von Heiner Busch
Die Leserinnen und Leser mögen uns verzeihen, wenn wir ihnen als Motto für diese Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei ein Produkt aus der Phrasendreschmaschine etablierter Politik anbieten: „Keine Freiheit ohne Sicherheit.“ Die Floskel kommt regelmäßig dann zum Einsatz, wenn politische und persönliche Freiheiten im Namen einer angeblich vergrößerten Sicherheit weiter verkleinert werden sollen. Die „Sicherheitsgesetze“ – und zwar nicht erst die nach dem 11. September verabschiedeten – sind dafür beredte Beispiele. Freiheit wurde und wird gegen Sicherheit ausgewogen und als zu leicht befunden.
Dabei ist die Parole, wenn man sie richtig anwendet, gar nicht so blöde. „Keine Freiheit ohne Sicherheit“, das heißt vor allem, dass Freiheitsrechte nicht vorhanden oder massiv eingeschränkt sind, wenn ihre Ausübung mit einem Risiko verbunden ist. Dies ist bei der Versammlungsfreiheit definitiv der Fall. „Die Teilnahme an bestimmten Demonstrationen“, so schreibt Wolfgang Kaleck in seinem Beitrag, „war ohnehin immer ein Risiko, körperlichen Schaden zu erleiden, kurzfristig festgenommen und strafrechtlich verfolgt zu werden.“ Dies hat sich weder durch die Liberalisierung des Demonstrationsstrafrechts im Jahre 1970 noch durch das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1985 geändert, das von den Versammlungsbehörden, den Gerichten und der Polizei eine grundsätzlich demonstrationsfreundliche Haltung fordert.
Die polizeilichen Strategien im Umgang mit Demonstrationen sind zwar flexibler geworden, als sie es Ende der 60er Jahre – zu Zeiten des Berliner Polizeipräsidenten Dünsing und seiner „Leberwurst-Taktik“ – waren. Die polizeiliche Gewalt ist gezielter geworden, aber nicht aus dem Demonstrationsgeschehen verschwunden. Flexibler geworden sind auch die rechtlichen Ressourcen der Polizei: Die einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen funktionieren seit 1970 zwar nicht mehr nach dem Motto „mitgefangen, mitgehangen“. Das 1985 eingeführte und 1989 verschärfte Vermummungsverbot erlaubt es der Polizei aber, geradezu nach Belieben Demonstrationen zu stören oder gar aufzulösen. Hinzu kommen polizeirechtliche Bestimmungen im engeren Sinne: Aufenthaltsverbote, „Unterbindungsgewahrsam“, Befugnisse zur Videoüberwachung und natürlich zur Speicherung in Dateien.
Von Rechtssicherheit bei der Wahrnehmung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit kann nicht die Rede sein. Je umstrittener das Thema einer Demonstration, je hochrangiger der Staatsgast, gegen den protestiert wird, desto sicherer kann davon ausgegangen werden, dass das Recht zu demonstrieren überhaupt erst vor den Verwaltungsgerichten erstritten werden muss. Für die etablierte Politik und herrschende Interessen ist die Versammlungsfreiheit ein ärgerliches und hinderliches Grundrecht. Genau deshalb ist die Sicherheit, diese Freiheit ohne Angst ausüben zu können, von grundlegender Bedeutung.
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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 73 (3/2002) erscheint Ende des Jahres und wird sich im Schwerpunkt im Hinblick auf die „Beitrittskandidaten“ erneut mit der „Inneren Sicherheit“ in der Europäischen Union befassen.