Stellungnahme der Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Die Gesetzesvorschläge des Bundesinnenministeriums sehen einen Ausbau der Befugnisse des Bundesgrenzschutzes und des Bundeskriminalamtes vor. Die beabsichtigten Veränderungen gehen nicht nur auf Kosten der föderalen Polizeistruktur in Deutschland (d.h. sie führen zu Verschiebungen zu Lasten der Länderpolizeien), sondern sie eröffnen den Bundesbehörden weitere Überwachungsmöglichkeiten. Den vorgeschlagenen Regelungen ist gemeinsam,
- dass sie keinerlei Bezug zu den jüngsten terroristischen Anschlägen erkennen lassen; alle Vorschläge zielen auf Kompetenzerweiterungen, die nicht auf terroristische Taten beschränkt sind,
- dass bundespolizeiliche Maßnahmen für das (vermeintliche) Vorfeld krimineller Handlungen legalisiert werden; nach den Vorschlägen muss polizeilich jeder/jede als potentiell verdächtig gelten.
Das Sicherheitspaket dient nicht der Terrorismusbekämpfung. Vielmehr werden unter dem Vorwand des Antiterrorismus lang gehegte Wünsche durchzusetzen gesucht. Das gilt sowohl für die Kontrolle unerwünschter Migration mit polizeilichen Mitteln wie für den weiteren Ausbau der Bundespolizeien.
Dass mit den angestrebten Veränderungen der Terrorismus bekämpft werden könnte, ist weder plausibel noch zu erwarten. Demgegenüber liegt der Zuwachs für die Sicherheitsorgane, der auf Kosten von Freiheits- und Bürgerrechten erreicht werden soll, auf der Hand. Die Novellierungen von BGS- und BKA-Gesetz sind deshalb abzulehnen.
I. Bundeskriminalamt-Gesetz (BKAG)
Zukünftig BKA-Ermittlungen ohne Verdacht
Die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskriminalamtes werden bisher durch die Bestimmungen der Strafprozessordnung begrenzt. Demnach müssen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine Straftat vorliegen, damit das BKA mit Ermittlungen beginnen kann. Der geplante § 7a BKAG hebt diese Bindung auf. Das BKA soll sich künftig aktiv auf die Suche nach Anhaltspunkten für jene Delikte machen dürfen, die in seiner Zuständigkeit liegen. Die Folgen dieser Regelung:
- Nicht ein Verdacht löst Ermittlungen aus, sondern der Verdacht steht am (vorläufigen) Ende der Ermittlungen. Damit wird jede und jeder zum potentiellen Ziel von BKA-Ermittlungen.
- Das BKA folgte mit dieser Regelung den Länderpolizeien, die unter dem Stichwort der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ bereits heute im „Vorfeld“ krimineller Handlungen tätig werden dürfen. Nicht nachvollziehbar ist, warum nun auch das BKA eine solche Kompetenz braucht und warum diese dann – wie es der Entwurf vorsieht – nur auf einfache Ermittlungshandlungen beschränkt bleiben soll. Oder soll dem BKA durch einfache Befragungen gelingen, was man den Landeskriminalämtern auch mit dem Einsatz geheimer Methoden nicht zutraut? Offenkundig handelt es sich bei der geplanten Vorschrift um einen ersten Schritt, auch auf Bundesebene eine mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Präventivpolizei zu schaffen.
Ausweitung von Lausch- und Spähangriffen
Gegenwärtig dürfen zur Eigensicherung von BKA-Bediensteten inner- und außerhalb von Wohnungen Gespräche abgehört und Personen gefilmt oder fotografiert werden (§ 16 BKAG). Dieser „kleine“ Lausch- und Spähangriff war in das BKA-Gesetz eingefügt worden, um den Einsatz Verdeckter Ermittler abzusichern. Der Entwurf will die Beschränkung auf die Eigensicherung für „Bedienstete“ streichen. Durch diese Entgrenzung können die geheimen Überwachungsmethoden immer dann genutzt werden, wenn irgendeine Person im Auftrag des Bundeskriminalamtes eingesetzt ist oder eingesetzt werden soll. Diese Regelung wird die Überwachungsmöglichkeiten erheblich erhöhen:
- Die Überwachung wird auch beim Einsatz von sogenannten Vertrauens-Personen und Informanten ermöglicht. Dieser Personenkreis ist weder gesetzlich noch durch Verwaltungsvorschriften bestimmt.
- Mit der neuen Vorschrift kann auch der Einsatz ausländischer Polizisten in deutschen Ermittlungsverfahren mit technischer Überwachung begleitet werden.
- Der Gesetzentwurf erleichtert die Überwachung von Wohnungen und Personen auch dann, wenn Angehörige der Länderpolizeien, der Nachrichtendienste oder anderer öffentlicher Stellen beteiligt sind. (Bislang ist eine formale Abordnung erforderlich.)
- Gegenwärtig müssen die Überwachungen vom Präsidenten des BKA angeordnet werden. Zukünftig sollen hierzu die BKA-Abteilungsleiter befugt sein. Auch das ist ein kleines Indiz dafür, wie gering die Grundrechte geachtet werden.
Zuständigkeiten werden zentralisiert
Der Gesetzentwurf vermehrt die originären Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes, d.h. den Katalog derjenigen Delikte, in denen die Ermittlungsverfahren vom BKA – und nicht von den Länderpolizeien – geführt werden. Die Erweiterungen umfassen den neuen § 129b sowie die §§ 202a (Ausspähen von Daten), 303a (Datenveränderung) und 303b (Computersabotage). Darüber hinaus erweitert der Entwurf auch die Zuständigkeit des BKA in § 129a-Verfahren, da zukünftig nicht allein solche mit internationalem, sondern auch jene mit „bundesweitem“ Bezug in dessen Zuständigkeit fallen sollen. Hinsichtlich der Datendelikte ist nicht ersichtlich, inwiefern es sich um spezifisch terroristische Delikte handelt. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum die Landeskriminalämter nicht in der Lage zu derartigen Ermittlungen sein sollten – zumal derartige Fälle bereits jetzt von den Ländern dem BKA übertragen werden können. Auch diese Vorschläge sind deshalb nicht von der Sache her begründet, sondern sie sind Teil des Versuchs, die Bundespolizeien weiter auszubauen.
II. Bundesgrenzschutz-Gesetz (BGSG)
Ausdehnung des Grenzgebietes im Küstenbereich auf 50 km
Bislang darf der Bundesgrenzschutz überall im 30 km tiefen Grenzgebiet verdachtsunabhängig Personen kontrollieren und Sachen durchsuchen. Die Gesetzesänderung sieht zum einen vor, dieses Gebiet im Küstenbereich auf 50 km auszuweiten. Zum anderen soll das Bundesinnenministerium ermächtigt werden, per Rechtsverordnung das Seegrenzgebiet auch weiter – jenseits der 50 km – auszudehnen, sofern der Bundesrat dem zustimmt.
- Ein Kontrolldefizit an den seewärtigen Grenzen besteht derzeit nicht. Denn für die grenzpolizeiliche Sicherung der 12 Seemeilen- (22,2 km)-Zone des Küstenmeeres ist auch jetzt schon der Bundesgrenzschutz See bzw. die Küstenwache zuständig. Faktisch wird durch die vorgeschlagene Novellierung allein die räumliche Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes massiv ausgeweitet.
- Mit der Erweiterung des Grenzgebietes per Rechtsverordnung könnten dann auch Städte wie Hamburg, Lübeck, Kiel, Wilhelmshaven und Rostock flächendeckend vom BGS kontrolliert werden, ohne dass ein Bezug zu den grenzschützerischen Aufgaben des BGS deutlich würde. Darüber hinaus sieht der Vorschlag keine Obergrenze vor, so dass das Innenministerium das „seewärtige Grenzgebiet“ beliebig weit ausdehnen kann. In keinem Fall ist ersichtlich, warum der BGS weit im Hinterland verdachtsunabhängig kontrollieren und durchsuchen soll.
Verdachtsunabhängige Ausweiskontrollen
Bislang darf der BGS Personen anhalten und befragen, wenn anzunehmen ist, dass sie zur Erfüllung von BGS-Aufgaben sachdienliche Angaben machen können. Die Gesetzesänderung in § 22 Abs. 1 S. 3 BGS-Gesetz sieht als Erweiterung vor, dass BGS-Beamte auch mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung verlangen können. Diese Befugnis sei notwendig, so die offizielle Begründung, um bei der Befragung gewonnene Informationen auch später noch verifizieren und stichhaltig verwerten zu können. Denn der Mitwirkung von sog. auskunftspflichtigen Personen, heißt es dort, komme angesichts der aktuellen Sicherheitslage eine erhöhte Bedeutung zu.
Auch nach jetziger Rechtslage sind befragte Personen verpflichtet, ihre Personalien anzugeben, wenn dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Es ist daher unter diesem Gesichtspunkt überflüssig, Ausweise zu verlangen; zumal deutsche StaatsbürgerInnen nicht verpflichtet sind, ihre Ausweispapiere bei sich zu tragen.
Dass es hier nicht um die Informationsgewinnung bei möglichen ZeugInnen oder Personen geht, die etwas „Verdächtiges“ gesehen haben, zeigt die inoffizielle Begründung: Danach soll die neue Befugnis dem Bundesgrenzschutz die Möglichkeit geben, generell Ausweispapiere auf ihre Echtheit zu überprüfen, ohne die lästigen Schranken der bisherigen verdachtsunabhängigen Kontrollen beachten zu müssen.
Wenn der BGS unter dem Vorwand, jemanden befragen zu wollen, Ausweispapiere kontrolliert, ist dies ein verfassungswidriger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Verdachtsunabhängige Kontrollen sind bereits in der jetzigen Praxis durch rassistische Auswahlkriterien bestimmt. Die neue Zielrichtung, Terroristen, ihre Kundschafter und Unterstützer anhand gefälschter Papiere ausfindig machen zu wollen, erscheint angesichts der bisherigen Erkenntnisse über die Anschläge in den USA verfehlt. Opfer dieser Personenkontrollen werden wie bisher dem äußeren Anschein nach nicht-europäische „Ausländer“ sein, d.h. Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen.
Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind ein weiterer Schritt zur Etablierung des Bundesgrenzschutzes als einer im gesamten Bundesgebiet agierenden Polizei. Die Befugniserweiterungen widersprechen zentralen Verfassungsbestimmungen. Nicht der Terrorismus wird derart bekämpft, sondern der staatliche Rassismus wird weiter befördert.