Nachdem im Dezember 2002 die Arbeitsgruppen des Konvents ihre Abschlussberichte präsentiert haben, liegt mittlerweile auch ein Vorentwurf eines Verfassungsvertrages vor.[1] Gemäß den jetzigen Plänen wird die bestehende Säulenstruktur der EU abgeschafft und das Gesetzgebungsverfahren vereinfacht und vereinheitlicht. In Zukunft wird die EU in allen Tätigkeitsbereichen – normalerweise – Gesetze und Rahmengesetze produzieren und das im sog. Mitentscheidungsverfahren. Konkret heißt das: Die Kommission macht einen Vorschlag an das Europäische Parlament (EP) und den Rat. Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit. Das EP wird nicht nur konsultiert, Rat und Parlament müssen sich vielmehr einigen.
Dieses Verfahren soll künftig grundsätzlich auch im Bereich der Innen- und Justizpolitik gelten. Hintergrund dessen ist vor allem die Erwägung, dass die bisher erforderliche Einstimmigkeit im Rat bei demnächst 25 Mitgliedstaaten nicht mehr praktikabel ist. Allerdings gibt es hier eine ganze Serie von typischen Ausnahmen: Bei der ins Auge gefassten Schaffung einer EU-Staatsanwaltschaft trifft der Rat seine Entscheidungen einstimmig, aber mit Zustimmung des EP (Art. 20). Nur angehört werden soll das EP in folgenden Fällen: bei asylpolitischen Verordnungen, wenn sich ein Mitgliedstaat wegen des “plötzlichen Zustroms von Staatsangehörigen dritter Länder” in einer “Notlage” befindet (Art. 11 Abs. 3); bei Verordnungen über die Zusammenarbeit nationaler Dienststellen untereinander und mit der Kommission (Art. 7); bei Gesetzen, die die Tätigkeit von Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates auf dem Territorium eines anderen erlauben (Art. 23).
Von der gesetzgeberischen Seite völlig getrennt wird die “operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit” (Art. 5). Ein “Ständiger Ausschuss” des Rates soll die Kooperation der nationalen Behörden “einschließlich der Polizei-, Zoll- und Zivilschutzbehörden” koordinieren. In diesem Kontext soll auch die bisher völlig ungeregelte Task Force der nationalen Polizeichefs eine Funktion erhalten. Vertreter von Europol, Eurojust sowie der zukünftigen EU-Staatsanwaltschaft sollen an den Tagungen des Gremiums teilnehmen. Das EP “wird über die Beratungen auf dem Laufenden gehalten”, d.h. es erhält ab und an einen nichts sagenden Bericht. Wenn der Rat Gesetze über die operative Zusammenarbeit erlassen will, muss er das EP auch nur anhören (Art. 21 Abs. 3). Damit wird erneut ein Laboratorium der polizeilichen Kooperation geschaffen, das ausschließlich für die Exekutive reserviert ist.
Der Verfassungsvertrag legt aber nicht nur die Kompetenzen fest, er formuliert ähnlich wie der bestehende EU-Vertrag auch Ziele und inhaltliche Vorgaben. So soll zwar ein einheitliches EU-weit geltendes Asylverfahren auf der Basis der Genfer Konvention ausgearbeitet werden, allerdings haben daneben Formen des temporären Schutzes für Vertriebene zu entstehen, die dann auch schneller wieder abgeschoben werden können. “Allmählich” aufzubauen sei ein “gemeinsames System der integrierten Abwicklung der Personenkontrollen an den Außengrenzen”. Migrationsströme sollen “effektiv” gesteuert werden. Strafurteile und andere gerichtliche Entscheidungen sollen gegenseitig anerkannt werden. (Von staatsanwaltlichen Einstellungen ist hingegen nicht die Rede.) Bei “schweren Kriminalitätsformen mit grenzüberschreitender Dimension”, bei denen ein “besonderes Bedürfnis” nach gemeinsamer Verfolgung bestehe, will man Straftatbestände und Strafmaße vereinheitlichen. Angenähert werden sollen auch die Bestimmungen des Strafverfahrensrechts. Und – last but not least – soll Europol zwar keine exekutiven Befugnisse erhalten, aber in der ganzen EU operativ tätig sein.
(Heiner Busch)