Gössner, Rolf / Neß, Oliver:
Polizei im Zwielicht. Gerät der Apparat außer Kontrolle?; Campus Verlag, Frankfurt/M., New York 1996, 266 S., 29,80 DMDer Bremer Rechtsanwalt, Publizist und rechtspolitische Berater der bündnisgrünen Landtagsfraktion in Niedersachsen hat ein neues Buch veröffentlicht. Diesmal gemeinsam mit dem Hamburger Journalisten Oliver Neß und mit informatorischer Unterstützung der ‚Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten‘. Ein erster orientierender Blick auf die sechs Kapitelüberschriften des Buches deutet an, daß es sich hier in weiten Teilen um eine Fortschreibung seines ersten Buches ‚Der Apparat‘ (1982) handelt. So wird den ‚Insidern‘ unter den LeserInnen denn auch vieles bekannt vorkommen. Dennoch ist eine Aktualisierung nach rund 15 Jahren kein unvernünftiges Herangehen. Schließlich geht mit den Jahren doch immer wieder vieles an Wissen und Information verloren.
Zugleich ist dieses Buch in erster Linie als Einstiegslektüre für interessierte Laien zu betrachten. Auch wenn Polizeiübergriffe, Rechtsradikalismus und (polizeiliche) Fremdenfeindlichkeit die Leitlinien des Buches sind, finden diese auch über den jeweiligen Skandal hinaus eine Fülle von Fakten und Hintergründen. Ein mehrseitiger Literaturanhang gibt Interessierten darüber hinaus die Möglichkeit, entsprechend den eigenen ‚Vorlieben‘ gezielt im Thema weiterzulesen.
So weit – so gut. Fakten- und Facettenreichtum ist man von Gössner gewohnt; es gehört zu den stärkeren Seiten seiner Bücher, auch wenn ihm gelegentlich kleinere Fehler unterlaufen: Etwa wenn er die Polizeipräsidentin von Eberswalde Uta Leichsenring, zur „erste(n) und einzige(n) Polizeipräsidentin im vereinten Deutschland“ ernennt (S. 92). Damit wird mit Monika Scheuffler als Wasserschutzpolizeipräsidentin nicht nur Brandenburgs zweite Frau in der Polizeispitze unterschlagen, insgesamt liegt der Autor hier um gut dreieinhalb Jahre in der Zeit zurück (20.5.88: Gertrud Bergkemper-Marks, Leverkusen). Doch das sind ‚peanuts‘, die der ansonsten überwiegend richtigen Ein- und Zuordnung der Informationen keinen Abbruch tun. Sie wären nicht einmal erwähnenswert, durchschiene das gesamte Buch nicht immer wieder die Neigung, eigenes Wissen und Wirken besonders herauszustellen (insb. S. 27-30) und gäbe es da nicht jene Stelle, wo ‚Bürgerrechte & Polizei/CILIP‘ eine ablehnende Haltung zur Einrichtung von sog. ‚Polizeibeauftragten‘, als Kontrollinstanz und Mittler zwischen Polizei und Bevölkerung nachgewiesen werden soll (S. 231). Das hierzu angeführte Zitat stammt indes aus dem Jahre 1983, also der ganz frühen Zeit der Diskussionen um neue demokratische Formen der Polizeikontrolle. Es ist längst überholt, und die im Laufe jahrelanger Diskussionen um derartige Fragen gefundene Position unterscheidet sich heute nicht allzu sehr von der Gössners. Da ihm dies wohlbekannt ist, muß man (wohl oder übel) mutmaßen, daß bewußt kein aktuelleres Material herangezogen wurde, um die ‚Exklusivität‘ des eigenen Gesetzentwurfes zur Einrichtung eines Polizeibeauftragten in Hamburg (S. 227-233) nicht zu ‚gefährden‘.
Bleibt abschließend die Frage nach Oliver Neß, der als Autor eines der sechs Kapitel (Kap. 1) im Buch allerdings eine eher nachgeordnete Rolle spielt. Seine Darstellung des Anfang Juni 1995 (aller Wahrscheinlichkeit nach gezielt) gegen ihn gerichteten Polizeiübergriffes, bei dem ihm die Bänder des rechten Fußes zerrissen wurden, ist die Schilderung aus der Perspektive des Geschundenen (S. 32-47). Sie darf deshalb subjektiv ausfallen und in entsprechend starken Worten erzählt werden. Das ist legitim! Problematischer wird es jedoch, wenn sich der gleiche Ton in den übrigen Teilen seines Kapitels fortsetzt. Was bei der Darstellung der eigenen Mißhandlung verständlich und akzeptabel ist, wird in diesen Texten zu jenem skandalisierenden Tenor, der die eigene Person stets ins warme Licht der ‚reinen Wahrheit‘ rückt und sie zugleich davor bewahrt, sich einer tiefergehenden Analyse zu stellen.
Eine Gesamtwertung des Buches muß somit zwiespältig bleiben: Der Versuch, mittels einer übergreifenden Betrachtung des deutschen Polizeiapparates den Wissenslücken der nachwachsenden Generationen, dem inflationären Ausbau polizeilicher Rechte und Zuständigkeiten bei gleichzeitigem (allgegenwärtigem) Desinteresse an Bürgerrechtsfragen etwas entgegenzusetzen, ist richtig und vernünftig. Daß dies vorrangig entlang vergangener und jüngerer Polizeiskandale geschieht, ist insoweit etwas unglücklich, als es das Gesichtsfeld unnötig einengt. Geht der Blick da nicht immer wieder zurück auf das gesellschaftliche Ganze, entsteht schnell ein Zerrbild. Davon ist das Buch leider nicht frei geblieben.
20 Jahre radikal. Geschichte und Perspektiven autonomer Medien, Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg; Unrast Verlag, Münster; Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße, Berlin; Edition ID-Archiv Berlin 1996, 240 S., 29,80 DM
Dieses Buch hat keine namentlichen Autoren. Dafür aber eine Fülle von Mitherausgebern, deren Nennung eine halbe Seite füllt (darunter auch unsere Redaktion) und gleich vier Verlage. Das hat es seit dem Nachdruck des sog. ‚Buback-Nachrufes‘ 1977 in der Geschichte linker Veröffentlichungen nicht mehr gegeben. Versucht wird die Darstellung der Geschichte und der wechselvolle Weg der 1976 entstandenen Zeitschrift ‚radikal‘ von einem Blättchen der Berliner undogmatischen Linken zur wichtigsten (konspirativ hergestellten und vertriebenen) Publikation der militanten Linken in der Bundesrepublik. An dieser Entwicklung haben die Strafverfolgungsbehörden, allen voran die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe, einen entscheidenden Anteil – und so entstand die Idee zu diesem Buch auch nicht zufällig im Sommer 1995, als die Staatsschutzorgane in einem Rundumschlag zeitgleich bundesweit rund 50 Durchsuchungen durchführten, um die ‚radikal‘ und ihr Umfeld aufzurollen. Dabei hatte sie, als sie 1986 durch ein Verbot endgültig kriminalisiert wurde, die Terrorismushysterie des ‚Deutschen Herbstes‘ (1977ff.) und die militanten Auseinandersetzungen der ‚Häuserkampfbewegung‘ in den frühen 80ern – in der Rückschau fast schadlos – legal überstanden. Grund für das seinerzeitige Verbot waren Anleitungen für die Zerstörung von Leitungsmasten zur Übermittlung von Atomstrom, den Bau von Sprengkörpern mit Selbstlaborat u.ä – und last not least das offene Bekenntnis zur Notwendigkeit solcher Aktionen. Zumindest in der Anfangszeit waren solche ‚Bastelanleitungen‘ nahezu durchweg (para)militärischen Publikationen (insb. dem Handbuch des Schweizer Majors H. von Dach „Der totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für jedermann“) entnommen und der technischen Entwicklung entsprechend modifiziert worden. Während diese Werke unbehelligt blieben, zog die ‚radikal‘ zunehmend das staatsschützerische Interesse auf sich. Der Weg wurde damit vorgezeichnet: Anfangs von maskierten HandverkäuferInnen in Blitzaktionen in linken Kneipen angeboten, dann im benachbarten Ausland produziert und postalisch vertrieben, ist sie heute nur noch über Deckadressen mit neutralen Rückumschlägen (und neuerdings auch via Internet) zu haben. Zunehmend radikalisierten sich damit (beinahe zwangsläufig) auch die HerausgeberInnen. So hat sich die Bundesrepublik ihre GegnerInnen stets tatkräftig mitgeschaffen.
Dieser Teil der ‚radikal‘-Geschichte kommt im vorliegenden Buch allerdings zu kurz. Man muß ihn kennen oder sich (fragmentarisch) zusammensuchen. Im Vordergrund stehen Selbstverständnis und Standortbeschreibungen in den Diskussionen um linke Militanz. Das ist nicht unwichtig, denn wer sonst soll die Geschichte der undogmatischen Linken (und ihrer militanten Teile) schreiben, wenn nicht diese selbst. Insoweit ein wichtiges Buch. Und noch etwas wird erkennbar: Es ist nicht wichtig, ob es die ‚radikal‘ gibt. Wichtig ist, daß eine offene Diskussion um die darin vertretenen Positionen möglich bleibt.
(beide: Otto Diederichs)