Literatur

Zum Schwerpunkt

Die Befürchtung, dass aus den neuen Kommunikationstechnologien neue Sicherheitsgefahren und neue Schwierigkeiten für die Strafverfolgungsbehörden resultieren, kennen wir aus der Diskussion über die Handy-Überwachung in der ersten Hälfte der 90er Jahre. Wenige Jahre später sind nicht die Straftäter, die sich mit fremden Handys der Polizei entziehen, das Problem, sondern die mobile Telefonie ist zu einer zusätzlichen Überwachungsquelle geworden: Sie ermöglicht nicht allein das Abhören, sondern erlaubt gleichzeitig die Identifizierung von Telefonanschlüssen und die Ortung und Verfolgung der Telefonierenden. Die Wandlung vom angeblichen Sicherheitsverlust zum umfassenderen Überwachungsinstrument steht prototypisch für die realen „Entwicklungschancen“ des Telekommunikationszeitalters: Die neuen Informationsfreiheiten machen die BürgerInnen vermehrt zum Objekt staatlicher (und privatwirtschaftlicher) Kontrolle. Dank der neuen Technologien geschieht diese Kontrolle unmerklicher für die Überwachten, sie gerät umfassender – neben den Inhalten werden die äußeren Umstände der Kommunikation überwacht –, und sie unterliegt einem technologisch bedingten schnellen Wandel, der Erweiterungen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten nach sich zieht. Insofern gibt auch die Literatur über die neuen Überwachungspraktiken nur eine Momentaufnahme, die teilweise heute schon überholt ist. Wir beschränken uns im Folgenden nur auf wenige Beiträge, die die polizeiliche und geheimdienstliche Telekommunikationskontrolle (vornehmlich in Deutschland) betreffen.

Schulzki-Haddouti, Christiane (Hg.): Vom Ende der Anonymität. Die Globalisierung der Überwachung, Hannover 2000 (Heise Verlag), 188 S., EUR 15,–

Im Zentrum dieses 2001 in einer aktualisierten Fassung erschienenen Sammelbandes aus dem Umfeld des Online-Magazins „Telepolis“ steht die Entwicklung der internationalen Überwachungsgemeinschaft. Nach einem Überblick des norwegischen Kriminologen Thomas Mathiesen über die „Globalisierung der Überwachung“ folgen Beiträge über die Kontrollpotentiale auf EU-Ebene (Europol sowie die unter dem Stichwort „Enfopol“ bekannt gewordenen Bemühungen grenzüberschreitender Kommunikationskontrolle im Rahmen der Rechtshilfe). Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit dem von der US-amerikanischen National Security Agency betriebenen und von mehreren westlichen Staaten unterstützten Echelon-System, mit dem weltweit Kommunikationsströme (von Satellitenübertragungen bis zu Unterseekabeln) überwacht werden. Für die deutsche Entwicklung ist der Beitrag von Erich Schmidt-Eenboom von Interesse, in dem die Entwicklung und Funktionsweise der Funkspionage des Bundesnachrichtendienstes beschrieben wird. In ganz anderer Weise ist der Beitrag von Detlef Nogala lesenswert, weil er zeigt, wie breit das technologisch machbare Überwachungsspektrum mittlerweile geworden ist. Die technologische Entwicklung vervielfache nicht nur die Kontrollmöglichkeiten, sondern – so die ernüchternde Diagnose – sie erhöhe auch deren Akzeptanz.

Germann, Michael: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet (Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 812), Berlin 2000 (Duncker & Humblot), 757 S., EUR 96,–

Eine Bestandsaufnahme der „staatlichen Möglichkeiten“ zu Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet ist Anliegen dieser dickleibigen juristischen Dissertation. Neben einer Untersuchung des Polizei- und Strafprozessrechts betrachtet der Autor – wenn auch eher am Rande – die Befugnisse der Geheimdienste für die Informationsbeschaffung im Internet. Die Rechtsentwicklung ist dabei bis Juni 1999 berücksichtigt.

Bevor Germann daran geht, die polizei- und geheimdienstlichen Maßnahmen im weltweiten Datennetz auf ihre Rechtsgrundlagen zu überprüfen, erfährt der/die LeserIn zunächst vergleichsweise anschaulich etwas über die Funktionsweise des Internet, die verschiedenen Dienste (WWW, E-Mail, Chat etc.) und welche (Multi-Media-)Gesetze darauf anwendbar sind. Jeweils eigene Kapitel sind den technischen Möglichkeiten und Grenzen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im weltweiten Datennetz sowie den Pflichten der Internet-Provider und Inhalteanbieter gewidmet. Schließlich analysiert der Autor – nach Gefahrenabwehr und Strafverfolgung getrennt – verschiedene Ermittlungsmaßnahmen, angefangen bei der Sperrung von Internetangeboten über verdachtsunabhängige Internet-Streifen und Auskunftsverlangen über Nutzerdaten bis zur (verdeckten) Informationsbeschaffung durch Teilnahme an der Internetkommunikation und Abhörmaßnahmen.

Im Ergebnis sieht Germann „erhebliche Vollzugsdefizite“ bei Polizei und Geheimdiensten. Diese seien aber weniger auf rechtliche Befugnislücken zurückzuführen als auf technische Probleme wie z.B. Verschlüsselung, Anonymisierung oder Verschleierung der Identität im Internet. Diese Analyse ist nur konsequent, da der Autor Polizei- und Strafprozessrecht an vielen Stellen „eingriffsfreundlich“ auslegt und daher kaum Schranken sieht. Trotz einiger Einschränkungen ist das Buch gut geeignet, sich gründlich mit der Problematik auseinander zu setzen.

(Martina Kant)

Deutsches Polizeiblatt 19. Jg., 2001, H. 4 (Schwerpunkt: Internet)

Das Schwerpunktheft informiert in kurzen Beiträgen über die wichtigsten Aspekte des Themas „Polizei und Internet“: Kriminalität im Internet (insbes. Politischer Extremismus), „Befugnisse und Grenzen der Ermittlungsbehörden“, kriminalpolizeiliche Ermittlungen und anlassunabhängige Streifen im Internet, „Tatmedium E-Mail“ sowie das Netz als Medium polizeilicher Außendarstellungen. Das Heft gibt insgesamt einen ersten Einblick in die Praxis der polizeilichen Internetüberwachung sowie deren rechtliche und technische Schwierigkeiten. Mitunter helfen die Hinweise jedoch kaum weiter, etwa wenn in der zusammenfassenden „Checkliste“ vermerkt wird: „Das Internet tangiert fast alle Delikte des Strafgesetzbuches“ oder: „Finden und Sichern digitaler Spuren erfordert technischen Sachverstand.“

Bär, Wolfgang: Auf dem Weg zur „Internet-Polizei“?, in: Bäumler, Helmut (Hg.): Polizei und Datenschutz, Neuwied, Kriftel 1999, S. 167-187

Bärs Ausführungen gelten zum einen den rechtlichen Grundlagen der Strafverfolgung im Internet, zum anderen beleuchtet er das Internet als Instrument polizeilicher Fahndung. Obwohl der Beitrag noch keine drei Jahre alt ist, ist er von der Rechtsentwicklung längst überholt: Grundlagen für die Fahndung wurden durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 in die Strafprozessordnung aufgenommen. Und die polizeilichen Überwachungsbefugnisse der Telekommunikation sind im Dezember 2001 durch die neuen §§ 100g und 100h der StPO und die jüngst erlassene Telekommunikationsüberwachungsverordnung erweitert worden.

Weichert, Thilo: Cyber-Crime-Bekämpfung und Datenschutz, in: Datenschutz-Nachrichten 24. Jg., 2001, H. 2, S. 5-15

Aus datenschützerischer Perspektive diskutiert Thilo Weichert die Probleme des Cybercrime und deren staatlicher Verfolgung. Nach einem kurzen Blick auf die Besonderheiten der Internet-Kriminalität werden die nationalen und internationalen Regulierungen und Kontrollbefugnisse dargestellt. Auf die deutsche Situation bezogen, diskutiert Weichert den damaligen Entwurf der Telekommunikations-Überwachungsver­ordnung. Darüber hinaus werden einige (weiterhin) offene Fragen angesprochen, wie z.B. die Ermittlungstätigkeit Verdeckter Ermittler im Netz. Der Zugriff der Sicherheitsbehörden auf personenbezogene Informationen müsse an „strenge rechtliche Voraussetzungen“ gebunden werden, und den „Kontrollforderungen der Sicherheitsbehörden“ könne „nicht ohne Etablierung rechtsstaatlicher Kontrollverfahren nachgegeben werden.“

Hetzer, Wolfgang: Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, in: Kriminalistik 55. Jg., 2001, H. 5, S. 347-354

Der Beitrag des Ministerialrats im Bundeskanzleramt ist eine Erläuterung des damals noch in der parlamentarischen Beratung befindlichen neuen G 10-Gesetzes, das erforderlich geworden war, nachdem das Bundesverfassungsgericht mehrere Bestimmungen für verfassungswidrig erklärt hatte, mit denen die Abhörbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes ausgeweitet worden waren. Hetzers Aufsatz steht für jene Art von Literatur, mit der die Beteiligten die Gesetzgebungsmaschinerie mit großer rechtsstaatlicher Semantik legitimieren. So wird der Umstand, dass Daten aus der Telekommunikationsüberwachung nur an diejenigen Stellen übermittelt werden dürfen, die diese Daten zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen, als Beschränkung interpretiert. Wer lesen will, wie die Ausdehnung der Überwachung begründet und in entgrenzende juristische Formulierungen gegossen wird, der/die sollte diese Erläuterungen des mittlerweile in Kraft getretenen Abhörgesetzes gründlich lesen.

Zimmermann, Georg: Staatliches Abhören, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2001 (Peter Lang), 327 S., EUR 50,10

Die Verrechtlichung des „Großen Lauschangriffs“ vor wenigen Jahren, der Rechtsstreit über das Abhören durch den Bundesnachrichtendienst, das jährliche steigende Ausmaß der polizeilichen Telefonüberwachung – die Zeit war eigentlich schon lange reif für eine Gesamtsicht „staatlichen Abhörens“. Georg Zimmermann hat mit seiner juristischen Dissertation einen wichtigen Beitrag zu einer solchen Bilanz vorgelegt. Im Hauptteil der Untersuchung schildert er in chronologischer Folge die „Entwicklung der gesetzlichen Befugnisse zum hoheitlichen Abhören von Gesprächen in der Geschichte der Bundesrepublik“. Innerhalb der drei vom Autor festgestellten Entwicklungsphasen (bis zu den Notstandsgesetzen, die 70er und 80er Jahre, und die 90er Jahre) werden jeweils die strafprozessualen, die polizeirechtlichen sowie die geheimdienstlichen und für die 90er Jahre zollrechtlichen Abhörbefugnisse „im Detail referiert“.

Der Horizont des Buches geht jedoch über diese rein beschreibende Zielsetzung – für sich schon ein lobendes und mühevolles Unterfangen – hinaus: Zimmermann interessiert sich für die Entwicklung der Abhörnormen, weil er vermutet, dass das im Laufe der Jahrzehnte dichter, vielfältiger und unübersichtlicher gewordene Normengeflecht nicht zu mehr, sondern zu weniger rechtsstaatlicher Begrenzung geführt hat. Diese These belegt die Studie nachdrücklich: Zum einen wird an der strafprozessualen Norm zur Telefonüberwachung (§ 100a StPO) die inflatorische Ausweitung der Einsatzgebiete nachgezeichnet, die nicht allein durch die Aufnahme neuer Katalogtaten entsteht, sondern durch die Ausdehnungen, die jene Taten im Bereich des Strafrechts erfahren. Diese direkten und indirekten Erweiterungen sind, so Zimmermann, nicht durch die Schwere der Taten oder kriminalistische Argumente bestimmt, sondern durch politische Tagesaktualitäten. Wenn der Gesetzgeber nicht mehr weiter weiß, so darf man dieses Argument zusammenfassen, dann erweitert er die Möglichkeiten zum Abhören.

Zum anderen bieten die verschiedenen Eingriffsnormen des Abhörrechts Möglichkeiten, etwa die Bestimmungen der Strafprozessordung zu umgehen, indem Erkenntnisse der Nachrichtendienste, des Zollkriminalamtes oder polizeirechtlich gewonnene Abhördaten in das Strafverfahren eingeführt werden. Um die Bedeutung des Abhörens für die Strafverfolgung erfassen zu können, reiche der Blick in die Strafprozessordnung nicht aus: „vielmehr stellt ein paralleles Verfahrenssystem häufig entsprechende Befugnisse unter erleichterten verfahrensrechtlichen Voraus­setzungen zur Verfügung“.

Sonstige Neuerscheinungen
Lisken, Hans; Denninger, Erhard (Hg.): Handbuch des Polizeirechts, 3., neubearbeitete und erweiterte Auflage, München 2001 (Verlag C.H. Beck), 1279 S., EUR 112,–

Nach fünf Jahren und um fast 300 Seiten angewachsen ist im Herbst vergangenen Jahres die dritte Auflage von „Lisken-Denninger“ erschienen. Mittlerweile ist das „Handbuch des Polizeirechts“ als Standardwerk kritischer Polizeirechtskommentierung etabliert. Die aktuelle Ausgabe ist um das Kapitel „Gefahrenabwehr durch Ordnungsverwaltung“ erweitert, in dem die materiellen Polizeiaufgaben des Ausländer-, Bau-, Gewerbe-, Waffen- und Umweltrechts dargestellt werden. Darüber hinaus wird den Entwicklungen von Polizeirecht und -praxis der letzten fünf Jahre Rechnung getragen. Dazu zählen die Videoüberwachung und die „ereignis- und verdachtsunabhängigen“ Identitätsüberprüfungen. Die Ausführungen zur Schleierfahndung sind von 2 auf 12 Seiten angewachsen. „Vieles spricht dafür“, so der Autor nach der Würdigung der geltenden Bestimmungen, „daß die neuen Kontrollbefugnisse wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungswidrig sind“ (S. 414). Auf die weitere Europäisierung der Polizeiarbeit reagiert das Handbuch durch längere – und ernüchternde – Ausführungen zum Rechtsschutz gegenüber „Europol-Eingriffen (S. 994-1004) sowie mit einem im Umfang mehr als verdoppelten Abschlusskapitel über die „Polizeiliche Zusammenarbeit in Europa“. In diesem Teil wird nicht nur das unübersichtliche Geflecht europäischer Polizeikooperation und Institutionen vorgestellt – von den direkten Kooperationen mit den Nachbarstaaten bis zur Praxis nach den Schengener Verträgen oder der Arbeit von Europol. Gleichzeitig werden immer wieder die rechtsstaatlich problematischen Elemente benannt, die aus der Europäisierung der Polizei resultieren: Rechtsschutz gegen Registrierung im Schengener Informationssystem, Immunität für Europol-Beamte, die notorischen Kontrolldefizite gegenüber den Praktiken und Instanzen europäischer Innerer Sicherheitswahrung. Das Handbuch bleibt ein aktueller, kritischer und unverzichtbarer Beobachter der rechtlichen und institutionellen Veränderungen des „Systems Innerer Sicherheit“ in Deutschland und Europa.

Möllers, Martin H.W. (Hg.): Wörterbuch der Polizei, München 2001 (Verlag C.H. Beck), 2001 S., EUR 92,–

Natürlich kann man dieses Nachschlagewerk nicht angemessen besprechen: 50 AutorInnen, über 10.000 erläuterte Fachbegriffe auf gut 2.000 dicht beschriebenen Seiten. Das weite Spektrum, das das Wörterbuch abdeckt, reicht von rechtlichen bis institutionellen, von naturwissenschaftlichen bis kriminologischen, von politischen bis polizei-prak­tischen Begriffen. Natürlich stellt dieses Buch eine hervorragende Quelle für alle dar, die sich schnell und kompetent über „Polizei“ und Sachverhalte, die in irgendeiner Weise polizeilichen Bezug haben, informieren wollen. Die Vielzahl der Begriffe, die Aufnahme von Synonymen, die vielen Querverweise sowie die Angabe wichtiger Literatur machen aus dem „Wörterbuch“ mehr als ein schlichtes Nachschlagewerk. Und natürlich lassen sich Einträge unterschiedlicher Qualität in dem Band finden. Das gilt vor allem im Hinblick auf eher kritische oder bürgerrechtliche Positionen. So fördern einige Leseproben durchaus Defizite zu Tage: Im Beitrag über Pfefferspray wird zwar auf eine österreichische Untersuchung verwiesen, aber Hinweise auf angelsächsische Studien oder die Berichte von amnesty international fehlen. Die Verve, mit der die Befugnis zum Todesschuss gefordert oder die Rechtswidrigkeit des Kirchenasyls konstatiert wird, fehlt leider an anderer Stelle, etwa bezogen auf die Wachstumsraten bei der Telefonüberwachung oder hinsichtlich der Rechtsprobleme verdeckter Polizeiarbeit, die zwischen den Stichworten „Verdeckter Ermittler“ und „nicht offen ermittelnder Polizeibeamter“ verharmlost statt auf den Punkt gebracht werden. Auch dass das „Wörterbuch“ unter dem Stichwort „Organisierte Kriminalität“ über drei Spalten Deliktsfelder, Paragrafen und Zahlen aus dem Lagebild auflistet, aber die einzige Monografie nicht zu kennen scheint, die den polizeilichen Umgang mit OK thematisiert, deutet darauf hin, dass das Nachschlagwerk mehr informieren als kritisch informieren will. Wer das Buch jedoch zum eigenen Nachdenken und Forschen nutzen wird, dem oder der wird es von großem Nutzen sein.

Witzstrock, Heike: Der polizeiliche Todesschuss, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2001 (Peter Lang), 209 S., EUR 35,30

Mußgnug, Friederike: Das Recht des polizeilichen Schußwaffengebrauchs, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2001 (Peter Lang), 287 S., EUR 45,50

Die beiden juristischen Dissertationen zum Recht des polizeilichen Schusswaffengebrauchs könnten in ihren Schlussfolgerungen kaum unterschiedlicher sein. Die breitere, auf das gesamte polizeiliche Schusswaffengebrauchsrecht angelegte Untersuchung Mußgnugs diagnostiziert am Beispiel des nordrhein-westfälischen Polizeirechts erhebliche Regelungslücken. Zum einen hält sie die allgemeinen Voraussetzungen für den Schusswaffeneinsatz gegen Personen für unzureichend. Statt den Verweis auf Verbrechen und Vergehen, die das geltende Recht enthält, schlägt sie eine Formulierung vor, die auf eine Ausweitung der Befugnis hinausläuft; etwa indem das Schießen auf Personen erlaubt werden soll, um „die unbefugte Zerstörung … eines besonders gekennzeichneten Kulturgutes von nationaler Bedeutung“ zu verhindern (S. 248). Auch im Hinblick auf den „finalen Rettungsschuss“ plädiert die Autorin für eine explizite polizeirechtliche Regelung. Zwar sei der gezielte Todesschuss auch in NRW zulässig, aber es sei eine Frage rechtsstaatlicher Klarheit, der Fürsorgepflicht gegenüber den PolizistInnen und der Ehrlichkeit, den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirkenden Schuss im Polizeigesetz zu regeln, statt – wie in NRW – ihn in einer Verwaltungsvorschrift zu verstecken (S. 92).

Während nach der Auffassung von Mußgnug die Notwehrrechte als rechtliche Fundierung des gezielten Todesschusses ausscheiden, sieht Witzstrock die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über Notwehr und Nothilfe als ausreichende und angemessenere Rechtsgrundlage für polizeiliche Todesschüsse an. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben erlaubten durchaus, den „finalen Rettungsschuss“ im Polizeirecht zu verankern. Mit einer Norm, die das staatliche Töten auf Befehl legalisiere, würde jedoch rechtspolitisch ein falsches Signal gesetzt. Dass das Notwehrrecht keine Befugnis zur Gewaltanwendung enthalte und somit die Anordnung eines Todesschusses ausschließe, sei angemessen: Denn nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip könne immer nur der Schütze entscheiden, ob ein wohl tödlich wirkender Schuss das einzige Mittel bleibe. Von dessen persönlicher Verantwortung für sein Handeln werde er auch nicht durch eine polizeirechtliche Ermächtigung befreit.

Beiden Arbeiten ist gemeinsam, dass sie von der Wirklichkeit polizeilichen Schusswaffengebrauchs nur rudimentär Kenntnis nehmen. Muß­nug hätte dann feststellen müssen, dass die rechtlichen Lücken bislang weder negative noch positive Auswirkungen für die Praxis gehabt haben. Und Witzstrock hätte ihr Argument noch stärker machen können, dass nicht das Recht, sondern die polizeiliche Ausbildung und Einsatzlehre – vielleicht auch allgemeinere politische Entwicklungen – darüber entscheiden, wann und wie es zu gezielten Polizeischüssen auf Menschen kommt. Wer realisiert, dass der „finale Rettungsschuss“ eine seltene Ausnahme unter den polizeilichen Todesschüssen darstellt, der/die wird feststellen müssen, dass die Auseinandersetzungen um die Rechtsgrundlagen von den Problemen polizeilicher Gewaltanwendung eher ablenken.

(sämtlich: Norbert Pütter)

Gleß, Sabine; Grote, Reiner; Heine, Günter (Hg.): Justitielle Einbindung und Kontrolle von EUROPOL, Freiburg im Breisgau 2001 (edition iuscrim), 2 Bände, 694 u. 638 S., EUR 66,50

Die Arbeit von EUROPOL unterliegt gegenwärtig keiner Kontrolle. Weder die datenverarbeitenden Tätigkeiten noch die Beteiligungen an gemeinsamen Ermittlungsteams mit den Polizeien der Mitgliedstaaten können von Gerichten überprüft werden. Auch die Parlamente werden nur vorbehaltlich der Geheimhaltungspflicht informiert, unmittelbare Einwirkungsbefugnisse oder Kontrollmöglichkeiten haben sie nicht. Das vorliegende Gutachten wurde im Auftrag des Bundesjustizministeriums vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht erstellt. Es sollte prüfen, inwieweit eigene Ermittlungsbefugnisse von EUROPOL, wie sie nach Art. 30 Abs. 2 des Europäischen Unionsvertrages vorgesehen sind, gerichtliche und parlamentarische Kontrolle notwendig machen.

Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei in den Mitgliedstaaten bildet einen Schwerpunkt des Gutachtens. Denn die Staatsanwaltschaft hat während eines laufenden Ermittlungsverfahrens eine Wei­sungsbefugnis gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten. Die Errichtung einer entsprechenden europäischen Behörde könnte insofern eine Einbindung von EUROPOL bedeuten. Die Diskussionsansätze hierzu werden von den Verfassern ausführlich besprochen und kritisch betrachtet. Daran zeigt sich, dass die tatsächliche Errichtung noch nicht absehbar ist. In Bezug auf die demokratische Einbindung von EUROPOL monieren die VerfasserInnen neben einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle, vor allem die Immunität der EUROPOL-Beamten, die bei einer Ausweitung der Kompetenzen aufgehoben werden müsse.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Beurteilung der Beweisverwertung bei Ermittlungsverfahren, die in mehreren Staaten verlaufen. Die Uneinheitlichkeit nationaler Verfahrensregeln kann dazu führen, dass Beweise nach den Vorschriften vor Ort erhoben wurden, diese aber im Widerspruch zu den Landesvorschriften stehen, wo das Gerichtsverfahren stattfindet und die Beweise verwertet werden. Die Gefahr ist offenkundig, dass derart Rechte von Beschuldigten nach und nach ausgehöhlt werden. Ein europäisches Verfahrensrecht, welches hier Abhilfe schaffen könnte, hat noch nicht einmal Konturen angenommen.

Das Gutachten zeigt damit wesentliche Probleme auf und macht deutlich, dass eigene Ermittlungsbefugnisse von EUROPOL grundlegende Strukturveränderungen der europäischen Innen- und Justizpolitik notwendig machen. Damit äußern die VerfasserInnen auch offen Kritik an den bestehenden Zuständen, die vor allem den Bereich der Datenverarbeitung betreffen. Hier kann EUROPOL frei von Datenschutzbestimmungen und externer Kontrolle fast jede Form der Daten verarbeiten und vor allem mit weiteren Institutionen austauschen.

Ein Manko an dem Gutachten ist, dass die einzelnen Länderberichte aufgrund nicht aufeinander abgestimmter Gliederungen nur schwer zu vergleichen sind. Das sollte das Justizministerium nicht hindern, sich dieses Gutachten zu Herzen zu nehmen.

(Olaf Griebenow)