Regierungsentwurf, Stand: 19.9.2001
Vorblatt
A. Problem
B. Lösung
C. Alternative
D. Kosten der öffentlichen Haushalte
E. Sonstige Kosten
Gesetzentwurf
Begründung
A. Problem
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG (sog. Religionsprivileg) findet das Vereinsgesetz auf Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, im Rahmen des Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Artikel 137 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung, WRV), keine Anwendung. Das 1964 als Ausführungsgesetz zu Artikel 9 GG erlassene Vereinsgesetz klammert auf diese Weise Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen aus seinem Anwendungsbereich aus.
Das Vereinsgesetz lässt daher bisher keine Verbotsmöglichkeiten gegen extremistische Religionsgemeinschaften zu, während gegen sonstige Vereine nach § 3 VereinsG mit Verbotsverfügungen vorgegangen werden kann. Bei Parteien kann das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit feststellen. Die seit Schaffung des Vereinsgesetzes gesammelten Erfahrungen zeigen jedoch, dass ein Bedürfnis besteht, gegen Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, auch dann ein Verbot aussprechen zu können, wenn es sich um Religionsgemeinschaften handelt.
B. Lösung
Ersatzlose Streichung der betroffenen Vorschrift.
C. Alternative
Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes.
D. Kosten der öffentlichen Haushalte
Keine.
E. Sonstige Kosten
Keine.
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes
Vom
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Änderung des Vereinsgesetzes
In § 2 Abs. 2 des Vereinsgesetzes vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 3. Mai 2000 (BGBl. I S. 632) geändert worden ist, werden in Nummer 2 am Ende das Komma durch einen Punkt ersetzt und Nummer 3 gestrichen. Artikel 2 Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
Zu Artikel 1 (Änderung des Vereinsgesetzes)
Die Regelung des Artikels 1 unterfällt der Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 3 GG (Vereinsrecht). Die bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse aus Gründen der inneren Sicherheit erforderlich, damit bundesweit einheitlich gegen im gesamten Bundesgebiet tätige Vereinigungen mit Vereinsverbot vorgegangen werden kann, deren Zweck oder deren Tätigkeit unter dem Deckmantel der Religionsausübung den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten.
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG (sog. Religionsprivileg) findet das Vereinsgesetz auf Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, im Rahmen des Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Artikel 137 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung, WRV), keine Anwendung. Ein Verbot ist damit nach geltendem Recht nicht möglich.
Die seit Schaffung des Vereinsgesetzes im Jahre 1964 gesammelten Erfahrungen zeigen jedoch, dass ein Bedürfnis besteht, gegen Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, auch dann ein Verbot aussprechen zu können, wenn es sich um Religionsgemeinschaften handelt.
Derzeit sind zumindest drei Fallgruppen denkbar, in denen § 2 Abs. 2 Nr. 3 Vereinsgesetz geeignet ist, die Sicherheitsbehörden von Gefahrerforschungsmaßnahmen und/oder Maßnahmen zur Gefahrenabwehr bis hin zu einem Vereinsverbot abzuhalten:
- Fundamentalistisch – islamistische Vereinigungen, die zur Durchsetzung ihrer Glaubensüberzeugungen Gewalt gegen Andersdenkende nicht ablehnen,
- Vereinigungen mit Gewinnerzielungsabsicht oder politischen Zielen, die für sich den Status einer religiösen bzw. weltanschaulichen Vereinigung reklamieren und im Rahmen von Vereinsverbotsverfahren Prozessrisiken hinsichtlich der Beurteilung ihres Vereinigungscharakters aufwerfen und
- bislang nur im Ausland mit Tötungsdelikten und Massenselbstmorden aufgetretene Weltuntergangssekten.
Eine Streichung von § 2 Abs. 2 Nr. 3 Vereinsgesetz bedeutet keinen Eingriff in die Religionsfreiheit oder das Staatskirchenrecht (Artikel 4 GG, Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 f. WRV). Artikel 9 Abs. 2 GG i.V.m. Artikel 140 GG ist auch auf Religionsgemeinschaften anwendbar. Die begriffliche Einordnung einer Vereinigung als Religionsgesellschaft ist unabhängig davon, ob sie nach außen im Einklang mit der Rechtsordnung handelt. Es kommt hierfür lediglich auf ihr Selbstverständnis, die programmatische Darstellung und tatsächliche (kultische) Handlungen an. Nach Streichen des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz muss die zuständige Verwaltungsbehörde bei der Entscheidung, ob eine bestimmte religiöse Vereinigung zu verbieten ist, die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft (Art. 4 GG) und das im Rahmen des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete Selbstbestimmungsrecht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in die Abwägung einbeziehen.
Das Säkularisierungsverbot des Artikels 140 GG i.V.m. Artikel 138 Abs. 2 WRV steht einer Anwendung des Vereinsgesetzes auf Religionsgemeinschaften nicht entgegen. Vereinsvermögen, das zur Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele genutzt wird, ist nicht gleichzusetzen mit Vermögen, das der Ausübung der Religion dient. Nur letzteres wird vom Säkularisierungsverbot erfasst.
Die katholische und die evangelische Kirche werden bereits durch die Verfassung (Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 Abs. 5 WRV) vor einem Verbot geschützt, weil sie altkorporierte Religionsgemeinschaften sind, denen der Körperschaftsstatus durch die Verfassung zugesprochen ist.
Die bisherige Regelung, die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von vornherein von der Möglichkeit eines Vereinsverbots ausnimmt, ist eine zwar zulässige, aber aus den Wertungen von Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 WRV und auch aus der in Artikel 4 Abs.1 GG geschützten kollektiven Religionsfreiheit nicht zwingend abzuleitende Einschränkung des Anwendungsbereichs des Vereinsgesetzes.
Die Streichung der Bereichsausnahme von § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG ist auch nicht inhaltlich z.B. gegen bestimmte Psychosekten gerichtet oder würde sich anmaßen, im Wettbewerb der Glaubensgemeinschaften untereinander Stellung in weltanschaulichen Fragen zu beziehen. Vielmehr will der Staat durch die Einbeziehung der Religionsgemeinschaften ins Vereinsgesetz die Allgemeinheit vor Gemeinschaften schützen, deren Zweck oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Diese Eingriffsschwelle für staatliches Tätigwerden ist hoch, vom Verhältnis der Glaubensgemeinschaften untereinander unabhängig und in Hinsicht auf die jeweiligen Glaubensinhalte neutral – solange sie nicht die Rechtsgüter gefährden, zu deren Schutz der Staat verfassungsrechtlich aufgerufen und verpflichtet ist.
Aus Gründen der inneren Sicherheit erscheint die Herausnahme von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes nicht länger vertretbar. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Verbotsvoraussetzungen des Artikels 9 Abs. 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Vereinsgesetzes erfüllen.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.
Anmerkung der CILIP-Redaktion zum Gesetzentwurf
Das Bundeskabinett hat am 19. September 2001 dem von Bundesinnenminister Otto Schily vorgelegten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes zugestimmt.
§ 2 Vereinsgesetz lautet bisher:§ 2
Begriff des Vereins
(1) Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.
(2) Vereine im Sinne dieses Gesetzes sind nicht
- politische Parteien im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes,
- Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Parlamente der Länder,
- Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, im Rahmen des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919.