur Zusammenarbeit der verschiedenen in den Mitgliedstaaten selbst existierenden Polizeien und Zollbehörden.

… ausuferndem Dateikonzept …

Die „Systemarchitektur“ von EUROPOL, über die schon 1994 Einigkeit bestand, beinhaltet drei Dateitypen:
– Ein „Informationssystem“ (Art. 7-9), vergleichbar dem Kriminalaktennachweis im Rahmen des bundesdeutschen INPOL-Systems: Neben den Personalien und unveränderlichen Kennzeichen der Betroffenen sollen hier Straftaten (einschl. Tatort, -zeit und -mittel) und die aktenführende Dienststelle gespeichert werden. Dieses Personenregister soll aber nicht nur Verurteilte und konkret Tatverdächtige speichern, sondern auch ‚andere Personen‘, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie Straftaten begehen werden“, für die EUROPOL zuständig ist. EUROPOL sorgt dabei für das technische Funktionieren; abrufen und eingeben können jedoch auch die Mitgliedstaaten und ihre Verbindungsbeamten.

– Arbeitsdateien zu Analysezwecken (Art. 10), die jeweils zu Fallkomplexen, vermuteten organisierten Zusammenhängen oder aber zur Erstellung von Lagebildern errichtet werden können. Die Daten werden entweder von den nationalen Stellen angeliefert oder von EUROPOL bei anderen EU-Stellen, bei Interpol und bei Polizeien von Nicht-EU-Staaten erbeten. Zu jeder Analy-sedatei wird eine Analysegruppe aus EUROPOL-Bediensteten und „Verbin-dungsbeamten und/oder Sachverständigen der (betroffenen) Mitgliedstaaten“ gebildet. Bei „allgemeinen und strategischen Analysen“ auf der Basis von nichtpersonenbezogenen Daten erhalten die Verbindungsbeamten aller Mit-gliedstaaten Kenntnis. Bei Analysen von „Einzelfällen“ zu „unmittelbar ope-rativen Zwecken“ werden nur diejenigen Staaten einbezogen, die von den Aktivitäten der (vermuteten) Täter betroffen sind. Zum Abruf oder zur Eingabe sind nur die EUROPOL-Mitarbeiter der Analysegruppe berechtigt. Ein unmittelbarer Abruf durch die nationalen Stellen ist nicht erlaubt. Sowohl hinsichtlich des gespeicherten Personenkreises als auch bezüglich des Datenumfanges gehen die Arbeits- bzw. Analysedateien weit über das Informa-tionssystem hinaus. Zusätzlich zu den Verurteilten und (möglichen) Ver-dächtigen sollen auch (mögliche) Zeugen, (mögliche) Opfer, Kontakt- und Begleitpersonen sowie „Personen, die Informationen über die betreffenden Straftaten liefern können“, gespeichert werden. Gemäß einem Entwurf von Durchführungsbestimmungen von 1995 sollen über sie „personenbezogene Daten allgemeiner Art“ (von den Personalien bis hin zu körperlichen Merkmalen, Telefon- und Bankverbindung) und „besonderer Art“ (von der „rassischen Herkunft“ über politische und religiöse Anschauungen bis hin zu Angaben über Gesundheit und Sexualleben erfaßt werden können (Art. 4 Durchf.Best.). Auch wenn dieser Entwurf noch geändert wird, so zeigt er doch an, welche Art von Daten in eine sogenannte operative Analyse eingehen können und sollen.

– Das Indexsystem (Art. 11), anhand dessen die Verbindungsbeamten der ur-sprünglich nicht am jeweiligen Analyseprojekt beteiligten Mitgliedstaaten entscheiden können, ob sie die Aufnahme in die Analysegruppe beantragen.

… und minimalem Datenschutz

Während das Datenkonzept für EUROPOL und die Übermittlungsmöglichkeiten an Drittstaaten und -stellen ausufern, sind die Rechte der Betroffenen minimal. Das Auskunftsrecht (Art. 19) stößt nicht nur auf die Einschränkungen in der Konvention selbst, sondern ist zusätzlich an die nationalen Rechts-vorschriften gebunden, d.h. in einigen Ländern (wie Großbritannien) faktisch ausgeschlossen. Gegen eine Mitteilung haben die Staaten, die die Information eingegeben haben oder von ihr betroffen sind, ein Vetorecht. Auskünfte aus operativen Analysedateien bedürfen gar des Konsenses aller Beteiligten einer Analysegruppe. Da ein großer Teil der Analysedaten ohnehin als geheim oder vertraulich eingestuft werden dürfte – ein Entwurf für Geheimschutzregeln existiert schon -, ist kaum mit großer Offenheit zu rechnen. Auch die Appellation an die einzurichtende gemeinsame Datenkontrollkommission (Art. 24) dürfte kaum etwas nutzen.

Unternehmen mit Zukunft

Auch ohne vertragliche Grundlage präsentiert das Unternehmen schon Er-folgsbilanzen: 1994 hat EDU 595 Anfragen (160 aus Deutschland) bearbeitet. Im ersten Halbjahr 1995 waren es bereits 660 Fälle. Neben dieser unmittelbar polizeilichen Funktion zeigt sich zudem eine politische: Auch wenn die EU-zentral produzierten Lagebilder von geringem ermittlungspraktischem Wert sind, so helfen sie doch, den Teufel ‚organisierte Kriminalität‘, der bereits heute die kriminalpolitische Debatte in den EU-Staaten dominiert, weiter an die gemeinsame Wand zu malen. Diese Beschwörungen beeindrucken auch zunehmend das von Entscheidungsbefugnissen ausgeschlossene EP. Zwar zeichnete sich Mitte März ab, daß das Parlament den nationalen Parlamenten empfehlen wird, die Konvention solange abzulehnen, wie nicht die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes festgeschrieben und die Datenschutzbestimmungen verbessert sind. Aber der weitere EUROPOL-Ausbau wird grundsätzlich begrüßt – einschließlich der Übertragung operativer Befugnisse.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.