Editorial

von Heiner Busch

Als die deutsche Polizei in den 60er Jahren anfing, über die Einführung von Computern nachzudenken, hatte sie eine andere technische Revolution gerade erst zum Abschluss gebracht: die Motorisierung. Begonnen hatte sie Anfang der 20er Jahre mit dem Ziel, eine politische und soziale Revolution zu verhindern. Die Kasernierte Sicherheitspolizei (SIPO) war der erste Organisationsteil, der mit Kraftfahrzeugen ausgestattet wurde. Lastwagen – zunächst aus Militärbeständen übernommene – ermöglichten die schnelle Verlegung an „bedrohte und umkämpfte Orte“ und lösten die hoch militarisierten SIPO-Truppen aus ihrer Abhängigkeit von der Eisenbahn. Im polizeilichen Alltag spielte das Auto noch lange keine bedeutende Rolle. Erst in den 50er Jahren ging man daran, neben den üblichen Fußstreifen zunächst versuchsweise motorisierte Funkstreifen einzurichten. Mit den Organisationsreformen der 70er Jahre verschwanden die Fußstreifen fast vollständig. Diese technische Revolution war definitiv abgeschlossen.

Rund 35 Jahre, nachdem die Elektronik ihren Einzug bei der Polizei begann, erleben wir einen ähnlichen Normalisierungsprozess. Mit INPOL-neu verabschiedet sich die Polizei von der Großrechnertechnologie. 270.000 PolizistInnen, so tönt es aus dem polizeilichen Blätterwald, werden Zug um Zug mit vernetzten PCs ausgestattet. Die Arbeit am Bildschirm ist nicht mehr nur für SpezialistInnen gedacht, sie soll zum Regelfall werden. Benutzerfreundlichkeit ist daher angesagt. Die Herauslösung der Information aus den Niederungen der polizeilichen Akten- und Fallbearbeitung, die sich die Protagonisten der polizeilichen Informationstechnik in den 70er Jahren erhofft hatten, scheint Jahrzehnte später Wirklichkeit zu werden. Arbeitsvorgänge, die wie der Vergleich von Fingerabdrücken früher Stunden in Anspruch nahmen, sind heute weitgehend automatisiert. Kfz-Kennzeichen lassen sich im Vorbeifahren lesen und mit polizeilichen Datenbeständen abgleichen. Biometrische Verfahren bringen die automatische Grenzkontrolle. Was aus polizeilicher Sicht als Rationalisierung und Vereinfachung der Polizeiarbeit durch den Einsatz von Technik aussieht, stellt sich im Hinblick auf die Bürgerrechte als neue Bedrohungen dar. Das polizeiliche Kontrollpotential wächst, und in immer wieder neuen Varianten wird die Illusion genährt, dass eine technisch perfekt ausgerüstete Polizei den „Kampf gegen das Verbrechen“ gewinnen könnte.

Der Weiterentwicklung der neuen Technologien scheinen keine Grenzen gesetzt. So „abgedreht“ manche der neuen Instrumente erscheinen, so sehr bestimmen sie doch mittlerweile die Normalität sowohl der Polizei und der dort arbeitenden Individuen, als auch die der Bürgerinnen und Bürger, welche den neuen Formen der Kontrolle unterworfen sind. Polizeiliche Eingriffe erscheinen erst dann als bedrohlich, wenn sie weh tun. Die neuen Techniken kommen ohne Gewalt aus; mitunter versprechen sie auch den Kontrollierten Vorteile: An die Videokamera im Stadtbild hat man sich gewöhnt. Es ist bequemer, den maschinenlesbaren Personalausweis vorzuzeigen, als sich auf eine elend lange Diskussion mit einem kontrollierenden Beamten einzulassen. Die DNA-Analyse gehört als ständiger Bestandteil des abendlichen Fernsehkrimis zur Unterhaltung der Eltern. Und die Kinder spielen – dank Lego – den Großen Lauschangriff. Nicht nur in den Kinderzimmern werden die alten grün-weiß gestreiften Polizeiautos um die Überwachungsapparaturen erweitert. Der reale Polizeialltag in der Gegenwart wird vom Zusammenwirken der „handfesten“ polizeilichen Ressourcen, d.h. den verschiedenen Formen unmittelbaren Zwangs, mit den fortgeschrittenen Techniken der Registrierung, Überwachung und Kontrolle bestimmt.

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Die nächste Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP erscheint im Frühjahr. Sie wird sich im Schwerpunktteil mit der polizeilichen Statistik auseinandersetzen.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.