Aktenauskunft und Akteneinsicht bei der Berliner Polizei – Betrachtung aus Sicht des Datenschutzes

von Claudia Schmid

Das Recht der Bürger auf Zugang zu ihren Daten ist von elementarer Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies im Volkszählungsurteil von 1983 besonders hervorgehoben: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß“.

Zwar auf das Volkszählungsgesetz bezogen, aber durchaus auch auf andere Bereiche übertragbar, heißt es in der Entscheidung an anderer Stelle: „Würde das Volkszählungsgesetz 1983 demnach verhindern, daß der Bürger Kenntnis erlangen könnte, wer wo über welche seiner personenbezogenen Daten in welcher Weise und zu welchen Zwecken verfügt, so wäre sein Rechtsschutz verfassungsrechtlich unzureichend.“

Erstmals wurde dieses Recht auf Zugang zu den zur eigenen Person vorhandenen Daten im Bundesdatenschutzgesetz von 1977 und den anschließend erlassenen Landesdatenschutzgesetzen normiert. Allerdings mit erheblichen Einschränkungen: Es wurde nur ein Auskunftsrecht und kein Einsichtsrecht zugestanden. Die Auskunftspflicht der Behörden beschränkte sich auf die personenbezogenen Daten, die in Dateien gespeichert waren; ein Anspruch auf Auskunft über die in Akten enthaltenen Daten war nicht vorgesehen. Die Polizei und die Nachrichtendienste sowie die Staatsanwaltschaft und die Finanzbehörden wurden pauschal von der Auskunftspflicht ausgenommen.

Die Herausnahme ganzer Bereiche von der Auskunftsverpflichtung war jedoch nicht durchzuhalten. Zunächst von den Datenschutzbeauftragten postuliert, später von den Gerichten bestätigt, mußte man davon ausgehen, daß die Datenschutzgesetze zwar bei den genannten Stellen ein subjektives Recht auf Auskunft nicht gewährten, die privilegierten Behörden dennoch zu einer Ermessensausübung verpflichtet waren, die dann zumindest zu einer eingeschränkten Auskunftspflicht führte. Dies akzeptierte auch der Polizeipräsident in Berlin, als er sich Anfang der 80er Jahre mit einer Vielzahl von Auskunftsersuchen von Bürgern konfrontiert sah.

Auskunftspraxis

Spätestens nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts war klar, daß für das Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht weitergehende Regelungen, die auch die Polizei und die anderen sog. Sicherheitsbehörden einschließen, erforderlich werden würden. Nach jahrelangen Diskussionen wurden schließlich in den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder hierfür neue Rechtsgrundlagen geschaffen.

Das Berliner Datenschutzgesetz von 1990 (1) beseitigte dabei sämtliche pauschalen Einschränkungen des Auskunftsrechts und ersetzte sie durch die Verpflichtung, im Einzelfall abzuwägen, ob überwiegende Geheimhaltungsgründe bestehen. Der Bürger kann nun wählen, ob er Auskunft oder Akteneinsicht begehrt. Eine Unterscheidung danach, ob die Daten in Dateien oder in Akten gespeichert sind, erfolgt nicht mehr. Die Privilegierung bestimmter Behörden ist entfallen. Auch für den Polizeibereich sieht das Datenschutzgesetz ein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht vor. Durch spezialgesetzliche Sonderregelungen ist jedoch das im Datenschutzgesetz großzügig und bürgerfreundlich gestaltete Einsichtsrecht in eigene Daten wieder zurückgenommen worden.

Bei der Novellierung des ‚Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung‘ in Berlin (ASOG) vom 14.4.92 (2) wurde nur der Auskunftsanspruch des Datenschutzgesetzes übernommen. Die Polizei hat nun nach § 50 Abs. 1 ASOG Auskunft über die gespeicherten Daten zu erteilen, unabhängig davon, ob sie in Akten oder Dateien enthalten sind. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung besteht nicht, soweit eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung ergibt, daß die schutzwürdigen Belange des auskunftsbegehrenden Bürgers hinter dem öffentlichen Interesse an der Geheimhaltung oder einem überwiegenden Geheimhaltungsinteresse Dritter zurücktreten müssen. Dies entspricht der Regelung im Datenschutzgesetz.

Beschnitten wurde dagegen das Recht des Bürgers, neben der Auskunft auch Akteneinsicht zu verlangen. Die Einsichtnahme in über ihn vorhandene Unterlagen steht nunmehr im Ermessen der Polizei (§ 50 Abs. 6 ASOG).

In der Praxis des Berliner Landeskriminalamtes führte das zunächst dazu, daß Bürger auf ihr Auskunftsersuchen eine Auflistung der im ‚Informationssystem Verbrechensbekämpfung‘ (ISVB) registrierten Vorgänge (Ermittlungen, Anzeigen usw.) erhielten. Weitere im ISVB gespeicherte Daten, z.B. als „zum Teil erläuternde Daten“ bezeichnete Angaben, wurden anfangs ebensowenig mitgeteilt, wie die in der Kriminalakte enthaltenen Daten. Inzwischen werden auch Auskünfte über in Kriminalakten gespeicherte Daten erteilt. Der Umfang dieser Auskunft wurde nach Beschwerden Betroffener und Kritik durch den Berliner Datenschutzbeauftragten erheblich erweitert und gibt inzwischen den Inhalt jedes Blattes der Kriminalakte wieder. Dennoch ist diese Auskunft über den Akteninhalt nur eine allgemein gehaltene Inhaltsangabe. Um vollständig Kenntnis über die Informationen zu erhalten, welche die Polizei besitzt, muß der Bürger auf seinem Einsichtsrecht bestehen. Die dem Wortlaut nach anscheinend unverbindliche Kann- Vorschrift in § 50 Abs. 6 ASOG nutzt die Polizei allerdings als Möglichkeit, die Einsichtnahme grundsätzlich zu verweigern. Die dem Charakter des Einsichtsrechts hohnsprechende Begründung lautet dabei, das Einsichtsrecht des ASOG sei nur als Möglichkeit zur Arbeitserleichterung gedacht. Auf Wunsch der Polizei durften daher anfangs auch die an das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz übermittelten Unterlagen bei einer evtl. dort gewährten Akteneinsicht dem Betroffenen nicht vorgelegt werden. Später wurde die Vorlage der beim Verfassungsschutz vorhandenen polizeilichen Mitteilungen zumindest in wenigen Einzelfällen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für möglich gehalten.

Forderungen

Das Akteneinsichtsrecht ist Ausfluß des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, und auch § 50 Abs. 6 ASOG ist im Lichte dieses Grundrechts auszulegen. Es ist daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Gewährung von Akteneinsicht möglich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es für den Betroffenen ein fundamentaler Unterschied ist, ob ihm der Inhalt seiner Akte geschildert wird oder ob er Gelegenheit hat, die Akte selbst einzusehen. Die von der Polizei vorgenommene Auslegung der Norm stellt einseitig die Interessen der Polizei in den Vordergrund und ist somit rechtswidrig. Zudem belegt die Begründung des Referentenentwurfs zum ASOG, der von den Regierungsfraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht wurde, daß nicht die ‚Arbeitserleichterung‘ das Motiv für die einschränkende Regelung zur Akteneinsicht war. Vielmehr sollte verhindert werden, daß durch ein vorzeitiges Bekanntwerden von Informationen polizeiliche Aufgaben unterlaufen werden könnten.

Bei der Polizei und dem Datenschutzbeauftragten besteht inzwischen dahingehend Einigkeit, daß der Bürger, der einen Antrag auf Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten gestellt hat, in die Lage versetzt werden muß, die ihm erteilte Auskunft nachvollziehbar einzuordnen. Voraussetzung dafür ist, daß dem Bürger Art und Umfang der Datenspeicherung sowie Anlaß und Umstände der Datenerhebung mitgeteilt werden. Diese Kriterien gelten unabhängig davon, ob über den Betroffenen nur einige wenige oder aber eine Fülle von personenbezogenen Daten zu einer Vielzahl von Sachkomplexen gespeichert sind. Auch der Umstand, daß der Betroffene mittelbar an der Datenerhebung (z.B. im Rahmen einer Vernehmung) mitgewirkt hat, ist in diesem Zuammenhang nicht relevant. Das in § 50 ASOG geregelte Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht des Betroffenen dient auch dem Zweck, ihm die Überprüfung polizeilichen Handelns im Zusammenhang mit der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zu ermöglichen. Die auch im ASOG vorgesehenen Berichtigungs-, Löschungs- bzw. Sperrungsansprüche können nur effektiv umgesetzt werden, wenn dem Bürger zuvor umfassend und für ihn nachvollziehbar Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten gewährt wird. Bei korrekter Rechtsanwendung hat dies zur Folge, daß im Rahmen der Auskunftserteilung aus jeder vorhandenen Unterlage ein Extrakt zu fertigen ist, der den Auskunftsbegehrenden auch in die Lage versetzt, die über seine Person im einzelnen gespeicherten Daten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Trotz des erheblich erweiterten Umfangs der Aktenauskunft entsprechen die Auskunftsbescheide der Polizei diesen Anforderungen nicht.

Nicht zuletzt auch unter dem Aspekt des erheblichen Arbeitsaufwandes, der mit einer den datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprechenden Auskunft verbunden ist, dürfte die Gewährung der Akteneinsicht deutlich weniger aufwendig und damit zweckmäßiger sein. In anderen Bereichen, für die das ASOG ebenfalls anwendbar ist, wurden hieraus schon Konsequenzen gezogen: So wird bspw. das Landeseinwohneramt zukünftig bei Führerscheinakten regelmäßig dem Betroffenen die Möglichkeit geben, von der Akteneinsicht Gebrauch zu machen. Diese Verfahrensweise sollte auch von der Polizei übernommen werden. Gedacht werden könnte aber auch an ein zweistufiges Verfahren: In der ersten Stufe kann, in dem von der Polizei weiterentwickelten Umfang, Auskunft über den Akteninhalt gewährt werden. In der zweiten Stufe sollte dem Betroffenen dann die Möglichkeit einer Akteneinsicht angeboten werden. Eine Beschränkung allein auf die Auskunftserteilung kommt nur in Betracht, wenn die Daten des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhaltungsbedürftigen Daten derart verbunden sind, daß ihre Trennung auch durch Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich ist. Dies dürfte allerdings bei Kriminalakten, die zu dem Betroffenen angelegt sind und deshalb nur Daten zu seiner Person enthalten dürfen, die Ausnahme sein.

Welchen Weg auch immer die Polizei wählt, die bisherige Praxis, den Betroffenen ihre Akte grundsätzlich vorzuenthalten, wird sich nicht aufrechterhalten lassen. Eine Klage hierzu war beim Berliner Verwaltungsgericht 1995 schon anhängig und hat sich nur erledigt, weil die Daten schließlich mit Einverständnis des Betroffenen vorzeitig gelöscht wurden.

Claudia Schmid ist stellvertretende Datenschutzbeauftragte in Berlin
(1) in: GVBl. 1991, S. 16, 54; zuletzt geändert durch Gesetz v. 3.7.95, in: GVBl. 1995, S. 404
(2) in: GVBl. 1992, S. 119ff.; zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.7.94, in: GVBl. 1994, S. 241