Stellungnahme des RAV zu den Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene

1.)

Der RAV arbeitet gemeinsam mit anderen westeuropäischen Anwaltsorganisationen in dem Verbund Europäische Demokratische Anwälte (EDA) unter anderem zu den Themen Arbeits- und Sozialrecht, Menschenrechte und polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Europa. Seit Jahren kritisieren wir, dass die europäische Polizeibehörde Europol ohne ausreichende demokratische, parlamentarische und justizielle Kontrolle aufgebaut wird. Wir kritisieren, dass die europäischen Polizeien und Geheimdienste, die Exekutiven zusammenarbeiten, ohne dass verbindliche und durchsetzbare Grundrechtsgarantien, insbesondere Verteidigungs- und Verfahrensrechte, auf EU-Ebene existieren. Zur Erinnerung sei bemerkt, dass die EU-Grundrechtecharta lediglich feierlich proklamiert wurde.

Zuletzt musste die europäische Öffentlichkeit mit Schrecken zur Kenntnis nehmen, wie anlässlich des G 8-Gipfels im Juli in Genua zahlreiche Grundrechte (Recht auf Freizügigkeit, Demonstrationsrecht, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Datenschutz- und Verteidigungsrechte) nicht nur von der italienischen Regierung außer Kraft gesetzt wurden.

2.)

Die geplanten Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus verschärfen diese Missstände noch. Wie schon in anderen Bereichen ist auch hier zu konstatieren, dass viele Projekte bereits seit langem in EU-Gremien verhandelt werden wie zum Beispiel die Geldwäscherichtlinie, der europäische Haftbefehl und die Erweiterung der Kompetenzen von Europol. Dies lässt auch hier die Vermutung zu, dass die Gelegenheit genützt wird, um strittige Maßnahmen auf einfachere und schnellere Weise durchzusetzen.

3.)

An keinem Beispiel lässt sich diese These besser nachvollziehen als bei den Beratungen im Europäischen Rat und der Europäischen Kommission über die Definition von Terrorismus.

Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag lautete in seiner entscheidenden Formulierung so, dass als Terrorismus einzelne aufgezählte Straftaten dann angesehen wurden, wenn sie zum Ziel hätten, die politischen, ökonomischen oder sozialen Strukturen eines Landes ernsthaft (seriously) zu verändern (altering) oder zu zerstören. Nach dem Entwurf des Europäischen Rats vom 10.10.2001 soll Terrorismus vorliegen, wenn das Ziel einer ernsthaften Einwirkung (affecting) oder Zerstörung der politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation bestünde. Unter den aufgezählten Straftaten, die nach obiger Definition als terroristisch eingestuft würden, befinden sich unter anderem die grobe Sachbeschädigung an staatlichem – und am Regierungseigentum.

In einem erklärenden Memorandum wird ausdrücklich festgehalten, dass Terrorismus auch urbane Gewalt (urban violence) beinhalten könnte. Damit wird die Zielrichtung des Ratsentwurfes deutlich. Die ausgeweitete Definition von Terrorismus könnte Proteste wegen Göteborg und in Genua aber auch gewaltfreie Aktionen der Friedenbewegung gegen Militärdienststellen umfassen. Diese Diskussion ist schon deswegen von größerer praktischer Bedeutung, weil sich die einzelnen EU-Staaten mit der Definition von Terrorismus zugleich verpflichten Maßnahmen gegen einen solchermaßen definierten Terrorismus zu unternehmen. Dies betrifft gerade auch Staaten, die bisher keine spezielle Anti-Terror-Gesetzgebung hatten. Zum andern ist Terrorismus eine der Aufgaben die in der Europol-Konvention dem europäischen Polizeiamt zugewiesen sind. Europol ist also berechtigt bei Terrorismus in sehr weitreichender Weise tätig zu werden. Dieses Beispiel belegt, dass auf europäischer Ebene versucht wird, im Windschatten der Diskussion nach dem 11.09.2001 ganz eigene Ziele durchzusetzen, nämlich die sehr weitreichende polizeiliche und strafjustizielle Verfolgung von Kritikern und Gegnern der eigenen Politik.

4.)

Von Bürgerrechts- und Strafverteidigerorganisationen wird seit langem die Abschaffung des Organisationsdelikts der terroristischen Vereinigung gemäß § 129 a StGB gefordert. Diese Vorschrift zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht an konkreten Straftaten anknüpft, sondern an politischen Zielen. Außerdem stellt sie ein Passepartout für zahlreiche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen dar. Nunmehr steht eine Erweiterung dieser Vorschrift im Raume, der § 129 b StGB soll ausländische terroristische Vereinigungen unter Strafe stellen. Die Kritik im einzelnen ist der Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zu dieser Vorschrift zu entnehmen. Im Zusammenhang mit der obigen geplanten Neudefinition von Terrorismus könnte der neu eingeführte § 129 b bundesdeutschen Ermittlungsbehörden zahlreiche Kompetenzen zur Verfolgung missliebiger Protestbewegungen auch außerhalb von Deutschland geben.

5.)

Einem Ausweg aus dem Wirrwarr nationaler Justizsysteme soll der europäische Haftbefehl versprechen. Die Bemühungen darum waren vor allem nach dem sogenannten Tampere-Treffen im Oktober 1999 durch den Europäischen Rat vorangetrieben worden. Unbestritten muss die gegenseitige Rechtshilfe auf europäischer Ebene verbessert werden. Die aktuellen Defizite sind aber weniger in den hohen Rechtsstandards als vielmehr in der unzureichenden personellen und materiellen Ausstattung der entsprechenden Abteilungen der Justiz zu suchen. Der europäische Haftbefehl würde darauf hinauslaufen, dass die jeweiligen Landesjustizen Haftbefehle der anderen europäischen Länder akzeptieren würden, ohne diese ausreichend in einem aufwändigen Rechtshilfe- und Auslieferungsverfahren zu überprüfen. Dazu kommt, dass die große Gefahr bestünde, dass sich Untersuchungshaftzeiten wesentlich verlängern. Denn schon bei nationalen Haftbefehlen ist es schwierig genug, für einen Beschuldigten, einen Richter davon zu überzeugen, dass keine Fluchtgefahr besteht oder diese durch Kautionszahlung oder Meldeauflagen abzuwenden ist. Fernab familiärer und sozialer Kontakte und dazu versehen mit dem Malus, nicht am Gerichtsort anwesend zu sein, liegt es sehr nahe, dass der Richter am Ergreifungsort keine Entscheidung zur Haftverschonung und Entlassung fällt, sondern dieses dem Richter am Ort der Ausstellung des Haftbefehls überlässt – der Beschuldigte bleibt bis dahin in Haft mit den weitreichenden Folgen, die eine solche Haft immer hat. Dieser europäische Haftbefehl ist mindestens so lange nicht akzeptabel, solange kein gemeinsamer Standard von Grund- und Verfahrensrechten auf europäischer Ebene existiert. Um noch einmal auf das Beispiel der GlobalisierungskritikerInnen von Genua zurückzukommen: Auch bundesdeutsche Justizbehörden hätten nach den Ereignissen in Genua sicherlich Probleme damit, Haftbefehle der italienischen Justiz und Begehren der italienischen Polizei ohne weiteres zu entsprechen.

6.)

Angesichts des mangelnden Datenschutzes und der mangelnden richterlichen Kontrolle ist es äußerst problematisch, wenn nun gefordert wird, dass die einzelnen EU-Datensysteme miteinander vernetzt werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Ereignisse von New York und Washington dann etwas Gutes hätten, wenn sie eine intensivere Diskussion über polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in der EU auslösen und die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit deutlicher würde. Abzulehnen sind aber Versuche, die bereits mit Europol unternommen wurden, isolierte Maßnahmen der Exekutive ohne ein System parlamentarischer und vor allem justizieller Kontrolle zu installieren. Noch deutlicher abzulehnen sind Versuche, politisch missliebige Bewegungen mit Anti-Terror-Gesetzgebung zu bekämpfen.

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck (Vorsitzender des RAV)
Martin Hantke (Dipl.Pol.)

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