von Otto Diederichs
Irgendwann zu Beginn der 70er Jahre muß Frau Gabriele Weber erstmals in den Blick der deutschen Sicherheitsbehörden geraten sein: Die damals Jugendliche war Mitglied der ‚Roten Hilfe Bonn‘, einer jener undogmatischen Gruppen dieser Zeit, die sich der Gefangenenbetreuung widmeten. Den sog. ‚Knastgruppen‘ schenkten Verfassungsschutz und Polizeilicher Staatsschutz ein besonderes Augenmerk, da man sie pauschal der Unterstützung des Terrorismus verdächtigte. Genau bekannt ist es trotz aller Bemühungen zwar auch heute noch nicht, aber sehr wahrscheinlich war dies der Grund. Wenn nicht, beginnt die Geschichte mit Sicherheit am 18. Oktober 1974.
An diesem Tag wurde Jürgen Bodeux, später Kronzeuge im sog. ‚Schmücker-Prozeß‘, aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit zur Vernehmung gebracht. In diesem bisher längsten Strafprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik, welcher von Justizskandalen nur so wimmelte, ging es um die Verwicklungen der Sicherheitsbehörden in den Feme-Mord an dem V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes Ulrich Schmücker. (1)
Bei seiner Vernehmung gab Bodeux, dessen Rolle in diesem Fall, wie so vieles anderes auch, nie völlig geklärt werden konnte, u.a. zu Protokoll: „Anfang März 1974 (…) brach ich meine Lehre in Köln ab und zog nach Bonn (…) zu Gaby Weber, die ich aus der ‚Roten Hilfe‘ Bonn kannte“. (2) Spätestens mit dieser Aussage also war Frau Weber endgültig ins Visier der Behörden geraten.
Datenschatten
Sechs Jahre später hatte sie sich als Journalistin für Fragen des Strafvollzugs, der Inneren Sicherheit und des internationalen Drogenhandels einen Namen gemacht. Im August 1980 war in diesem Zusammenhang mit dem damaligen Senatsdirektor in der Berliner Justizverwaltung, Alexander von Stahl, ein Gespräch vereinbart worden. Zwar führte dieses nicht zu dem ursprünglich gewünschten Erfolg, einer Gesprächserlaubnis mit der Redaktion der Gefangenenzeitung ‚Blitzlicht‘, brachte statt dessen aber anderweitig aufschlußreiche Erkenntnisse. Um sein Veto zu begründen las der spätere Generalbundesanwalt, der verdutzten Frau aus einem V-Mann- Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) von 1976 vor. Danach sollte sie im Mai 1976 während einer Veranstaltung in der Mensa der Bonner Universität u.a. gesagt haben: „Den Wärterinnen im Knast würde ich alles zutrauen, auch daß sie in die Zelle kommen und einen aufhängen. Deshalb weiß ich, daß Ulrike Meinhof ermordet worden ist.“ (3)
Frau Weber forderte das BfV daraufhin auf, ihr Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, wozu sich das Amt jedoch „aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage“ sah. Daraufhin reichte ihr Anwalt im Januar 1981 eine Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein. Es wurde die erste in einem nunmehr schon 15jährigen Versuch, Aktenauskünfte über die eigene Person zu erhalten.
Ein gutes Jahr nach dieser Klage, Anfang 1982, wurde der Grundstein für eine weitere Auseinandersetzung mit den Sicherheitsbehörden gelegt. Der Beginn hätte kaum harmloser sein können: Wie viele hundert andere BerlinerInnen erbat auch Frau Weber mittels einer Postkarte aus dem offiziellen ‚Datenscheckheft‘ des Berliner Datenschutzbeauftragten beim Berliner Polizeipräsidenten um Auskunft darüber, ob und ggf. welche personenbezogenen Daten man in den dortigen kriminalpolizeilichen Sammlungen über sie gespeichert habe. Anfang Mai lehnte die Polizei diese Auskunft ab. Daraufhin wurde auch in diesem Falle eine Klage eingereicht. (4)
1984, im ‚Orwell-Jahr‘ schließlich folgte eine dritte Klage, diesmal gegen das Bundeskriminalamt (BKA), welches sich ebenfalls geweigert hatte, beantragte Auskünfte zu erteilen. (5)
Frau Weber hatte allen Grund, sich mit der Verweigerungshaltung der Behörden nicht einfach zufriedenzugeben. Der Journalistin waren schon vor den Äußerungen von Stahls 1980 mehrfach Behinderungen ihrer Arbeit aufgefallen. In der Summe ließen sie letztlich nur den Schluß zu, daß hinter den Kulissen an Fäden gezogen wurde, die in Dateien der Sicherheitsbehörden ihren Anfang haben mußten: So teilten ihr z.B. gelegentlich einige ihrer Auftraggeber mit, das Bundeskriminalamt habe sich nach ihr erkundigt. Dann und wann informierte sie auch einer ihrer Gesprächspartner, daß nach ihrem Besuch BKA-Beamte vor der Tür gestanden hätten, um sich nach den Inhalten und Umständen der Interviews zu erkundigen.
Grelles Licht
Auch die gemeinhin eher trockene Materie von Verwaltungsstreitverfahren kann grelle Lichter werfen und somit erhellend wirken. Während in den Verfahren gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Berliner Polizei bis heute weitgehend Stillstand herrscht (in beiden Fällen ist seit nunmehr sechs Jahren eine Verfassungsbeschwerde anhängig) kam in die Klage gegen das Bundeskriminalamt 1993, neun Jahre nach der Klageerhebung überraschend Bewegung. Im Februar 1993 erhielt der Anwalt von Frau Weber vom Datenschutzbeauftragten des BKA folgende Mitteilung: „In den Dateien des Bundeskriminalamtes sind über ihre Mandantin keine kriminalpolizeilichen Erkenntnisse gespeichert. Allerdings ist aus früherer Zeit noch eine Akte vorhanden, aufgrund derer personenbezogene Daten im geringstmöglichen Umfang (Familienname, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Aktenzeichen) über ihre Mandantin in der Datei ‚Vorgangsnachweis Personen (VNP)‘ erfaßt sind; diese Datei dient dem BKA lediglich zum Auffinden von Vorgängen administrativer Art. Übermittlungen aus der Datei ‚VNP‘ an Dritte finden nicht statt.“ (6) Damit, so meinte das BKA, habe es seiner Auskunftspflicht Genüge getan. Dies allerdings war verfrüht; nichts war erledigt und in den folgenden zwei Jahren konzentrierte sich die Auseinandersetzung nun auf die ‚VNP‘-Akte, die nach Lesart des BKA als nicht „auskunftsfähig“ galt.
Der Wechsel trat ein, als Anfang 1995 beim hessischen Verwaltungsgericht die Zuständigkeit auf einen anderen Senat überging. Der neue Vorsitzende Richter Haensel sah die ‚VNP‘-Akte als das an, was sie nach dem Bekunden des Bundeskriminalamtes offenkundig war – als einen Verwaltungsvorgang in den grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht besteht und forderte deren Überstellung an das Gericht: „Das Verfahren, dessen Bearbeitung der Senat zu Anfang des Jahres übernommen hat, ist das mit Abstand älteste im Senat. Mir ist daher daran gelegen, es nach der ganz ungewöhnlich langen Bearbeitungsdauer unverzüglich zum Abschluß zu bringen. Daher bitte ich um beschleunigte Bearbeitung (…)“. (7) Erstaunlicherweise wirkte der Ärger. „Der Begriff ‚auskunftsfähig‘ bezieht sich auf die Auskünfte an Dritte. Betroffene selbst erhalten aus VNP- Beständen grundsätzlich Auskunft“, teilte das BKA nun mit (8) und überstellte neben der VNP-Akte gleich auch noch einen Vorgang der Abteilung Terrorismusbekämpfung (TE) und des Staatsschutzes (StS).
Diese Akten, die nach bisheriger Lesart lediglich „personenbezogene Daten im geringstmöglichen Umfang“ enthalten sollten, umfaßten in Wahrheit ca. 500 Blatt und waren höchst aufschlußreich: So fanden sich neben Kopien von diversen Veröffentlichungen von Frau Weber z.B. unter dem Betreff ‚Bekämpfung anarchistischer Gewalttäter‘ Aktenvermerke der Abt. TE über ein Gespräch, das 1974 für die Schülerzeitung ‚Tomate‘ mit dem Betreiber eines Segelflugplatzes geführt worden war. (9) Oder: Zur Vorbereitung eines Interviews, das der seinerzeitige Berliner Leitende Kriminaldirektor Manfred Kittlaus ihr 1979 für eine Stern-Reportage zum Drogenhandel durch türkische Rechtsextremisten gewährte, hatte er zuvor ihre Kriminalakte angefordert. Mit dem Vermerk „Während des Interviews gewann Herr Kittlaus den Eindruck, daß G.W. nicht ahnte oder merkte, daß man sich über ihre Person vorher ausgiebig informiert hatte. Links- bzw. Anti-Rechts-Tendenzen wurden im Gespräch deutlich erkennbar.“, wurde die Akte anschließend „an TE zurück“ gegeben. (10) Auch nach einem Interview in der Rauschgiftabteilung des BKA mußte der interviewte Beamte 1985 anschließend einen Vermerk über Inhalt und Dauer des Gesprächs verfassen, der anschließend der Kriminalakte beigeheftet wurde – usw, usw. Mit einem Wort, die journalistischen Aktivitäten von Frau Weber wurden über alle Jahre genau beobachtet – sie stand ‚unter Dampf‘ wie es im Jargon heißt.
Optimismus
Zum Schluß doch ein Sieg des Rechts auf Aktenauskunft? Davon sind die bisher erstrittenen Auskünfte noch weit entfernt. Die Akten des Verfassungsschutzes und der Berliner Polizei sind auch nach 15 Jahren Verfahrensdauer noch unbekannt. Und auch das Bundeskriminalamt hatte vor der Aktenüberstellung 1995 schnell noch eine Notbremse gezogen und Teile der Akte zuvor vernichtet, wie sich aus der Paginierung der Seiten ergibt. Weitere Aktenteile hat die Generalbundesanwaltschaft, rechtzeitig an sich gezogen, da Frau Weber in einem bisher nicht näher bezeichneten Verfahren als Zeugin gebraucht werde.
Die Anwälte der heute 42jährigen Gabriele Weber haben im Dezember 1995 wegen der widerrechtlichen Vernichtung von Aktenmaterial Strafanzeige gegen das Bundeskriminalamt gestellt und Mitte Januar 1996 auch in diesem Falle eine Verfassungsbeschwerde eingereicht – nunmehr die dritte. Dennoch geben sie sich optimistisch: „Länger als die bisherigen 15 Jahre dauert es nun wohl nicht mehr.“