von Carsten Wiegrefe
Die Polizeiaktivitäten im Internet wurden in der Bundesrepublik erst im Frühjahr 1996 öffentlich zur Kenntnis genommen: Am 20. Mai meldeten verschiedene Nachrichtenagenturen, daß es dem amerikanischen FBI gelungen sei, per Internet Leslie I. Rogge, einen seit über zehn Jahren flüchtigen mutmaßlichen Bankräuber, in Guatemala ausfindig zu machen. FBI-Präsident Louis J. Freeh hatte eine Fahndungsliste der zehn meistgesuchten Personen im Internet veröffentlicht; ein Online-Surfer aus Guatemala hatte auf der Homepage des FBI (1) das digitale Bild von Rogge gesehen und ihn danach identifiziert. Die Polizei in Guatemala bekam daraufhin den Tip, daß sich der Gesuchte in dem mittelamerikanischen Land aufhalte. (2)
Das Internet als Netz der Netze ist also nicht mehr nur die Nische der Computerfreaks und Hacker. Mit der Einführung des jüngsten Internet-Dienstes – des graphisch orientierten Multimedia-Konzepts ‚World Wide Web‘ (www) vor drei Jahren – nehmen immer mehr Personen und Institutionen an der weltweiten Datenkommunikation teil. So ist es kein Wunder, daß mittlerweile sowohl das Bundeskriminalamt (BKA) wie auch diverse Landeskriminalämter eine sog. Homepage im Internet haben. Mit der damit verbundenen digitalen Adresse ist die Polizei in vielen Bundesländern nun per Mausklick erreichbar.
Digitale Fahndung
Beflügelt vom amerikanischen Erfolgserlebnis, wurde auch in der Bundesrepublik damit begonnen, das Internet zu Fahndungszwecken einzusetzen: In Zusammenhang mit dem Entführungsfall Reemtsma fahndete die Polizei in Hamburg zum ersten Mal im Internet. (3) Da das dortige Landeskriminalamt (LKA) jedoch nicht über einen eigenen Web-Server verfügt, wurde beim LKA Nordrhein-Westfalen (4) eine Gastseite (5) eingerichtet. Hier waren dann u.a. die Seriennummern der gesuchten Geldscheine aufgelistet, und es wurde um Unterstützung aus der Bevölkerung gebeten. Zum gleichen Zeitpunkt wurde in Essen online nach Erpressern des ALDI-Konzerns gesucht, indem das Phantombild eines mutmaßlichen Täters eingespielt wurde. (6)
Das Bundeskriminalamt startete im Sommer 1996 nach dem Anschlag auf die Quebec- Kaserne in Osnabrück am 28.6.96, für den die irische Untergrundorganisation IRA verantwortlich gemacht wird, erstmals einen digitalen Fahndungsaufruf. Fotos und Phantombilder sowohl von den mutmaßlichen Tätern als auch von zwei gestohlenen, bei der Tat verwendeten Ford-Pritschenwagen können aufgerufen werden. (7) Deutsche Täter werden vom BKA indes noch nicht online gesucht: „Bisher ist nämlich nicht geklärt, wie die Veröffentlichung von Fahndungsinformationen im Internet rechtlich zu bewerten ist“, vermutet die ‚ComputerBILD‘. (8)
Die Ermittlungsbehörden betreten im Internet Neuland. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn etwa das LKA Rheinland-Pfalz Rat bei erfahrenen Insidern sucht. (9) So wurde z.B. der legendäre ‚Chaos Computer Club‘ (CCC) um „Hilfe bei Fragen von Urheberrecht, Verschlüsselungstechnik und anderen Spezialbereichen rund um das Internet“ (10) gebeten. Dieses Ansinnen der Sicherheitsbehörden hat den Hackern nun einige Kopfschmerzen bereitet. Eine Antwort steht deshalb noch aus. CCC-Sprecher Andy Müller- Maguhn weicht dem Problem diskret aus und verweist auf den jährlich zwischen Weihnachten und Neujahr in Hamburg stattfindenden CCC-Kongreß. Am 28.12.96 sind nun Vertreter der Kriminalpolizei für eine Podiumsdiskussion auf dem Kongreß eingeladen.
Zwar meldet das BKA auf seiner Homepage stolz, daß ein „Bankräuber nach acht Stunden in Frankreich festgenommen“ wurde, da die „Eingabe des gestohlenen und für die Tat benutzten PKW in das nationale Info-System“ sofort erfolgte und somit auch im ‚Schengener Informationssystem‘ (SIS) den Vertragsstaaten vorlag. Auch weist das BKA auf künftige Perspektiven hin: „Einige KFZ- Hersteller ermöglichen dem LKA Online- Zugriffe auf Identifizierungsdaten ihrer Fahrzeuge.“ (11) Erfahrungswerte über die Online-Fahndung gibt es bislang jedoch keine, da das Pilotprojekt „noch zu jung“ sei. (12) Auch „Statistiken zu konkreten Hinweisen aus dem Internet“ liegen (noch) nicht vor. Die Frage, ob die Online- Aktivitäten der Sicherheitsbehörden für mehr als Public-Relations und Service-Zwecke taugen, muß derzeit noch offen bleiben.
Polizeiliche Homepages
Einen ersten Zugang sowie Überblick über im Internet vorhandene Polizeiseiten erhält man über den Einsatz von sog. ’search engines‘. Diese arbeiten als Online-Datenbanken und ermöglichen eine weltweite Schlagwortsuche. Die zwei bekanntesten deutschsprachigen ’search engines‘ sind WEB.DE (13) und DINO- ONLINE. (14) Erstere gibt auf die Schlagwort- Suche POLIZEI 25 Einträge aus: An erster Stelle wird das LKA Nordrhein-Westfalen genannt, danach der Polizeisportverein Karlsruhe mit seiner Karate-Abteilung. Neben der Polizei in Hamburg und Hannover finden sich auch die ‚Deutsche Polizeigewerkschaft‘ (DPolG) , das Bundeskriminalamt, aber auch der Polizeichor Würzburg, die Motorradenthusiasten der Polizei in Mülheim a.d. Ruhr, Informationen der Polizeidirektion Erbach im Odenwald sowie private Homepages einzelner Beamter.
DINO-ONLINE erbringt ähnliche Resultate: Aus den 18 Treffern der Datenbankabfrage ist z.B. zu erfahren, daß in Berlin nur der ‚Verein der homosexuellen Angehörigen der Polizeien Berlins und Brandenburgs‘ HAPOL e.V. im Netz ist. (15) Ansonsten werden auch polizeinahe Einrichtungen genannt, z.B. ‚FIREFIGHTER – Bekleidung und Ausrüstung für Feuerwehr und Polizei‘ und andere Unternehmen der Sicherheitsbranche.
Viele dieser Seiten verfügen über einen sog. Counter – ein Zählwerk, welches auf der Homepage Auskunft über die tatsächliche weltweite Abfrage der Seiten gibt. Hieran läßt sich ablesen, auf welche Resonanz die Seiten der jeweiligen AnbieterInnen stoßen. Da die Counter jeden Zugriff einzeln zählen, ohne mehrere Anfragen ein und derselben Person gesondert auszuweisen, liegen erfahrungsgemäß die Zahlen der Abfragenden niedriger als die absolute Zahl, die auf der Homepage abzulesen ist. Von daher sind die Zahlen (Stichtag 2.11.96) mit einiger Vorsicht zu genießen.
Ein gutsortiertes Informationsangebot der Polizei am Niederrhein (16) weist seit dem 15.7.96 insgesamt 647 Zugriffe auf. Schlechter steht die ‚Deutsche Polizeigewerkschaft‘ (17) da, die seit dem 1.4.96 nur 231 Zugriffe auf ihre Homepage verbuchen kann, obwohl zwischen ihren Informationen (Zwangsversetzungen stoppen, Personalwirtschaft im Bundesinnenministerium und das BGS-Entscheidungskonzept) auch ein Reiseveranstalter ein Angebot für einen ‚Magic Mauritian Cocktail‘ anbietet. Im Vergleich hierzu hat sich die Online-Präsenz des hannoverschen Polizeipräsidenten Dieter Klosa gelohnt, der rechtzeitig vor den ‚Chaostagen‘ in Hannover im Sommer 1996 seinen digitalen Dialog mit den vermeintlichen Chaoten medienwirksam im Internet versuchte. Sein Verständnis vom Umgang mit dem Punk („Mein Eindruck ist, daß Punk eine grelle, aber aufrichtige und ehrliche Sache ist“ (18) ) brachte ihm seit dem 26.7.96 immerhin 2.668 Zugriffe ein. Unterdessen ist seine Ansprache an die Jugendszene nicht mehr aufrufbar, die Homepage der niedersächsischen Polizei (19) wird derzeit umgebaut. Last but not least kommt HAPOL e.V. seit dem 3.7.96 auf 1.140 Zugriffe. Die Homepage enthält Berichte zum Christopher-Street-Day, Presseerklärungen zum bundesweiten Seminar der schwulen und lesbischen Polizeiangehörigen sowie Informationen zum Tag der Offenen Tür der Berliner Polizei.
Verglichen mit den Internet-Servern in den USA, die mehrere tausend Zugriffe im Monat verzeichnen, steckt die Online-Fahndung in der Bundesrepublik noch in den Kinderschuhen. Allerdings wird in Baden- Württemberg derzeit ein modernes Bildfahndungssystem bei der Polizei in Stuttgart eingerichtet. Rund 40.000 Porträts sind dann dort auf 18-Gigabyte- Hauptspeichern polizeiintern abrufbar. (20) Andere Länderpolizeien planen ebenfalls den Einstieg in das Internet.
Genaueres wollte der Bundestagsabgeordnete Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mittels einer Kleinen Anfrage in Erfahrung bringen. Der Antwort der Bundesregierung ist zu entnehmen, daß für das BKA keine Mittel für die Aufklärung von Straftaten, die mittels elektronischer Netze verübt werden, veranschlagt werden. In einer „Vielzahl von Fällen“ werde zwar auf das Internet zugegriffen, um Informationen für die Fahndung zu gewinnen, über eine Statistik darüber verfüge das BKA aber nicht. Mitarbeiter der Behörde nehmen allerdings an diversen Tagungen und Seminaren teil, etwa an der INTERPOL-Konferenz „Computerkriminalität“ oder dem EU-Seminar „Die Nutzung von Computernetzwerken durch Terroristengruppen“. Darüber hinaus wurde aufgrund eines Beschlusses der ‚Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/- terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte‘ (IGR) eine aus Vertretern des Generalbundesanwalts, des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz bestehende ‚Arbeitsgruppe INTERNET‘ eingerichtet, um „durchführbare Möglichkeiten zur gemeinsamen Bekämpfung der Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda über das INTERNET zu erarbeiten“.
Interessanterweise will die Bundesregierung von den eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen der Verbreitung der Untergrundzeitschrift ‚radikal‘ Nr. 154 im Internet „erst im nachhinein“ erfahren haben. (21)
Der Kenntnisstand von Polizeikritikern über Polizeiplanungen im Internet steckt ebenfalls erst in den Anfängen. Reinhard Borchers von der ‚Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten‘ sieht die Aktivitäten eher gelassen. Verglichen mit der Reichweite von Fernsehsendungen wie etwa „Aktenzeichen XY ungelöst“ seien die digitalen Zugriffe auf Webpages eher uninteressant.
Die Veröffentlichung von kritischen Informationen zum Thema Polizei und Überwachung bleibt somit gegenwärtig engagierten Privatpersonen überlassen. Systematische Einführungen lassen sich bei Detlef Nogala vom ‚Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie‘ in Hamburg (22) sowie bei Stefan Winkler, „Polizeiliche Online-Informationssysteme“ (23) ,finden.