Anti-Terror-Beschlüsse der EU

Wie nach dem 11. September 2001 haben auch die Anschläge in Madrid am 11. März 2004 hektische Aktivitäten der EU-Gremien hervorgerufen. Am 18. März legte die Kommission ein „action paper“ vor. Am 19. März trafen sich die Innen- und Justizminister zu einer Sondersitzung. Eine Woche danach tagten die Staats- und Regierungschefs und beschlossen eine „Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus“.[1]

Wie vor zweieinhalb Jahren so haben auch die Vorschläge, die jetzt auf den Tisch liegen, nur teilweise etwas mit Terrorismus zu tun. Einige beziehen sich auf Projekte, die bereits Gegenstand von Verhandlungen des Rates sind, wie z.B. die Aufnahme biometrischer Daten in Personaldokumente, der Auf- bzw. Ausbau des Schengener und des Visa-Infor­mationssystems oder die Schaffung einer EU-Grenzpolizei-Agentur. Andere betreffen bereits verabschiedete, aber nur von einem Teil der Mitgliedstaaten umgesetzte Rahmenbeschlüsse wie den EU-Haftbefehl. Die Terrorismus-Debatte wirkt hier als Brandbeschleuniger.

Von symbolischer Bedeutung ist die Annahme einer „Solidaritätserklärung“. Dabei geht es nicht um Trauer für die Opfer und Hilfe für deren Angehörige, sondern um ein Bekenntnis zur weiteren Militarisierung der EU. Die Erklärung bezieht sich auf Art. I-42 des Verfassungsentwurfs, wonach die Mitgliedstaaten im Falle eines Terroranschlags „alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich militärischer Mittel“ mobilisieren, um dem betroffenen Staat Beistand zu leisten. Koordiniert würde dieser Beistand durch das „Politische und Sicherheitspolitische Komitee“ – die Spitze der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ – sowie durch den nach Art. III-162 des Verfassungsentwurfs neuzuschaffenden Ausschuss für die operative Zusam­menarbeit der Polizei- und „Sicherheitsdienste“ der Mitgliedstaaten und der einschlägigen „Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union“.

Die vom Europäischen Rat jetzt beschlossene Einsetzung eines „Koordinators für die Terrorismusbekämpfung“ geht in dieselbe Richtung. Der Koordinator soll „alle der Union zur Verfügung stehenden Instrumente im Auge“ behalten, d.h. sowohl jene der außenpolitisch-militärischen zweiten als auch die der polizeilichen dritten Säule. Angesiedelt ist die neue Stelle im Ratssekretariat, d.h. unter der Aufsicht des „Hohen Vertreters“ der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana. Damit ist zugleich die Abschottung gegenüber dem Europäischen Parlament und der Öffentlichkeit gewährleistet.

Der österreichisch-belgische Vorstoß für einen EU-Geheimdienst ist zwar vorläufig abgelehnt. Der Europäische Rat „unterstützte“ aber Solanas „Bemühungen, in das Ratssekretariat eine nachrichtendienstliche Kapazität für alle Aspekte der terroristischen Bedrohung einzugliedern.“ Vorschläge hierzu wollen die Staats- und Regierungschefs im Juni vorliegen haben. Hergebrachte Vorstellungen einer Trennung von Polizei und Geheimdiensten wird man im Rahmen der EU vergessen müssen. Die „Beziehungen zwischen Europol und den Nachrichtendiensten“ seien weiterzuentwickeln. „Polizei, Sicherheits- und Nachrichtendienste“ sollen systematisch zusammenarbeiten und alle Terrorismus-relevanten Erkenntnisse an Europol übermitteln.

Grundsätzlich zugestimmt hat der Europäische Rat dem Aufbau eines nicht nur Terrorismus-bezogenen EU-Vorstrafenregisters. Auf seiner Juni-Tagung will er ferner Entwürfe der Kommission für den Austausch personenbezogener Daten für Zwecke der Terrorismusbekämpfung – konkret: „DNA, Fingerabdrücke, Visa-Daten“ – diskutieren. Für dieselbe Sitzung orderte er einen Richtlinienvorschlag der Kommission, mit dem die Beförderungsunternehmen und d.h. vor allem die Luftfahrtgesellschaften verpflichtet werden sollen, Daten über ihre Passagiere an die Polizeibehörden zu übermitteln. Damit folgt die EU dem US-amerika­nischen Muster. Ebenfalls vorrangig zu behandeln sei ein Rahmenbeschluss über die bei der Telekommunikation anfallenden Verbindungsdaten. Die Anbieterfirmen sollen diese Daten ein bis zwei Jahre aufbewahren und den Strafverfolgungsbehörden auf Anordnung zugänglich machen. Datenschutz ist ein Fremdwort.

(Heiner Busch)

[1]      memo/04/66 der Kommission sowie Ratsdok. 7555/04 und 7486/04 mit diversen Revisionen; für eine umfassende Übersicht siehe www.statewatch.org/news/euplan.pdf