Editorial

von Heiner Busch

Eine systematische Dezentralisierung der Polizei, ihre Orientierung an Alltagsaufgaben, eine Rückbindung polizeilichen Handelns an die BürgerInnen und eine kommunale Rechtfertigungspflicht statt zentraler bürokratischer Kontrolle – das waren Forderungen, die die Redaktion dieser Zeitschrift 1990 in einem Gutachten für die Fraktion der Grünen im Bundestag erhob. Sie waren eine Antwort auf den bürokratischen Zentralismus und auf das Misstrauen in die Bürgerinnen und Bürger, die die Polizeientwicklung auch in Deutschland-West seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs prägte – eines Zentralismus, der zunächst in der militaristischen Uniform des Kalten Krieges marschierte, um in den 70er Jahren in die stromlinienförmige Kleidung der flotten Modernisierer zu schlüpfen. „Nicht dem Staate, sondern den Bürgern dienen“, lautete deshalb konsequenterweise der Titel unserer Schrift.

Zehn Jahre danach scheint alles paletti. Wo man auch hinschaut im polizeilichen Blätterwald, ist nun von gemeindenaher Polizeiarbeit, Bürgerorientierung, ja sogar Bürgerbeteiligung die Rede. Haben wir einen Erfolg errungen, ohne es gemerkt zu haben? Festzuhalten ist zunächst, dass man auch in polizeilichen Kreisen realisiert hat, dass der Zentralisierungswahn der vergangenen Jahrzehnte zu einem Informationsverlust geführt hat. Von einem auf das in polizeilichen Akten und Dateien gesammelte Wissen aufbauenden „Erkenntnisprivileg“ der Polizei, das den früheren BKA-Präsidenten Horst Herold ins Schwärmen brachte, redet heute kaum mehr jemand. Das Wissen darum, dass eine „Verbrechensbekämpfung“ ohne die BürgerInnen, ohne die von ihnen kommenden Informationen, nicht sonderlich aussichtsreich ist, gehört inzwischen zum guten polizeilichen Ton.

Allerdings macht dieser Ton nur wenig Musik – und auch nicht unbedingt gute. Die neue gemeindenahe Phraseologie der Polizei führt keineswegs dazu, aufgeblähte zentralistische Apparate abzuspecken. Der unkontrolliert und ungebrochen voranschreitende Ausbau von Europol belegt, dass man den Zentralismus selbst über die Grenzen des Nationalstaats hinaustreiben kann. Die BürgerInnen mit und erst recht ohne den Auberginenpass stören hier nur.

Auch an einen Abbau von polizeilichen Eingriffsbefugnissen ist vorderhand nicht zu denken. In den selben 90er Jahren, in denen man polizeilicherseits die Gemeinde und die Bürgerorientierung entdeckte, wurde das ganze Repertoire von geheimpolizeilichen Methoden, auf das die bundesdeutsche Polizei heute zurückgreifen kann, verrechtlicht. BürgerInnen sind dabei allenfalls als Spitzel und DenunziantInnen gefragt.

Was bleibt also am Knochen der „Sicherheitspartnerschaften“, der polizeilichen Nachbarschaftsprojekte etc.? Erstens, viel Symbolik: Die BürgerInnen sind vor allem dann gefragt, wenn es um das (Un-)Sicherheitsgefühl geht, um die Erhöhung bürgerlich verlängerter Polizeipräsenz in angeblichen oder wirklichen „Angsträumen“. Sie kosten nebenbei auch weniger als voll ausgebildete PolizistInnen. Zweitens, die Ordnung: Die Polizeigesetze wurden zwar seit den 70er Jahren mit neuen Befugnissen vollgestopft. An einem Punkt gab es immerhin eine leichte Liberalisierung: Das moralinsaure Konstrukt der „öffentlichen Ordnung“ wurde zum Teil definitiv aus dem Polizeiauftrag gestrichen oder verlor zumindest an Bedeutung gegenüber der „öffentlichen Sicherheit“. Während die „richtige“ Polizei sich nun auf die „richtige“ Kriminalitätsbekämpfung konzentriert, springen die von den lokalen Behörden bestallten HelferInnen nun teilweise ausgerüstet mit gemeindlichen Bettelverboten und Parkordnungen in die Ordnungslücke.

Drittens zeigen die in diesem Heft vorgestellten Formen der neuen polizeilichen BürgerInnenbeteiligung deutlich, dass die Rollen von HilfspolizistInnen und der von ihnen „Polizierten“ sozial höchst ungleich verteilt sind. Nachbarschaftsprojekte finden sich vor allem in besser betuchten lokalen Gemeinschaften. Und auch dort, wo Langzeit-Arbeitslose Streife laufen, sollen sie ihr Augenmerk auf die „üblichen Verdächtigen“, auf die „Randgruppen“ werfen. Vor Sicherheit und Ordnung sind die Menschen keineswegs gleich.

Auch das kommende Heft von „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ wird sich mit den Beziehungen zwischen Polizei und BürgerInnen befassen, allerdings mit einem ganz anderen Aspekt: mit polizeilichen Übergriffen und der Frage, wie sich BürgerInnen dagegen wehren können.

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Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.